Elke Heidenreich und Claus Peymann im Sog von Jonathan Littell

Die Wohlgesinnten von Jonathan Littell
„Ihr Menschenbrüder, lasst mich euch erzählen, wie es gewesen ist.“

Elke Heidenreich leitet ihr Gespräch mit Claus Peymann am 01.05. in der ZDF-Sendung Lesen! mit den Worten: „Ich hätte mich ja gerne vor dem Buch gedrückt und wollte es nicht lesen, nicht weil es so dick ist, sondern weil der Inhalt so schwer ist.“ Dann bekennt sie, dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie etwas Wichtigeres gelesen habe. Nach 200 Seiten habe sie ihren Koffer gepackt um nach Holland an die Nordsee zu fahren, sie habe gelesen und geheult.

Kein Buch wird in der deutschen Literaturkritik aktuell so kontrovers besprochen.

Elke Heidenreichs Gast, der Theater-Regisseur Claus Peymann, erklärt, er habe das Buch für die Sendung vorgeschlagen, weil er darin den Anfang der Diskussion darüber, was die Nationalsozialisten ausgemacht haben, aus dem Blick der Täter sieht. Es sei eben so zentral wie das Werk von Thomas Mann. Vielleicht konnte nur jemand wie Littell, ein Amerikaner, der auch noch französisch schreibt, ein Jude, die Drahtzieher des Faschismus in einem so komplexen Werk derartig authentisch beschreiben. Die deutsche Literaturkritik habe versagt, weil sie nicht ertragen kann wie wahr das Buch sei. Peymann bezeichnet das Buch als total elegant, sehr französisch und sehr musikalisch, als Bach-Suite aufgebaut. Man staune über den 40-jährigen Autor, der jahrelang recherchiert und das Buch dann in 5 Monaten geschrieben habe. Es habe eine große Sinnlichkeit, eine starke sexuelle Komponente und schwebe am Rande der Obszönität und des Voyeurismus vorbei. Der Akzent liege nicht auf der Darstellung des Horrors, sondern im Blick des Protagonisten Max Aue.

Im Gegensatz dazu bezeichnet Elke Heidenreich das Buch als grauenvoll zu lesen und sehr, sehr schwer zu ertragen.

Auch wenn sowohl Elke Heidenreich als auch Claus Peymann Die Wohlgesinnten von Littell empfehlen, konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dies aus sehr unterschiedlichen Motiven heraus geschieht. Während Elke Heidenreich sehr wohl die Darstellung des Horrors als zentrale Aussage des Buches sieht, ist Claus Peymann eher der Blickwinkel auf die Oberschicht der Intellektuellen im Nationalsozialismus als Grund für seine Empfehlung wichtig.

Die FAZ hat die Diskussion der beiden in einem Artikel vom 02.05. als „Kaffeeklatsch über Nazis“ tituliert.

Die WohlgesinntenKurzbeschreibung
Über das Produkt Der fiktive Lebensbericht eines hohen SS-Offiziers, ein Epos, das ein detailliertes Bild des Zweiten Weltkriegs und der Verfolgung und Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten zeichnet. Die Wohlgesinnten wurden von der Kritik als ein neues Krieg und Frieden gefeiert: die fiktiven Lebenserinnerungen des SS-Obersturmführers Maximilian Aue, Jahrgang 1913, Sohn eines deutschen Vaters und einer französischen Mutter, promovierter Jurist, frühes NSDAP-Mitglied, in die SS eingetreten, um sich der Strafverfolgung nach ß175 zu entziehen, aber lebenslang seiner Zwillingsschwester inzestuös verbunden. Es sind die verstörenden Erinnerungen an die Schauplätze des Zweiten Weltkriegs und an das Grauen der Verfolgung und Vernichtung der Juden von Juni 1941 bis April 1945, an die Einsatzkommandos und Massenhinrichtungen in der Ukraine und im Kaukasus, an Babi Jar, den Kessel von Stalingrad, Auschwitz und Krakau, an Mittelbau Dora, das besetzte Paris oder das kriegszerstörte Berlin. Es sind die beklemmenden Erinnerungen an all die Begegnungen mit den Nazigrößen, an Himmler, in dessen persönlichen Stab Aue 1943 aufgenommen wird, an Abendessen mit Eichmann, an Heydrich, Höß oder Speer. Es ist ein erschreckend detailgenauer Roman über die nazistischen Verbrechen, konsequent erzählt aus der Perspektive eines Täters, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg in die sichere Existenz eines Fabrikdirektors in Frankreich gerettet hat. „Es ist eines der eindrucksvollsten Bücher, die je über den Nazismus geschrieben wurden.“

Die Wohlgesinnten im Reading Room der FAZ

2 Gedanken zu „Elke Heidenreich und Claus Peymann im Sog von Jonathan Littell

  1. Ich habe mir das Buch bei Zweitausendeins auf dem `Ramschtisch` für 7,95 Euro gekauft. Bei Seite 332 habe ich erstmal aufgegeben, bin dann mal ins Netz und habe ca. zwei Stunden Rezensionen und sonstige Meinungen gelesen. Mein Fazit auch schon bei Seite 332: ich habe mich durch vorauseilenden Hype anstecken lassen, für 7,95 Euro hätte ich ein Sixpack Pils und `ne Schachtel Rauch bekommen. HW

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