Suhrkamp Verlag veröffentlicht unbekanntes Max Frisch-Tagebuch 3

An den Leser
Der verehrte Leser – einmal angenommen, daß es ihn gibt, daß jemand ein Interesse hat, diesen Aufzeichnungen und Skizzen eines jüngeren Zeitgenossen zu folgen, dessen Schreibkraft niemals in seiner Person, nur in seiner Zeitgenossenschaft begründet sein kann, vielleicht auch in seiner besonderen Lage als Verschonter, der außerhalb der nationalen Lager steht – der Leser täte diesem Buch einen großen Gefallen, wenn er, nicht nach Laune und Zweifel hin und her blätternd, die zusammensetzende Folge achtete; die einzelnen Steine eines Mosaiks, und als solches ist dieses Buch zumindest gewollt, können sich alleine kaum verantworten.

Max Frisch, Zürich, Weihnachten 1949

tagebuch-1946-1949Mit diesen Zeilen eröffnet Max Frisch das Tagebuch 1946-1949. Aus den etwa 130 Notizheften, die Frisch in der Nachkriegszeit anlegte, ging 1947 zunächst das literarische Tagebuch mit Marion hervor. Peter Suhrkamp ermutigte Frisch, das Konzept weiter auszubauen, und gab durch persönliche Rückmeldung zu den Texten konkrete Anregungen. 1950 erschien im neu gegründeten Suhrkamp Verlag das Tagebuch 1946-1949, ein Mosaik aus Reiseberichten und autobiographischen Betrachtungen, politischen und literaturtheoretischen Essays, sowie literarischen Skizzen, die Frischs Dramen und wesentliche Motive seines erzählerischen Schaffens des kommenden Jahrzehnts vorwegnahmen.

tagebuch-1966-19711972 erschien das Tagebuch 1966†“1971.

Bislang ging man davon aus, dass Frisch als 70-Jähriger ein später begonnenes drittes Tagebuch vernichtete, weil er sich dessen kreativer Gestaltung aufgrund eines zunehmenden Verlusts seines Kurzzeitgedächtnisses nicht mehr gewachsen fühlte. So endet sein zweites Tagebuch mit den Worten: „Laut Statistik hat sich das durchschnittliche Lebensalter weiter erhöht; als ich 73 bin, beträgt das durchschnittliche Lebensalter bereits 74 – ich erkläre meinen Austritt….“

Heute wurde bekannt, dass der Suhrkamp Verlag anlässlich seines 60-jährigen Bestehens im März 2010 ein bisher unbekanntes Werk von Max Frisch veröffentlicht. Fast 20 Jahre nach dem Tod des Schriftstellers erscheint das 184seitige Typoskript mit dem Titel Tagebuch 3. Es schließt an die beiden Tagebuch-Publikationen von 1950 und 1972 an. Laut Beschriftung des Autors sind die Aufzeichnungen 1982 in New York entstanden. Das Werk wurde nach Verlagsangaben erst vor wenigen Monaten im Züricher Max-Frisch-Archiv entdeckt, wo es den Unterlagen von Frischs damaliger Sekretärin zugeordnet war. Es handelt sich teils um Notate von wenigen Zeilen, teils um mehrseitige Passagen, in denen Max Frisch über sich und sein Leben, sein Verhältnis zu Frauen, zu Freunden und seine Beurteilung der politischen Situation in den USA während der Reagan-Administration erzählend reflektiert. Er hat diese Einträge redigiert und ihre Abfolge festgelegt.

Peter von Matt, der Vorsitzende der Max Frisch-Stiftung in Zürich, editiert das Tagebuch 3 und versieht es mit den notwendigen Kommentaren.

Der 1911 in Zürich geborene Max Frisch gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der Nachkriegszeit. Er starb am 4. April 1991, mitten in den Vorbereitungen für seinen 80. Geburtstag. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehört der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Quellen: Wikipedia, Max-Frisch-Archiv,  BuchMarkt

6 Gedanken zu „Suhrkamp Verlag veröffentlicht unbekanntes Max Frisch-Tagebuch 3

  1. hi Eva – schön, dass du mal wieder vorbei geschaut hast! 😉 Ich wusste gar nix von deiner Leidenschaft für „Tagebücher“. Hast du die von Günter Grass auch? Ich war bei der letzten Lesung hier in München und fand seine neuen „Tagebücher“ sehr interessant.
    LG

  2. Ja, ich sammle Tagebücher und Briefe, bin wohl ein bisschen voyeuristisch veranlagt 😉 Die von Günter Grass habe ich nicht, weil mich Grass als Schriftsteller (noch) nicht so interessiert! In welcher Hinsicht fandest du sie denn interessant? Vielleicht interessieren sie mich dann doch auch 😉

  3. Grass hat in der Münchner LMU aus seinem Tagebuch 1990 gelesen und mich schwer beeindruckt. 😉 Wenn sich nach der Lesung nicht eine Schlange von 100 Leuten am Büchertisch gebildet hätte, hätte ich mir das Buch wohl gekauft. Er war wahnsinnig präsent, kämpferisch wie eh und je (trotz seiner 84 Jahre) und vor allem hat er sehr spannend aus der Zeit der Wende aus seinem Buch gelesen. Er ist ja oft beschimpft worden, weil er schon damals viel kritisiert hat. Heute weiß man ja, dass er in vielen Dingen Recht hatte. Aber das Tagebuch 1990 ist auch ein sehr persönliches Werk,er erzählt darin von Familienfeiern, Lesungen, Urlauben und der Stimmung im Land. So gab es wohl ein florierendes Fischrestaurant an einem See in der Uckermark – der Fisch ist immer noch da, das Restaurant aber inzwischen pleite, die Fischer haben nix mehr zu tun, weil eben niemand mehr in der Region wohnt und den Fisch haben will. ;-( Na ja, nur so ein Beispiel, aber sehr eindringlich von ihm geschildert….
    Ich kann mich gar nicht erinnern, dass ich außer den Frisch-Tagebüchern (und das ist schon so lange her, dass ich mich an fast gar nichts mehr erinnern kann) und Anne Franks jemals Tagebücher gelesen haben!?
    Welches kannst du mir denn empfehlen – als „voyeuristische Fachfrau“ sozusagen? 😉
    Schönen Abend und liebe Grüße

  4. Na das klingt ja wirklich nach einer sehr interessanten Lesung!
    Empfehlen kann ich dir die Tagebücher von Kafka. Ich bin ein großer Kafka-Fan und fand es sehr spannend, seine persönlichen Aufzeichnungen zu lesen. Die Besonderheit seiner Werke spiegelt sich so schön in ihnen wider – man ist ja bei ihm immer sehr versucht, viel zu interpretieren, aber nachdem ich die Tagebücher gelesen habe war ich davon geheilt ;), nicht weil sie mir geholfen haben sein Werk besser zu verstehen, sondern weil mir bewusst geworden ist, dass die Interpretiererei nicht notwendig ist. Ist schwer zu erklären 😉
    Falls du mit Kafka nicht so viel anfangen kannst: Die Tagebücher von Stefan Zweig und Sylvia Plath fand ich auch sehr toll!
    Dir auch einen schönen Abend!

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