Roswitha-Preis 2011 geht an Olga Borissowna Martynowa

Der mit 5500 Euro dotierte Roswitha-Literaturpreis der Stadt Bad Gandersheim geht in diesem Jahr an die Schriftstellerin Olga Borissowna Martynowa.

Der Roswitha-Preis ist der älteste deutschsprachige Literaturpreis, der seit 1973 ausschließlich an Frauen vergeben wird. Die Auszeichnung ist nach der ersten deutschen Dichterin Roswitha von Gandersheim benannt.

Gewürdigt wird mit Olga Martynowa eine in zwei Sprachen (Deutsch und Russisch) schreibende Kosmopolitin, deren Musikalität, deren Witz und deren beeindruckende Bildung unsere Literaturgesellschaft bereichern„, heißt es in der Entscheidung der Jury.

Olga Martynova wurde 1962 bei Krasnojarsk in Sibirien geboren. Sie wuchs in Leningrad auf und zog 1991 mit ihrem Mann Oleg Jurjew nach Deutschland. Heute lebt Olga Martynova in Frankfurt am Main und schreibt Gedichte auf russisch, Essays und Prosa auf deutsch. Zuletzt erschien von Olga Martynowa im Januar 2010 der Roman „Sogar Papageien überlegen uns“. Hierfür wurde sie mit dem Chamisso-Förderpreis ausgezeichnet. Der Roman macht deutlich, dass die Gegenwart Europas in Wahrheit aus zahlreichen kleinen Vergangenheiten besteht. Über die Missverständnisse und Anziehungskräfte zwischen Russen und Deutschen lasse sich aus ihrem Text, der auch ein Liebesroman ist, vieles lernen, so die Jury.

Kurzbeschreibung
Ein verspielter und kluger Roman über eine russisch-deutsche Freundschaft mit ungewöhnlichen Ansichten des 20. Jahrhunderts in Russland.Marina stammt aus Petersburg und ist zu Besuch in Deutschland, wo sie bei einem Kongress über Daniil Charms und seinen Freundeskreis spricht. Außerdem ist da ein Mann, der in Leningrad Russisch studierte und mit dem sie damals, vor 20 Jahren, eine Liebesgeschichte lebte. Die Vergangenheit ist nicht vergangen und das gilt nicht nur für diese private Geschichte: »Ich habe Angst vor den Geheimnissen der Zeit.« Ein ganzes Jahrhundert (und manchmal auch mehr als das) passiert in den Assoziationen Marinas Revue, und nirgendwo sonst ist dieses letzte Jahrhundert vielfältiger, durch gewaltige Brüche im Sozialsystem fragmentierter gewesen als in Russland: vom Zarenreich über die Revolution, die Sowjetunion, die Weltkriege, die Belagerung Leningrads durch die Deutschen, die Perestrojka
Olga Martynova, Lyrikerin und Essayistin, fächert in ihrem ersten (und auf Deutsch geschriebenen) Roman mit bezaubernder Leichtigkeit das Schwierigste vor uns auf: die vielen Seiten der Vergangenheit, den »Grünspan der Zeit«, dieses Gleiten von Positionen und Ansichten, das nur die Literatur vermitteln kann. Wir lesen nicht nur von den literarischen Avantgardisten rund um Charms und Vvedenskij, von der Gegenwart des Jüdischen in vielen Bereichen der Alltagskultur, wir erfahren auch von Hippies und Landkommunen in Innerasien, von Autostopp-Reisen nach Sibirien und vom buddhistischen Kloster mit dem unverweslichen Lama. Martynovas genauer Blick fördert aber auch überraschende Beobachtungen an ihrer deutschen Umgebung zutage, an diesem an deutsch-russischen Kulturverbindungen interessierten Publikum.
„Sogar Papageien überleben uns“ ist ein berührender und überraschender Roman, der auf paradoxe Art ignoriert, was seine Protagonistin einmal fordert, »dass man in den Büchern besser nicht von den komplizierten Sachen schreibt«. Und was wäre komplizierter als das Wandern in die Vergangenheit, als das assoziative Gewebe der Erinnerung, als die Arbeit der Dichter an unserem Gedächtnis?

Quelle: Süddeutsche Zeitung