Seitensprung der Sisterhood – Entführt

Seitensprung der Sisterhood

Kapitel 5
Entführt

Meinen Blick hielt ich die ganze Zeit stur geradeaus auf die Straße gerichtet und nahm kaum etwas von der Umgebung wahr. Durch wie viele Ortschaften ich fuhr oder wie viel Zeit vergangen war, wusste ich nicht. Alles wirkte auf mich so irreal. Ich wollte nur noch weg. Mittlerweile war es vollkommen dunkel, und ich fror trotz der bis zum Anschlag aufgedrehten Heizung. Ich trug nur meinen dünnen roten Pullover, meine Jacke hatte ich offensichtlich bei Shadow vergessen. Oh nein! Entsetzt trat ich auf die Bremse. Der Motor starb sofort ab. Gott sei Dank fuhr niemand hinter mir, sonst hätte er jetzt unliebsame Bekanntschaft mit der hinteren Stoßstange des Minis gemacht. Als der Wagen stand, war nur noch das Rauschen des Gebläses zu hören. Ich umklammerte mit eiskalten Händen das Lenkrad und stützte meine Stirn auf. Shadow! Ihn hatte ich total vergessen! Wie konnte ich nur! Langsam sickerte in mein Bewusstsein, dass ich ohne Gepäck und ohne ein Wort von dem Anwesen verschwunden war. Ich hatte nicht einmal eine Waffe bei mir. Nach der Episode mit Wicki in dem Versammlungsraum, verbot ich mir selbst auf dem Anwesen jede Art von Waffe zu tragen. Dort brauchte ich auch keine. Kalter Schweiß trat mir auf die Stirn, und plötzlich wurde es mir im Wageninneren zu eng – ich bekam kaum noch Luft. Geistesgegenwärtig schaltete ich die Warnblinkanlage ein, zerrte dabei hecktisch an meinem Gurt um ihn zu öffnen, riss die Tür auf und sprang raus. Fast wäre ich im Graben gelandet und hielt mich im letzten Moment an der Tür fest. Ich atmete ein paar Mal die kühle, würzige Nachtluft tief ein, um halbwegs wieder zu Verstand zu kommen. Nach einigen Zügen ging es mir wieder soweit gut, dass ich zumindest die nächsten Schritte planen konnte. Ich musste sofort zurück! Nein… das konnte ich nicht, noch nicht. In ein paar Tagen oder einer Woche vielleicht. Duncan jetzt gegenüber zu treten, war ausgeschlossen, aber irgendwann würde ich es müssen, das wusste ich genau. Es war für mich immer noch unbegreiflich, wie ich mich so in ihm hatte täuschen können. Ich hatte tatsächlich gedacht, ich würde ihn kennen. Aber er hatte ja nicht nur mich hintergangen, sondern auch allen anderen etwas vorgespielt. War es das für ihn gewesen, nur ein Spiel? Wenn ja, dann war es ein verdammt mieses! Oder war es eine besondere Art von Vampirmagie, die uns alle eingelullt und sein wahres Ich vor uns verborgen hatte? Ich hatte zwar noch nie davon gehört, aber was wusste ich schon…. Doch das ganze Grübeln brachte mich in meiner jetzigen Situation überhaupt nicht weiter, im Gegenteil. Wenn ich weiter darüber nachdachte, brach mit Sicherheit meine sorgsam aufgebaute Schutzmauer, die ich mir bei meiner überstürzten Abreise mühsam aufgebaut hatte, zusammen. Also verdrängte ich jeden weiteren Gedanken an Duncan und konzentrierte mich einzig und allein auf Shadow. Ihn musste ich unbedingt benachrichtigen und zwar sofort! Ich beugte mich in das Wageninnere und wühlte in meiner Tasche nach meinem Handy. Als ich es endlich in den Händen hielt, durchfuhr mich ein ganz anderer Gedanke. Mist, ich hatte ja seine Nummer noch nicht und die von dem Anwesen war geheim. Duncan anzurufen verbot sich von selbst. Polly! Ihre Nummer hatte ich gespeichert. Sie konnte ich bitten, Shadow eine Nachricht zu überbringen. Als ich auf das Display sah, war jedoch nicht ein Balken zu sehen, kein Empfang. Verdammt, ich saß in einem Funkloch. Also wanderte das nutzlose Handy zurück in die Tasche. Doch was nun? Okay, erst mal musste ich mich umsehen, wo ich mich überhaupt befand. Es war eine dieser stockfinsteren Nächte, in der kein Mond schien und die Sterne hinter einer dünnen Wolkenschicht verborgen waren. Aber ich brauchte ja kein Licht um zu sehen. Ich befand mich auf einer einsamen Landstraße. Langsam drehte ich mich um die eigene Achse und studierte das Gelände gründlich, doch keine Stadt oder kleinere Ortschaft war in Sicht, auch kein alleinstehendes Haus. Nur einsame weite Landschaft. Ein leichter kühler Wind kam auf und ich fing an zu frösteln. Seufzend stieg ich wieder in den Wagen und entschied, einfach der Straße zu folgen und in der nächsten Stadt in einem Hotel zu übernachten. Morgen würde ich dann weitersehen. Doch zunächst musste ich eine Tankstelle mit einem größeren Store anfahren, um mich mit dem Nötigsten für die Nacht zu versorgen und zu telefonieren.
Ich fuhr wesentlich konzentrierter als zu Beginn meiner Flucht. So bemerkte ich auch ziemlich schnell die Scheinwerfer, die plötzlich in meinem Rückspiegel auftauchten. Der unbekannte Fahrer hielt konstanten Abstand zu meinem Wagen. Ich konnte es noch nie leiden, wenn mir jemand nachts auf einer einsamen Straße im Nacken saß, besonders in einer mir unbekannten Gegend und noch dazu unbewaffnet. Es war mir nicht nur im Kampf wichtig den Rücken frei zu haben, also verminderte ich die Geschwindigkeit etwas und fuhr äußerst links.

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„Na los… nun komm schon! Überhol mich endlich!†œ, murmelte ich mit einem finsteren Blick in den Rückspiegel. Doch auch der andere Wagen, ein Van, soweit ich erkennen konnte, fuhr langsamer. Seltsam. Stirnrunzelnd beobachtete ich den Van und beschleunigte ein wenig. Der Fahrer hinter mir tat das gleiche. Hier stimmte doch etwas nicht! Wurde ich verfolgt? Aber es wusste doch niemand, dass ich gerade hier auf dieser Straße unterwegs war! Oder war ich nur das Zufallsopfer eines geplanten Raubüberfalls? Das wollte ich bestimmt nicht herausfinden. Grimmig warf ich meine Tasche mit Schwung unter den Beifahrersitz und trat das Gaspedal durch. Es war ganz schön schwierig den Mini in der Spur zu halten, da die Straße doch ziemlich viele Kurven hatte und ich die Geschwindigkeit immer wieder drosseln musste, um nicht von der Straße ab zu kommen. Ich spielte mit Gas, Kupplung und Bremse, um das Maximalste aus dem Auto herauszuholen und hielt das Lenkrad fest umklammert, falls der Wagen ausbrechen sollte. Mein Verfolger holte sehr schnell auf, wie ich mit Schrecken im Rückspiegel feststellen musste, und mir wurde langsam mulmig. Verdammt, mein Wagen war einfach zu langsam. Ich hatte keine Möglichkeit zu entkommen, denn es gab keine Abzweigung. Bis jetzt kam mir auch kein Wagen entgegen, den ich mit der Lichthupe auf mich aufmerksam machen konnte. Ich war ganz allein auf dieser Straße mit meinem Verfolger. Der klebte mir mittlerweile fast an der Stoßstange. Auf einmal konnte ich ein paar giftgrüne Augen im Spiegel aufblitzen sehen. Sekunden später wirkten sie plötzlich wie grelle Scheinwerfer und blendeten mich so unverhofft, dass ich die Kurve direkt vor mir übersah und über die Straße hinaus getragen wurde. Oh Gott, ich hatte noch zu viel Geschwindigkeit drauf und starrte entsetzt über den Rand der Straße direkt auf das freiliegende Feld. Mein Aufschrei ging in dem Aufheulen des Motors unter, als der Wagen die Bodenhaftung verlor und die Räder durchdrehten. Er schoss mit viel zu viel Schwung durch den Graben auf das dahinter liegende Feld, schlug auf, und fing an sich mehrmals zu überschlagen. Der Gurt hielt mich zwar in meinem Sitz, aber ich wurde heftig durchgeschüttelt. Gebremst wurde der Mini dann schlagartig von einem Baum, der wie aus dem Nichts vor mir auftauchte. Ich hatte die ganze Zeit das Lenkrad mit beiden Händen umklammert, doch nun hielt ich instinktiv eine Hand vor mein Gesicht, um es zu schützen. Der Aufprall war mörderisch! Metall schrie und knirschte als es sich verbog, Glas splitterte und bohrte sich in meine Hände. Etwas Spitzes drang tief in meinen Oberschenkel, meine Schulter erhielt einen gewaltigen Schlag. Ich konnte ein dumpfes Knacken hören, als mein rechter Unterarm brach. Zu guter Letzt prallte ich mit dem Kopf so heftig gegen etwas Metallisches, Hartes, dass er zu explodieren schien. Endlich verlor ich mein Bewusstsein…
Ich hatte das Gefühl von einer dichten Nebelwand umhüllt zu sein. Das weitere Geschehen beobachtete ich, ohne wirklich etwas erkannt zu haben. Schatten huschten durch den Nebel und Stimmen drangen in mein Unterbewusstsein.
„… nun los Zecke. Verbinde das Bein!†œ
„Ja, ja, ich mach ja schon…
Etwas zog und zerrte unsanft an mir, und der Nebel geriet in Bewegung. Dann wurde es wieder dunkel um mich herum.
Nach einiger Zeit hörte ich wieder diese seltsamen Stimmen. Sie klangen wie aus weiter Ferne.
„Die hat es ganz schön erwischt…†œ
„Sie braucht nur durchhalten, bis wir sie dem Boss präsentiert haben…†œ Wieder driftete ich weg.
Als ich das erste Mal langsam zu mir kam, hatte ich das Gefühl, als ob etwas Schweres auf meinem Arm lag und ihn bewegungsunfähig machte.
„Duncan… du zerquetscht meinen Arm†œ, murrte ich und versuchte ihn mit der anderen Hand beiseite zu schieben. Doch die griff ins Leere. Meine Hand, die wie Feuer brannte, fuhr über rauen und kratzigen Stoff. Wo war Duncan? Und warum war mir so kalt? Langsam begann ich den Schmerz zu fühlen. Mein ganzer Körper war ein einziger Schmerz und ich wimmerte leise vor mich hin. Mühsam öffnete ich meine Augen einen Spalt, konnte aber nur einige verschwommene Konturen ausmachen. Angestrengt versuchte ich den Nebel in meinem Kopf endgültig zu durchdringen, doch sofort verstärkte sich der stechende Schmerz und vor meinen Augen verschwamm alles.
„Duncan, so hilf mir doch†œ, flehte ich, brachte jedoch nur ein heiseres Krächzen heraus. Als ich den Kopf etwas anhob um zu sehen, wo ich war, tobte der Schmerz erst richtig und ich driftete wieder ab in die Bewusstlosigkeit.

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Als ich das nächste Mal erwachte und die Augen öffnete, sah ich schon etwas klarer. Mein Kopf schmerzte nicht mehr ganz so stark als ich ihn vorsichtig anhob um mich umzusehen. Ich befand mich in einem mir vollkommen unbekannten schäbigen kleinen Zimmer und lag auf einer harten Liege. Es gab hier nur einen Schrank direkt neben der Zimmertür, eine niedrige Kommode, einen Stuhl und die an die Wand geschobene Liege, auf der ich lag. Rechts neben dem Fußende entdeckte ich noch eine weitere Tür. Durch das schmutzige, fast blinde Fenster, konnte ich erkennen, dass es Abend sein musste, da die Dämmerung einsetzte. Es roch muffig und nach abgestandener Luft. Alles war mit einer dicken Staubschicht überzogen, als ob dieser Raum schon lange nicht mehr benutzt worden war. Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand und wer mich hierher gebracht hatte oder warum. Ich wusste nicht einmal, wo ich mir die schweren Verletzungen zugezogen hatte. Mein Arm und die Schulter schmerzten höllisch. Jeder Atemzug tat weh, ich musste mir ein paar Rippen gebrochen haben. Als ich meinen immer noch brummenden Kopf mit einer Hand vorsichtig abtastete, war diese voller Blut, auch meine Haare waren damit verklebt. Meine Jeans war zerrissen und fleckig. Das eine Hosenbein fehlte fast vollständig und mein Bein war notdürftig verbunden. Ich versuchte zu rekonstruieren, was passiert war, doch ich konnte mich nur Bruchstückhaft an eine Verfolgungsfahrt erinnern. Gerade wollte sich leichte Panik in mir ausbreiten, als wie aufs Stichwort die Tür aufflog und drei Personen sich in das Zimmer drängten. Eine von ihnen war eine hübsche junge, hochgewachsene Frau mit kurzen platinblonden, strubbligen Haaren, die mich mit weit aufgerissenen blauen Augen dümmlich anstarrte. Sie war auffallend elegant und teuer gekleidet, sehr im Kontrast zu dem Kobold, der neben ihr stand. Er war mindestens zwei Köpfe kleiner als sie und trug ein schmuddeliges, verwaschenes Shirt von undefinierbarer Farbe. Seine roten Haare waren völlig verfilzt, jede Menge Piercings verunstalteten sein Gesicht und er lächelte höhnisch mit breit gezogenem Mund, der seine schwarzen, fauligen Zahnstümpfe freigab. Seine giftgrünen Augen leuchteten verschlagen. Angesichts dieser Augen, kam plötzlich meine Erinnerung zurück. Er war derjenige, der mich so geblendet hatte, dass ich die Kontrolle über den Wagen verlor! Doch wer waren Barbie und der andere? Der zweite Kerl musste dem Geruch nach ein Troll sein. Oh man… sein Gestank kam wie eine Wolke auf mich zu, als er sich bewegte. Ich hielt unwillkürlich den Atem an und musterte ihn verstohlen. Er war von normaler Statur, eher klein für seine Gattung, hatte keine Haare auf seinem kleinen Kopf und seine kleinen Augen glitzerten boshaft. Das hervorstechendste Merkmal in seinem Gesicht war seine riesige, großporige Knollennase. Er zeigte mit seinen knubbeligen Fingern auf mich.
„Das, meine Prinzessin, ist die Hexe, die euren teuren Geliebten und unseren König hinterrücks ermordet hat!†œ Oh verdammt! Das mussten die Söldner sein, von denen Leif berichtet hatte. Aber wollte er die nicht auf eine falsche Spur lenken? Wie hatten die mich überhaupt gefunden? Barbie hauchte nur ein entsetztes „oh†œ und starrte mich ungläubig mit ihren himmelblauen Augen weiter an. Sie, eine Prinzessin, war mit dem Troll, der Norbert auf dem Gewissen hatte, zusammen gewesen? Ich konnte es kaum glauben. Vorsichtig versuchte ich mich ein wenig aufzusetzen, doch die Schmerzen bremsten mich ziemlich schnell. Ohne Waffe, und vor allen Dingen so verletzt, kam ich mir hilflos vor wie noch nie. Zu allem Unglück drückte auch noch meine Blase. Oh Himmel, was jetzt?
„Bad… ich muss ins Bad†œ, flüsterte ich. Der Kobold grinste grausam, fasste sich an den Schritt und leckte sich lüstern über seine wulstigen Lippen.
„Oh, da helfe ich doch gerne!†œ Lieber sterbe ich, dachte ich entsetzt, als er auf mich zukam. Zu meinem Erstaunen griff Barbie ein und schob ihn resolut zur Seite.
„Oh, nicht doch, Gentlemen, sie ist doch schon genug beschädigt†œ, flötete sie und lachte affektiert.
„Ihr wisst doch, dass Mädels immer zu zweit gehen, oder?†œ Sie wartete erst gar nicht das Okay der anderen ab, sondern half mir sogleich aufzustehen. Sie hielt mich sicher und vorsichtig so gut sie konnte und stützte mich, als ich leise aufstöhnte, als ich mein Bein unbeabsichtigt belastete. Ich hätte schreien können, biss aber die Zähne zusammen, bevor noch einer der Kerle auf die Idee kam mich anzufassen und humpelte mit ihr mühsam zu der kleinen Tür neben der Liege. Dahinter befand sich das Bad. Es war winzig und roch merkwürdig. Ich sah mich erst gar nicht genauer um, da mir schon übel genug war.

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Als Barbie die Tür hinter uns geschlossen hatte, legte sie sofort einen Finger auf ihre Lippen und deutete mit dem Kopf Richtung Tür. Oh! Verblüfft bemerkte ich, wie sie mich auf einmal freundlich anlächelte. Sie half mir behutsam, mich besser aufzurichten. Dabei kam sie mit ihrem Mund dicht an mein Ohr.
„Sag kein Wort, hier haben die Wände Ohren. Nur so viel… ich bin auf deiner Seite. Mein Name ist Libell. Ich weiß, du bist Angie. Tut mir leid, was dir passiert ist. Ich bin dir jedenfalls sehr dankbar, dass du mich von dem Mistkerl befreit hast. Später mehr, jetzt können wir nur abwarten. Ich versuche, dir zu helfen so gut ich kann. Lass dir aber nichts anmerken. Die Blödmänner haben zwar nichts im Hirn, sind aber nicht zu unterschätzen! Morgen kommt…†œ Ein lautes Pochen unterbrach sie abrupt, und wir zuckten beide zusammen.
„Hey, wenn es noch länger dauert, komme ich doch noch helfen!†œ, rief der Kobold von der anderen Seite. Libell zwinkerte mir schnell verschwörerisch zu.
„Momentchen noch, meine Lieben. Ein kleines bisschen Geduld bitte, die Herren†œ, zwitscherte sie laut zurück. Ich war froh, dass die Kerle ihre Drohung nicht wahr machten. Wenig später konnten wir das Bad unbehelligt verlassen.
Mein kleiner Ausflug hatte mich so erschöpft, dass ich, sobald ich wieder auf der Liege lag, trotz der Schmerzen in einen komaähnlichen Schlaf fiel.
Libell weckte mich, indem sie an meiner Schulter rüttelte. Sie hatte Panik in der Stimme und war aufgeregt.
„Hey… Angie! Oh Gott, wach doch endlich auf!†œ Verwirrt schlug ich die Augen auf und sah sie fragend an.
„Was ist denn?†œ Sie wirkte sehr erleichtert und ließ sich aufatmend in den Stuhl fallen.
„Puh… du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt! Ich dachte schon, du wärst… du hast dagelegen, als ob… aber nun trink erst mal!†œ Dankbar nahm ich einen Schluck aus der Wasserflasche, die sie mir an den Mund hielt. Dann ließ ich meinen Kopf, der immer noch ganz schön brummte, auf das Kissen zurücksinken.
„Wie lange war ich weg?†œ, fragte ich sie, als sie mich weiterhin besorgt musterte.
„Fast 24 Stunden. Na ja, nicht die ganze Zeit, zwischendurch warst du ansprechbar, aber nun bist du ja endlich wach. Zecke, das ist der Kobold und Brain, der Troll, haben mich als Wache zurückgelassen. Aber sie kommen bald wieder. Ich habe in der Zwischenzeit deine Wunden notdürftig versorgt.†œ Die Glassplitter waren aus meinen Händen verschwunden, und mein Bein hatte sie neu verbunden. Sogar die Schmerzen waren auf ein fast erträgliches Maß gesunken, solange ich mich nicht bewegte. Libell schien wirklich in Ordnung zu sein. Ich versuchte ein kleines Lächeln.
„Danke… wie schlimm ist es? Und wie… ich meine, wie passt du in den ganzen Wahnsinn hier?†œ Sie lächelte leicht und fuhr sich verlegen durch ihr Strubbelhaar.
„Na ja, dich hat es nicht schlecht erwischt. Ich bin zwar kein Arzt, aber dein Arm scheint gebrochen zu sein, einige Rippen auch, und deine Schulter ist ganz schön blau. Die Wunden an deinem Bein und an deinem Kopf sehen auch ziemlich übel aus. Du hast sehr viel Blut verloren. Und warum ich hier bin? Das ist eine lange Geschichte. Ich werde dir die Kurzfassung geben. Mein Vater war der Feenkönig von Südengland. Er war ein guter Regent und Vater, doch leider viel zu leichtgläubig. Der Schwarz- Magier, die rechte Hand von dem Obertroll, den du gekillt hast, wollte angeblich eine Allianz mit uns eingehen. Du verstehst schon, das ganze Friedensblabla und so. Er war es auch, der diese Hochzeit eingefädelt hat. Mein Vater war zu dem Zeitpunkt schon unheilbar krank und wusste nicht, worauf er sich einließ. Er wollte mich nur in guten Händen wissen.†œ Sie lachte kurz auf, erzählte aber gleich weiter.
„Oh, ich weiß was du denkst. Arrangierte Ehen, gibt´s die noch? In unseren Kreisen schon. Wir kannten auch nur den Magier, nicht den Troll selbst. Und glaub mir, hätte ich den vorher gesehen, hätte ich mich niemals auf die Sache eingelassen. Dann starb mein Vater. Der Magier hat mich sogar noch über seinen Tod und den Tod des Ungeheuers hinaus an die Söldner gebannt, indem er meine kleine Schwester Bee irgendwo als Geisel gefangen hält. Darum spiele ich mit. Mein Bruder versucht sie gerade zu finden.

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Deshalb, und nur deshalb bin ich noch bei ihnen. So, und jetzt versuche ich etwas Essbares aufzutreiben, du musst ja halb verhungert sein. Wir sind hier auf einem ziemlich einsam gelegenen Gehöft, das den Söldnern als Unterschlupf dient. Keine Nachbarn weit und breit. Wenn die Idioten vor mir wieder da sind, stell dich einfach schlafend.†œ Mit einem kurzen Winken war sie schon zur Tür hinaus. Ich lehnte mich wieder zurück und starrte an die Decke. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal einer Fee so dankbar sein würde. Wie der erste Eindruck doch täuschen konnte. Sie tat mir leid, und ich hoffte sehr, dass ihre kleine Schwester schnell gefunden wurde.
Ich war so in meine Gedanken versunken, dass ich erschrak, als vor der Tür Stimmen zu hören waren. Schon flog die Tür auf und Kobold und Troll traten ein. Ich beachtete die Warnung von Libell, öffnete meine Augen nur einen winzigen Spalt und verhielt mich ruhig. Kobold baute sich gleich vor mir auf.
„Tadaa! Hier ist die Überraschung, von der wir dir erzählt haben, und sie ist nur für dich, Boss!†œ, rief er mit seiner durchdringenden, schrillen Stimme. Noch jemand? Da erschien auch schon in der Tür eine große Gestalt mit einer langen blonden Mähne und tiefblauen Augen. Sie füllte den ganzen Rahmen aus. Oh nein! Leif! Innerlich stöhnend, dachte ich an unsere letzte Begegnung… das war es dann wohl für mich! Seine Miene war undurchdringlich, sein Blick eiskalt auf mich gerichtet.
„Wer weiß noch, dass sie hier ist?†œ Seine Stimme klang hart und gnadenlos. Troll sah ihn selbstgefällig an und antwortete sofort.
„Niemand, nur wir und Libell. Sie wollte unbedingt mit und das blonde Miststück sehen. Aber die Idee, die Hexe zu entführen und hierher zu bringen, hatten Zecke und ich ganz allein.†œ Der Kobold sprang aufgeregt vor Leif hin und her wie ein Gummiball.
„Wir haben auch das Auto beseitigt und keine Spuren hinterlassen!†œ, versicherte er eifrig. Leif nickte gelassen.
„Papiere oder Handy?†œ Troll sah ihn unsicher an.
„Die sind mit verbrannt. Ich sagte doch… keine Spuren.†œ Endlich wandte Wicki sich von mir ab und legte seine Arme um die beiden.
„Gut gemacht, ich bin stolz auf euch! Jetzt habt ihr euch auch eine Belohnung verdient. Kommt mit.†œ Wicki wollte sie zur Tür ziehen, doch Kobold zeigte mit seinem Kopf zu mir.
„Und was ist mit der da?†œ, fragte er. Wicki lächelte so diabolisch in meine Richtung, dass mir ein eiskalter Schauer den Rücken herunter lief.
„Um die kümmere ich mich später!†œ Kobold warf mir einen hämischen Blick über seine Schulter zu.
„Kann ich nicht erst noch ein bisschen mit ihr spielen, bevor du sie kalt machst? Ich steh auf Blondinen!†œ Dabei machte er einige obszöne Bewegungen und lachte widerlich. Mir wurde sofort wieder übel und ich schloss entsetzt die Augen. Zum Glück lachte Leif nur, zog die beiden mit sich in den Flur und schloss die Tür. Zum Glück? Oh man, wenn er zurück kommt, was wird er dann mit mir machen? Gegen ihn konnte ich mich nicht wehren, besonders jetzt nicht. Zum ersten Mal hatte ich richtig Angst, dass ich aus dieser Situation nicht heile heraus kommen würde. Würde ich meine Schwestern Jane und Kerstin je wiedersehen? Und Duncan… Mir kamen die Tränen und ich wollte nur noch heulen. Nur ein Wunder konnte mich jetzt noch retten. Doch darauf konnte ich nicht hoffen, also riss ich mich zusammen und blinzelte die Tränen entschlossen zurück. Jammern nutzte mir in meiner augenblicklichen Lage überhaupt nichts! Kampflos würde ich mich jedenfalls nicht von diesem Typ umbringen lassen! Ich stützte mich vorsichtig auf meinen gesunden Arm und sah mich in dem Zimmer nach etwas um, was ich als Waffe benutzen könnte. Mist, da war nichts, außer vielleicht der Stuhl. Skeptisch musterte ich ihn gründlich. Sehr stabil sah er ja nicht aus, möglicherweise konnte ich ein Stuhlbein … doch er schien meilenweit entfernt zu sein. Ich schob mich soweit wie möglich an den Rand der Liege und versuchte mit meinem ausgestreckten Arm an den blöden Stuhl zu gelangen. Auch als die Schmerzen in meinem Brustkorb fast unerträglich wurden, gab ich nicht auf. Nur noch wenige Zentimeter… Ich sammelte meine letzten Kräfte und streckte mich, soweit ich konnte. Da passierten gleich mehrere Dinge auf einmal. Ich fiel von der Liege und schlug ziemlich unsanft auf dem harten Boden auf. Der heftige Schmerz, als ich auf die Seite fiel, ließ mich laut aufschreien und mir wurde kurz schwarz vor Augen. Ich spürte, wie die Wunde an meinem Bein wieder anfing zu bluten. Gleichzeitig war auf dem Flur ein fürchterlicher Tumult zu hören. Jemand fluchte laut. Dumpfe Schläge folgten, dann donnerte etwas gegen die Wand im Flur und die Tür. Schmerzensschreie hallten laut durch das Haus, als jemand polternd eine Treppe herunter fiel. Hohe, durchdringende schrille Schreie aus mehreren Kehlen erfüllten das alte Gemäuer.

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Der Krawall dauerte nur wenige Minuten, dann war es plötzlich verdächtig ruhig. Ich hielt den Atem an und lauschte angestrengt. Was war da draußen bloß passiert? Auf einmal waren leise Schritte zu hören, und kurz darauf öffnete sich die Tür. Libell kam herein und stürzte sich mit einem unterdrückten Fluch zu mir auf den Boden.
„Leif! Schnell!†œ Sie kniete vor mir und legte besorgt eine Hand auf meine Schulter. Leif? Oh nein. Ich zuckte zurück, als er neben ihr auftauchte, sich zu mir beugte und eine Hand austreckte.
„Er wird mich töten…†œ, flüsterte ich angstvoll zu Libell und klammerte mich an ihren Arm. Sie sah mich bestürzt an.
„Leif?†œ, fragte sie verwundert. „Warum sollte er? Er ist mein Bruder!†œ Was? Wicki war ihr Bruder? Aber… Verwirrt sah ich von einem zum andern. Was ging denn jetzt hier vor? Sein Gesichtsausdruck hatte sich vollkommen verändert, er benahm sich total anders als vorhin. Leif schaltete sich ein und strich mir behutsam die Haare aus dem Gesicht.
„Ganz ruhig, Angie, niemand wird dir etwas tun. Ich bin Libells Adoptivbruder. Ihr Vater hat mich damals gefunden und bei sich aufgenommen. Tut mir leid, wegen dem Theater, das ich dir vorspielen musste. Zecke und Brain habe ich beseitigt, sie sind keine Gefahr mehr. Sie haben die ganze Aktion im Alleingang gestartet, weil sie wahrscheinlich in der Idioten-Hierarchie auf die vorderen Plätze wollten. Ich hatte keinerlei Ahnung davon. Glaub mir bitte. Ich war zu sehr damit beschäftigt, unsere kleine Schwester zu finden, sonst wäre das hier nicht passiert. Sie konnte ich zwar befreien und zu unserer Mutter bringen, aber der Magier hatte sich leider vorher absetzten können, der elende Mistkerl†œ, fluchte er mit seiner tiefen Stimme.
„So, ich werde dich jetzt wieder auf die Liege legen. Das kann etwas weh tun, aber ich werde so vorsichtig wie möglich sein, okay?†œ Ich nickte verwirrt. Ich verstand immer noch nicht genau, was hier ablief, und meine Schmerzen meldeten sich in dem Augenblick mit Wucht zurück, als er mich so behutsam wie möglich aufhob und zurück auf das Bett legte. Aufstöhnend schloss ich kurz die Augen. Libell war sofort an meiner Seite und blickte ihn mit gerunzelter Stirn auffordernd an.
„Leif! Du weißt, dass nur du ihr helfen kannst, also tu endlich etwas!†œ Leif tigerte mittlerweile vor uns mit geballten Fäusten und zusammengepressten Lippen auf und ab. Libell wurde langsam ungeduldig.
„Warum zögerst du so lange? Doch wohl nicht weil sie eine Hexe ist, oder?†œ, fragte sie ihn ungeduldig. Wicki blieb unvermittelt vor ihr stehen und fuhr sie aufgebracht an.
„Natürlich nicht! Was denkst du dir denn. Das ist es nicht! Es ist, weil ich … ach verdammt!†œEr raufte sich die Haare und kniete sich plötzlich vor mich hin. Sein Blick war seltsam verlegen und gleichzeitig so ernst, als er mir mit seinen Fingerspitzen über die Wange strich.
„Angie. Ich werde jetzt… also ich…†œ Er holte tief Luft und fing nochmal an.
„Wir männliche Feen haben ein besonderes Elixier in unserem Speichel. Ein heilendes Elixier. Ich kann dir deine Schmerzen nehmen und deine Wunden heilen lassen. Nur deinen Blutverlust kann ich nicht ausgleichen, verstehst du?†œ Argwöhnisch sah ich in seine blauen Augen. Moment mal, wollte er mich etwa anspucken? Er musste wohl meine Gedanken erraten haben, denn er lächelte leicht.
„Nein, so funktioniert das nicht, es gibt noch eine andere Methode – eine viel angenehmere. Entspann dich einfach, lass dich fallen und vertrau mir. Kannst du das?†œ Er hatte mittlerweile mein Kinn mit seinen warmen Fingern umfasst und näherte sich langsam meinem Mund.
„Kannst du dich darauf einlassen? Es ist ja nur zu … zu medizinischen Zwecken, okay?†œ, murmelte er und hielt seinen Blick auf meinen Mund geheftet. Oh! Jetzt verstand ich. Zögernd nickte ich. Und da in meinem Kopf eh noch ein wenig Chaos herrschte und ich wohl keine andere Wahl hatte, wenn ich die Schmerzen loswerden wollte, beabsichtigte ich erst gar nicht weiter darüber nachzudenken. Eigentlich hatte ich ein riesiges Problem mit ihm, so wie er mit mir. Oder hatte er etwa nicht?

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Erst als er fast meinen Mund berührte, konnte ich seinen Geruch wahrnehmen. Er erinnerte mich an eine leichte Meeresbrise, sauber, klar und frisch, ganz anders als…. Ach was soll`s! Ich schloss meine Augen und schaltete meine Gedanken komplett aus. Behutsam fuhr er mit seiner Zungenspitze über meine Unterlippe. Seine Lippen waren überraschend weich. Als er mit seiner Zunge in meinen geöffneten Mund eindrang und sachte meine Zähne berührte, vertrieb er ein wenig meine innere Kälte. Ich entspannte mich zunehmend. Er begann, jeden Winkel meines Mundes sanft zu liebkosen. Mit einer Hand hatte er mittlerweile meinen Hinterkopf umfasst, die andere lang warm auf meinem Rücken und stützte mich, während ich mich an seinen muskulösen Oberarm klammerte. Leise stöhnend vertiefte er den Kuss und stupste meine Zunge auffordernd an. Eigentlich wollte ich mich ja passiv verhalten, jedoch ließ mich sein Kuss auch nicht so kalt wie ich im Stillen gehofft hatte. Also kam ich seiner Aufforderung zunächst zögernd nach. Sein Geschmack war keineswegs abstoßend, ein wenig eigenartig und fremd zwar, dennoch angenehm und süß. Er weckte auch keine Leidenschaft in mir wie es eben nur einer konnte, doch ich entwickelte, zu meiner eigenen Verwunderung, eine besondere Art von Zuneigung für ihn. Wer hätte das gedacht! Noch vor kurzer Zeit war ich der festen Meinung, er wollte mich umbringen und jetzt ließ ich mich von ihm, einer Fee, küssen, und erwiderte den Kuss auch noch mit Vergnügen! Inzwischen kam mir der leise Verdacht, dass dieser Kuss weit über den eigentlichen Zweck hinaus ging, da Leif meinen Mund immer intensiver bearbeitete, auch seine Hände lagen längst nicht mehr so untätig wie zu Anfang auf meinem Rücken.
„Genug! Leif…, es ist genug. Du musst aufhören!†œ Libells eindringliche Stimme drang nur langsam zu uns durch. Sie rüttelte ihn am Arm, und er löste daraufhin schwer atmend seine Lippen von den meinen und öffnete träge seine Augen. Ein sinnliches Lächeln umspielte seinen Mund, als er abschließend noch schnell zärtlich mit seinem Daumen über meine Lippen strich. Dann richtete er sich endgültig auf. Ich war etwas außer Atem und wartete gespannt, was nun passieren würde und sah ihn erwartungsvoll an. Er wirkte ein bisschen entrückt und nicht ganz bei der Sache. Sein Blick war ein wenig verschleiert, doch dann schien er zu sich zu kommen, schüttelte kurz seinen Kopf, blinzelte ein paar Mal und beobachtete mich sofort genauso aufmerksam wie Libell. Ich kam mir vor wie unter einem Mikroskop liegend. Anfangs fühlte sich mein Mund seltsam taub an, bis sich auf einmal ein sonderbares Prickeln von meinem Mund ausgehend, langsam in meinem Körper ausbreitete. Dann ging es rasend schnell. In meinem Arm und meinem Brustkorb kribbelte es einen Moment unangenehm als die Knochen sich wieder in die richtige Position schoben und sogleich wieder zusammenwuchsen, aber auch das verging ziemlich schnell. Die Schmerzen in meinem Kopf waren nur noch ein entferntes Pochen und traten in den Hintergrund, bevor sie dann endgültig verschwanden. Das alles passierte innerhalb von nur wenigen Minuten. Ich fühlte mich sofort wunderbar, leicht und unbeschwert, ein bisschen schwindelig und seltsam benommen, aber sonst einfach so großartig wie schon lange nicht mehr! Schnell setzte ich mich auf und bewegte meinen Arm probehalber und stellte erstaunt fest, dass er wieder wie neu war. Jetzt hielt mich nichts mehr auf der Liege. Bedrohlich schwankend stellte ich mich hin und wedelte strahlend mit meinen Händen vor Libells Gesicht, deren Konturen sich komischerweise zu bewegen schienen. Leif fing mich auf und hielt mich fest.
„Guck doch mal… als wenn nichts gewesen wäre!†œ, rief ich begeistert. Es war kaum zu glauben, die Schrammen und tiefen Wunden verblassten vor meinen Augen und waren dann einfach verschwunden ohne Narben zu hinterlassen! Auch mein Bein sah nahezu unversehrt aus. Als ich umständlich den verschmutzen Verband löste, hatte der tiefe Schnitt hatte sich schon geschlossen. Nur ein langer rosa Streifen war noch zu sehen, doch auch der verschwand zusehends. Kichernd drehte ich mich in seinem Arm und lallte mit schwerer Zunge:
„Wow… das iss ja fantastisch! Wicki, hasse schoma versuch, dass in Laschen fab… äh… Flaschen abzufüllen? Wäre bestimmt ein Bombengeschäft!†œ Ich fühlte mich großartig und so euphorisch, dass ich die ganze Welt hätte umarmen können, oder wenigstens Libell und Wicki, wenn die beiden nicht so furchtbar vor meinen Augen geschwankt wären.
„Hey Leif, du hast ihr eine Überdosis verpasst!†œ Libell stupste ihn grinsend an.
„Sie ist hackevoll!†œ, stellte sie glucksend fest. Total benebelt sah ich verwundert an mir herunter.

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„… meine Jacke, toll? Hey… ich hab doch gar keine an, die ist doch noch bei Shadow!†œ Wankend zog ich an seiner Mähne, bis sein Ohr fast meine Lippen berührte. und flüsterte verschwörerisch:
„Der ist nämlich mein Papa!†œ, flüsterte ich verschwörerisch, nickte bekräftigend und schlug dabei mit der Stirn an seine Brust. Aber das entlockte mir nur einen weiteren Lachanfall und kichernd sackte ich zusammen. Leif reagierte blitzschnell und zog mich sofort hoch auf seine Arme. Ich schlang einen Arm um ihn.
„Für eine Fee bisse echt in Ordnung… und küssen kannste auch nicht schlecht†œ, nuschelte ich in sein Ohr. Ich wollte ihn kumpelhaft auf die Brust boxen, traf aber stattdessen sein Kinn. Zum Glück hatte ich nur noch sehr wenig Kraft in meinen Armen, und es wurde nur ein leichtes Stupsen daraus.
„Oh… `tschuligung, Wicki†œ, murmelte ich grinsend und tätschelte sein Gesicht.
„Mit so einer heftigen Reaktion konnte doch keiner rechnen.†œ Verunsichert sah Leif zu Libell und hielt meine Hand fest, die gefährlich nahe an seine Augen kam. Libell zwinkerte ihm amüsiert zu und überlegte laut.
„Ob das mit dem hohen Blutverlust zusammenhängt? Oder vielleicht damit, dass du dich nicht bremsen konntest … oh, was macht sie denn jetzt?†œ
Ich begann, sein Shirt aus seinem Hosenbund zu ziehen. Mir war trotz meines Zustandes ein Gedanke gekommen. Ich wollte unbedingt etwas wissen. Im nüchternen Zustand hätte ich das niemals gewagt, und schon gar nicht bei ihm, aber im Moment ich dachte nur: jetzt oder nie, die Gelegenheit kommt vielleicht nie wieder. Leider war es mir einfach unmöglich, das Shirt höher als bis zu seiner Brust zu ziehen, denn in meinem Drogenrausch bemerkte ich meine totale Erschöpfung überhaupt nicht. Da ich mir aber diese fixe Idee nun mal in den Kopf gesetzt hatte und mich nichts und niemand von meinem Vorhaben abbringen konnte, probierte ich etwas anderes. Ich tastete mit einer Hand ungeniert unter seinem Shirt seinen Rücken ab. Leif zog scharf die Luft ein.
„Was… was tust du da?†œ, fragte er mich irritiert. Ich gab ihm keine Antwort, sondern zappelte auf seinem Arm und verlangte sofort hingestellt zu werden. Da ich immer noch nicht ganz standfest war, hielt er mich vorsorglich an einem Arm fest und wunderte sich über meinen frustrierten Blick. Ich hatte nämlich festgestellt, dass ihm etwas Entscheidendes fehlte. Anklagend pickte ich mit meinem Zeigefinger auf seine Brust.
„Hey, wo sind denn deine Flügel?†œ, fragte ich enttäuscht. „Du bist doch eine Fee, oder etwa nicht? Ich habe euch schon immer um eure Flügel …. Also ich… nicht, dass ich euch darum beneiden würde, aber…†œ Warum schwankten die beiden eigentlich immer noch? Leif sah mich stumm an, als er meine Hände festhielt und ein listiges Lächeln bereitete sich auf seinem Gesicht aus.
„Das wurmt dich ganz schön, was? Dann pass mal auf.†œ Er übergab mich an Libell, da ich mittlerweile nicht mehr alleine stehen konnte, trat einen Schritt zurück, zog sein Shirt aus und warf es auf den Boden. Langsam drehte er sich um und präsentierte mir seinen nackten, wirklich schönen und muskulösen Rücken. Libell hatte mich mittlerweile auf das Bett gesetzt und hielt mich an meinem Arm fest, während ich seinen Rücken nicht aus den Augen ließ. Da. Direkt auf der Wirbelsäule zwischen seinen Schulterblättern wurde eine kleine Öffnung sichtbar, die sich rasch vergrößerte. Etwas Schimmerndes drängte sich immer schneller durch diese Öffnung. Plötzlich entfalteten sich vor meinen Augen ein paar hauchzarte, fast durchsichtige mit winzigen filigranen Äderchen durchzogene Flügel. Sie hatten große Ähnlichkeit mit denen der Schmetterlinge und schimmerten je nach Lichteinfall und Bewegung in verschiedenen Pastelltönen. Nur waren diese hier im Vergleich zu seinem Körper nicht so groß. Ausgebreitet bedeckten sie seinen Rücken und ragten ein Stück über seine Schultern hinaus. Sie reichten im bis zu seiner Hüfte und waren von einem ganz besonderen Glanz umgeben. Lächelnd drehte sich Wicki zu mir um.
„Zufrieden?†œ, fragte er.
Ich starrte ihn mit offenem Mund an und war schwer beeindruckt.
„Zufrieden? Wenn ich nicht schon Duncan lieben wurde, wärst du mein Favorit! Du bist wunderschön.†œ Ich klatschte lachend in die Hände und konnte kaum die Augen von ihm lassen, so zauberhaft waren seine Flügel. Doch urplötzlich interessierte mich etwas ganz anderes viel brennender. Trotz meines benebelten Zustands bemerkte ich, dass jemand Bedeutendes fehlte. Neugierig sah ich mich in dem schäbigen Zimmer um.
„Wo ist Duncan überhaupt? Habt ihr ihn nicht mitgebracht?†œ Stirnrunzelnd sah Libell Leif an.

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„Wer ist Duncan?†œ, fragte sie argwöhnisch. Leif musterte mich zerstreut, so, als würde er über etwas Wichtiges nachdenken, während er seine Flügel wieder verstaute.
„Duncan ist ihr Gefährte†œ, antwortete er beiläufig, ohne mich aus den Augen zu lassen. Dann griff er nach seinem Shirt, um es sich wieder anzuziehen. Unter seinem durchdringenden Blick ernüchterte ich langsam und spürte wie die Wirkung seiner „Droge†œ merklich nachließ. Auf einmal begann ich mich unbehaglich zu fühlen und rieb mir die Stirn. Etwas stimmte nicht. Warum sah Wicki mich so misstrauisch an?
„Warum warst du überhaupt alleine unterwegs?†œ fragte er und kniete sich vor mich hin, „ und dazu noch mitten in der Nacht? Die Vollpfosten haben damit geprahlt, dass sie dich alleine auf der Landstraße abgepasst haben. Was ist passiert?†œ Plötzlich konnte ich wieder klar denken und mein Absturz in die Wirklichkeit war erbarmungslos. Jegliche Euphorie war mit einem Schlag verschwunden und ich wurde mir meines ganzen Desasters wieder bewusst. Oh Gott… Duncan. Natürlich war er nicht hier, warum sollte er auch? Tränen schossen mir in die Augen. Ich wollte nicht darüber sprechen und wünschte mir, Leif würde es gut sein lassen, doch er umfasste mein Kinn und zwang mich so ihn direkt anzusehen. Ernsthaft und mit Nachdruck fragte er nochmal:
„Angie, WAS IST PASSIERT?†œ
„Er… Duncan und ich sind nicht mehr zusammen.†œ Zumindest das konnte ich zugeben.
„Das kann nicht sein!†œ, flüsterte er ungläubig. Stöhnend versuchte ich mich aus seinem Griff zu befreien. Doch selbst dazu fehlte mir die Kraft, er hielt mich so unerbittlich fest, dass es fast weh tat. Libell mischte sich ein und legte eine Hand auf seinen Arm.
„Lass sie, du siehst doch, wie es sie quält!†œ Leif schüttelte grimmig den Kopf.
„Oh nein, du hast sie nicht zusammen gesehen, ich schon! Sie können sich nicht getrennt haben, das ist ein Ding der Unmöglichkeit, das kann einfach nicht sein! Außerdem ist Duncan mein Bruder! Und ich will sofort wissen, was vorgefallen ist!†œ Sein Blick wurde zwar etwas milder, seine Stimmer aber umso eindringlicher.
„Komm schon, Angie†œ, forderte er, „erzähl es mir.†œ Verzweifelt suchte ich nach einer Möglichkeit nicht antworten zu müssen, doch gegen ihn hatte ich keine Chance. Er nahm sanft mein Gesicht in seine Hände, um mich zu beruhigen und sprach mit einem seltsamen tiefen Brummen in der Stimme auf mich ein.
„Ganz ruhig… langsam. Lass dir Zeit. Ruhig…. Du schaffst das. Egal wie schlimm es ist,… komm, rede mit mir.†œ Seine Stimme hatte etwas Hypnotisches und ich wurde tatsächlich ruhiger. Ich wusste, er würde nicht locker lassen und vielleicht tat es ja auch ganz gut endlich über die ganze Sache zu reden. Ob es mit seiner Art mich zu heilen zusammenhing, oder damit, dass er mich vor den beiden Fieslingen beschützt hatte, wusste ich nicht, jedenfalls begann ich, ihm zu vertrauen. Mit einem tiefen Seufzen gab ich nach, wischte meine Tränen ab und begann von dem Augenblick an zu erzählen, als ich erfuhr, dass Shadow mein Vater war. Dann berichtete ich von meiner Flucht und dem Unfall… bis zu seinem Eintreffen hier.
„Männer!†œ, schnaubte Libell neben mir abfällig als ich fertig war und legte tröstend einen Arm um mich. Ich war total erledigt. Leif kniete noch immer vor mir und betrachtete mich lange und eingehend.

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„Das glaube ich nicht!†œ, schnaubte er und verbesserte sich sofort, als er meine zusammengepressten Lippen sah.
„Ich meine, ich glaube dir, dass du das gehört hast, aber ich glaube nicht, dass Duncan dir das angetan hat. Das kann nur ein Missverständnis sein!†œ Bitter lachte ich auf.
„Ich wollte, es wäre so. Oh, glaube mir, ich kenne die Worte auswendig und werde sie wohl nie vergessen. Sie haben sich in mein Gedächtnis gebrannt. Was gibt es daran falsch zu verstehen?†œ Libell strich mir beruhigend über meinen Arm.
„Natürlich… du musst ja zu ihm halten!†œ, sagte sie in sarkastischem Tonfall zu Leif. Er fuhr sie sofort ärgerlich an.
„Du kennst ihn nicht so wie ich! Duncan ist ein Ehrenmann, ein achtbarer und mutiger Krieger. Er würde so etwas niemals tun. Er würde sie nie so hintergehen, niemals! Das ist einfach nicht seine Art. Dieser Vertrag mit Shadow war etwas ganz anderes, da waren ihm die Hände gebunden, weil er sein Wort gegeben hatte, aber so schändlich würde er nie handeln!†œ
Nach dieser glühenden Verteidigungsrede kamen mir selbst plötzlich Zweifel. Konnte ich mich denn so geirrt haben? Aber ich wusste doch, was ich gehört hatte… oder doch nicht? Leif hatte mich total verunsichert. Selbst Libell schien beeindruckt zu sein und schwieg. Leif nickte bestätigend in die Stille, die auf einmal herrschte.
„Da stimmt etwas nicht†œ, sagte er überzeugt, „und ich werde der Sache jetzt sofort auf den Grund gehen und ihn anrufen!†œ Entsetzt umklammerte ich seine Hand, als er sein Handy hervor holte.
„Bitte nicht… bitte!†œ Trotz aller Skepsis hatte ich irgendwie Angst vor Duncans Antwort, die vielleicht doch bestätigen konnte, dass er… Doch Leif ließ sich nicht abhalten.
„Tut mir leid, Angie, aber das muss geklärt werden! Ich werde so diskret wie möglich sein, das verspreche ich dir, aber ich werde mit ihm reden, jetzt und sofort. Außerdem muss Shadow Bescheid wissen, wo du bist.†œ Bevor ich noch irgendetwas einwenden konnte, war er auch schon zum Zimmer raus und schloss die Tür mit Nachdruck hinter sich. Libell neben mir schüttelte nur den Kopf.
„Er lässt nichts auf die Brüder kommen. Niemals, obwohl er nicht einmal Mitglied des Ordens ist. Sie waren schon immer etwas Besonderes für ihn, was ich nie verstanden habe. Vielleicht liegt das daran, weil ich sie nicht kenne und keine Ahnung habe, was sein Job bei ihnen ist.†œ Beruhigend lächelte sie mich an.
„Aber eines kann ich dir versichern, egal was jetzt bei dem Gespräch heraus kommt, wenn jemand es wieder in Ordnung bringen kann, dann er. Außerdem muss dein Vater, dieser Shadow, Bescheid wissen, wo du steckst.†œ Seufzend gab ich ihr recht. Shadow würde sich wirklich Sorgen machen.
„Und weißt du was?†œ, fuhr sie fort, „ wenn ich deinen Kummer so sehe, bin ich ganz froh, dass ich keinen Partner oder eine feste Beziehung habe. Nach der Sache mit dem Troll habe ich auch keinerlei Ambitionen das jemals zu ändern!†œ
„Im Ernst?†œ, fragte ich sie erstaunt, „ich meine jetzt nicht die Sache mit dem Troll, sondern du hast noch nie…?†œ Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Ja klar hatte ich einige Liebhaber†œ, gab sie freimütig zu, „aber bis jetzt ist mir der Richtige noch nicht über den Weg gelaufen.†œ Sie öffnete eine Flasche Wasser und hielt sie mir an den Mund.
„Du musst trinken. Leifs Elixier hat dir ganz schön zugesetzt!†œ Doch ich hielt ihre Hand fest.
„Libell, ich möchte mich bei dir bedanken, dass du mir geholfen hast. Ohne dich wäre ich ganz schön am A… äh… aufgeschmissen gewesen. Du hast etwas gut bei mir, wenn ich also…
„Du übertreibst†œ, unterbrach sie mich und winkte verlegen ab, „außerdem, wer mich vor dem Troll gerettet hat, der ist mein Held oder vielmehr meine Heldin. Erzähl mir doch mal wie du den Mistkerl erledigt hast.†œ Libell bemerkte, unter welcher Spannung ich stand. Sie versuchte mich abzulenken, da ich immer wieder zur Tür schielte. Leifs Stimme klang dumpf durch die geschlossene Tür, aber ich konnte kein Wort verstehen. Okay, das Warten zerrte eh nur an den Nerven, also erzählte ich ihr von den Brüdern, meinen Schwestern und unserem gemeinsamen Einsatz in Peru. Allerdings nur in Kurzform, weil ich jeden Moment mit Leifs Rückkehr rechnete.

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Und da ging auch schon die Tür auf, und er stellte sich mit verschränkten Armen in den Türrahmen. Mit seinen blauen Augen betrachtete er ernst unsere erwartungsvollen Gesichter. Ich hätte schreien können vor Ungeduld, und Libell schien es nicht anders zu gehen.
„Nun spann uns nicht so lange auf die Folter!†œ, rief sie, „verdammt, was hat er gesagt?†œ Leif ignorierte sie und kniete sich mit einem Lächeln vor mich hin. Oh Himmel! Er nahm meine kalten Hände und kam gleich zur Sache.
„Ich wusste es doch! Angie… es ist alles in Ordnung. Es war tatsächlich ein Missverständnis, er hat mit seiner Nichte telefoniert, sie ist die Tochter seines Bruders Liam, und er ist ihr Hüter.†œ Fassungslos starrte ich ihn an.
„Was? Seine Nichte?†œ Er musste es noch ein paar Mal wiederholen, bis ich es endlich kapiert hatte. Mir fiel ein Stein vom Herzen, doch gleichzeitig begriff ich langsam, was ich mit meiner kopflosen Flucht angerichtet hatte. Leif berichtete unterdessen weiter.
„Ich habe ihm erzählt, dass ich dich zufällig getroffen habe, was ja eigentlich auch stimmt. Deinen Unfall und die Entführung habe ich mit keinem Wort erwähnt, das ist nichts, was man am Telefon bespricht. So habe ich es auch bei Shadow gehalten. Mit ihm habe ich auch gesprochen. Er ist froh, dass es dir gut geht. Er lässt dich herzlich grüßen und erwartet dich auf dem Anwesen.†œ Seiner ernsten Miene entnahm ich, dass da noch etwas war.
„Und Duncan? Wollte er mich nicht sprechen?†œ Leif schüttelte den Kopf und sah mich betrübt an.
„Ich habe ihn gefragt, doch er hat… er….†œ
„Was genau hat er gesagt. Los, nun sag schon!†œ, forderte Libell. Sie war merklich ungeduldiger als ich. Ob ich das wirklich wissen wollte?
„Als ich ihm den Grund erzählt habe, warum du von dem Anwesen verschwunden bist, war es lange still am anderen Ende. Angie… es tut mir leid, aber er hat dann einfach aufgelegt, ohne noch ein Wort zu sagen… es tut mir so leid.†œ Oh oh, dass klang gar nicht gut. Von „in Ordnung†œ war ich noch meilenweit entfernt. Darauf fiel mir nur eins ein, ich musste so schnell wie möglich zu ihm und mit ihm reden!
„Also worauf warten wir noch? Lasst uns fahren. Es kann doch nicht weit sein. Kann es doch nicht, oder?†œ, fragte ich misstrauisch, als ich ihre betretenen Gesichter sah.
„Wo sind wir hier eigentlich?†œ Leif setzte sich an meine andere Seite und antwortete leise.
„Angie, wir sind nicht mehr in Schottland.†œ Nicht? Aber wie war das möglich, hatte ich da etwas nicht mitbekommen?
„Dieses Haus steht in der Gegend von Middlesbrough. Zecke und Brain haben dich so weit wie möglich weggebracht als du bewusstlos warst. Sie wussten nicht genau, wo das Anwesen liegt, sie haben einfach auf gut Glück in der Nähe auf der Lauer gelegen und sind dir dann gefolgt. So bist du ihnen mehr oder weniger zufällig in die Hände geraten. Gott sei Dank hatten sie keine Ahnung, dass du Shadows Tochter bist, sonst hätte das hier leicht in einer Katastrophe enden können! Sie hätten Lösegeld fordern oder die gesamte Bruderschaft erpressen können.†œ Oh mein Gott, daran hatte ich überhaupt nicht gedacht!
„Okay, dann nichts wie los†œ, sagte ich und machte Anstalten aufzustehen. Libell zog mich beiläufig wieder runter und zweifelnd an mir vorbei zu Leif.
„Da Bee jetzt in Sicherheit ist, würde ich gerne mitkommen. Oder ist das ein Problem? Und bist du dir sicher, dass sie das schafft? Sie hat in den letzten Tagen viel durchgemacht.†œ Klar, warum sollte ich nicht? Mir ging es doch wieder gut, bis auf die Erschöpfung. Nach genügend Kaffee und einer Mahlzeit wäre ich wieder fit, glaubte ich zu dem Zeitpunkt jedenfalls noch.
Leif rieb sich das Kinn und überlegte laut.
„Wir sollten uns aber zuerst in einem Hotel einmieten, bevor wir sie zurückbringen. Da hat sie genug Zeit, um sich zu erholen.†œ Oh nein, hat sie nicht! Keine Verzögerung, dachte ich kopfschüttelnd und wollte ihm das gerade sagen, als Libell sich einmischte.
„Sie sieht aus, als ob sie einen Schlachthof überfallen hat, also kannst du das Hotel vergessen.

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Außerdem hat sie keine Papiere mehr. Du weißt, wir müssen jedes Aufsehen vermeiden. Also lass uns erst neue Sachen besorgen, die Papiere sind im Moment nicht so wichtig.†œ Wo sie recht hatte, hatte sie recht und nickte bestätigend.
„Und wenn wir bei den McLeods vorbeischauen? Sie sind mir noch was schuldig†œ, sagte Leif. Wer? Da ich ja nicht zu Wort kam, zog ich nur fragend die Brauen hoch.
„Liegt das denn auf dem Weg?†œ, fragte Libell, „und bist du sicher, dass wir da so einfach auftauchen können? Ich finde immer noch, sie ist zu schwach für diese Reise.†œ Bin ich nicht! Empört wollte ich widersprechen, doch Leif kam mir schon wieder zuvor.
„Stimmt, du weißt ja nicht, wo das Anwesen liegt. Es wäre nur ein kleiner Umweg. Bei den McLeods könnten wir auch eine längere Pause einlegen, da kann sie sich ausruhen.†œ Bin ich plötzlich unsichtbar geworden? Libell und Leif hatten mich während ihres Gespräches scheinbar völlig vergessen, auch mein Fingerschnipsen bemerkten sie nicht. Hey, immerhin ging es ja um mich!
„Den Van haben die Beiden wegen der Spuren entsorgt, also müssen wir meinen Wagen nehmen. Der ist zwar etwas kleiner, aber es wird schon gehen†œ, schlug Libell vor, „sie ist ja nicht besonders groß, da passt sie locker auf die Rückbank.†œ Danke auch! Finster funkelte ich die Beiden an. Leif setzte noch einen drauf.
„Stimmt, groß ist sie wirklich nicht. Damit ist das Transportproblem zwar gelöst, aber ob das nicht zu anstrengend wird? Bequem ist es mit Sicherheit nicht. Wir könnten aber auch noch ein paar Stunden hier bleiben, damit sie…†œ So, mir reichte es!
„Halt!†œ, unterbrach ich ihn und hielt beiden den Mund zu, „Schluss mit der ganzen Debatte! Ich hasse dieses Zimmer†œ, stieß ich mit zusammen gebissenen Zähnen hervor. „Ich hasse dieses Haus und werde nicht eine Minute länger hierbleiben als nötig. Wir werden jetzt sofort aufbrechen. Ausruhen kann ich mich im Auto. Mit einem kurzen Halt bei den… Dings bin ich einverstanden. Eine Dusche und neue Sachen können wir alle gebrauchen, das sehe ich ein. Aber der Aufenthalt wird nur sehr kurz sein! Und du Libell kommst selbstverständlich mit zu dem Anwesen, das ist überhaupt keine Frage! Alles klar?†œ
„Mpf†œ, antworteten beide gleichzeitig, was wohl ein „ja†œ bedeuten sollte.
„Versteht doch, ich muss so schnell wie möglich zu ihm†œ, sagte ich leise. Beide nickten sofort.
„Kannst du mich bitte eine Minute mit Leif allein sprechen lassen?†œ, bat ich dann Libell. Ich musste nämlich noch dringend etwas wissen.
„Natürlich, ich hol schon mal den Wagen.†œ Sie schien es plötzlich auch eilig zu haben, sprang auf und war auch schon zur Tür raus.

Fortsetzung folgt…

Kapitel 1: Seitensprung der Sisterhood – Ankunft in Schottland

Kapitel 2: Seitensprung der Sisterhood – Das Anwesen der Bruderschaft

Kapitel 3: Seitensprung der Sisterhood †“ Geheimnisse

Kapitel 4: Seitensprung der Sisterhood †“ Verschwörung

findet sich hier.

Copyright © Seitensprung der Sisterhood

Seitensprung der Sisterhood – Werwölfe

Seitensprung der Sisterhood

Kapitel 3
Werwölfe

Einige Meter von ihr entfernt materialisierte sich Sam wieder. Erleichtert seufzte sie auf.
„Endlich. Hast du ihn erwischt?†œ Als er auf sie zukam und in den schummrigen Lichtkegel trat, konnte sie erkennen, dass seine Kleidung blutverschmiert war. Seine Flügel waren sichtbar und ein grimmiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht.
„Wir sollten schnellstens von hier verschwinden, Jane, komm.†œ Er streckte ihr die Hand entgegen.
„Was? Wieso? Was ist mit dem hier?†œ Verwirrt stemmte sie die Hände in die Hüften und blickte auf den immer noch bewusstlos am Boden liegenden Patrick.
„Los, wir haben keine Zeit, ein ganzes Werwolfrudel ist mir auf den Fersen. Ich erkläre es dir später.†œ Da Doc wie angewurzelt stehen blieb, schlang er einfach seine Arme um sie und schwang sich mit ihr in die Luft.
„Sam, wieso bist du voller Blut? Ist es von dir? Was ist mit Kevin passiert?†œ
„Das ist nicht mein Blut, und Kevin ist tot.†œ
Eine Minute später landeten sie in einer dunklen Seitenstraße in der Nähe des Hotels. Bevor sie nur den Mund öffnen konnte um weitere Erklärungen einzufordern, legte er einen Finger auf ihre Lippen.
„Später, wir müssen vorsichtig sein.†œ Immer noch angespannt, zog er sie hinter sich her. Schnell liefen sie auf das Hotel zu. In der Lobby angekommen, stürmte er am Aufzug vorbei zum Treppenhaus. Ohne einen Stopp einzulegen rauschte er die Treppen hoch. In den hohen Stiefeln taten Doc zwar die Füße weh, aber sie konnte dennoch problemlos mit ihm Schritt halten. Der Engel riss ihre Zimmertür so schwungvoll auf, dass sie laut krachend gegen die Wand schlug. Er war wie von der Tarantel gestochen. Ohne Erklärung zog er die Reisetasche, die sie ebenfalls heute gekauft hatten, aus dem Schrank und begann wahllos alle Sachen hineinzustopfen. Als er das Ladegerät des Laptops mitsamt Steckdose aus der Wand riss, reichte es Jane. Entschieden schritt sie auf ihn zu und packte ihn an beiden Handgelenken.
„Stopp! Sam ich will jetzt auf der Stelle wissen, was passiert ist. Wieso benimmst du dich wie eine Rennmaus auf Speed?†œ Um ihrer Frage mehr Nachdruck zu verleihen, drückte sie dabei fest zu. Sie schob sich ganz nah vor ihn, damit er sie ansehen musste. Er atmete einmal tief durch. Dann griff er in die Innentasche seiner Lederjacke und zog etwas hervor. Sie konnte es nicht fassen. Sam hatte die Schachtel der Petra! Für ein paar Augenblicke starrten beide auf das Artefakt.
„Oh. Mein. Gott. Sam, du hast sie gefunden! Sie ist unglaublich.†œ Sie streckte die Hand nach dem hölzernen Kästchen aus, doch kurz bevor sie es berühren konnte, erschien eine silbern schimmernde Hülle und legte sich um das Kästchen. Sie stockte und blickte Sam wieder an.
„Du kannst sie berühren, aber du darfst sie unter keinen Umständen öffnen“, flüsterte er ein wenig atemlos,“ das würdest du nicht überleben. Sie ist magisch versiegelt. Ich erkläre dir das alles noch, nur lass uns endlich von hier verschwinden. Kevin ist nach Hause gelaufen, und ich hab ihn mir vorgeknöpft. Dann wurde die Tür aufgebrochen und die Hölle war los. Das Wolfsangel-Werwolfrudel hat ihm einen Hausbesuch abgestattet. Offensichtlich wollten die Wiesel von Dungeon mehr Geld fordern. Tja, das hätten sie mal besser nicht getan. Der Drache hat die hiesigen Werwölfe auf die Brüder angesetzt, sie sollten sie töten und die Schachtel zu ihm bringen. Das Rudel hier ist ziemlich zwielichtig, so eine Art Söldnertrupp. Ich wollte Kevin gerade zum Sprechen bringen, als die Wölfe da reinplatzten und wild um sich schossen. Kevin war sofort tot. Ich habe so getan, als hätte es mich auch erwischt. Die haben die ganze Wohnung zerlegt. Unter ein paar Dielenbrettern wurden sie fündig.

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Da habe ich sie mir geschnappt und bin zu dir zurück.†œ Er grinste schief.
„Jetzt ist jeder verdammte Werwolf aus Belfast auf der Suche nach mir. Also, lass uns schnellstens von hier verschwinden.†œ Doc stand auf und ging ins Badezimmer, um Ef-Ef zu holen. Dabei dachte sie fieberhaft darüber nach, wie und vor allen Dingen wohin sie jetzt sollten. Am besten wäre es, sie würden nach NSI Reisen. Dort könnten sie alles in Ruhe mit Sweetlife besprechen. Auch die Schachtel wäre dort sicher.
Schnell steckte sie Ef-Ef in die Tasche. Der kleine Kerl fluchte wie ein Kesselflicker, aber darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Werwölfe waren wirklich gute Fährtenleser. Sam hatte sich zwar unsichtbar gemacht, aber für sie war es kein Problem seinem Geruch zu folgen. Gerade als die beiden die Suite verlassen wollten, hörten sie ein lautes Krachen am Ende des Flurs. Vorsichtig stecken sie beide die Köpfe hinaus, nur um zu sehen wie zwei etwas ramponierte Bikertypen durch die Tür torkelten. Sam flüsterte Doc zu, dass sie zum Aufzug gehen sollte. Bisher war sie den Werwölfen ja noch noch nicht bekannt. Elegant schlenderte sie den Gang in Richtung Aufzug und drückte den Knopf. Als der Gong ertönte und sich die Türen öffneten, spürte sie nur einen Lufthauch und etwas, das sie in den Aufzug hineinzog. Auf der Fahrt nach unten materialisierte Sam sich wieder.
„Also, diese Unsichtbar-Nummer ist wirklich cool, Sam. Wenn ich mir vorstelle, was du alles damit aushecken könntest…hast du zufällig mal irgendwo ein paar Kunstwerke mitgehen lassen oder so?†œ
Trotz der angespannten Situation grinsten sie sich verschwörerisch an. Gerade als er ihr antworten wollte, stoppte der Aufzug in der 3. Etage. Die Türen öffneten sich. In letzter Sekunde zog Sam Doc hinter sich, als zwei weitere Bikertypen die Tür versperrten. Starker Moschusgeruch schlug ihnen entgegen. Aus ihren Kehlen kam ein leises Knurren. Kein Zweifel, das waren eindeutig zwei Werwölfe. Sam zögerte nicht eine einzige Sekunde. Mit einem gezielten Schlag setzte er einen der beiden sofort außer Gefecht. Während der Werwolf ohnmächtig zu Boden ging, sprang der andere Sam unter wütendem Geheul von hinten an. Er würgte den Engel mit unbändiger Kraft. Die beiden gingen zu Boden und kämpften miteinander. Jane konnte sich nicht genug konzentrieren um ihre Magie einzusetzen, also griff sie kurzerhand nach der Vase, die auf einem Beistelltisch neben dem Lift stand und zog sie dem Werwolf über den Schädel. Mit einem letzten Schlag warf Sam den Kerl von sich.
„Danke, Jane, beim nächsten Mal bring dich lieber aus der Gefahrenzone. Mit dem wäre ich schon fertig geworden.†œ Er schüttelte sich ein paar Scherben aus dem Haar, nahm die Tasche und zusammen eilten sie den Gang entlang.
„Ich wette, in der Lobby wimmelt es von denen.†œ Sie blieben an einem Fenster stehen und sahen hinaus. Da sie immer noch in einer der oberen Etagen waren, war es vergittert und auch abgeschlossen. Aus dem Treppenhaus ertönten wieder Schritte. Doc drehte sich einmal um die Achse und scannte die Umgebung, um nach einem möglichen Fluchtweg Ausschau zu halten. Da kam ihr eine Idee.
„Ich weiß zwar nicht mehr welcher Film das war, aber DAS wollte ich schon immer mal ausprobieren.†œ Verwirrt folgte der Engel ihrem Blick und sah wie sie die Klappe zum Wäscheschacht öffnete. Dann verstand er. Zuerst warfen sie die Tasche hinein, Doc wollte einsteigen, aber er hielt sie davon ab.
„Wer weiß, was unten so los ist†œ, erklärte er und kletterte vor ihr in den Schacht. Doc folgte ihm unmittelbar. Der Schacht endete in einem riesengroßen Rollwagen mit Schmutzwäsche, in dem Sam nach der Tasche landete. Da plumpste auch Doc schon auf ihn drauf.
„Wow. Das hat echt Spaß gemacht.†œ Sie hob den Kopf, um aus dem Wagen zu spähen. Sie hatten Glück, denn die Waschküche war menschenleer.

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Sie saß auf dem Engel. Als sie sich auf ihm abstützte um aufzustehen, kam sie nicht umhin zu bemerken wie unglaublich durchtrainiert er war. Sie fühlte, wie eine Hitzewelle ihren Kopf erreichte, als ihr bewusst wurde, dass ihr Kleid hochgerutscht war. Seine Hände lagen auf ihren Oberschenkeln. Die Berührung auf ihrer bloßen Haut hinterließ eine heiße Spur. Der glühende Blick aus seinen grünen Augen verursachte ein leichtes Ziehen in ihrer Magengegend. Irgendetwas hatte sich zwischen ihnen verändert. Eigentlich war es wirklich nicht die Zeit der Sache auf den Grund zu gehen. Dennoch, sie war wirklich verdammt froh, dass sie nicht alleine in dieser Situation steckte. Sam schien es plötzlich nicht mehr eilig zu haben. Vorsichtig umfasste er mit den Händen ihr Gesicht und zog es zu sich heran.
„Jane…†œ Die Art wie er unter halb gesenkten Lidern ihren Namen flüsterte, raubte ihr für den Augenblick den Atem. Erwartungsvoll starrte sie auf seine Lippen… Er würde doch nicht? Jetzt und hier? Doch genau das wollte sie. Er begann, sanft mit seinen Lippen über ihre Wangen zu streifen. Sie wollte mehr, wollte wissen wie er schmeckte. Sie drehte den Kopf ein wenig, damit sich ihre Lippen berührten. Gott, seine Lippen waren so weich! Alles trat in den Hintergrund und sie verlor sich in dem sanften Kuss. Es gab nur sie und ihn. Heißkalte Schauer liefen ihr den Rücken hinunter. Noch nie zuvor hatte sich etwas so richtig angefühlt. Doch bevor der Kuss intensiver wurde, ertönte lautes Gebrüll von irgend woher. Widerwillig löste sich Jane von ihm. Sams Stimme klang heiser, als er sie aus dem Wagen hob.
„Das verdient eine Fortsetzung. Aber nicht hier, wir müssen verschwinden.†œ
Die Waschküche hatte zwei Ausgänge. Hinter der linken Tür waren deutlich Stimmen zu hören, deshalb schlichen sie in die Richtung der anderen Tür. Dahinter war es still. Leise öffnete Doc die Tür einen Spalt breit und spähte vorsichtig hinaus. Sie sah einen schmalen Gang, der nur schummrig beleuchtet war.
„Geradeaus geht es dem Geruch nach direkt zur Küche, dort gibt es bestimmt einen Hinterausgang†œ, flüsterte Sam ihr ins Ohr und schlich an ihr vorbei. Mittlerweile war es früh am Morgen und die Küche war menschenleer. Sie hatten noch etwas Zeit, bis der Hotelbetrieb wieder aufgenommen wurde. Als sie die Küche durchquerten, war Doc wirklich froh, in diesem Hotel nichts gegessen zu haben, denn eine Hygienekontrolle hätte der Laden wohl nicht überstanden. Naserümpfend schlich sie hinter Sam her, der am Hinterausgang stehen blieb und lauschte. Die Stimmen der Werwölfe kamen immer näher.
„Sam, ich glaube, sie sind schon bis zur Waschküche vorgedrungen, lass uns abhauen.†œ
Schnell liefen sie hinaus durch die Gasse hinter dem Hotel, bogen einmal ab, bis sie an der großen Hauptstraße angekommen waren. Die Wölfe hatten zum Glück niemanden hinter dem Hotel postiert und sich zunächst mit der Durchsuchung diverser Hotelzimmer abgegeben. Aber sie waren ihnen dicht auf den Fersen, denn irgendwann würden sie merken, dass ihnen die Flucht aus dem Hotel gelungen war.
„Jane, ich weiß, du fliegst nicht gern mit mir, aber so kommen wir am sichersten hier weg.†œ
Schon hing sie an ihn geklammert, während er sich immer höher in die Lüfte schwang. Als sie über das Hotel flogen, waren einige Werwölfe bereits bis in die Gasse ihrer Fährte gefolgt. Einer sah nach oben, und selbst aus dieser Entfernung konnte Doc seinen verwirrten Gesichtsausdruck erkennen. „Jetzt wissen sie, dass du fliegen kannst.†œ Sie klammerte sich an ihm fest und vermied den Blick nach unten.
„Na ja, nicht ganz, wir sind unsichtbar, ich habe uns magisch verschleiert.†œ Das war ja interessant. Über Sam gab es wahrlich noch eine ganze Menge zu lernen. Kurz dachte sie an den Kuss zurück. Es hatte sich unglaublich vertraut angefühlt. Allerdings war das im Moment wirklich nicht die richtige Zeit dafür, denn so langsam sollte sie überlegen, wohin sie jetzt sollten.
„Was machen wir jetzt am besten? Ich meine, wir sollten zu Sweetlife. Es wird jetzt nur etwas schwierig, wenn wir von Wölfen verfolgt werden. Die möchte ich nicht so gerne nach NS-Island locken.†œ

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„Ich glaube auch, deine Chefin würde sich bedanken†œ, sagte er und schaut grinsend auf sie hinab. „Ich habe schon eine Idee. Dazu müssen wir zwar einen Umweg in Kauf nehmen, um erst mal von der Bildfläche zu verschwinden, aber wenn es funktioniert, sind wir die Wölfe los.†œ
„Ich bin immer für kreative Vorschläge offen. Also, an was hast du so gedacht?†œ Sie riskierte einen Blick nach unten auf die Straße und konnte zwei Wölfe in Tiergestalt erkennen, die ihnen folgten. „Sam, die Wölfe sind immer noch dort†œ, sagte Doc irritiert und wunderte sich darüber, wie sie es schafften, ihrer Spur zu folgen.
„Ich weiß. Wir fliegen jetzt zum Hafen hier in Belfast. Dann nehmen wir dir Fähre rüber auf die Isle auf Man.†œ Langsam senkten sie sich wieder Richtung Boden und landeten direkt am Hafen. Zielstrebig hielt Sam auf ein mittelgroßes Schiff zu, das gerade dabei war abzulegen. Schnell gingen sie an Bord. Gerade als ein Angestellter die Gangway einfahren wollte, sprangen die Wölfe knurrend auf das Schiff. Ohne Vorwarnung beförderte Sam die beiden mit einem Tritt ins Wasser. Ein verängstigter Matrose, der alles beobachtet hatte, stand wie angewurzelt an der Reling. Sam hypnotisierte ihn, sodass er den Vorfall auf der Stelle vergaß. Das Schiff legte ab. Sie gingen aufs Achterdeck und ließen sich erleichtert auf eine der Bänke nieder. Langsam begann der Morgen an zu grauen, ein kühler Wind verwuschelte Docs Haare. Nach langem Wühlen in der Tasche, fand sie endlich ihre Mütze und stülpte sie sich auf den Kopf. Mit einem tiefen Seufzer lehnte sie sich an Sam.
„Das war knapp. Meinst du, sie haben aufgegeben?†œ Er legte ihr seine Jacke um die Schultern, da sie in ihrem dünnen Kleid sichtlich fror.
„Nein, sie werden uns sicher mit der nächsten Fähre auf die Insel folgen. Zum Glück bestehen sie aus zu viel Muskelmasse, so können sie nicht schwimmen. Aber da wird sich bestimmt ein ganzes Rudel auf den Weg zur Insel machen. Ich hoffe allerdings, das wir bis dahin nicht mehr dort sind.†œ Doc sah ihn müde an und lächelte schwach. Mehr wollte sie im Moment gar nicht wissen. Nachdem sie überprüft hatte, dass es Ef-Ef in der Tasche gut ging, lehnte sie sich an Sam und schloss die Augen.
Eine halbe Stunde später weckte er sie sanft, die Fähre hatte angelegt und sie gingen an Land.
„Ich würde mich gern mal irgendwo umziehen†œ, sagte Doc und ärgerte sich ein wenig, dass sie Zeit auf dem Schiff nicht genutzt hatte. Doch ihr Anliegen musste noch etwas warten. Wenig später fand sie sich in einem Mietwagen wieder.
„Wohin wollen wir eigentlich genau?†œ, fragte sie mit erstickter Stimme aus ihrem Rollkragenpullover, den sie sich gerade über den Kopf zog. Auf einer Rückbank umziehen, war wirklich was für Schlangenmenschen.
„Mull Hill.†œ Er erwähnte es so beiläufig, als ob ihr vollkommen klar sein sollte, warum sie dorthin fuhren.
„Wohin? Ist das ein Flughafen von dem aus wir von hier verschwinden können?†œ Als sie dabei nach vorne sah, trafen sich ihre Blicke in dem Rückspiegel. Sam hatte sie ganz ungeniert beim Umkleiden beobachtet, das stand fest. Ein schlechtes Gewissen schien er nicht zu haben.
„Ich vergesse immer wieder, wie jung du bist.†œ Damit handelte er sich einen weiteren wütenden Blick von der Rückbank ein. Unbeeindruckt fuhr er grinsend mit seiner Erklärung fort.
„Mull Hill ist ein alter magischer Steinkreis, der auf alten Gräbern errichtet wurde. Stonehenge sagt dir doch sicherlich etwas, oder? Er ist der bekannteste, aber es gibt noch Hunderte solcher Orte auf der Erde, allerdings deutlich kleiner oder besser verborgen. Warte einfach ab, du wirst schon sehen. Übrigens… hübscher BH.†œ Damit erntete er einen Klaps auf den Hinterkopf von Doc.
„Die Straße ist da vorne! Von Unfällen habe ich erst mal genug.†œ Sam duckte sich etwas und fuhr lachend ein paar Schlangenlinien.
„Manchmal trägt sie auch gar keinen, Pech für uns heute, mon ami.†œ Ef-Ef grinste Doc frech aus der Tasche heraus an und kassierte prompt auch einen Klaps von ihr.

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„Mon dieu, jetzt wird sie auch noch rot. Ich habe auch deinen Slip gesehen!†œ Kopfschüttelnd zog Doc ihre Stiefel an und zwängte sich in ihre Lederjacke.
„Womit habe ich das nur verdient†œ, flüsterte sie leise vor sich hin. Sie warf einen Blick auf das neue Handy. Aber da niemand die Nummer hatte, waren auch keine Nachrichten eingegangen. Wehmütig dachte sie an die anderen Mitglieder vom Sixpack. Sie hoffte, dass sie es alle besser getroffen hatten und eine entspannte Zeit mit ihren Lieben verbrachten. Ef-Ef hatte es mal wieder darauf angelegt, sie zu reizen, und Sam…. ja, der Engel verwirrte sie komplett. Sie wollte doch einfach nur den Auftrag erledigen und zurück nach Hause. Bisher lief schon wieder alles komplett aus dem Ruder, und sie konnte sich kaum vorstellen, dass jetzt, wo sie im Besitz der Schachtel waren, alles einfacher wurde. Sie fuhren Richtung Port Erin, das war das einzige Straßenschild, das ihr auffiel. Da die Isle of Man wirklich nicht groß war, hatten sie in knapp zwanzig Minuten ihr Ziel erreicht. Sam parkte den Mietwagen an einer Lichtung. Sie stiegen aus und Jane atmete einmal tief durch. Es war wirklich ein idyllisches Örtchen. Weit und breit waren kein Haus und keine Menschenseele zu sehen. Nichts störte dieses Fleckchen Natur.
Von der Lichtung aus gingen sie durch einen schmalen Waldstreifen auf einen großen relativ flachen Hügel zu. Sam stapfte schnurstracks auf den höchsten Punkt zu und bleib stehen. Doc folgte ihm. Da sie die ganze Zeit Stonehenge im Hinterkopf hatte, war sie fast ein bisschen enttäuscht. Hier lagen nur einige größere flache Felsbrocken und sonst war da nichts. Sam hingegen schien sichtlich zufrieden.
„Hier ist es†œ, sagte er und zwinkerte ihr kurz zu.
Doc konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was sie in dieser gottverlassenen Gegend wollten. Bevor sie ihn das fragen konnte, kam Ef-Ef ihr zuvor.
„Also, ich habö ja nichts gegen Sightseeing aber das ´ier ist wirklisch öde.†œ Der Hamster blickte gelangweilt aus einem Seitenfach der Reisetasche zu Sam hinauf.
„Wartet´s ab. Es ist nicht immer alles so wie es scheint.†œ
Er schritt den Kreis ab, blieb an einem Stein stehen und sah zur Sonne, die ihm scheinbar irgendeinen Hinweis gab. Dann drehte er sich um und ging mit drei Schritten direkt in die Mitte des Kreises.

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„Ihr wartet besser dort am Rand, ich habe das schon lange nicht mehr gemacht.†œ
Doc und Ef-Ef warfen sich einen fragenden Blick zu. Doch sie tat was er verlangte, ging an den Rand und stellte sich Sam gegenüber. Der Engel streckte die Arme aus und blickte zum Himmel. Dann begann er eine Art Beschwörungsformel zu murmeln. Augenblicklich frischte eine leichte Brise frischte auf. Sam sah fast ätherisch aus, er schien von einer goldenen Aura umhüllt. Die Luft knisterte und Doc sah, wie sich fluoreszierende Lichtstrahlen aus den Steinen lösten. Sie wurden breiter, verbanden sich und bildeten regenbogenfarbene Torbogen über den Steinen.
„So, das hätten wir. Komm her.†œ Sam kam auf Doc zu und streckte ihr eine Hand entgegen. „Hast du alles?†œ Doc nickte fasziniert und ließ den Blick schweifen, jetzt konnte sie die Tore über den Steinen ganz einfach erkennen.
„Menschenskind Sam, was ist das?†œ
„Das sind die alten Engelsportale. Früher hat meine Art sie oft zur Fortbewegung genutzt, aber sie gerieten in Vergessenheit. Mittlerweile haben sie ein Eigenleben entwickelt. Man weiß nie so genau, wo sie einen hinführen. Aber im Grunde kann man nur in einem anderen Steinkreis irgendwo auf der Welt ankommen. Wenn wir durchgehen, darfst du mich unter keinen Umständen loslassen, okay?†œ
Kritisch musterte Doc das Portal, vor dem sie inzwischen standen.
„Ja schon okay, aber…†œ
„Jane, vertrau mir einfach, es ist nicht schlimm. Ich denke, egal wo wir landen, Hauptsache wir haben die Wölfe abgehängt. Von dort können wir zu Sweetlife oder zur Bruderschaft, je nachdem.†œ
„Sam ich dachtö, das wäron Feenportale. Und sie sind zersplittert†œ, meldete sich Ef-Ef kleinlaut aus der Tasche.
„Nein das haben die Menschen nur geglaubt, und zersplittert, ja, das sind sie. Aber wir haben keine Wahl.†œ
In nicht allzu weiter Ferne ertönte das Geheul eines Wolfes, es stimmten nach und nach immer mehr ein.
Sam ging auf das Portal zu, zog Doc hinter sich her und streckte den freien Arm aus. Die Oberfläche warf Kreise, es sah aus als ob man einen Stein in Wasser geworfen hätte. Er murmelte etwas. War es auf Latein? Doc war nervös und hörte ihm nur mit halbem Ohr zu, doch er zog sie unerbittlich hinter sich her. Als er ganz in das Tor eingetaucht war, stieß ihr Arm hindurch. Es fühlte sich kalt und samtig an. Sie schauderte. Das Wolfsgeheul wurde lauter und sie machte einen beherzten Schritt ins Ungewisse. Nachdem sie ganz hindurch getaucht war, spürte sie, wie Sam sie an der Taille fasste und an sich drückte. Ein eiskalter Wind, wehte um sie herum. Sie hatte das Gefühl zu schweben. Alles um sie herum war schwarz und Millionen kleiner farbiger Punkte leuchteten in der Ferne wie Sterne am Himmel. Real war nur Sam, ihr Anker, den sie um keinen Preis jetzt hier loslassen wollte. Den Kopf in seiner Halsbeuge vergraben, schloss sie die Augen und atmete tief seinen mittlerweile vertrauten Geruch ein.

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Dann hatte sie das Gefühl hinab gezogen zu werden. Doc schloss die Augen und klammerte sich regelrecht an den Engel. Er presste sie noch enger an sich.
„Keine Angst†œ, flüsterte er in ihr Ohr. Es fühlte sich an, als ob sie in tausend kleine Teile zerrissen wurde. Sie hatte keine Substanz mehr, keinen Körper. Sie spürte in ihrem Bewusstsein, dass Sam bei ihr war, aber sie existierte nicht mehr. Dann, mit einem Ruck, setzte sich wieder alles zusammen. Sie spürte das Gewicht der Reisetasche plötzlich wieder. Immer noch eng umschlungen, standen sie wieder vor einem Portal, das sich in der Dunkelheit herauskristallisierte. Sam löste die Umarmung, nahm wieder ihre Hand und schritt darauf zu. Er trat hinaus und Jane folgte ihm. Es dauerte einen Moment bis ihre Augen realisierten, dass sie sich nun, statt in Dunkelheit, in völliger Schwärze befand. Sie schwankte leicht und hatte das Gefühl in die Finsternis zu stürzen. Sie stütze sich irgendwo im Nichts ab, spürte etwas Raues, Hartes unter der Handfläche.
„Sind wir da? Ist irgendwas schiefgegangen? Ich kann nicht sehen.†œ
„Ja, wir sind da. Keine Sorge, alles ist gut. Ich glaube, wir sind in einer Höhle.†œ
Allmählich bildeten sich Umrisse in ihrem Blickfeld. Sie konnte eine grobe Felswand erkennen. Dann, als ob ihr Gehör noch etwas länger gebraucht hätte, hörte sie ein tosendes Rauschen in der Ferne. Er klang wie ein unterirdischer Wasserfall. Sie wusste es einfach. Sie hatte das Gefühl, schon einmal hier gewesen zu sein. Sie ließ Sams Hand los und ging ein paar Schritte. Sie konnte immer deutlicher die Umrisse erkennen. Sie waren in einem Tunnel. Langsam schritt sie voran. Nach einer Biegung konnte sie Licht in der Ferne erkennen. Von einer Ahnung getrieben, eilte sie darauf zu.
„Jane, warte. Wir wissen doch gar nicht…†œ Der Rest ging in einem Echo unter. Nach ein paar hundert Metern, stand sie am Höhlenausgang. Sie hielt den Atem an und konnte es für einen Moment nicht fassen.
Sie trat hinaus und stand auf einem Felsvorsprung, ein kleiner Weg schlängelte sich nach unten. In der Ferne kreischten türkisfarbende möwenähnliche Vögel, die am Horizont kreisten. Der Himmel war magentafarben. Das Grün der weiten Wiesen, die sich vor ihr erstreckten, schimmerte unnatürlich grün. Weiße, verdorrte Bäume säumten einen Pfad, der den Anschein hatte, sich bis ans Ende der Welt zu erstrecken.
„Grundgütiger. Das kann einfach nicht sein, das ist einfach unmöglich!†œ
Dann stand Sam neben ihr und berührte ihre Schulter.
„Du weißt wo wir sind?†œ

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„Ob ich weiß wo wir sind? Ja…. nein, das kann einfach nicht sein.†œ
Sie ließ die Tasche von der Schulter gleiten. Sofort steckte Ef-Ef die Nase aus dem Seitenfach und krabbelte heraus. Er schnüffelte.
„Mon dieu, bei allen guten Dämonen. Wieso sind wir denn augerechnöt in Avalon gelandet? Hier gibt es nicht mal Fastfood!†œ, empörte er sich und sah zwischen Sam und Doc hin und her.
„Ah, Avalon, okay, alles klar†œ, sagte Sam und hob die Tasche auf.
Fassungslos blickte Doc den Engel an.
„Okay? Alles klar? Sam wir sind in Avalon. AVALON!!! Das geht überhaupt gar nicht. Alle Zugänge wurden Anfang des 20. Jahrhunderts zerstört! Ich weiß es genau, ich wurde hier geboren, bin hier aufgewachsen und ich konnte nicht mehr zurückkehren. Die schwarzen Druiden haben alle Zugänge zerstört. Es gab furchtbare Kämpfe. So viele sind gestorben, und das Volk hier hat trotzdem verloren. Ich war zu der Zeit in Deutschland und danach konnte ich einfach nicht mehr zurück.†œ
„Ja, das stimmt, aber nur die magischen Zugänge wurden zerstört, nicht die unseren. Ich hatte völlig vergessen, dass es hier eine Zweigstelle gibt, ich bin auch noch nie hier gewesen.†œ
„Du meinst, ich hätte all die Jahre einfach hierher kommen können?†œ Jane konnte es einfach nicht fassen. Sie dachte, sie könnte nie wieder nach Hause und dabei war es die ganze Zeit so einfach gewesen.
Sam schüttelte den Kopf und sah sie traurig an.
„Nein, hättest du nicht. Nur Engel können diese Portale benutzen und wie gesagt, wo man ankommt, ist reiner Zufall. Ich hatte gehofft, wir kämen an einem anderen Steinkreis raus. In der Höhle ist nur ein kleines Portal. Wenn wir dorthin zurückgehen, kann es sein, dass wir wieder auf Mull Hill landen oder woanders. Ich schlage vor, da dies deine Heimat ist, bleiben wir erstmal hier. Wir sollten uns ausruhen, du hast noch gar nicht geschlafen. Oder möchtest du lieber sofort von hier weg?†œ Er sah sie eindringlich an. Janes Augen füllten sich mit Tränen.
„Ich.. nein, ich würde gern noch etwas hier bleiben. Sehen wie es den Leuten hier so geht und ob…†œ Sie stockte, wandte sich ab und rieb sich die Augen. Es war bestimmt der Schlafmangel, der sie so rührselig machte.
Sam nahm sie wortlos in die Arme und so standen sie dort eine ganze Weile bis Doc sich wieder gefangen hatte. Schniefend blickte sie Sam an.
„Es tut mir leid. Ich bin sonst nicht so. Es ist nur so unerwartet. Ich habe versucht, damit abzuschließen. Dabei hätte ich einfach nur einen Engel suchen müssen, der mich herbringt. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich alles versucht habe, um hierher zu kommen. Nicht nur ich, es gab auch noch andere, die verzweifelt versucht haben in ihre Heimat zu gelangen.†œ
„Jane, ich weiß zwar nicht, ob es das besser macht, aber es ist in keiner Schrift festgehalten dass es diese Portale gibt. Selbst wenn, du hättest keinen von uns finden können. Man kann uns nicht suchen. Wir finden das Schicksal, aber nicht umgekehrt.†œ

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Jane verstand ihn nicht recht, aber es war ihr im Moment auch egal, sie wollte einfach nur herausfinden, wie das Leben sich auf Avalon verändert hatte und ob noch jemand hier lebte, den sie kannte. Sie machten sich auf den Weg den Felsvorsprung hinunter. Nach einer Weile veränderte sich der Pfad. Vor ihnen erhob sich eine Nebelbank, in die sie eintauchten. Momente später lichtete sich der Nebel und sie befanden sich in einem Wald, der so andersartig war, dass Sam staunend stehen blieb.
„Ich habe so viele Geschichten darüber gehört, aber es ist immer etwas ganz anderes so etwas selber zu sehen. Ich dachte, wir würden noch stundenlang dem Pfad folgen.†œ
„Ja, hier ist nicht alles so wie es scheint.†œ Doc lächelte den Engel an. Die kräftigen Bäume hatten eine graue Rinde, die Blätter jedoch leuchteten in kräftigen Rot- und Purpurtönen. Der Boden war kupferfarbend. Hier und da wuchsen Büsche und Sträucher, die unglaublich schöne exotische Blüten trugen. Kleine regenbogenfarbende Kolibris flatterten umher. Doc zog Sam auf einen seichten Hügel.
„Siehst du da unten die Hütte? Wenn die Druiden in der Ausbildung sind, wohnen sie eine Zeitlang dort. Der Wasserfall in der Höhle ist eines unserer Heiligtümer. In seinem Wasser können unsere Seher ihre Visionen kanalisieren. Dort können wir eine Pause einlegen.†œ
Erinnerungen begleiteten sie auf jedem Schritt. Es hatte sich nichts verändert. Ihr Verstand konnte kaum begreifen, dass sie wirklich dort waren.
Die Tür der kleinen Blockhütte war unverschlossen. Sie bestand nur aus einem großen Raum. Es gab einen Kamin, einen Tisch mit Stühlen, an einer Wand standen mehrere Betten aufgereiht.
„Pah, ein bisschen Ikea-Einrischtung würde euch Insulanern wirklich gut tun.†œ Ef-Ef gefiel die spartanische Ausstattung wohl eher nicht. Doc warf ihre Tasche auf den Tisch und ging zu einem der Betten.
„Hör zu Kleiner, wir machen hier nur einen Stopp.†œ Sie legte sich auf eines der Betten. Sam setzte sich zu ihr.
„Jane, schlaf etwas. Ich passe auf, falls jemand hier auftaucht†œ, sagte er und strich sanft mit der Hand über ihre Stirn.
„Ich glaub nicht, dass jemand kommt…†œ Jane war so erschöpft, dass sie unverzüglich in einen tiefen Schlaf glitt. Sie träumte von ihrer Kindheit. Von den Nächten in der Hütte und wie sie sich in die Dunkelheit hinaus geschlichen hatte und von ihren wenigen Visionen, als sie zur Seherin ausgebildet werdet sollte.
Ein Geräusch weckte sie. Sam hatte die Türe geöffnet und blickte hinaus. Sie rieb sich die Augen. Unglaublich, dass sie hatte einschlafen können. Endlich war sie zuhause und als erstes hielt sie ein Nickerchen. Der Traum hatte ihr bewusst gemacht, dass Sam ihr schon vor langer, langer Zeit in einer Vision erschienen war. Deshalb kam er ihr so vertraut vor. Sie hatte nie viel auf ihre Visionen gegeben, sie gehörten zu ihren weniger gut ausgeprägten Talenten. Träge setzte sie sich auf und schleppte sich zu Sam. Es war Sommer in Avalon. Ein lauer Wind trug lang vergessene Düfte in ihre Nase.
„Sam, lass uns weitergehen, ich zeige dir etwas und ich kann es kaum erwarten, ins Dorf zu kommen.†œ Er sah sie prüfend an. Sie wirkte immer noch nicht fit. Der Schlaf, in den er sie versetzt hatte, war seiner Meinung nach zu kurz, aber er konnte ihr einfach nichts abschlagen.

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Was wohl in ihr vorging? Er hätte gerne alles über sie erfahren. Er wusste, es war kein Zufall, dass sie sich getroffen hatten, ebenso wenig, dass sie in Avalon gelandet waren. Alles hatte seine Gründe. Sie stand schon draußen und lächelte ihn an.
„Na, komm schon! Sonst wird es gleich hell.†œ
Die beiden wanderten weiter durch den Wald. Der Pfad schimmerte silbrig, der Mond stand riesengroß und violettfarbend am Himmel. Die Szenerie war wirklich surreal und wunderschön.
Etwa eine Stunde später passierten sie wieder einen Nebel, verließen den Wald und standen auf einer Wiese. Sam stockte der Atem, als er tausende fluoreszierend leuchtende Blumen sah.
„Ist das nicht traumhaft?†œ Doc lief mitten auf die Wiese, drehte sich mit ausgebreiteten Armen und ließ sich in das weiche Gras fallen. Blauleuchtende Kirschblütenblätter regneten auf sie nieder. Ihr Haar leuchte silbrig wie Mondschein. Langsam kam er ihr nach – vorsichtig, damit er keine der außergewöhnlichen Blüten zerstörte.
„Süper, ´ier siehts aus wie bei Avadings, kann man das Essen?†œ Sam kniete sich zu Docs Tasche und berührte den kleinen miesgelaunten Hamster.
„Schlaf!†œ Der Dämon rollte sich zusammen.
„Wow, ich hätte mir schon so manche Peinlichkeit erspart, wenn ich sowas könnte.†œ
„Ich hoffe, wir haben jetzt etwas Ruhe†œ, antwortete er grinsend.
Dann legte er sich neben sie, stütze den Ellbogen auf und sah auf Doc hinab. Seine Anziehungskraft schien in dieser Umgebung noch stärker zu werden.
„Ich könnte mir grade nichts Schöneres vorstellen, als mit dir hier zu sein.†œ Fasziniert ließ er eine ihrer Haarsträhnen durch seine Finger gleiten. Sie tauschten einen langen intensiven Blick.
„Jane, die letzten Tage mit dir…†œ Er sah weg. Doc legte sich auch auf die Seite und drehte seinen Kopf zu sich.
„Was?†œ
„Ich habe das Gefühl…, also zwischen uns ist etwas ganz Besonderes. Ich weiß, dass wir uns nicht wegen der Mission begegnet sind. Da ist mehr, viel mehr.†œ Sie konnte den Blick nicht von seinen Lippen abwenden. Sie dachte an den Kuss in der Waschküche. Sie bekam eine Gänsehaut. Er kam näher. Sein Daumen strich über ihre Unterlippe.
„Das Schicksal macht keine halben Sachen†œ, hauchte er in ihr Ohr. Ja, dieser Engel brachte sie gehörig durcheinander. Sie biss sich auf die Lippe. Als er sie wieder küsste, wusste sie, dass sie zueinander gehörten, es schon immer getan hatten. Der Knoten in ihrer Brust, die verworrenen Gefühle zu Bowen, all das löste sich auf und ließ sie los. Sie war hier mit ihm, und nichts anderes zählte. Würde es je wieder tun. Sie griff in sein Haar, während seine Hände ihren Körper erkundeten. Jetzt, wo sie ungestört waren, überkam sie die Leidenschaft und sie überließen sich ihr. Als sich ihre nackte Haut berührte, keuchte sie. Sein Körper war Samt auf Stahl. Alles an ihm war perfekt. Sein Duft hüllte sie ein. Er rückte etwas von ihr ab und blickte sie aus fiebrigen Augen an. Kleine Goldsprenkel funkelten in seiner Iris.
„Daran habe ich von Anfang an denken müssen.†œ Er begann ihren Körper mit Küssen zu bedecken.

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„Du gehörst zu mir.†œ Und jetzt hörte sie auf zu existieren.
Danach blieben sie atemlos eng umschlungen liegen. Die Sonne ging auf und tauchte alles in einen kupferfarbenden Schein. Sie stellte für sich fest, dass man im Leben immer wieder überwältigt wurde. Sam und sie gehörten zusammen. Seine Nähe stellte alles in den Schatten, und sie zweifelte nicht einen Moment. So hätte es immer sein sollen. Gemeinsam würden sie mit den Schwestern vom Sixpack und der Bruderschaft Dungeon besiegen.
„Sam, wir müssen weiter. Die Zeit hier auf Avalon verläuft langsamer. Es ist bestimmt schon eine Woche vergangen in Irland.†œ Er murrte etwas und begann, ihre Kleidung aufzusammeln. „Wenn das alles vorbei ist, suchen wir uns wieder so ein Plätzchen und bleiben mindestens 100 Jahre dort†œ, verkündete er ihr unter Küssen und halt ihr in die Jacke.
Ja, das klang wirklich gut. Doch zuerst mussten sie ihren Auftrag erfüllen.

Sie machten sich auf den Weg in das Dorf.
Als sie am frühen Vormittag immer näher Richtung Küste kamen, konnte Sam schon von weitem die ersten Hütten erspähen. Doc sah einige Bewohner dort und atmete erleichtert auf. Nach wenigen Minuten erreichten sie einen Platz, um den sich die kleinen reetgedeckten Häuser säumten. Die Wesen dort hielten in ihrer Arbeit inne und beäugten die beiden misstrauisch. Dann begannen sie die Köpfe zusammenzustecken und zu tuscheln. Ein kleiner Junge flitzte zu einer etwas abseits gelegen Hütte und klopfte ziemlich aufgeregt gegen die Haustür.
„Merlin, mach auf… sie sind da!†œ
Als Doc den Namen hörte und sich die Tür öffnete, stand sie wie erstarrt. Das Verhältnis zu ihrem Vater war seit langer Zeit unterkühlt und allein die Tatsache, dass er noch am Leben war, reichte ihr eigentlich. Ein eindrucksvoller, großgewachsener Mann mit schulterlangen dunklen Haaren, Vollbart und geflochtenen Zöpfen an den Schläfen näherte sich ihnen. Er trug wie die anderen auch eine Art Kutte, doch war seine nicht blau, sondern hellgrau. Langsam ging er auf Doc zu. Sie warf einen hilflosen Blick zu Sam, der aufmunternd ihre Hand drückte.
„Jocelyn, wir erwarten euch schon seit gestern. Ailean hat eure Ankunft gesehen.†œ In seinen durchdringenden blauen Augen, die ihren so ähnlich waren, las sie etwas, was sie nicht so recht deuten konnte. Klar, dass er sie nicht herzlich willkommen heißen konnte, sie erkannte den Tadel in seinem Blick. Es war so, als wäre sie gerade von einem Spaziergang zurückgegehrt.
„Merlin, ich bin auch froh, dich zu sehen. Wirklich schön, dass ihr noch alle am Leben seid. Ja doch, es ist auch für mich sehr überraschend, dass ich es noch einmal hierhergeschafft habe. Mir geht†™s wirklich gut, danke der Nachfrage.†œ Den Sarkasmus konnte sie einfach nicht aus ihrer Stimme heraushalten.
„Tut mir leid. Nun, ich denke, wir sollten uns zusammensetzen, kommt, seid meine Gäste.†œ Er wies mit einer Handbewegung auf sein Haus.
„Hier haben wir zu viel Publikum†œ, sagte er so leise, dass nur sie es hören konnten. Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, setzte das Getuschel draußen wieder ein.
„Jocelyn…†œ, setzte der Merlin noch einmal an.
„Jane, Vater, ich heiße, seit ich unter den Menschen lebe, Jane!†œ Er presste die schmalen Lippen zusammen und beäugte sie einen Moment, dann unterzog er Sam einer eingehenden Musterung. Sie setzten sich an den Tisch, der mitten im Raum stand. Ein kleiner Elf brachte ihnen etwas zu trinken.
„Nun dann eben Jane, also, ich bin sehr froh, dass ihr hier seid. Das bedeutet, dass sein Ende sehr nah ist.†œ Kryptische Aussagen, eine Spezialität von ihm, dachte Doc und sah sich in dem Raum um. Nicht viel hatte sich in ihrer Abwesenheit verändert.
„Wovon sprecht ihr?†œ Doc zuckte zusammen als sie Sams Stimme hörte. Sie hatte ganz vergessen, dass er neben ihr saß, so sehr wurde sie von den Erinnerungen an dieses Haus eingenommen.
„Dungeon†œ, fuhr ihr Vater fort und sah ernst zu Sam, „ihr habt die Schachtel und ihr werdet ihn mit den anderen Kriegern vernichten. Wir beobachten das Geschehen in der Welt genau. Ailean, eine meiner Schülerinnen, ist eine ausgesprochen talentierte Seherin. Sie hat nicht nur Visionen, sie kann auch in dem Wasser der Erkenntnis die Gegenwart in eurer Welt sehen. Daher wussten wir, dass ihr hier auftauchen würdet – nur den genauen Zeitpunkt nicht. Und deshalb müsst ihr zurück, um dem ganzen endlich ein Ende zu bereiten. Dungeon hat nur noch einen schwarzen Magier, der treu zu ihm steht. Wenn auch dieser stirbt, dann löst sich endlich der Bann, der uns hier festhält.†œ
„Man, du freust dich ja richtig, dass ich hier bin†œ, platze Doc heraus und verschränkte demonstrativ ihre Arme. So hatte sie sich ihr Wiedersehen nicht vorgestellt!
„Das tue ich wirklich, Jocelyn… Jane. Aber diese Angelegenheit hat nun mal Vorrang. Wenn ihr Dungeon besiegt habt, kannst du hier wieder ein- und ausgehen wie früher, dann ist auch genügend Zeit für ein ausgedehntes Wiedersehen. Aber nicht jetzt. Dungeon versucht unsterblich und unbesiegbar zu werden. Der Magier namens Battle, der noch bei ihm ist, arbeitet an einem besonderen Elixier.†œ
„Ihr habt gesehen, dass wir ihn erfolgreich schlagen?†œ, fragte Doc ungläubig, nippte an ihrem Kräutertee und wünschte sich sofort einen starken Kaffee herbei. Sie hatte den eigenwilligen Geschmack ihres Vaters in Bezug auf Tees vollkommen vergessen.

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„Nein, alles zeigt sich uns nicht, aber wir haben Teile des Kampfes gesehen, und wenn er in diesem Kampf nicht fällt, dann wird er nicht mehr zu vernichten sein.†œ Doc und Sam tauschten einen verständigen Blick.
„Ein Engel als Gefährte ist ein ganz außergewöhnliches Geschenk, mein Kind, wir sehen es als gutes Omen. Nun müsst ihr euch auf den Weg machen.†œ
„Kann uns Ailean vielleicht diese Bilder zeigen?†œ Jane wollte es mit eigenen Augen sehen.
„Wir können es versuchen, aber nur kurz, dann müsst ihr wirklich los, die Zeit drängt!†œ
Ein kleines 8-jähriges Mädchen mit langen, rotgelockten Haaren saß in einem kleinen Vorgarten vor einer schäbigen Hütte und schaute verträumt zum Himmel auf. Als sie Merlin und seine Begleitung bemerkte, sprang sie sofort auf, nickte ihnen wissend zu und verschwand ohne ein Wort in der Hütte. „Das ist Ailean?†œ, fragten Doc und Sam verwundert wie aus einem Mund. Merlin nickte nur und führte sie zu einem steinernen, mit Runen überdeckten Altar, der gleich neben der Tür aufgebaut war.
„Sie kehrt gleich zurück, habt Geduld.†œ Doc gingen tausend Sachen gleichzeitig durch den Kopf bis Ailean mit einer bronzene Schale, in der sich einfaches klares Wasser befand, erschien. Auf dem Grund der Schale waren die gleichen Runen wie auf dem Altar zu sehen. Ailean stellte sie auf den Altar und blickte lange hinein, ihre Augen nahmen einen silbrigen Ton an. Gleichzeitig begann sie leise eine fremdartige Melodie zu summen. Die Wasseroberfläche begann sich zu kräuseln. Gespannt beugten sich Sam und Doc über die Schale und beobachteten, wie sich das Wasser klärte und ein Bild sich heraus kristallisierte. Doc sah jedoch nicht Dungeon oder irgendeine Art Kampfgeschehen. Ihr stockte der Atem. Sie sah ein schmuckloses weißes Zimmer, ein Bett und ihre Kampfschwester Angie. Bewegungslos und totenbleich lag sie mit geschlossenen Augen da.
„Nein, das darf nicht sein!†œ, hauchte Doc entsetzt und eine eiserne Faust umklammerte ihr Herz. Sam legte einen Arm um sie, dann verschwand das Bild und ein neues entstand. Sie sah wie Dungeon in einen Abgrund stürzte und eine Gestalt, die sie nicht erkennen konnte, ihn dabei umklammerte und auf seinen Brustkorb einhieb. Auch dieses Bild löste sich auf und das Wasser wurde wieder klar. Doc und Sam richteten sich wieder auf, als Ailean ein fliederfarbenes Tuch über die Schüssel deckte.
„Angie, oh Gott. Was ist mit ihr? War das die Zukunft?†œ Doc sah das Mädchen fragend an, doch es lächelte nur geheimnisvoll und nahm die Schüssel wieder in die Hand.
„ Vielleicht die Gegenwart? Oder die Vergangenheit? Wenn man bedenkt, dass die Zeit hier anders verläuft, wer kann das schon sagen?†œ Doc war diese kryptische Antwort zu vage.
„Sam, wir müssen sofort zurück! Angie lag in einem Krankenhaus, da bin ich mir sicher. Ich muss wissen, was mit ihr ist und wo sie ist. Vielleicht kann ich… können wir ihr helfen.†œ Doc verschwendete keinen Gedanken mehr an Dungeon oder daran, dass sie in Avalon bleiben wollte. So schön es hier auch war, sie wollte immer fortgehen, um das Leben zu erkunden, studieren, den Fortschritt miterleben, den die Technik und die Wissenschaft brachten. Einzig das ihr der Zugang versperrt war, hatte ihr vorgegaukelt, dass sie hierher gehörte. Jetzt wusste sie es besser. Außerdem konnte sie, wenn der Drachen vernichtet war, nach Belieben wieder herkommen, wenn sie das überhaupt noch wollte. Doch jetzt war nur eines wichtig. Sie blickte zu Merlin.
„Ich verstehe schon, †œ sagte dieser und griff ihr Hände, „ich bitte dich nur darum, dass du wiederkommst. Es gibt noch so vieles zu sagen und zu klären, was zwischen uns steht.†œ Sein trauriger Blick rührte sie und so nickte sie zustimmend. Im Grunde genommen wollte sie ja mit ihm ins Reine kommen, doch das musste jetzt warten. Eine ihrer Schwestern war in Gefahr, und nur das zählte in diesem Augenblick. Merlin begleitete Doc und Sam noch bis zum Portal. Unterwegs kam Doc der Gedanke, dass sie ja gar nicht wusste, wo Angie sich befand. Das konnte überall auf der Welt sein. Doch Sam beruhigte sie.
„Wir fangen auf dem Anwesen an. Duncan wird mehr wissen. Und bevor du fragst, ich weiß wo es liegt. Außerdem haben wir ja noch Ef- Ef. In dem kleinen Dämon steckt mehr als alle vermuten.†œ Der kleine Dämon verschlief unterdessen die ganze Aufregung und Doc hatte auch nicht vor, ihn früher als nötig zu wecken. Eilig verabschiedete sie sich von Merlin und eilte mit Sam zur Höhle zurück. Als sie einen halben Tag später das Portal erreichten, sprach Sam wieder diese fremdartigen Worte und die regenbogenfarbende flirrende Membran erschien. Ohne viel Zeit zu verlieren, Schritten sie hindurch. Ihre Gedanken waren bei Angie. Als sie am anderen Ende von dem Portal ausgespuckt wurden, geriet sie ins Stolpern. Doch Sam hielt sie fest. Sie blickte sich um, wenn sie nicht alles täuschte, waren sie in Stonehenge gelandet. Erleichtert atmete sie auf.

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„Bitte sage mir, dass wir totales Glück haben und dass hier wirklich Stonehenge ist!†œ
„Wo sollten wir denn sonst sein, das riescht man doch!†œ Ef-Ef, der durch die Portalsreise wieder wach geworden war, bedachte Jane mit einem Blick, als ob sie nicht ganz zurechnungsfähig wäre. Dann widmete er sich, vor sich hin meckernd über seine Auszeit, ausgiebig der Fellpflege in Sams Manteltasche
„Er hat Recht, die Wahrscheinlichkeit hier zu landen ist hoch, schließlich ist Stonehenge eine Art Portal-Hauptbahnhof. Wie dem auch sei, wir sollten jetzt weiter.†œ Jane war noch leicht schummrig, aber der Engel hielt sie fest und sah sich in alle Richtungen um.
„Da!†œ, er zeigte nach rechts, „wir müssen nach Norden, dort liegt das Anwesen.†œ Weil Jane immer noch etwas blass aussah, machten sie sich erstmal zu Fuß auf den Weg. Sam brachte Ef-Ef auf den neuesten Stand und Doc hing ihren Gedanken nach. Zu Fuß würden sie ewig brauchen, mit einem Auto einen ganzen Tag. Es war jetzt schon früher Nachmittag und jede Minute zählte.
„Sam, wenn wir fliegen sind wir doch bestimmt schneller, oder?†œ Auf sein zustimmendes Nicken hin, fasste sie sich ein Herz.
„Okay, dann haben wir wohl keine Alternative… und bitte lass mich nicht fallen.†œ Mit großen Augen sah sie zu Sam hoch. Schmunzelnd umfasste er sie.
„Niemals.†œ Da schwang er sich auch schon mit ihr in die Luft. Doc schloss die Augen und versuchte über irgendetwas nachzudenken, nur nicht darüber, dass sie hunderte von Metern über dem Boden war und von Sams starken Armen abhängig. Ob Engel Schwächeanfälle bekamen? Sie verdrängte die aufkeimende Angst und dachte an Angie. Gott, Angie, wenn ihr nun etwas Schreckliches passiert war? Sie hätten sich alle niemals trennen sollen. Auf der Insel hätten sie bleiben sollen, alle zusammen!
„Alles in Ordnung?†œ Sams Stimme an ihrem Ohr holte sie zurück in die Gegenwart.
„Hm, ja, nein, ach ich weiß nicht.†œ
„Schlaf Jane, wir sind bald da. Ich schwöre dir, ich lasse dich nicht fallen, wenn dann stürzen wir zusammen. Schlaf jetzt!†œ Sie wollte noch erwidern, dass es nicht wirklich beruhigend war vom Abstürzen zu sprechen, doch seine Stimme nahm wieder diesen mehrstimmigen Ton an, sie konnte nicht mehr als ein Seufzen von sich geben, als sie von Dunkelheit umhüllt wurde.
Ob Sam sie weckte oder ob es an der unsanften Landung lag, konnte sie später nicht sagen. Es war dunkel und sie lag auf feuchtem Waldboden. Sam auf ihr, und es motzte tüchtig aus der Tasche.
„Mon Dieu, wir müssen mon Angel retten und du zerquetscht mich hier. Isch möschte so nicht sterben. Wer zum Henker hat dir das Landen beigebracht?†œ

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„Ach, sei still!†œ Das war das erste Mal, dass Sam etwas gereizt reagierte. Aber ein Blick in sein Gesicht verriet Doc den Grund. Er war am Ende seiner Kräfte. Keuchend rollte er sich von ihr runter und blieb, alle Viere von sich gestreckt, japsend liegen. Seine samtschwarzen Flügel waren wieder auf magische Weise verschwunden. Sie strich ihm eine Locke aus der Stirn. Er war total durchgeschwitzt und hatte Ringe unter den Augen.
„Sam?†œ Er stieß laut die Luft aus und stand langsam auf. Die Hände auf den Knien abgestützt, sah er sie erschöpft an.
„Ich bin etwas aus der Puste, auch wenn du wirklich eine tolle Figur hast, du bist ganz schön schwer! Zum Glück hab ich es bis hierhin geschafft.†œ Da war er wieder. Schief grinste er sie an.
„Pfff. Schwer!†œ Doc stand lächelnd auf und klopfte sich den Dreck ab.
„Ist das Anwesen unterirdisch?†œ
„Nein.†œ Sam ging in Richtung der kleinen Schotterstraße die von der Baumgruppe aus zu sehen war und legte auf den vordersten Baumstamm seine Hand. Wenig später erschien ein Tor, das von einer gigantischen Mauer gesäumt wurde. Doc hatte kaum Zeit dieses wunderschöne Kunststück zu betrachten, denn da öffnete es sich. Als sie hindurchtraten, musste sie für einen Augenblick innehalten. Ein Park erstreckte sich vor ihnen, dahinter befand sich das gigantische Anwesen, das sich in mehrere Einheiten unterteilte. Zögernd blickte sie den Engel an. Sam zeigte in Richtung eines weiter entfernt liegenden grauen zweistöckigen Gebäudes.
„Dort sind die Quartiere der Ordensmitglieder.†œ Kaum hatte er es ausgesprochen, lief Doc an einem großen schwarzen Stein vorbei quer durch den Park. Für die genauere Erkundung ihrer Umgebung, war jetzt keine Zeit. Sei hatte ihr Ziel fest im Blick. Sam strauchelte ihr hinterher, konnte aber noch erstaunlich gut Schritt halten. Da sich an der Tür, über der eine schwarze Orchidee angebracht war, keine Klingel befand, hämmerte Doc mit der Faust dagegen.
„Aufmachen†œ, schrie sie und rüttelte am Türknopf, aber nichts bewegte sich. Sie wollte schon Anlauf nehmen und mit der Schulter dagegen rammen, da öffnete eine streng aussehende, verwirrt guckende ältere Dame die Tür. Doc rannte mit Schwung hinein, kam schlitternd zum Stehen.
„Hi, Angie? Wo ist sie? Ist sie hier? Ich muss sofort zu ihr.†œ Sam betrat kurz nach ihr die Eingangshalle, wischte sich über die Stirn und wandte sich an die verwirrt blickende Frau. „Mary, richtig?†œ Die Frau nickte und musterte Sam. Wiedererkennen glomm in ihren Augen auf, dann lächelte sie herzlich.
„Sam! Wir dachten du wärst…†œ sie brach ab. Blickte wieder Doc an, die unruhig hin und her schaute.
„Die beiden sind oben, aber sie können jetzt unmöglich zu ihnen.†œ Doc erspähte die große Freitreppe, die ins obere Stockwerk führte, sprang an Mary vorbei und lief darauf zu. Zwei Stufen auf einmal erklimmend, rannte sie nach oben als ob der Leibhaftige hinter ihr her wäre. Sie gelangte auf einen Flur und sah sich um. Beide Seiten waren von gleich aussehenden dunklen Holztüren gesäumt, auf denen Namen standen. Ihr Blick wanderte nach links auf die erste Tür.

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Volltreffer! In mittelalterlich anmutenden Lettern stand dort Duncan Thorpe. Sie hörte Sam diskutierend die Treppe heraufkommen, gefolgt von der Frau namens Mary, die versuchte, ihn und auch Doc von ihrem Vorhaben abzubringen. Beherzt griff Doc an den Türgriff, drehte den Knauf und stieß die Tür auf. Schwungvoll knallte sie an die Wand. Was würde sie erwarten? Mit einem Knoten im Magen betrat sie den Raum. Überrascht blickte sie auf das Sofa.
„ANGIE! Du lebst ja noch!†œ Duncan erhob sich aus seiner beschützenden Haltung, er dachte eindeutig, eine Gefahr wäre im Anmarsch. Die Hände in die Hüften gestemmt, baute Doc sich vor Angie auf.
„Du kannst dir gar nicht vorstellen was ich mir für Sorgen um dich gemacht habe, ich dachte, du wärst schwer krank oder schlimmer noch. Ich habe dich und Duncan in so einem kahlen Raum liegen sehen, ihr habt beide keinen Mucks gemacht.†œ Angie sprang auf und fiel ihr um den Hals.
„Jane, wo kommst du denn her?†œ Dann warf sie einen interessierten Blick nach auf Sam und schaute Doc wieder an. Vor lauter Erleichterung und Wiedersehensfreude fingen beide an zu kichern. Sam, der alles vom Flur aus beobachtet hatte, täuschte noch Anstand, klopfte an den Türrahmen und trat vorsichtig ein.
Duncan konnte kaum glauben, wen er da vor sich sah.
„Ich fasse es nicht.†œ Freudig ging er auf Sam zu. Die beiden schüttelten die Hände und klopften sich auf die Schultern.
„Lange ist es her. Ihr kommt gerade recht, heute Abend ist hier eine kleine Feier. Morgen ist dann eine Besprechung darüber, wie wir weiter in Sachen Dungeon vorgehen. Ich gehe doch recht in der Annahme, dass du deshalb auch aus der Versenkung aufgetaucht bist?†œ Sam warf einen Blick auf Jane, die sich mit Angie auf das Sofa gesetzt hatte und sich aufgeregt mit ihr unterhielt.
„Ja das ist einer der Gründe. Jane und ich haben auch Etwas, das uns dabei helfen wird.†œ Duncan zog eine Braue hoch, nickte dann aber einfach nur.
„Ich habe noch einen guten Whisky unten, lassen wir die beiden doch allein und du erzählst mir alles in Ruhe.†œ

Ende

Fortsetzung folgt …

Kapitel 2: Seitensprung der Sisterhood – Engelsduft

Kapitel 1: „Seitensprung der Sisterhood – Doc Jane in geheimer Mission“ findet sich hier!

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Seitensprung der Sisterhood – Verschwörung

Seitensprung der Sisterhood

Kapitel 4
Verschwörung

Auf dem Weg ins Apartment war das Prickeln komplett verschwunden, und als ich mich umgezogen hatte und mich zum Training aufmachte, hatte ich diese Episode fast schon wieder vergessen.
Um diese Zeit war in dem Trainingszentrum kaum jemand, und so hatte ich den Raum mit den neuesten Fitnessgeräte, die der Markt zu bieten hatte, für mich alleine. Aber schon nach gut einer Stunde hatte ich genug und beschloss in den angrenzenden Trainingsraum mit den Waffen zu wechsel. Doch diesmal reizten mich die schönen Schwerter und Messer nicht, und ich legte sie nach einiger Zeit wieder lustlos an ihren Platz zurück. So alleine wirkte der Raum ein bisschen trostlos auf mich. Ich machte mich wieder auf den Weg zurück zum Haus, um unter die Dusche zu springen. Vielleicht waren die Jungs schon wieder zurück? Ich rannte fast die letzten Meter. Doch im Haus war niemand bis auf Mary, die in der Küche werkelte. Nachdem sie mein freundliches Angebot, ihr bei den Vorbereitungen für das Abendessen zu helfen, rigoros abgelehnt hatte und mich energisch aus der Küche schob, setze ich mich an den großen Tisch und trank den Kaffee, den Mary mir mit einem vielsagendem Blick vor mich hinstellte, bevor sie die Küchentür wieder resolut hinter sich schloss. Nachdenklich rührte ich in meinem Kaffee und beobachtete die Eingangstür. Duncan fehlte mir. Diese Warterei zerrte ganz schön an meinen Nerven. Um sie irgendwie zu überbrücken und mich abzulenken, ging ich endlich nach oben, duschte mich und zog mein neues rotes Strickkleid an. Polly und ich hatten es in einem der kleinen Läden in der Zwergenstadt entdeckt. Nachdem sie mir versichert hatte, dass ich darin zum Anbeißen aussah, hatte ich es gekauft. Ich drehte mich lächelnd vor dem großen Spiegel und konnte ihr nicht wiedersprechen. Duncan kannte es noch nicht. Ich war schon sehr auf seine Reaktion gespannt. Das Kleid lag schön eng an und umspielte meine Knie. Der ausladende Schalkragen zeigte mehr als er verhüllte und zeichnete ein schönes Dekolleté. Doch auch meine kleine Modenschau hielt mich nicht davon ab, immer wieder zum Fenster zu laufen um nach ihm Ausschau zu halten.
„Angie, du bist erbärmlich!†œ, sagte ich laut zu meinem Spiegelbild.
„Duncan ist doch erst ein paar Stunden weg. Lange kann es ja nun nicht mehr dauern, bis er wieder da ist.†œ Seufzend nickte ich mir zu und verschränkte die Arme. Wir waren noch nie so viele Stunden voneinander getrennt, seit wir zusammen waren. Fast einen ganzen Tag ohne ihn war kaum auszuhalten. Es wurde langsam dunkel. Mit einem letzten Blick durch das Schlafzimmerfenster, das direkt über dem Eingang lag, schlenderte ich durch das Wohnzimmer und bemerkte dabei zufällig, dass das kleine Kästchen auf dem Schreibtisch offen stand. Oh! Da lag ein Foto von mir drin. Lächelnd nahm ich es in die Hand, um es mir genauer anzusehen. Das musste bei unserer Ankunft auf der Seraphim aufgenommen worden sein. Auf der Rückseite waren zwei Daten geschrieben. Einmal unser Ankunftsdatum und das zweite nur wenige Tage später. Mh, das war aber merkwürdig. Doch dann hörte ich unten die Eingangstür und legte das Bild schnell wieder an seinen Platz zurück. Endlich, er war wieder da! Mein Herz machte einen Satz. Erleichtert flog ich fast die Treppe herunter, stürzte mich in Duncans ausgebreitete Arme und ließ mich von ihm ausgiebig umarmen und küssen.
„Ihr seid aber lange weg gewesen. Oh Duncan, ich habe dich so vermisst†œ, murmelte ich und schmiegte mich noch dichter an ihn. Meine Lippen liebkosten seinen Hals.
„Aber ich habe dir doch eine SMS geschrieben… und nicht nur eine. Tiago und Jean wollten noch unbedingt in die Stadt†œ, sagte Duncan und strich mir liebevoll meine Haare aus dem Gesicht. Mist! Ich hatte mein Handy ausgeschaltet, als ich zu Shadow ging und vergessen es wieder einzuschalten. Ich suchte gerade nach einer Ausrede, als die Tür aufging und Tiago und Jean schwer beladen mit Tüten und Paketen eintraten. Tiago ließ stöhnend einen Teil seines Balast einfach an Ort und Stelle fallen und fixierte Duncan mit finsterer Miene.
„Danke Tiago, dass du den Wagen zu Henry gebracht hast und meine Einkäufe, die nebenbei bemerkt eine Tonne wiegen, mit hierher geschleppt hast. Ich konnte es ja nicht abwarten zu meiner Angie zu kommen.†œ Empört drehte er sich dann zu mir und beschwerte sich.
„Meine liebe Angie, dein Duncan war die absolute Spaßbremse! Bei George war ja noch alles in Ordnung, aber in der Stadt hat er dann den nach- seiner- Gefährtin-Angie- jammernden Vampir raushängen lassen und uns durch die Läden gescheucht. Der Himmel möge mich in Zukunft vor gebundenen Vampiren bewahren!†œ Duncan sah mich ein bisschen schuldbewusst an und strich sich durch seine Haare.

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„Hör nicht auf den Wolf, der übertreibt mal wieder maßlos.†œJean, der Tiago Richtung Treppe schob, zeigte anklagend auf Duncan, zog seine Stirn kraus und sagte im Vorbeigehen:
„Tut er nicht. Wenn es nach dir gegangen wäre, hätten wir unsere Shoppingtour vorzeitig abgebrochen. Und wir beide müssen uns mal dringend über deinen mörderischen Fahrstiel unterhalten, Vampir! Aber erst, wenn meine Nackenhaare wieder unten sind!†œ Ich musste mir auf die Backe beißen, um nicht laut loszulachen. Kopfschüttelnd zogen die Beiden ab nach oben. Duncan schickte ihnen einen letzten grimmigen Blick hinterher, dann bückte er sich und hob grummelnd die Tüten auf. Als er wieder hochkam, musterte er mich langsam von oben bis unten. Sein Mund verzog sich zu einem verruchten Lächeln, seine Augen begannen zu glitzern und mit einem tiefen Knurren ließ er die Tüten wieder fallen, hob mich blitzschnell hoch und trug mich im Laufschritt die Treppe rauf. Breit grinsend drückte ich meinen Kopf an seine Brust und lauschte seinem schnellen Herzschlag.
„Du hast mich auch vermisst!†œ
Den nächsten Tag wollten wir zusammen verbringen, doch nach dem Frühstück erhielt Duncan einen Anruf von Demetri, der ihn bat eine Schulungsstunde abzuhalten. Er hielt den Hörer zu und sah mich entschuldigend an.
„Es tut mir so leid, mein Herz, aber ich kann ihm schlecht absagen.†œ Beruhigend nickte ich ihm zu. Eine Stunde oder zwei war kein Problem, wir hatten ja noch den Rest des Tages für uns. Außerdem wusste ich, wo ich dann sein würde und winkte ab.
„Ist schon okay, es wird ja nicht so lange dauern.†œ Duncan sagte ihm also zu und machte sich auch gleich auf den Weg zum Unterricht. Tiago und Jean waren auf einem Kurztrip nach Glasgow. Ich hatte somit freie Bahn für einen weiteren Besuch bei Shadow. Um mein mittlerweile doch aufkeimendes schlechtes Gewissen zu beruhigen, nahm ich mir vor, Duncan später von meinen Besuchen bei Shadow zu berichten. Ich freute mich auf ihn, sein sympathisches Wesen, seine Geschichten, der Tee, und selbst der Schatten auf seinem Gesicht hatte mittlerweile etwas Vertrautes für mich.
Lächelnd schloss ich die Geheimtür hinter mir und betrat voller Vorfreude den großen Saal. Doch diesmal wartete Shadow nicht an der Tür auf mich. Abrupt blieb ich stehen und sah mich misstrauisch um. Die Atmosphäre hier unten hatte sich kaum merklich verändert. Eine seltsame Spannung lag in der Luft. und ich konnte Shadow auf den ersten Blick nirgends entdecken.
„Shadow?†œ Er antwortete sofort.
„Hier, Angie. Ich bin hier!†œ Er saß in seinem Lehnstuhl und studierte gerade einige Papiere, die er, als ich mich ihm näherte, schnell an Mythos weiter gab. Dieser ließ die Papiere hastig in einer schwarzen Mappe verschwinden und lächelte mir zur Begrüßung flüchtig zu, während er die Mappe auf den Teewagen legte. Das schienen ja mächtig geheime Dokumente zu sein. Ich lächelte vorsichtig und setzte mich auf das Sofa.
„Hallo, ihr Zwei. Wichtige Geschäfte?†œ Shadow zuckte nur mit den Schultern und verzog seine Lippen minimal zu einem leichten Lächeln.
Mythos wich meinem Blick aus. Er goss mit ernster Miene den Tee ein, verteilte die Tassen und stellte sich dann hinter Shadow. Auffordernd drückte er mit einer Hand leicht dessen Schulter und sagte leise:
„Es ist an der Zeit.†œ Shadow legte seine Hand auf die von Mythos und erwiderte seufzend:
„Ich weiß, mein Freund.†œ So langsam wurden mir die beiden unheimlich. Angespannt blickte ich zwischen ihnen hin und her und fragte:
„Ist etwas passiert?†œ Shadows Mundwinkel hoben sich etwas, er antwortete sofort.
„Nein, nein, nichts ist passiert, keine Angst Angie. Aber…†œ Er stockte und atmete dann tief durch.
„Angie, ich möchte dir eine Geschichte erzählen. Doch vorher musst du mich bitte ansehen.†œ Er beugte sich vor.
„Bitte nicht erschrecken….†œ
Was kam denn jetzt? Oh, sein Gesicht! Der Schatten, der es bisher bedeckt hatte, löste sich vor meinen Augen in Nichts auf, und ich sah endlich in sein komplettes Gesicht! Ich hatte ja vermutet, dass es durch Narben verunstaltet oder zerstört war, aber nein, nichts dergleichen… es war makellos! Ich konnte nicht anders, als ihn mit großen Augen gründlich mustern. Keine noch so kleine Narbe verunstaltete sein schönes Gesicht.

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Seine etwas kantigen, ebenmäßigen Züge, die hohen Wangenknochen, die etwas große gerade Nase – alles war perfekt und ganz normal! Erst jetzt bemerkte ich das Grübchen in seinem Kinn, das mir vorher nicht aufgefallen war. Nur seine Augen irritierten mich etwas. Die Farbe war so schwer zu definieren. Es schien, als wollten sich seine Augen nicht festlegen. Der Wechsel zwischen den einzelnen Farben war fließend, von einem klaren Azurblau zu einem wunderschönen Smaragdgrün bis zu einem tiefen, warmen Schokoladenbraun. Im Moment schimmerten sie wie flüssiges Silber und so blieben sie auch, als er mich mit einem erwartungsvollen Gesichtsausdruck ansah, so, als würde er mit einer bestimmte Reaktion von mir rechnen. Doch ich konnte nichts Außergewöhnliches an seinem Gesicht entdecken, außer, dass mir die Gesichtsform vage bekannt vorkam, aber sonst? Bis auf seine eigenartigen Augen… nichts.
„Danke, dass du mir dein Gesicht endlich zeigst, aber warum der Schatten? Oh, ich verstehe… Geheimnisse?†œ Ich zwinkerte ihm belustigt zu und bekam von ihm ein zögerliches Nicken und ein erleichtertes Lachen als Antwort.
„Sozusagen. Aber nun zu meiner Geschichte.†œ Er lehnte sich mit einem Seufzen zurück und lenkte meine Aufmerksamkeit mit einer Handbewegung auf das Bild, was immer noch verhüllt über dem Kamin hing. Auf einmal sah er so traurig und einsam aus, dass ich mich zwingen musste, um nicht aufzuspringen und ihn zu umarmen und zu trösten. Ich nahm stattdessen einen Schluck Tee und wartete geduldig und sehr neugierig ab, was es mit dem Bild auf sich hatte. Shadow fing auch sogleich mit leiser Stimme an zu erzählen.
„Vor vielen Jahren kam ich auf einer meiner seltenen Reisen durch Amerika und begegnete einer jungen hübschen Frau. Sie war ein Mensch. Trotzdem verliebte ich mich sofort in sie und erkannte in ihr meine Gefährtin. Sie war alles für mich, mein Leben, meine Seele… alles. Nach so vielen Jahren hatte ich schon fast die Hoffnung aufgegeben, meine Seelengefährtin zu finden. Dann ist es einfach so passiert und sie liebte mich auch. So nahm ich sie mit hierher.†œ Er biss sich auf die Lippen und sah einen Moment geistesabwesend in die Flammen des Kamins. Ich merkte, wie ihn die Erinnerung bedrückte und flüsterte:
„Shadow, du musst mir die Geschichte nicht erzählen. Ich merke doch, wie sehr dich das belastet.†œ Doch er gab sich einen Ruck, sah mich mit einem wehmütigen Lächeln an und fuhr fort.
„Doch, ich muss. Nein, ich will es sogar. Ich nahm sie also mit auf das Anwesen und war bereit sie endgültig zu meiner Gefährtin zu machen. Ich hätte alles für sie getan, ihr die Welt zu Füßen gelegt, sogar mein Leben für sie gegeben. Ich überhäufte sie mit Geschenken und Schmuck, ich gab ihr alles, was sie verlangte. Doch sie war sehr jung und lebenshungrig. Ich habe mich von ihrer Schönheit und Lebensfreude blenden lassen und erkannte zu spät, wie flatterhaft, oberflächlich und eitel sie doch eigentlich war. Am Vorabend unserer unwiderruflichen Vereinigung verschwand sie. Sie hinterließ mir einen Brief in dem sie mir mitteilte, dass ich nicht der Richtige für sie war.†œ Er lachte bitter auf.
„Sie könnte hier nicht leben, so fernab jeglichen Vergnügens und ohne Sonne. Ich würde schon jemand anderen finden, der dieses hier zu schätzen wüsste. Sie wäre auf keinen Fall bereit, alles für mich aufzugeben, und wäre somit auch nicht die Gefährtin, die ich in ihr sah. Sie hätte genug von mir, und würde nun weiterziehen. Es wäre auch zwecklos, sie zu suchen, es wäre aus und vorbei.†œ
„Mein Gott, wie herzlos und grausam kann man denn sein?†œ, entfuhr mir spontan. Er lächelte kurz, ließ sich aber durch meinen Einwurf nicht weiter unterbrechen.
„Zuerst war ich am Boden zerstört und verzweifelt. Ich suchte die Schuld bei mir und wollte sie suchen, sie auf den Knien anflehen zu mir zurückzukehren. Mythos konnte mich nur mit Mühe davon abhalten.†œ Mythos grinste schief und nickte nur. Shadow Blick wurde ernst, als er weitersprach.
„Ich ging damals durch die Hölle. Dann empfand ich nur noch Hass, der sich im Laufe der Jahre in Gleichgültigkeit umgewandelt hat. Manchmal schmerzen die Erinnerungen noch ein wenig, aber ich bin darüber hinweg.†œ In seiner Stimme schwang neben seiner Traurigkeit ein klein wenig Stolz. Dann beugte er sich lächelnd zu mir.
„Du bist ganz anders. Du bist so warmherzig und mitfühlend, so liebevoll und selbstlos. Ein bisschen chaotisch vielleicht†œ, zwinkerte er mir belustigt zu, „aber du hast ein gutes Herz.†œ Oh, oh, jetzt nahm das Gespräch aber eine Wendung an, die ich so nie gewollt hatte. Ich begann mich etwas unbehaglich zu fühlen und überlegte meine nächsten Worte ganz genau, da ich ihn auf keinen Fall verletzen wollte.

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„Shadow, ich mag dich ja auch, aber…†œ Himmel, hilf mir, ich wusste einfach nicht weiter! Hilflos sah ich ihn an. Rasch hob er beruhigend eine Hand und sah mich fast bestürzt an.
„Oh nein, Angie, so meinte ich das nicht. Ich weiß, dass Duncan dein Gefährte ist und ihr beide euch liebt.†œ Na Gott sei Dank! Mir fiel ein Stein vom Herzen. Warum erzählte er mir das dann alles? Argwöhnisch musterte ich sein Gesicht, das mir immer noch bekannt vorkam, ich aber einfach nicht einordnen konnte. Da war doch noch mehr! Die ganze Sache wurde immer rätselhafter. Auf einmal begann in meinem Hinterkopf eine Alarmglocke leise zu läuten. Fragend sah ich Shadow an. Der schien meine Unsicherheit und Besorgnis zu spüren und gab Mythos schnell ein Zeichen. Dann deutete er auf das Bild.
„Ich möchte sie dir zeigen. Sieh, das ist meine Audrey.†œ Ich stand auf und drehte mich neugierig zu dem Bild. Als Mythos den Vorhang durch irgendeinen versteckten Mechanismus beiseiteschieben ließ, sah ich endlich das Porträt der Frau, die Shadow das Herz gebrochen hat. Sekundenlang starrte ich es entgeistert an, dann drehte ich mich zu ihm um.
„Was… oh mein Gott! Die Frau auf dem Bild ist meine Mutter!†œIch war zwar noch ein Baby, als sie mich zu Gwen gebracht hatte und konnte mich demnach nicht mehr an sie erinnern, aber zu Hause in Salem hing fast das gleiche Bild von ihr.
„Ich wei߆œ, sagte Shadow leise mit einem warmen Lächeln und beobachtete mich genau. Verstört blickte ich in seine silbrigen Augen. Meine Knie zitterten so sehr, dass ich mich auf das Sofa fallen ließ. Alles war so unwirklich, und meine Gedanken überschlugen sich. Er hatte mich noch nie vorher gesehen, er kannte mich doch gar nicht, also woher konnte er das wissen? Die Sache wurde immer mysteriöser. War mir etwas Entscheidendes entgangen?
„Aber… ich verstehe überhaupt nichts mehr… ich meine, du….†œ Mein Gestammele brachte mich auch nicht weiter und meine Verwirrung nahm noch zu, als er behutsam meine Hand nahm, sie fest umschloss und mir tief in die Augen sah.
„Du wirst es gleich verstehen.†œ Als sich unsere Hände berührten, war es wieder da, dieses merkwürdige Prickeln. Es war nicht unangenehm, im Gegenteil, es hatte etwas Vertrautes, Warmes an sich. Und da war noch mehr. Ich konnte ein Band zwischen uns fühlen. Überrascht starrte ich ihn an.
„Was ist das?†œ Fast euphorisch flüsterte er:
„Du kannst es auch fühlen, nicht wahr? Das Blutsband, was uns verbindet?†œ
Fassungslos versuchte ich meine Hand zu befreien, doch Shadow hielt sie eisern fest. Die Erkenntnis traf mich plötzlich wie ein Blitz! Ich wusste, woher ich sein Gesicht kannte! Ich sah es jeden Tag… in meinem Spiegel! Ruckartig entzog ich ihm meine Hand und sprang auf.
„Was soll das alles? Versuchst du mir gerade zu sagen, dass wir verwandt sind? Dass du womöglich mein Vater bist?†œ Er nickte ernst, und Mythos reichte mir stumm eines der vermeintlichen Geschäftspapiere, die er schnell aus der schwarzen Mappe gezogen hatte. Es war ein Laborbericht über eine DNA Analyse, die meinen Namen trug. Meine DNA! Sprachlos las ich den letzten Absatz. Es stimmte, hier stand es schwarz auf weiß! Shadow, der Gründer und Dämonenkönig war mein Vater. Mythos räusperte sich.
„Shadow ist sehr misstrauisch, deshalb wollte er auf Nummer Sicher gehen und hat die DNA, die Sie auf Excalibur hinterlassen haben, sofort überprüfen lassen. Sie erinnern sich? Sie haben es bei ihrer ersten Begegnung angefasst. Er hat es mit eigenen Augen gesehen, er hätte keine andere Probe gelten lassen.†œ Na da war aber einer sehr gründlich und genau, dachte ich bitter. Ich umklammerte immer noch das Papier und setzte mich wieder. Es war einfach unglaublich! Vor mir saß der Mann, den ich mein Leben lang kennenlernen wollte, der mich gleich nach meiner Geburt im Stich gelassen hatte, dem ich alles Mögliche an den Kopf werfen wollte, wenn ich ihn jemals finden würde. Ich hatte mir die Worte in meiner Fantasie schon tausendmal zurecht gelegt, falls ich ihm endlich gegenüber stand. Doch sie waren auf einmal wie weggewischt. Widersprüchliche Gefühle tobten in mir, und ich wusste einfach nicht, was ich zu ihm sagen sollte. Oder doch! Plötzlich kam meine Verbitterung wieder in mir hoch und ich funkelte ihn an.
„Verdammt noch mal, was erwartest du jetzt von mir? Soll ich dir um den Hals fallen und dich Daddy nennen? Solange ich denken kann, habe ich mir einen Vater gewünscht, der mich liebt, zu dem ich aufblicken konnte. Meiner Mutter war ich egal, sie hat mich einfach weggegeben wie ein lästiges Anhängsel.

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Und als ich alt genug war, wollte ich den Mann kennenlernen, dem ich so verdammt gleichgültig war, der sich nicht einen Deut für meine Existenz interessierte. Jahrelang habe ich nach dir gesucht, um dir zu sagen, was ich von dir halte! Aber irgendwann habe ich aufgegeben und mich damit abgefunden, weil es mir so sinnlos erschien…. †œ Shadow unterbrach meinen hitzigen Ausbruch.
„Oh Angie, es tut mir so unendlich leid! Ich konnte doch nicht ahnen, dass es dich gibt. Ich habe es einfach nicht gewusst.†œ Normalerweise hätte mich sein beschwörender Tonfall erschüttert, aber was war hier schon normal? Und was hieß hier ‚nicht gewusst†˜? Eine dämlichere Ausrede war ihm wohl nicht eingefallen! Da schoss mir ein anderer, sehr entscheidender Gedanke durch den Kopf. Warum jetzt? Warum dann ausgerechnet jetzt, nach so vielen Jahren? Wie hat er mich überhaupt gefunden? Das kann doch alles kein Zufall sein! Mythos sah vor sich auf den Boden und murmelte kaum hörbar:
„Duncan hat uns gewarnt! Er wusste, was passieren würde.†œ Was? Aufgebracht fuhr ich ihn an.
„Duncan? Was hat er denn damit zu tun?†œ Als ich in ihre betretenen Gesichter sah, kam mir ein furchtbarer Verdacht.
„Oh nein! Das ist nicht wahr! Duncan kann nichts davon gewusst haben. Das würde er mir nie antun!†œ Ich sprang auf und ballte meine Fäuste. Hatte der ganze Wahnsinn hier noch eine Fortsetzung? Shadow erwiderte meinen zornigen Blick und versuchte mich zu beruhigen, indem er meine Hand nahm.
„Angie, bitte beruhige dich doch. Er hat doch nur in meinem Auftrag gehandelt, er….†œ Shadow stockte, und es fiel ihm sichtlich schwer weiter zu sprechen, doch ich ließ ihm gar keine Chance. Ich schüttelte erbost seine Hand ab.
„Das glaube ich nicht! Von welchem Auftrag redest du? Halt! Sag nichts mehr. Diese Geschichte, oder was es auch immer sein soll, Lüge, Wahrheit, Hirngespinste, das soll er mir selbst sagen. Und wagt es ja nicht, mir zu folgen!†œ Mit einem letzten wütenden Blick auf Mythos, der Shadow am Arm zurückhielt, drehte ich mich um und lief so schnell ich konnte zur Tür. Wütend schlug ich auf den Schalter ein. Ging diese verdammte Tür immer so langsam auf? Ungeduldig zerrte ich sie auf und rannte so schnell ich konnte nach oben, immer wieder vor mich hin betend, dass es bitte nicht wahr war. Oh Gott, bitte lass ihn nichts damit zu tun haben. Bitte! Mittlerweile liefen mir vor Wut und Verzweiflung die Tränen übers Gesicht, und ich hätte fast die falsche Kombination gedrückt. Gereizt wischte ich mir die Tränen ab und konnte sie erst nach dem zweiten Anlauf öffnen. Hoffentlich war er schon wieder oben im Apartment.

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Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stürmte ich die Treppe hoch und biss mir dabei auf die Unterlippe. Doch das merkte ich erst, als ich den metallic süßen Geschmack von meinem eigenen Blut im Mund wahrnahm. Unbeherrscht riss ich dir Tür auf und schmetterte sie hinter mir zu. Ich bekam kaum noch Luft und blieb schweratmend mit dem Rücken zur Tür stehen. Duncan war schon da. Er kam gerade aus dem Bad und trocknete sich seine Hände ab. Lächelnd kam er auf mich zu, doch als er meinen desolaten Zustand sah, warf er das Handtuch achtlos auf die Erde.
„Angie! Um Gottes Willen, was ist passiert?†œ Besorgt stürmte er auf mich zu, doch ich hob sofort abwehrend beide Hände.
„Stopp! Keinen Schritt weiter!†œUngläubig blieb er stehen und sah mich verwirrt an.
„Was…?†œ
Konfus und aufgewühlt wie ich war, legte ich gleich los.
„Sag, dass es eine Lüge ist! Sag, dass du nicht gewusst hast, dass Shadow mein Vater ist. Dass du keine Ahnung von dem ganzen Wahnsinn hattest, sag, dass du mir so etwas nicht verschwiegen hättest, mir das nie antun würdest, sag es! BITTE!†œ Selbst in meinen Ohren klang meine Stimme schrill, als ich ihm die Worte entgegen schrie. Aber ich konnte mich nicht zurückhalten. Im ersten Moment sah er mich verdattert an, dann schien er zu begreifen, was mit mir los war. Seufzend schüttelte er langsam seinen Kopf, streckte seine Arme hilflos aus und sah mich traurig an.
„Tut mir leid, Angie, aber das kann ich nicht.†œ
Fassungslos starrte ich ihn an. Es stimmte also! Ich hätte ihn in diesem Augenblick erwürgen können. Ich wollte ihm wehtun, etwas zerschlagen oder an die Wand werfen, doch meine Wut brach in sich zusammen und machte Platz für eine tiefe Verzweiflung. Oh nein, wie konnte er nur! Ich brachte nur einen erstickten Laut hervor, der mehr nach einem Schluchzen klang. Vor Entsetzten schlug ich eine Hand vor den Mund. Mir wurde eiskalt und in meinem Kopf herrschte das totale Chaos, vor meinen Augen begann sich alles zu drehen. Der Fußboden bewegte sich in großen Wellen und die Wände kamen schwankend auf mich zu. Das Letzte was ich sah, war Duncan, der mich mit einem lauten Fluch auffing, bevor ich auf dem Boden aufschlagen konnte – dann wurde alles schwarz.
Ich musste nur kurz ohnmächtig gewesen sein, denn als ich wieder zu mir kam und die Augen öffnete, legte Duncan mich gerade vorsichtig auf das Sofa. Er beugte sich besorgt über mich und strich unaufhörlich mit seiner Hand über mein Gesicht und meinen Kopf.
„Bitte, Angie… so sag doch was!†œ Mühsam rappelte ich mich auf, schob seine Hand weg und befreite mich von ihm. Ich konnte seine Berührungen im Moment nicht ertragen, nicht, bis alle Fragen beantwortet waren. Vorsichtig setzte ich mich auf und hoffte dabei, dass die Wände blieben wo sie hingehörten und rutschte in die äußerste Ecke, weit weg von ihm. Er sah immer noch sehr besorgt aus, kniete sich aber mit ein bisschen Abstand zu mir vor das Sofa und streckte seine Hände vorsorglich nach mir aus.
„Langsam. Geht es dir besser?†œ Ich nickte. Doch dann schüttelte ich heftig den Kopf.
„Nein, natürlich geht es mir nicht besser, was glaubst du denn?†œDuncan setzte sich seufzend in den Sessel mir gegenüber und beobachtete mich immer noch besorgt. Ich starrte in den Kamin und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Die ganzen Puzzleteile in meinem Kopf tanzten wie wild durcheinander. Ich wollte endlich Klarheit, auch wenn es noch so weh tun würde.
„Wie lange weißt du, dass Shadow mein Vater ist?†œIch konnte ihn bei der Frage nicht ansehen. Ich konnte es einfach nicht und starrte weiter in den Kamin. Irgendwie hoffte ich immer noch auf einen Irrtum und knetete nervös meine Hände auf meinem Schoß. Seine Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
„Bevor ich auf das Schiff kam.†œ
Oh mein Gott. Ich zog meine Beine an und stützte mein Kinn auf die Knie. Es war schlimmer als ich dachte.
„Und was … er hat etwas von einem Auftrag gesagt. Was meinte er damit?†œ, fragte ich ihn ganz leise, drehte mich zu ihm und sah ihn direkt an. Ich bemerkte sein Zögern, und dass er meinem Blick auswich, aber jetzt war endgültig Schluss mit Ausflüchten und Heimlichkeiten.
„Duncan! Verdammt nochmal, ich habe ein Recht auf die Wahrheit!†œ Er nickte endlich und fuhr sich mit einer Hand über sein Gesicht. Sein Blick war todernst, als er mir antwortete.

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„Ich weiß, ich habe viel zu lange damit gewartet.†œ Er presste kurz seine Lippen zusammen, dann rückte er schließlich mit der Wahrheit raus.
„Als ihr damals zu uns an Bord der Seraphim gekommen seid, haben wir euch natürlich überprüft. Mythos fiel sofort die Ähnlichkeit zwischen dir und Shadow auf. Er ging mit deinem Bild direkt zu ihm. Keiner konnte sich das zunächst erklären. Dann begann Mythos auf Shadows Anordnung hin Nachforschungen anzustellen. Natürlich sehr diskret, er hat da so seine Quellen und Verbindungsleute. Jedenfalls stand für Shadow nach kurzer Zeit fest, dass du seine Tochter sein musstest. Um ihm den endgültigen Beweis zu liefern, solltest du hier zu dem Anwesen gebracht werden, damit dir hier eine DNA Probe entnommen werden konnte. Shadow ist so verflucht misstrauisch.†œ Duncan sah mich eindringlich an und seufzte tief.
„So kam ich ins Spiel. Da ich sowieso auf das Schiff sollte, um euch im Kampf gegen die roten Drachen zu unterstützen, gab er mir zusätzlich den Auftrag, dich hierher auf das Anwesen zu bringen.†œ Unfassbar! Das war die verrückteste Geschichte, die ich je gehört hatte! Ich konnte nicht anders, als ihn verächtlich anzustarren.
„Und wie viel hat er dir dafür bezahlt, damit du mich bei ihm ablieferst?†œ Ich kam mir vor wie eine Ware, ein Packet. Er protestierte sofort.
„Natürlich nichts! Angie, bitte, versteh´ mich nicht falsch, aber ich stand in seiner Schuld. Mein Bruder Liam steckte in Schwierigkeiten. Shadow hat ihm da rausgeholfen, vielmehr mir dabei geholfen, ihn aus einer prekären Situation zu befreien. Liam erledigt ab und zu kleinere Aufträge für den Orden. Er ist zwar kein Mitglied, hilft aber schon mal aus, wenn keiner von den Brüdern zur Verfügung steht. Liam ist kein schlechter Kerl, aber manchmal einfach zu leichtsinnig. Shadow würde zwar nie etwas von mir zurückfordern, aber ich fühlte mich ihm gegenüber verpflichtet. Verstehst du?†œ Was war daran schon falsch zu verstehen! Ich lachte bitter auf.
„Ha, dann war ich also nur eine Gefälligkeit? Vielen Dank auch!†œ Er schüttelte vehement seinen Kopf und sah mich intensiv an. Doch ich ignorierte seinen Blick.
„Wer wusste noch davon? Wahrscheinlich alle, nur ich nicht!†œ
„Niemand, nur Mythos, Shadow und ich.†œ
Plötzlich sprang er auf und fing an vor mir herzulaufen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.
Fast tat er mir leid, aber eben nur fast.
„Warum hast du mir nichts gesagt. Ich meine, nachdem wir zusammen … du weißt schon.†œ
Er blieb vor mir stehen und hockte sich hin, vermied es aber mich zu berühren. Sein Blick war offen und aufrichtig und immer noch so schrecklich ernst.
„Ich habe ihm mein Wort geben müssen, dir nichts zu sagen. Das war seine Bedingung. Absolutes Stillschweigen dir und den anderen gegenüber.†œ Sein Ton wurde regelrecht beschwörend.
„Angie, ich wollte dir niemals wehtun, bitte glaube mir das. Ich habe es gehasst dir nichts sagen zu können, als wir endlich zusammen waren. Gott weiß wie oft ich kurz davor stand, meinen Schwur zu brechen und dir alles zu erzählen. Besonders nach dem Kampf. Doch nie passte der Zeitpunkt und, irgendwann war es einfach zu spät.†œ Ich nickte langsam und erinnerte mich an so manche Situationen, in der er sich so merkwürdig verhalten hatte. Plötzlich ergab alles einen Sinn.
„Der Brief. Es stand alles in deinem Brief an mich, den ich nach dem Kampf nicht lesen durfte?†œ Er nickte. So langsam fielen die einzelnen Puzzlestücke an ihre Plätze.
„Es gab auch keine Kursänderung in dem Flieger, richtig? Es war von Anfang an geplant, gleich hierher zu kommen.†œ Wieder nickte er und legte vorsichtig eine Hand auf mein Knie.
„Bei unserer Ankunft auf dem Anwesen sollte ich dich sofort zu ihm bringen, aber ich konnte ihn davon überzeugen, dich erst langsam auf eine Begegnung mit ihm vorzubereiten. Ich wollte, dass du dich zuerst hier eingewöhnst und dich hier wohlfühlst. Und… ehrlich gesagt, hatte ich etwas Angst vor deiner Reaktion.†œ Darüber hätte ich fast gelacht. Der große Duncan Thorpe, ein mächtiger Kämpfer und Führer von Kriegern, hatte Angst vor einer kleinen Hexe – vor mir. Plötzlich sah er mich misstrauisch.
„Moment mal, woher weißt du eigentlich von Shadow?†œ Okay, nun musste ich beichten. Aber nachdem, was ich eben alles gehört hatte, existierte mein schlechtes Gewissen nicht mehr. Herausfordernd streckte ich mein Kinn vor.

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„Erinnerst du dich an den Tag, als Jean und Tiago hier ankamen?†œ Als er nickte, erzählte ich ihm wie ich den Geheimgang entdeckt hatte und von meinem ersten Treffen mit Shadow und allen weiteren. Als ich mit meiner Geschichte fertig war, war seine einzige Reaktion ein nachdenkliches Stirnrunzeln.
„Mh, als du mich da gesehen hast, war ich auch das letzte Mal bei ihm. Seine Geduld schien zu Ende zu sein und er wollte nicht mehr warten. Am nächsten Tag sollte ich dich mitbringen. Oh, jetzt verstehe ich auch den eigenartigen Anruf von ihm. Er meinte, alles würde seinen Gang gehen und ich brauchte mir keine Sorgen mehr machen, er … oh, bitte nicht, Angie.†œ Behutsam wischte er mit seinem Daumen eine Träne von meinem Gesicht. Warum tat er mir das an? Konnte er nicht wenigstens ein bisschen grimmig gucken? Wie konnte ich da wütend auf ihn sein, wenn er mich so liebevoll behandelte? Er mich mit der Wärme seines Körpers und seinem unwiderstehlichen Duft einhüllte, mich mit seinen warmen braunen Augen so ansah, dass ich ihm am liebsten um den Hals gefallen wäre? Wie sollte ich da einen klaren Gedanken fassen? So jedenfalls nicht! Ich schniefte kurz, schob seine Hand von meinem Knie, stand auf und ging wortlos an ihm vorbei ins Bad. Mit Nachdruck schloss ich die Tür hinter mir und putzte mir gründlich die Nase. Vorerst vermied ich jeden Blick in den Spiegel und wusch mir mit kaltem Wasser mein Gesicht. Seufzend setzte ich mich auf die unterste Stufe, die zu der wunderschönen Wanne führte. Ich stützte meinen Kopf auf meine Hände und musste erst mal alles sacken lassen. Einerseits verstand ich Duncan, er war nun mal Shadow verpflichtet. Shadow war sein Boss und sein Freund. Er kannte ihn schon viel länger als mich, und er war ihm gegenüber sehr loyal. Andererseits war ich seine Gefährtin. Wie konnte er mir so etwas Bedeutendes, was mein Leben betraf, verschweigen? Hätte er es mir nicht trotzdem sagen müssen? Für ihn muss es eine ganz schöne Zwickmühle gewesen sein. Oh man, es waren noch immer einige Fragen offen. Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach meine Gedanken..
„Angie? Bitte… es tut mir so leid, bitte verzeih mir.†œ Duncans Stimme klang gedämpft durch die Tür. Ich sprang auf, warf einen flüchtigen Blick in den Spiegel und kämmte mir die Haare. Mein Vertrauen zu ihm hatte zwar einen leichten Knacks bekommen. Doch ich wusste genau, dass ich ihm verzeihen würde, dafür liebte ich ihn einfach zu sehr. Aber das brauchte ich ihm ja nicht gleich auf die Nase binden. Langsam öffnete ich die Tür. Er stand direkt vor mir und ich wäre fast mit ihm zusammengeprallt. Sein Lächeln geriet etwas schief. Ich konnte seine Anspannung und seine Unsicherheit spüren. Seine Augen sahen mich fragend an. Dachte er vielleicht, ich würde wie eine Furie auf ihn losgehen? Schmunzelnd legte ich eine Hand auf seine Wange und er atmete erleichtert auf. Als er Anstalten machte, mich an sich zu ziehen, wich ich zurück. Nicht so schnell mein Schotte! Er wollte etwas sagen, doch ich legte einen Finger auf seine Lippen.
„Pscht. Duncan, du weißt, dass ich dich liebe, aber im Moment steht mein Vertrauen zu dir auf sehr wackeligen Füßen. Ich brauche jetzt eine Weile für mich, um alles sacken zu lassen. Ein Spaziergang an der frischen Luft wird mir gut tun. Alleine, verstehst du?†œ Er nickte und küsste meine Stirn.
„Nimm dir so viel Zeit wie du brauchst, mein Herz, ich warte hier.†œ
Unten, in der großen Eingangshalle, nahm ich meine Jacke. Ich wollte in den kleinen Park zu der Begräbnisstätte, um in Ruhe nachzudenken. Doch vorher musste ich noch etwas erledigen. Entschlossen ging ich auf die noch immer offen stehende Tür des Geheimgangs zu.

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Shadow war mir auch noch ein paar wichtige Antworten schuldig.
Sogar die Tür am Ende des Ganges zu seinen Räumen stand noch offen, so, als hätten sie auf mich gewartet. Shadow und Mythos saßen noch genauso auf dem Sofa, wie ich sie verlassen hatte. Mythos sah auf, lächelte erleichtert, nahm hastig die Papiere vom Tisch und zog sich sofort diskret zurück. Ich blieb scheinbar ruhig und gelassen vor dem Tisch stehen, obwohl ich innerlich ganz schön aufgewühlt war. Stumm nahm ich Shadow genau unter die Lupe und musterte ihn gründlich. Das also war mein Vater. Der Gründer, ein machtvoller Dämonenkönig, inzwischen eigentlich ein Greis, aber mit dem Aussehen eines 35-40 jährigen Mannes mit merkwürdigen Augen. Hoffentlich konnten die nicht auch noch rot leuchten! Ob er als Dämon auch so kleine Wölbungen unter seinem Haaransatz hatte wie Demetri? Bis jetzt konnte ich noch keine bei ihm entdecken. Ach, im Grunde sah er ja ganz gut aus. Oh, ein bisschen exzentrisch und ein sensationeller Geheimniskrämer war er noch dazu! Aber daran konnte ich mich gewöhnen, das spürte ich auf Anhieb. Wenn man alles so bedachte, konnte ich eigentlich ganz zufrieden sein. Es hätte mich wirklich schlimmer treffen können. Immerhin hätte er auch ein durchgeknallter Serienkiller sein können oder noch schlimmer, eine Fee. Er wirkte zunehmend nervöser auf mich als ich ihn so lange anstarrte. Mit einem unsicheren Lächeln sah er abwartend zu mir auf. Ich räusperte mich und fragte ihn leise:
„Du hast es also wirklich nicht gewusst?†œ Er erkannte gleich, was ich meinte. Sein Blick war aufrichtig als er mir ohne zu überlegen antwortete.
„Oh Angie, glaube mir, wenn ich von dir gewusst hätte, oder nur geahnt hätte, dass es dich gibt, wäre ich für dich da gewesen. Immer und zu jeder Zeit! Ich habe mir in all den Jahren immer ein Kind gewünscht, weißt du.†œ Seine Stimme klang seltsam rau. Ich glaubte ihm, und ein warmes Gefühl breitete sich in mir aus. Endlich hatte ich ihn gefunden, na ja, eigentlich hatte er mich gefunden. Wieder sahen wir uns nur stumm an. Er schien angespannt darauf zu warten, was ich als nächstes tun oder sagen würde.
Okay, bevor das Schweigen zwischen uns zu unangenehm wurde, versuchte ich auf meine Art die Situation etwas aufzulockern. Ich verschränkte meine Arme, legte meinen Kopf etwas schräg, zog meine Brauen hoch und sah ihn ernst an.
„Also… ich werde dich weiter Shadow nennen, und das sage ich dir gleich, für Hausarrest bin ich zu alt… für Sperrstunden oder ähnliches auch! Ich will keine Dämonenprinzessin sein, weil sich das gruselig anhört. Ich mag Eis, Pizza und Gummizeugs in allen Farben. Für einen guten Kaffee könnte ich töten. Ich möchte kein Pony, aber mein Auto ist schon sehr alt.†œ Vielsagend wackelte ich mit den Augenbrauen. Shadow sah mich verdutz an, damit hatte er wohl nicht gerechnet. Ich verkniff mir mühsam ein Grinsen und wedelte mit einer Hand vor seinem Gesicht herum.
„Und ich möchte das mit dem Schatten auch können. Wenn ich mit Excalibur spielen… äh, trainieren dürfte, wäre das cool! Oh, vielleicht kannst du mir ja auch noch ein paar Feenflügel besorgen oder wachsen lassen? Ich weiß ja nicht, ob du sowas kannst, aber die wollte ich schon immer haben… bitte, †œ setzte ich noch sehnsuchtsvoll hinzu. Da warf er seinen Kopf in den Nacken und fing schallend an zu lachen. Plötzlich stand er in der nächsten Sekunde vor mir und strich behutsam über meine Wange. Ziemlich bewegt sagte er:
„Alles was du willst, meine Tochter. Ich werde dir jeden Wunsch erfüllen.†œ Missbilligend schnalzte ich mit der Zunge und hob streng den Zeigefinger.
„Hey, schon falsch! Über deine Erziehungsmethoden werden wir uns noch unterhalten müssen.†œ Er ließ sich nicht beirren und legte behutsam seine Hände auf meine Schultern. In seine Augen trat ein gequälter Ausdruck, als er mich intensiv musterte und seine Stimme geriet zu einem Flüstern.
„Ich habe so viel versäumt. Deine ersten Schritte, deine ersten Worte. Ich hätte dich so gerne aufwachsen sehen. Dich getröstet wenn du… ach verdammt!†œ In seinen Augen standen Tränen als er mich einfach in seine Arme nahm und fest an sich drückte. Das Gefühl von ihm umarmt zu werden war unbeschreiblich. Im Stillen verfluchte ich meine Mutter, die ihm, uns, das angetan hatte. Ich konnte kein Wort sagen, denn auch ich kämpfte mit meinen Tränen und verlor. Nach einer Weile, als unsere Tränen versiegt waren, wurde das Stehen unbehaglich und ich flüsterte an seiner Schulter:
„Wie könnten uns auch setzte, das ist wesentlich bequemer.†œ

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Er küsste mich auf meinen Scheitel und erwiderte ohne mich loszulassen:
„Ja, könnten wir.†œ Ich strich mit einer Hand über seinen Rücken und nuschelte:
„Dazu müssten wir uns aber loslassen.†œ
„Mh-mh†œ, bejahte er, aber keiner von uns rührte sich.
„Okay… dann auf drei.†œ Wir seufzten gleichzeitig und selbst unser darauffolgendes leises Lachen klang so ähnlich, dass es fast unheimlich war.
Als wir endlich einträchtig nebeneinander auf dem Sofa saßen, erzählte ich ihm was eben oben in dem Apartment geschehen war, und dass ich ihm und Duncan eigentlich hätte den Kopf abreißen wollen. Als er mich daraufhin betroffen ansah, beeilte ich mich ihm zu versichern, dass ich ihnen längst verziehen hatte und mich auf eine gemeinsame Zukunft mit ihnen freute – besonders auf meine mit Duncan. Und ich erzählte ihm von meiner Kindheit bei meiner Großmutter Gwen, die mich mit viel Liebe aufgezogen hatte, und die mich alles lehrte, was eine Hexe wissen musste. Auch dass meine Mutter schon lange tot war, verschwieg ich ihm nicht. Gwen hatte es damals durch Dritte zufällig erfahren, als ich ungefähr fünf Jahre alt war. Aber das wusste er dank seiner Nachforschungen über mich ja schon. Er erzählte noch ein bisschen aus seinem wirklich interessanten Leben. Doch bei einem flüchtigen Blick auf die Kaminuhr bemerkte ich mit Schrecken, dass ich ziemlich viel Zeit hier unten verbracht hatte und wurde langsam unruhig. So gern ich ihn auch mochte, so sehr sehnte ich mich doch nach Duncan, der oben sicher schon auf mich wartete.
Er bemerkte meine Unruhe und drückte meine Hand.
„Ich verstehe schon, geh zu ihm, er wird auf dich warten. Wir sehen uns ja jetzt öfter. Also… geh schon.†œ Ich nickte nur, küsste ihn auf beide Wangen und verabschiedete mich von ihm. Wir hatten noch so viel Zeit, um uns besser kennen zu lernen. Auf meinem Weg zu Duncan nahm ich mir vor, mich diesmal nicht mit einem Kuss auf die Stirn zufrieden zu geben. Kopfschüttelt grinste ich vor mich hin. Das war einer der verrücktesten, ereignisreichsten Tage, die ich je erlebt hatte. Und so komisch es klingen mochte, vielleicht sogar einer der glücklichsten. Und er war noch nicht zu Ende!
Oben neben der Eingangstür, auf einem der kleinen gepolsterten Stühle, lag meine Tasche. Darunter hatte Duncan in weiser Voraussicht meine Schuhe gestellt, da wir ja immer noch unseren Ausflug geplant hatten. Wie lieb von ihm, dass er daran gedacht hatte, da ich mal wieder ohne Schuhe unterwegs war. Einen großen Vorteil hatte es, wenn man barfuß lief, man konnte sich so schön lautlos an seinen Liebsten heranschleichen und ihn überraschen, dachte ich schmunzelnd, als ich leise die Treppe hinaufschlich. Die Tür stand offen und Duncan stand mit dem Rücken zu mir vor dem Schreibtisch und telefonierte. Er hatte mich noch nicht bemerkt, und ich wollte ihn nicht stören, bis er sein Gespräch beendet hatte. Gerade überlegte ich, ob ich mich auf Zehenspitzen an ihm vorbei ins Schlafzimmer schleichen sollte oder lieber hier im Flur warten sollte, als mein Name fiel. Oh. Ich blieb unwillkürlich stehen und lauschte.
„Angie? Nein… natürlich weiß sie nichts… das habe ich dir doch versprochen, meine Süße… und glaub mir, es war nicht immer leicht sie davon zu überzeugen mit der Verbindung noch zu warten.†œ Ich stand wie erstarrt und traute meinen Ohren nicht. Seine Stimme klang so zärtlich, dass sich mir fast der Magen umdrehte.
„Ja… ich liebe dich auch… natürlich vermisse ich dich sehr… ja, ich höre dir zu… tue ich doch immer…†œ
Ich hatte genug gehört. Jedes Wort war wie ein Dolchstoß gewesen und in mir zerbrach etwas. Eisige Kälte breitete sich in mir aus. Keine Ahnung wie ich die Treppe runter kam, wahrscheinlich saß der Schock so tief, dass ich wie in Trance handelte. Doch dann gaben meine Knie irgendwann nach, und ich griff haltesuchend nach der nächstbesten Sitzgelegenheit und ließ mich einfach darauf fallen. Es war zufällig der Stuhl neben dem Eingang, auf dem meine Tasche lag. Oh mein Gott, konnte ich mich so in ihm getäuscht haben? Wenn ich es nicht selbst gehört hätte, ich hätte es niemals geglaubt. Vollkommen fassungslos fuhr ich mit zittrigen Händen über meine Stirn. Es stimmte also doch, er hatte mich nur hier abliefern wollen. Er hatte nie vorgehabt sich mit mir zu vereinigen und wäre wahrscheinlich mit einer fadenscheinigen Ausrede in den nächsten Tagen verschwunden. Oder er hätte mir eiskalt ins Gesicht gesagt, dass es ja ganz nett mit mir war, aber dass es da noch jemanden gab, der ihm mehr bedeutete. Ich war nur seine zweite Wahl, vielleicht nicht einmal das. Als ich sein tiefes Lachen von oben hörte, zog sich mein Innerstes zusammen und mein Endschluss stand augenblicklich fest. Ich musste so schnell wie möglich weg von hier. Ich konnte es nicht ertragen, ihm noch einmal gegenüber zu stehen, um die vernichtenden Worte aus seinem Mund zu hören.

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Er brauchte mir nichts mehr erklären, was ich eben gehört hatte, reichte mir vollkommen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich die ganze Zeit den kleinen Anhänger umklammerte, den ich trug, seitdem Duncan ihn mir um den Hals gelegt hatte. Alles war eine große Lüge, eine Täuschung. Langsam öffnete ich den Verschluss und nahm die Kette ab. Noch einmal betrachtete ich das grüne Herz. Alles kaputt. Ich legte die Kette einfach neben den Stuhl auf den Boden. Alles was danach geschah, schrieb ich später dem schweren Schockzustand zu, in dem ich mich befand. Ohne weiter zu überlegen, zog ich meine Schuhe an, nahm meine Tasche, stand auf und ging zügig aus dem Haus. Einen Moment blieb ich verwundert auf dem Treppenabsatz stehen und blinzelte in die schon tief stehende Sonne. Die Welt war nicht untergegangen. Die Sonne schien immer noch, die Vögel zwitscherten und der leichte Wind trieb einige abgestorbene Blätter vor sich her. Die Welt drehte sich einfach weiter, als ob nichts geschehen wäre. Meine Welt dagegen war eben zusammengebrochen, und ich konnte noch nicht einmal weinen, so tief saß der Schock. Irgendwann würde ich zusammenbrechen, doch erst musste ich meine gesamte Energie darauf verwenden, um das Anwesen unbemerkt zu verlassen. Ich verbot mir jeden anderen Gedanken, denn nur mein Entkommen zählte jetzt. Ich umklammerte meine Tasche wie ein Rettungsanker. Gott sei Dank hatte ich meine Kreditkarten und Papiere dabei. Doch wie kam ich hier weg? Hektisch sah ich mich um, bis mein Blick an einem großen Gebäude hängen blieb. Oh natürlich, der Fuhrpark! Hoffentlich war dort niemand, und ich konnte einen der Wagen nehmen. Ob es Diebstahl war oder nicht, war mir zu dem Zeitpunkt vollkommen egal. Doch meine Hoffnungen waren leider vergebens. Henry stand neben einem Rolls- Royce und polierte fröhlich vor sich hin summend mit einem Tuch die Kühlerhaube. Als er aufblickte und mich sah, kam er sofort freundlich winkend auf mich zu.
„Miss Angie! Schön Sie zu sehen. Kann ich irgendwas für Sie tun? Oh, Sie sind ja weiß wie die Wand! Geht es ihnen nicht gut?†œ Besorgt musterte er mich.
„Nein, nein, alles in Ordnung. Danke Henry, mir geht es gut, †œ log ich. Dann brach ich das ungeschriebene Gesetz hier auf dem Anwesen und benutzte meine Magie. Ich trat dicht an ihn heran, sah im tief in die Augen und murmelte einen bestimmten Zauberspruch um ihn zu bannen. Um ihn zu manipulieren griff ich mit meinen geistigen Fühlern in seinen Geist ein und suggerierte ihm, dass kein Auto fehlen würde, er mich nicht gesehen hatte und er ganz normal seine Arbeit fortsetzen würde. Er konnte sich meinem magischen Angriff nicht widersetzten, seine Augen wurden glasig und er nickte mechanisch. Es tat mir weh, ihm das anzutun, aber ich hatte keine andere Wahl. Der Zauber würde lange genug anhalten, bis ich einige Meilen zwischen mich und das Anwesen gebracht hatte. Er würde sich später an nichts erinnern können. Von ihm konnte ich mich wenigstens verabschieden, von allen anderen nicht. Stumm umarmte ich Henry und küsste ihn auf beide Wangen. Ich bat ihn flüsternd um Verzeihung, als er mir abrupt den Rücken zu wandte und wieder begann den Wagen mit dem Poliertuch zu bearbeiten. Schnell drehte mich um und suchte nach einem unauffälligen Kleinwagen zwischen den vielen Luxuswagen. Ich brauchte ein Auto, das nicht gleich auffiel und eine neutrale Farbe hatte. Da fast alle Wagen dem Orden gehörten und die Schlüssel immer steckten, musste ich nicht erst lange suchen. Ich stieg in einen kleinen, aber wendigen schwarzen Minicooper mit getönten Scheiben ein, der ein bisschen versteckt hinter den ganzen Nobelkarossen stand. Meine Tasche warf ich achtlos auf den Beifahrersitz. Dann machte ich mich kurz mit den etwas ungewohnten Armaturen vertraut und schärfte mir dabei immer wieder ein, ja links zu fahren. Niemand beachtete mich, als ich mit der vorgeschriebenen Schrittgeschwindigkeit auf das großen Tor zufuhr. Da nur die Ankommenden kontrolliert wurden, nicht aber diejenigen, die das Anwesen verließen, konnte ich ungehindert durch das sich vor mir automatisch öffnende Tor fahren. Erst als ich im Rückspiegel beobachtete wie sich das Tor hinter mir schloss und genauso wie das Anwesen selbst aus meinem Blickfeld verschwand, schaltete ich das Licht ein und gab Gas, ohne noch einen einzigen Blick zurückzuwerfen. Das taube Gefühl und die innere Kälte hielten an.

Fortsetzung folgt…

Kapitel 1: „Seitensprung der Sisterhood – Ankunft in Schottland

Kapitel 2: Seitensprung der Sisterhood – Das Anwesen der Bruderschaft

Kapitel 3: Seitensprung der Sisterhood †“ Geheimnisse

findet sich hier.

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Seitensprung der Sisterhood †“ Geheimnisse

Seitensprung der Sisterhood

Kapitel 3
Geheimnisse

„Du liebst ihn sehr, stimmt`s?†œIch sah wieder zu Duncan und dann fest in ihre ausdrucksstarken blauen Augen. Darauf fiel mir nur eine Antwort ein.
„Er ist mein Leben.†œ
Sie nickte nur und sprach dann leise weiter.
„Ich sehe es in deinen Augen. Doch da sehe ich noch etwas anderes. Du bist nicht nur eine Hexe, du bist auch…†œOh bitte, sie nicht auch noch!
„Ja, ich bin auch zur Hälfte menschlich, und mehr ist da auch nicht†œ, unterbrach ich sie schnell, damit dieses Thema endlich erledigt war. Sie sah mich immer noch prüfend an, seufzte und stand auf.
„Wie du meinst, schließlich ist es auch egal. Jetzt lass uns einen der letzten freundlichen Herbsttage genießen. Ich muss noch mal eben in die Küche verschwinden und den Kaffee holen, aber bediene dich doch ruhig schon mal, ich bin sofort wieder zurück.†œ Sie ging zu den Kindern und Duncan und forderte sie auf, sich die Hände zu waschen. Alle vier nickten gehorsam. Duncan zwinkerte mir zu und verschwand lächelnd mit den Kindern und Polly im Haus. Erst jetzt sah ich, dass der Tisch mit allerlei Köstlichkeiten gedeckt war, und da ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte, fing mein Magen lautstark an zu knurren. Der Kuchen und die vielen Sandwiches sahen aber auch zum Anbeißen aus, und so griff ich einfach zu.
Es wurde ein sehr vergnüglicher Nachmittag. Wir ließen uns das Essen schmecken, erzählten und lachten viel. Nachdem die Kinder ihre anfängliche Scheu mir gegenüber verloren hatten, bombardierten sie mich mit allen möglichen Fragen. Ich erzählte ihnen von meinen Schwestern, von Doc, Lilli, Lucy, Kerstin und Sweetlife und von Ef-Ef, dem Dämon in Hamstergestalt. Als ihre Neugierde gestillt war, beschäftigten sie sich wieder alleine im Garten.
„Ich weiß, dass ihr beiden euch auf der Seraphim kennengelernt habt, aber wann hat es bei euch denn eigentlich so richtig gefunkt?†œ, wollte Polly wissen und gerade, als ich ihr antworten wollte, schob Duncan mir hinterlistig grinsend ein Stückchen Tomate in den Mund.
„Oh, sie hat mich beschimpft, als arrogantes A…†œ, antwortete er an meiner Stelle. Empört legte ich ihm gerade noch meine Hand auf den Mund und warf ihm einen warnenden Blick in Richtung der Kinder zu. Doch er küsste nur meine Handfläche.
„Äh, dass erzähle ich dir lieber ein anderes Mal, okay?†œ, sagte Duncan und zwinkerte Polly zu. Langsam wurde es dunkel und wir zündeten die vielen Windlichter und kleinen Laternen an, die überall in dem Garten und der kleinen Laube verteilt waren. Auch wurde es kühler als die Sonne verschwunden war, und ich war froh, meine Jacke mitgenommen zu haben. Gerade als Caitleen mit dem neuen Buch von Duncan zu uns an den Tisch kam, klingelte mal wieder Duncans Handy. Ich verdrehte schon automatisch die Augen. Er stand sofort auf, wandte sich ab und sprach so leise, dass niemand etwas verstehen konnte. Als er das Gespräch beendet hatte, mied er meinen Blick und strich sich durch die Haare.
„Verdammt, ich muss weg. Mythos will… also ich treffe dich dann zu Hause, mein Herz. Danke, Polly, tschüss meine Süßen, bis bald.†œ Er küsste mich flüchtig auf die Stirn und ich konnte fühlen, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders war. Fragend sah ich ihm nach, als er durch das Törchen verschwand. Was wollte Mythos denn jetzt noch von ihm? Und warum nahm er mich nicht mit? Doch da stand Caitleen plötzlich vor mir und lächelte mich an.
„Tante Angie, kannst du uns nicht vorlesen? Bitte?†œ Dankbar für die Ablenkung nahm ich ihr das Buch, das sie von Duncan geschenkt bekommen hatte, ab und verbot mir jeden weiteren Gedanken an den merkwürdigen Anruf. Der Abend war einfach zu schön, um ihn mit Grübeln zu ruinieren.
Also schlug ich das Buch auf und begann vorzulesen. Die kleine Bonnie kletterte auf meinen Schoß, schmiegte sich an mich und steckte ihren Daumen in den Mund. Auch die anderen beiden hörten gebannt zu.
Auf einmal hatte ich wieder dieses unangenehme Gefühl, aus der Ferne beobachtet zu werden und blickte auf. Vor dem weißen Zaun stand Leif, seine Hände zu Fäusten geballt. Sein eiskalter Blick traf mich mit voller Wucht, sodass ich automatisch eine Gänsehaut bekam. In dem Moment, als ich ihn fragen wollte, was er hier zu suchen hätte, presste er seine Lippen zusammen, warf mir noch einen letzten hasserfüllten Blick zu, drehte sich um und verschwand. Was sollte denn das jetzt wieder?

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Verwundert sah ich ihm nach und nahm mir ernsthaft vor, ihn endlich zur Rede zu stellen. Ich hatte die Nase gestrichen voll von seinen ständigen Anfeindungen. Dann spürte ich, wie Albus an meinem Ärmel zog und auf die kleine Caitleen wies.
„Guck mal, sie ist eingeschlafen, und du hast einfach aufgehört zu lesen als es spannend wurde†œ, flüsterte er enttäuscht.
„Tut mir leid, Albus. Aber ich muss jetzt gehen. Ich lese die Geschichte ein anderes Mal weiter, okay?†œ Gott sei Dank hatten die Kinder diesen furchteinflößenden Leif nicht gesehen. Ich klappte das Buch leise zu und strich ihm schnell über den Kopf. Polly, die auch nichts mitbekommen hatte, kam aus der Küche und nahm mir die tiefschlafende Kleine aus den Armen, um sie ins Bett zu bringen. Meine Hilfe lehnte sie mit dem Hinweis ab, dass es schon ziemlich spät sei, und Duncan bestimmt schon auf mich warten würde. Doch nicht Duncan war der Grund, warum ich so schnell wie möglich nach Hause wollte. Es war dieser Wicki! Also verabschiedete ich mich von allen mit einer Umarmung und versprach, bald wiederzukommen. Dann beeilte ich mich, damit ich Leif noch erwischen konnte. Durch die beleuchteten Straßen und Wege lief ich den Weg zurück zum Anwesen. Unterwegs hielt ich Ausschau nach ihm, doch er war nirgends zu sehen. Außer Atem erreichte ich das Haus und schloss die Eingangstür hinter mir. Suchend sah ich mich in der Eingangshalle um. Na also, da war er ja. Durch die offene Esszimmertür sah ich Wicki mit grimmiger Miene an dem großen Tisch sitzen. In der Hand hielt der Glas Whiskey, dessen Inhalt er gerade mit einem Zug herunterkippte. So mein Freund, jetzt will ich ein paar Antworten von dir und wehe… Energisch schloss ich die Esszimmertür und setzte mich ihm direkt gegenüber. Seine rotgeäderten Augen und sein stierender Blick verrieten, dass er wohl schon einige Gläser Whiskey in kurzer Zeit getrunken hatte. Er schien meine Anwesenheit gar nicht zu bemerken, oder ignorierte mich bewusst, denn er schenkte sich sein Glas in aller Seelenruhe wieder voll, trank diesmal jedoch langsamer. Ich klopfte mit der Faust kräftig auf den Tisch, um endlich seine Aufmerksamkeit zu erregen.
„Hey Wicki! Was ist eigentlich dein Problem? Oder vielmehr, was hast du eigentlich für ein Problem mit mir? Wir kennen uns nicht mal, und wir sind uns auch noch nie begegnet! Und dass ich diesen widerlichen Troll, deinen Söldnerboss, oder was auch immer der war, geköpft habe, kann dir doch nur Recht sein, oder? Und was sollte das eben bei Polly, oder heute Morgen beim Frühstück? Also nochmal: Was. Ist. Dein. Problem?†œ Die letzten Worte betonte ich besonders laut und beugte mich zu ihm über den Tisch. Doch er reagierte nicht und nippte weiter an seinem Glas. Wütend schlug ich erneut auf den Tisch.
„Ich will endlich ein paar Antworten!†œ Plötzlich sah er auf. Sein eiskalter Blick fixierte mich.
„Du willst Antworten? Die kannst du haben!†œ Ohne mich aus den Augen zu lassen, stand er langsam auf und stützte sich leicht schwankend auf den Tisch. Er beugte sich zu mir herunter, bis unsere Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. Sein Whiskeyatem streifte mich. Ich zwang mich, nicht zurückzuzucken und wartete angespannt.
„Ich hasse euch Hexenpack! Ich hasse euch abgrundtief! Ihr habt meine ganze Familie ausgelöscht, mein Dorf überfallen und alle abgeschlachtet. Männer, Frauen und Kinder. Ihr habt vor niemandem halt gemacht. Erst habt ihr euch unser Vertrauen erschlichen, um dann eiskalt zuzuschlagen.†œ Oh mein Gott, das war ja furchtbar! Automatisch wollte ich tröstend nach seiner Hand greifen, doch in seiner jetzigen Stimmung hätte er mich wahrscheinlich in Stücke gerissen, wenn ich ihn angefasst hätte. Also zog ich sie schnell zurück.
„Wann war das?†œ, fragte ich ihn so ruhig ich konnte.
„Es war genau heute vor 200 Jahren.†œ Also noch vor meiner Zeit. Meine Großmutter Gwen hatte mir zwar von einem bösartigen Hexenzirkel erzählt und Lucys Bruder ja auch, aber dass sie so grausam waren, hatte ich nicht gewusst. Wicki ließ sich zurück auf seinen Sitz fallen und griff wieder nach seinem Glas.
„Ich war damals noch ein Kind und habe als einziger überlebt. Ich konnte mich im letzten Moment verstecken… und ich höre die Schreie immer noch in meinen Alpträumen. Jetzt weißt du, was mein Problem ist, Hexe!†œ, schleuderte er mir entgegen. Meine Verachtung und meine Wut auf ihn verschwanden in dem Moment, als ich seinen Schmerz und die Trauer in seinen Augen sah. Doch da war noch etwas in seinem Blick, in seiner ganzen Haltung. Schuldgefühle?

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Fühlte er sich schuldig, weil er noch ein Kind war und nicht eingegriffen hatte, nicht eingreifen konnte? Kopfschüttelnd stand ich langsam auf. Was hätte er als Kind bei dem Massaker ausrichten können?
„Glaube es oder nicht, aber es tut mir wirklich leid, was mit dir und deiner Familie passiert ist. Aber du weißt auch, dass in unserer Welt in jeder Spezies, egal ob Hexe, Fee, Elfe, Werwolf oder Vampir, einige bösartige und grausame Kreaturen vorkommen. Das ist bei den Menschen nicht anders. Also hör auf, mich für etwas verantwortlich zu machen, was dir vor vielen Jahren passiert ist, und für das ich nun wirklich nichts kann.†œ
Ihm jetzt meine Probleme mit seiner Gattung an den Kopf zu werfen, wäre unpassend gewesen. Es war damals nämlich eine Fee gewesen, die mich an Zorro, der bis vor kurzem noch von einem bösartigen Dämon besessen war, verraten und so indirekt den Tod von Lillis Partner verursacht hatte. Er starrte verbissen in sein Glas.
„Morgen bin ich wieder verschwunden, also lass es gut sein†œ, murmelte er leise vor sich hin.
„Okay, meinetwegen†œ, antwortete ich in der Hoffnung, dass meine Worte zu ihm durchgedrungen waren und er endlich ein bisschen Frieden fand. Ich stand schon an der Tür und drehte mich noch einmal kurz zu ihm.
„Aber eines möchte ich noch sagen, Leif, höre verdammt nochmal auf, dir die Schuld für etwas zu geben, das du niemals hättest verhindern können!†œ
Ich schloss die Tür leise hinter mir und lehnte mich einen Augenblick mit geschlossenen Augen dagegen. Dies musste der längste Tag meines Lebens gewesen sein, ich war total erschöpft und todmüde, und ich sehnte mich nach Duncan, einem Wodka und nach meinem Bett. Dabei war mir sogar die Reihenfolge egal.

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Die nächsten Tage gehörten nur Duncan und mir. Er zeigte mir die nähere Umgebung rund um das Anwesen. Mit Baby fuhren wir zum Loch Ness, picknickten dort an seinem Lieblingsplatz und genossen den fantastischen Blick auf die wunderschöne Landschaft. Als das Wetter schlechter wurde, zeigte er mir das Trainingszentrum und die Schwimmhalle von innen. Wir trainierten mit einigen Anwärtern. Ich war ziemlich beeindruckt darüber, wie geschickt sie bereits mit den Waffen umgehen konnten. Mary verwöhnte mich mit meinen Lieblingsspeisen, sodass ich langsam die Notbremse ziehen musste. Duncan schmunzelte nur und fand meine Rundungen wären genau an der richtigen Stelle. Außerdem wollte er nur die Anordnung von Doc Jane befolgen und mich nach Strich und Faden verwöhnen. Von meinen anderen Schwestern hatte ich noch nichts gehört, aber ich war sicher, dass sie sich noch melden würden. Duncan wurde nur noch selten zu einer Besprechung gerufen und Leif war wirklich am nächsten Morgen verschwunden.
Ich hätte also rundum zufrieden und glücklich sein müssen. War ich ja auch… eigentlich. Aber manchmal beschlich mich ein unbehagliches Gefühl, als ob dunkle Wolken aufziehen würden. Wenn Duncan doch wieder mal zu einer Besprechungen gerufen wurde, versicherte er mir zwar immer, dass es nichts Besonderes oder Außergewöhnliches gäbe, langweilige Ordensangelegenheiten halt, aber ich wurde trotzdem dieses merkwürdige Unbehagen nicht richtig los.
An jenem Tag, etwa ein Woche nach unserer Ankunft in Schottland, hatte Mary frei. Duncan und ich saßen zusammen im Apartment und schmiedeten Pläne für weitere Ausflüge. Von Duncan wusste ich, dass in der Nähe des Anwesens eine größere Stadt lag, in der man alle Einkäufe erledigen konnte. Das Anwesen wurde von den dort ansässigen Firmen beliefert und er wollte mit mir eine ausgedehnte Shoppingtour unternehmen, sogar freiwillig!
Doch dann wurde er mal wieder von Mythos ins Verwaltungsgebäude gerufen. Ich wollte die Gelegenheit nutzen, um Polly und die Kinder zu besuchen. Duncan umarmte mich seufzend, wickelte eine Strähne meiner Haare um seinen Finger und sah mich an.
„Und, es macht dir wirklich nichts aus? Ich kann das auch auf später verschieben. Demetri meinte, dass etwas mit den Abrechnungen aus Peru nicht stimmen würde. Also mal wieder langweiliger Verwaltungskram.†œ Ich seufzte auch und vertrieb schnell den trüben Gedanken, der mich flüchtig streifte, indem ich meine Nase an seinem Hals rieb und seinen unwiderstehlichen Duft tief inhalierte.
„Nein, geh` ruhig, ich bin dann bei Polly. Ich schulde ihr ja noch eine Story. Vielleicht sehe ich mir danach noch die kleinen Geschäfte etwas genauer an. Ich werde mich schon beschäftigen – also mach dir keine Sorgen, mein Schotte.†œ Ich schmiegte mich an ihn und strich ihm über sein Kinn.
„Ach, da fällt mir ein. Wann sehe ich dich eigentlich mal in deinem Kilt?†œ Ich strich mit meinen Lippen über seine.
„Habt ihr da wirklich nichts drunter an?†œ, flüsterte ich ihm fragend ins Ohr. Duncan sah mich mit seinen glühenden Augen an, nahm mein Gesicht in seine Hände und küsste mich. War das jetzt ein Nein oder ein Ja? Ich nahm mir vor, ihn bei Gelegenheit an die fehlende Antwort zu erinnern. Als Duncan gegangen war, meldete ich mich bei Polly via Handy, doch sie musste leider absagen. Die kleine Bonnie hatte etwas Fieber und forderte ihre ganze Aufmerksamkeit. Nachdem sie mir versichert hatte, dass es nichts Ernstes war, verschoben wir den Besuch, und ich verabschiedete mich. Ich nahm mir ein Buch und suchte mir unten eine gemütliche Ecke zum Lesen. Ich hatte kaum einige Seiten gelesen, als Duncan plötzlich zurückkam.
Er schien es sehr eilig zu haben und bemerkte mich nicht, als er mit langen Schritten direkt auf die kleine Holztür zusteuerte. Oh, die kleine Tür hatte ich ja total vergessen! Ich war total gespannt, was er das machte und wusste nicht genau, warum ich mich nicht bemerkbar machte. Vielleicht hielt mich meine innere Stimme zurück, denn ich wollte endlich erfahren, was es mit dieser Tür auf sich hatte. Also verhielt ich mich mucksmäuschenstill und beobachtete ihn. Er berührte in einer bestimmten Reihenfolge die mystischen Figuren auf der Tür und schon ertönte ein leises Klicken. Die Tür öffnete sich und Duncan verschwand in dem geheimnisvollen Gang. Danach schloss sich die Tür wieder geräuschlos. Aha, durch einen Code ließ sie sich also öffnen. Sobald er wieder auftauchen würde, wollte ich es auch probieren und zwar ohne ihn. Ca. 20 Minuten später erschien Duncan wieder und lief, ohne mich zu bemerken, mit verbissener Miene zur Vordertür raus. Ich wartete noch einige Minuten, dann stand ich auf und lief zu der verschlossenen Tür.

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Ich wollte endlich wissen, wohin der Gang führte und warum Duncan so ein Geheimnis daraus machte. Ich hatte mir die Reihenfolge des Codes genau eingeprägt. Erst einen Fingertipp auf das goldene Ei des Phönixes, dann auf die rechte Hand des Gargoyles und die Schweifspitze des Einhorns. Zum Schluss folgte ein Strich über die Nüstern des Pegasuses. Vor Spannung hielt ich den Atem an. Da! Es machte Klick. Zufrieden grinsend zog ich die Tür auf und wedelte kurz mit der Hand in die dahinterliegende Dunkelheit. Als die Fackeln brannten, schlüpfte ich schnell hinein und zog die Tür wieder zu. So, das erste Geheimnis war gelüftet. Zunächst lauschte ich angestrengt, doch hier war es totenstill. Dann schlich ich mich vorsichtig, jedes Geräusch vermeidend den Gang entlang, immer weiter in die Tiefe. Nach etwa 100 Metern machte der Gang eine leichte Rechtskurve und endete nach weiteren 100 Metern abrupt vor einer Mauer. Hier stand ich nun, und kam nicht weiter. Irgendwo musste aber eine Tür oder ein Durchlass sein! Aufmerksam sah ich mich um, aber es gab tatsächlich nur diese eine Wand, oder eben den Weg zurück. Mit bloßem Auge war nichts zu erkennen. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich auf jede Unebenheit. Langsam tastete ich mit den Fingerspitzen Zentimeter um Zentimeter über die glatte Wand. Da, ich spürte eine winzige Erhebung etwa in Kniehöhe und daneben gleich noch eine. Aufregung erfasste mich, und ich atmete erst mal tief durch. Sollte ich… oder lieber doch nicht? Wer wusste, was mich dahinter erwartete? Doch meine Neugierde siegte und ich drückte mit zwei Fingern gleichzeitig auf die verborgenen Knöpfe. Ein kaum wahrnehmbares Summen ertönte, so als ob winzige Zahnräder ineinander griffen. Erwartungsvoll trat ich einen Schritt zurück. In der Wand öffnete sich vor meinen Augen langsam eine Tür einen kleinen Spalt weit. Ein angenehm, warmer Luftzug streifte mich, und als ich sie soweit aufzog, dass ich hindurch schlüpfen konnte, gab sie den Blick auf einen großen Saal frei. Vorsichtig, mich nach allen Seiten absichernd, ging ich langsam hinein. Der Saal war nur spärlich beleuchtet, aber was ich erkennen konnte, war einmalig. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Über mir erblickte ich ein gigantisches Gewölbe, das unseren Sternenhimmel zeigte. Jeder einzelne Stern leuchtete. Ich musste mich tief unter der Erde befinden. Es schien niemand hier zu sein, und so ging ich einfach weiter und sah mich um. An den Wänden hingen Waffen aus allen Epochen, von den Steinschleudern bis zum modernsten Wurfmesser. Antike Glasvitrinen mit alten Gewändern, Büchern, Porzellan und Schmuck standen an einer langen Wand in Reihe und Glied. Ich schlenderte zu den Bücherregalen und betrachtete staunend einige wertvolle Erstausgaben. Nach dem ich feststellte, dass einige sogar handsigniert waren, stellte ich sie sofort wieder vorsichtig zurück. Meine Neugierde trieb mich immer tiefer in den Saal, bis ich am Ende einen offenen Kamin sah, in dem ein Feuer brannte. Über ihm hing ein großes Bild. Doch man sah nur den reichverzierten Rahmen, das Bild selbst war von einen Tuch verdeckt. Die moderne Sitzgruppe vor dem Kamin passte irgendwie nicht hierher, nur der Lehnstuhl war wie für dieses… Museum gemacht. Er stand mit dem Rücken zu mir und war schon sehr alt. Hier schien tatsächlich jemand zu wohnen. Ich sah mich weiter um und kehrte zu dem großen, runden Tisch zurück, der so ziemlich in der Mitte des Raumes stand und mir schon bei meinem Eintritt aufgefallen war. Um ihn waren 12 niedrige Stühle mit hohen Lehnen angeordnet. Auf der schwarzen Tischplatte ertastete ich viele tiefe Kerben, als ob Schwerter sie hineingeschlagen hätten. Doch was auf dem Tisch lag, fesselte sofort meine ganze Aufmerksamkeit. Ein Schwert. Und das war nicht nur irgendein Schwert, es war das schönste Schwert, das ich jemals gesehen hatte. Vorsichtig griff ich zu und hob es mit beiden Händen hoch. Es lag überraschend leicht in der Hand und war hervorragend verarbeitet. Als ich es mir genauer ansah, stockte mir jedoch der Atem.
„Kann es denn möglich sein… das ist doch nicht?†œ, flüsterte ich ungläubig.
„Doch, es ist Excalibur†œ, ertönte eine kräftige tiefe Stimme aus dem Lehnstuhl neben dem Kamin. Ein mittelgroßer Mann erhob sich und drehte sich zu mir. Vor Schreck schrie ich auf, ließ das Schwert fallen und sprang einen Schritt zurück. Gott sei Dank bremste der Tisch seinen Fall, und ich schob es schnell wieder in die Mitte. Erwischt! Mein Herz schlug mir bis zum Hals, und ich wurde auf der Stelle puterrot.
„Oh oh, tut mir leid, nichts passiert! Es ist noch ganz. Ich …ich wollte hier nicht so eindringen.†œ Krampfhaft versuchte ich den Besitzer der Stimme auszumachen, wagte mich aber nicht näher an den Lehnstuhl heran. Ich blieb stocksteif neben dem Tisch stehen und redete einfach weiter.

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„Ich werde auch sofort wieder gehen. Tut mir wirklich leid, aber da war diese Tür, übrigens eine sehr schöne, besonders die Vorderseite, die Rückseite habe ich noch nicht gesehen, und die stand offen, nicht heute, aber als wir angekommen sind, also Duncan und ich, da habe ich…†œ Himmel, was redete ich denn da für einen Unsinn?! Der Mann musste mich für eine komplette Idiotin halten!
„Ich verschwinde wohl besser, bevor ich mich noch weiter blamiere†œ, murmelte ich.
„Tut mir wirklich leid, ich wollte Sie nicht stören, ich bin auch sofort wieder verschwunden†œ, sagte ich etwas lauter und ging langsam rückwärts in Richtung Geheimtür. Doch sie war schon wieder verschlossen, und ich hatte keine Ahnung, wie ich sie auf dieser Seite öffnen sollte. Der Mann kam langsam auf mich zu, blieb jedoch mit etwas Abstand vor mir stehen und streckte beide Arme aus.
„Nein, bitte bleiben Sie. Ich würde Sie gerne näher kennen lernen.†œ Seine Stimme klang eigentlich sehr angenehm. Ich blinzelte ein paarmal, konnte aber sein Gesicht nicht erkennen, es blieb seltsamerweise immer im Schatten. Er trug eine schwarze Lederhose und ein weißes Rüschenhemd, wie die Brüder. Seine weißblonden Haare, die fast silbern aussahen, hatte er zu einem Zopf zusammengebunden. Misstrauisch betrachtete ich ihn eingehend. Irgendwas an ihm kam mir bekannt vor, aber ich kam nicht drauf. Er streckte eine Hand einladend aus und bat mich zu der Sitzgruppe.
„Kommen Sie, trinken Sie einen Tee mit mir. Bitte seien Sie mein Gast.†œ Sein Gesicht konnte ich immer noch nicht erkennen. Vielleicht war es ja durch eine Krankheit oder einen Unfall so entstellt, dass er es mit einem Schatten belegt hatte. Höflich wartete er, bis ich mich auf die Kante des Sofas gesetzt hatte, dann erst nahm er mir gegenüber Platz. Er wirkte auf einmal merkwürdig angespannt und schien mich lange zu mustern. Vorsichtig lächelte ich ihn an.
„Danke, Sie sind sehr freundlich, obwohl ich Sie hier so einfach überfallen habe. Äh, mein Name ist übrigens Angie.†œ Ich streckte meine Hand aus, doch er wich kaum merklich zurück, als hätte ich ihm eine giftige Schlange angeboten. Oh, er mochte wohl keinen Körperkontakt, auch gut, dann eben nicht. Ich zuckte mit den Achseln und ließ meine Hand wieder sinken. Ich wollte gerne erfahren, wer er überhaupt war und wie sein Name lautete, wagte es aber nicht, ihn direkt zu fragen. Seine Aura zeugte von ungeheurer Macht, Stärke und Autorität und irritierte mich etwas. Er schien meine Unsicherheit zu spüren, denn plötzlich hob sich der Schatten etwas, und ich erkannte einen lächelnden Mund mit schön geschwungenen Lippen. Der Rest blieb hinter dem ungewöhnlichen Schatten verborgen.
„Ich weiß, wer Sie sind und wie Sie heißen. Ich wäre ein schlechter Gastgeber, wenn ich nicht wüsste, wer sich hier auf meinem Anwesen aufhält.†œ Sein Anwesen? Bedeutete das etwa… oh mein Gott! Ich riss meine Augen auf und starrte ihn ungläubig an.
Er lächelte noch immer und verbeugte sich formvollendet.
„Mein wirklicher Name ist zu kompliziert, den kann niemand aussprechen.
Man nennt mich auch… den Gründer.†œ

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Da ich ihn weiterhin nur stumm anstarrte, neigte er seinen Kopf zur Seite.
„Sind Sie jetzt schockiert?†œ Ich überlegte kurz. War ich schockiert? Nein, eigentlich nicht, also antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Nein, nur überrascht.†œ Am meisten über mich selber. Du meine Güte! Erst jetzt fiel mir auf, dass ich eigentlich nie einen Gedanken an ihn verschwendet hatte, seit ich hier auf dem Anwesen war. Das also war der mächtigste Mann in der magischen Welt, der, der alle Fäden in der Hand hielt.
„Warum sind Sie überrascht mich hier zu treffen?†œ
„Weil ich gehört habe, dass Sie noch nie jemand gesehen hat, oder zumindest nur sehr wenige.†œ Drago hatte mir das bei seiner Ankunft auf der Seraphim erzählt und Duncan gehörte wohl auch zu dem erlesenen Kreis, da er hier gewesen war. Seine Lippen kräuselten sich amüsiert, und er legte die Fingerspitzen aneinander.
„Das stimmt… fast. Ich lebe gerne zurückgezogen und verlasse mein Domizil nie. Aber hin und wieder freue ich mich über etwas Gesellschaft.†œ Er beugte sich vor und zeigte seine blendendweißen Zähne, während er lächelte.
„Besonders über so eine hübsche Augenweide wie Sie es sind.†œ
Ich lächelte spontan zurück und fühlte mich fast ein wenig geschmeichelt. Aus seinem Mund klang das nicht wie ein Flirtversuch, sondern einfach nur ehrlich. Sein Schatten vor dem Gesicht hatte sich kein Bisschen bewegt. Eigentlich fand ich es immer unangenehm, wenn ich meinen Gesprächspartnern nicht in die Augen sehen konnte, aber bei ihm störte mich das seltsamerweise nicht so sehr. Ich hätte ihm gerne einige Fragen gestellt und zum Beispiel gerne gewusst, ob er hier alleine lebte, wollte aber nicht zu aufdringlich sein. Auch hatte ich ihn mir eigentlich wesentlich älter vorgestellt, so als alten kauzigen Mann, mit grauen Haaren, obwohl er ja auch nicht alterte wie normal Sterbliche.
„Oh, fragen Sie mich ruhig. Haben Sie keine Angst, ich kann Ihre Gedanken nicht lesen, aber ich sehe es an Ihrem Gesicht, dass Sie darauf brennen, mir Fragen zu stellen. Also nur zu†œ, forderte er mich freundlich auf und lehnte sich dabei wieder zurück.
„Sie sind also ein Dämon.†œ Gut, das war jetzt keine Frage, sondern eher eine Feststellung. Er nickte nur lächelnd. Da entdeckte ich Mythos, der einen kleinen altmodischen Teewagen vor sich herschob. Verblüfft sah ich im entgegen. Wo kam der denn jetzt her? Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Gründer ihm ein verstecktes Zeichen gab. Er fuhr sich wie zufällig mit dem Zeigefinger über seine Lippen. Mythos sah mich kurz verwundert an, lächelte dann aber und schien über meine Anwesenheit nicht weiter überrascht zu sein.
„Oh, hallo Miss Angie, schön Sie zu sehen. Wie möchten Sie ihren Tee?†œ
„Äh… ein Stückchen Zucker und etwas Sahne bitte.†œ Während er den Tee in hauchdünne Tassen einschenkte, sagte er:
„Nicht so bescheiden, Shadow.†œ Er tat Zucker und Sahne dazu, reichte mir die Tasse und setzte mit verschwörerischer Stimme hinzu:
„Er ist sogar der König der Dämonen!†œ Shadow? Das war sein Name? Aber der ist doch nun wirklich ziemlich einfach auszusprechen. Und er war ein König? Jetzt war ich total verwirrt und nippte erst mal an dem heißen Tee, um meine Gedanken zu ordnen. Oh, der hatte aber ein eigentümliches Aroma, dennoch schmeckte er sehr köstlich. Seine melodische Stimme riss mich aus meinen Gedanken.
„Ich lasse mir den Tee in Indien mischen, das ist eine ganz besondere Sorte. Ja, ich nenne mich Shadow, weil, wie gesagt, mein richtiger Name zu kompliziert ist. Und der Titel König …†œ Er machte eine wegwerfende Handbewegung,
„… ist nicht so wichtig für mich.†œ Mythos schnaubte leise, verbiss sich aber jeden weiteren Kommentar. Verblüfft platzte ich raus:
„Hey, Sie können doch meine Gedanken lesen! Genau das wären meine Fragen gewesen, Mr. Gründer… äh, Majestät! †œWie sollte ich ihn denn nun anreden? Er lachte nur laut, als er Mythos seine Tasse mit dem Tee abnahm.
„Nein, Ihre Gedanken kann ich wirklich nicht lesen. Nennen sie es Intuition oder Menschenkenntnis. Ihr Gesicht ist für mich wie ein offenes Buch. Und nennen Sie mich doch bitte Shadow.†œ Gespannt beugte er sich wieder vor.

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„Doch nun möchte ich etwas mehr über Sie erfahren. Wie gefällt es Ihnen hier?†œ Durch seine geschickten Fragen im Laufe unseres Gespräches, stellte ich verblüfft fest, dass ich viel mehr von mir preisgegeben hatte, als es meine Absicht war. Als ich sah, wie er kurz sein komplettes Gesicht mit dem Schatten überzog, verschluckte ich mich fast an meinem Tee. Plötzlich wusste ich wieder, woher er mir so bekannt vorkam und setzte meine Tasse vorsichtig wieder ab.
„Sie waren das an dem Gedenkstein, stimmt`s? Ich habe Sie da im Schatten gesehen! Aber warum haben Sie sich nicht offen gezeigt?†œ Ich erinnerte mich noch sehr gut an das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden und wartete gespannt auf seine Antwort. Er ließ mich wieder seinen Mund sehen.
„Ich habe Probleme mit der Sonne†œ, gab er ein wenig unwillig zu und trommelte mit seinen Fingern nervös auf der Lehne.
„Allergie?†œ
„So etwas Ähnliches. Meine Art verträgt direktes Sonnenlicht nicht so gut. Wir gehen zwar nicht sofort in Flammen auf, aber die UV Strahlung kann uns mächtig zusetzten und uns schwächen. Aber genug davon. Erzählen Sie mir von Peru, von dem Einsatz. Duncan hat mir zwar schon Bericht erstattet, aber ich möchte es auch von Ihnen hören. Besonders der Einsatz Ihrer Schwestern interessiert mich. Sweetlife ist manchmal etwas zugeknöpft, was ihre Amazonen betrifft.†œ Ich wollte ihm gerade davon erzählen, als ich mit Entsetzten die kleine antike Uhr an der Wand schlagen hörte. Himmel, schon so spät! Hoffentlich hatte Duncan meine Abwesenheit noch nicht bemerkt oder suchte womöglich nach mir. Ich sprang sofort auf.
„Tut mir leid, aber ich muss gehen. Vielen Dank für den Tee.†œ Ich wollte ihm schon spontan meine Hand reichen, besann mich aber noch schnell auf seine kleine Marotte und nickte ihm nur mit einem Lächeln zu. Er wirkte überrascht, da ich mich so schnell verabschiedete und schien zu überlegen.
„Moment, warum die plötzliche Eile… ah, ich verstehe, †œ sagte er amüsiert und stand auch auf.
„Duncan weiß gar nicht, dass Sie hier sind?†œ Verlegen schüttelte ich mit dem Kopf und wurde schon wieder rot. Er wirkte wieder etwas angespannt, und seine Haltung bekam plötzlich etwas Lauerndes.
„Und? Werden Sie im erzählen, wo und mit wem Sie den Nachmittag verbracht haben?†œ Mh, diese Frage war nicht so leicht zu beantworten.
„Sollte ich nicht?†œ
„Oh, das müssen letztendlich Sie entscheiden, aber… ich würde Ihnen raten, unser kleines Geheimnis vorerst zu bewahren.†œ Oh man, innerlich musste ich über seine Redensweise lachen, doch ich sagte weiter nichts.
„Kommen Sie, ich werde Ihnen zeigen, wie Sie auf dieser Seite die Tür öffnen können. Es gibt natürlich noch einen regulären Eingang durch das Verwaltungsgebäude.†œ Er zeigte auf die ganz normale Tür, durch die Mythos während unseres Gespräches verschwunden war. Aha! Also musste dieser … Saal unter dem Verwaltungsgebäude liegen.
„Und warum kann ich nicht auch durch diese Tür gehen?†œ Schmunzelnd beantwortete er meine Frage.
„Diese Tür führt direkt in einen Fahrstuhl, der Sie in das Büro fährt. Was glauben sie, wie merkwürdig es die Leute dort fänden, wenn Sie dort auf einmal auftauchen würden? Zumal niemand außer Mythos weiß, dass Sie hier bei mir sind?†œ Da musste ich ihm recht geben.
„Wissen Sie, ich liebe Geheimtüren und Geheimgänge. Der Gang, durch den Sie gekommen sind, diente im Mittelalter als Fluchtweg des Ordens. Da sah es hier auf dem Anwesen noch ganz anders aus.†œ Auf dem Weg zur Tür fragte er mich, mit einem sehnlichen Unterton in der Stimme:
„Werden Sie mich wieder besuchen?†œ Verblüfft sah ich in seine Richtung, er schien meine Gesellschaft wirklich zu mögen.
„Wenn Sie es möchten, gerne.†œ
Als wir an dem runden Tisch vorbeikamen, war das Schwert verschwunden. Doch ich beachtete das nicht weiter, da ich nur wieder schnell nach oben wollte. Vor der Wand mit der Geheimtür drückte er einfach auf einen gut sichtbaren Schalter neben dem Rahmen, die Zahnräder summten und die Tür öffnete sich. Ich lachte laut auf. Das war ja einfach! Ich verabschiedete mich von ihm, trat in den Gang und die Tür schloss sich wieder. Die Fackeln brannten und ich ging langsam und nachdenklich dem Ausgang zu. Was für ein merkwürdiger Nachmittag.

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Shadow war wirklich sehr beeindruckend, zwar etwas exzentrisch, aber dabei nicht unsympathisch. Nur als meine Fragen an ihn ein wenig persönlicher wurden, wurde er etwas nervös und antwortete sehr ausweihend. Vielleicht war es einfach so, dass er nicht gerne über sich sprach, und es lag in seiner Natur, aus allem ein Geheimnis zu machen.
Doch ein Problem blieb. Ich blieb stehen. Was sage ich jetzt Duncan? Ich überlegte kurz und schloss dann mit mir einen Handel. Wenn ich vor ihm wieder da sein sollte, würde ich es ihm nicht sagen. Er hatte schließlich auch seine Geheimnisse vor mir! Sollte er jedoch schon auf mich warten und mich fragen, wo ich gewesen war, würde ich es ihm natürlich sagen. Anlügen wollte ich ihn auf keinen Fall! Mit meinem Kompromiss zufrieden, ging ich energisch weiter, bis ich vor der verschlossenen Holztür stand. Mist! Ich hatte ganz vergessen zu fragen, wie die Tür von dieser Seite geöffnet würde. Ich suchte alles ab, aber hier gab es keinen Schalter, nur die mystischen Figuren auf der Tür… hier, auf dieser Seite. Spiegelverkehrt. Aha! Grinsend drückte ich den Code, nur eben andersrum und schon machte es klick. Vorsichtig schob ich meinen Kopf durch den geöffneten Spalt und suchte die Eingangshalle ab. Aber da war niemand. Schnell huschte ich hindurch, schloss leise die Tür und lauschte aufmerksam. Niemand war im Haus. Mit wild klopfendem Herzen ging ich wieder zu meinem Sessel und schlug mein Buch auf. Zwei Minuten später ging die Haustür auf. Puh, das war perfektes Timing! Ich sah neugierig um die Ecke. Es war Duncan, der mich noch nicht gesehen hatte und mit einem breiten Grinsen nach mir rief.
„Angie? Bist du da? Sieh mal, wen ich mitgebracht habe!†œ Das gab es doch nicht! Mit einem Schrei sprang ich auf und stürzte mich ihnen entgegen. Da standen Jean und Tiago freudestrahlend neben Duncan. Ich warf mich einfach in Jeans ausgebreitete Arme und küsste ihn auf beide Wangen. Das leise Knurren von Duncan ignorierte ich.
„Hey Kapitän Wölfchen, schön dich zu sehen.†œ Er sah so gut aus wie immer, drückte mich so fest und lang, dass es gerade noch so eben schicklich war und gab mich nur wiederstrebend frei, als Tiago sich bemerkbar machte.
„Ey, lass mir auch noch was übrig! Komm her, kleine Hexe.†œDer schnappte mich einfach, hob mich hoch und wirbelte mich lachend herum. Oh war es schön, die beiden wiederzusehen! Als Tiago mich wieder auf den Boden stellte, musterte er mich von oben bis unten und sagte schmunzelnd:
„Du siehst sehr hübsch aus, der Urlaub scheint dir gut zu bekommen, meine Süße.†œ Duncans Knurren wurde eine Nuance lauter.
„Ja, ja, schon gut, Großer.†œ Tiago schob mich grinsend in Duncans Arme. Na warte, mein Lieber, dir werde ich helfen! Ich griff mit beiden Händen in seine Haare und zog energisch seinen Kopf zu mir runter. Dann küsste ich ihn, bis er aufstöhnend seine Arme besitzergreifen um mich schlang und den Kuss leidenschaftlich erwiderte. Tiago hörte ich nur sagen sagte:
„Komm Jean, wir gehen lieber. Gleich geht`s hier nicht mehr jugendfrei zu.†œDoch das war nicht der Sinn meiner Kussattacke. Mittendrin löste ich mich von seinen Lippen, drückte seinen Kopf genauso energisch wieder hoch, funkelte ihn vielsagend an und flüsterte:
„Schön brav sein, ja?†œEr grummelte zustimmend. Dann raunte er schmunzelnd in mein Ohr.
„Du kleines Biest! Lektion verstanden.†œ
Ich wand mich wieder zu den beiden Jungs um, hakte sie unter und sagte fröhlich:
„Kommt mit meine Lieben, also das muss unbedingt begossen werden!†œ Ich zog sie mit in die „Lasterhöhle†œ, ließ sie mitten im Raum einfach stehen und ging schnurstracks hinter den Tresen um für jeden von uns einen Drink zu mixen.
„Also, für meinen Schotten einen Whiskey auf Eis…, und wenn ich mich recht erinnere, war das ein eisgekühlter Wodka mit einem Spritzer Limone für dich Tiago, oh und für dich Jean, einen Long Island Icetea… nein, ich werde dir einen NS-Icetea mixen, der schmeckt besser. Ist ein Rezept von Lilli. So, und für mich einen Bacardi-Lemon, mit viel Lemon.†œ Lächelnd hantierte ich eifrig mit den Gläsern und Flaschen, suchte die Zutaten zusammen und achtete nicht weiter auf die Männer.
„Wo war nochmal der Limonensaft? Ach ja, im Kühlschrank.†œ Ich mixte die Drinks und stellte sie auf die Theke. Nur meiner fehlte noch.
„Erzählt doch mal, was machen denn die anderen so? Geht`s ihnen gut? Sind sie auch hier, oder…†œ Ich goss gerade Lemon in mein Glas, als mir die plötzliche Stille auffiel. Irritiert hob ich meinen Kopf und blickte in die entgeisterten Gesichter von Jean und Tiago.

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Sie standen immer noch da, wo ich sie losgelassen hatte und starrten mich an, als ob mir plötzlich zwei Köpfe gewachsen waren. Duncan stand mit gespreizten Beinen und verschränkten Armen neben ihnen und grinste breit. Verunsichert sah ich von einem zum andern.
„Was denn?†œ
Tiago flüsterte entsetzt, ohne mich aus den Augen zu lassen:
„Duncan, was hast du getan?†œ Der Angesprochene zuckte nur gleichgültig mit den Schultern.
Erschrocken stellte ich die Flasche ab und sah mich blitzschnell in dem Raum um, in Erwartung hier irgendwo eine Leiche zu finden, als Jean mit todernster Grabesstimme feststellte:
„Du hast eine Frau hier rein gelassen!†œ
Oh bitte! Ich verdrehte die Augen und erhöhte die Bacardidosis in meinem Glas um einiges mehr.
Tiago und Jean lösten endlich ihren Blick von mir und sahen sich tieftraurig an.
„Mein Bruder… vorbei die Zeit der schmutzigen Witze und den Füßen auf dem Tisch!†œ Jean wischte sich eine imaginäre Träne aus dem Gesicht und jammerte herzzerreißend.
„Keine trashigen Horrorfilme mehr… nur noch Happyendschnulzen.†œ Tiago nickte nur ergeben, legte seinen Arm mitfühlend um Jean und blickte empört zu Duncan.
„Sag nicht, sie hat auch von den Zigarren…†œIch betrachtete mit finsterer Miene diese bizarre Szene und stemmt meine Fäuste in die Seiten.
„Nun kriegt euch mal wieder ein, ja?†œ
Doch sie machten mit dem Theater ungeniert weiter, und ignorierten mich einfach. Duncan dagegen schien sich köstlich zu amüsieren und lachte laut auf!
„Oh mein Gott! Kein Poker mehr? Müssen wir jetzt auf Bridge oder Rommee umsteigen?†œJean sah Duncan ernsthaft fragend an.
„Spielen wir jetzt nicht mehr um Geld, sondern nur noch um Gummibärchen?†œ
So, das reichte! Ich schnappte mir die Drinks und drückte sie Jean und Tiago gegen die Brust.
„Hier, ihr Spinner! Ha ha, sehr witzig! Nun macht euch mal nicht ins Hemd, Jungs! Ich werde schon euren heiligen Tempel nicht entweihen. Ihr könnt auch in Ruhe die netten Bilder hier weiter ansabbern! Ich werde mich hüten und irgendwas verändern oder ungefragt anfassen, ihr… nee, dass sag ich jetzt lieber nicht!†œ Angesäuert wie ich war, kippte ich den Whiskey für Duncan ohne zu überlegen in einem Zug runter… was sich auch prompt rächte. Der Whiskey rannte wie flüssiges Feuer durch meinen Hals, der natürlich gleich anfing teuflisch zu brennen und mir Tränen in die Augen trieb. Mir blieb sofort die Luft weg! Oh Himmel, ich mochte doch gar keinen Whiskey! Mühsam blinzelte ich die Tränen zurück, während ich entsetzt in das leere Glas starrte, in dem nur noch die Eiswürfel schwammen. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Zum Glück reagierte Duncan sofort und lenkte die Jungs ab. Er wusste genau, dass ich so scharfe Sachen nicht vertrug, zog mich schnell zum Tresen und schlug mir wie beiläufig leicht auf den Rücken. Er hob mein Glas und sagte:
„Na los, Brüder, probiert mal die Drinks. Cheers! †œ Während ich leise keuchend nach Luft rang, sahen sie ihn misstrauisch an, bevor sie endlich an ihren Gläsern nippten. Doch schnell verzogen sie anerkennen ihr Gesicht und nahmen noch einen tiefen Schluck. Ich hatte derweil Zeit, mich zu erholen und nahm Duncan dankbar das Glas mit Orangensaft ab, das er mir in der Zwischenzeit unauffällig eingeschüttet hatte und trank es fast in einem Zug leer. Tiago und Jean grinsten mich augenzwinkernd an und Tiago lachte.
„Ach Angie, war doch nur Spaß! Es war eben noch nie eine Frau hier.†œ
Als er meinen ungläubigen Blick sah, sprach er weiter.
„Doch, ehrlich, du bist die Erste, die hier einen Fuß über die Schwelle gesetzt hat.†œ Duncan und ich machten es uns auf dem abgewetzten Sofa gemütlich, die Beiden lümmelten sich in die Sessel. Duncan hatte seinen Arm besitzergreifend um mich gelegt, und ich lehnte meinen Kopf an seine Schulter.

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Tiago beugte sich plötzlich vor und sah mir fast hypnotisierend in die Augen.
„So, jetzt kommt aber noch die wichtigste Frage überhaupt.†œ Na, da war ich aber gespannt und unterdrückte mühsam ein Kichern, da der Whiskey bei mir zu wirken begann.
„Cinderella oder Terminator?†œ Spontan antwortete ich gutgelaunt.
„Beides! Je nach Stimmung.†œTiago lehnte sich zufrieden grinsend zurück.
„Gute Antwort! Und nun zu deiner Frage, was die anderen Brüder betrifft. Tim, Eric und Cyrus müssten jetzt im Urlaub sein. Als wir in Miami in unsere Flieger stiegen, trennten sich unsere Wege. Jean und ich müssen hier noch einiges erledigen und sind auch in ein paar Tagen verschwunden.†œ Er erzählte uns noch einige Anekdoten, die sich auf der Seraphim ereignet hatten, als wir schon abgereist waren. Ich mochte ihn einfach gerne, er war immer freundlich, hatte ein sonniges Gemüt und konnte so lustig erzählen, sodass wir öfters laut lachen mussten. Jean dagegen wirkte auf mich ein bisschen in sich gekehrt, als ich ihn verstohlen musterte. Er schien meinen Blick zu meiden und starrte in sein mittlerweile leeres Glas und hörte schmunzelnd zu. Innerlich seufzte ich und hoffte, dass er endlich seine kleine Schwärmerei für mich überwinden würde. Ich wünschte ihm eine liebevolle Gefährtin an seine Seite, eine, die nur für ihn bestimmt war. Denn er war immer noch ein besonderer Freund für mich, so wie Norbert es gewesen war. Plötzlich unterbrach Tiago meine Gedankengänge und machte den Vorschlag für uns das Abendessen zu zubereiten. Begeistert stimmten wir zu, besonders ich, da ich mich an seine kulinarischen Leckerbissen auf der Seraphim noch gut erinnern konnte. Und da wir alle ziemlichen hungrig waren, machten wir uns auch sofort auf den Weg in die Küche. Mary hatte ihren freien Tag, und wir somit ihr Reich ganz für uns. Tiago inspizierte den riesigen Kühlschrank und verdonnerte uns gleich zu niederen Arbeiten wie Gemüse putzen und Tisch decken. Sogar Duncan ordnete sich ihm widerspruchslos unter und hatte seinen Spaß. Erstaunt stellte ich fest, dass er sich eigentlich ganz geschickt in der Küche anstellte. Unter Tiagos Anleitung stand in kurzer Zeit ein köstliches Abendessen auf dem Tisch, das wir uns gut gelaunt schmecken ließen. Es wurde ein sehr lustiger und unterhaltsamer Abend.
Jean machte dann noch den Vorschlag morgen Vormittag einen alten Freund der Brüder zu besuchen, der in der Nähe des Anwesens wohnte. Jean lächelte mich an und sagte:
„Mit altem Freund meine ich wirklich alt. Georg ist ein Mensch, so um die 70, ein ziemlicher Eigenbrötler und ewig nörgelnder Junggeselle, aber eine gute Seele, auf die man sich immer verlassen kann. Er ist einer der wenigen Menschen, die magische Energie spüren und über uns Bescheid wissen. Oh, und er hält sich mindestens ein Dutzend Mäuse als Haustiere. Zumindest waren es so viele, als wir ihn das letzte Mal gesehen haben. Komm doch mit! Aber ich muss dich warnen. Er hat für Frauen nicht viel übrig, er ist ein alter Frauenhasser.†œ
Da brauchte ich nicht lange zu überlegen und kam sofort zu dem Entschluss, dass ich für solche Typen auch nichts übrig hatte! Mäuse als Haustiere… geht`s noch?! Kein Wunder, das Duncan diesen Georg nie erwähnt hatte!
„Oh nein, da bleibe ich lieber hier. Aber zieht ihr ruhig ohne mich los.†œ Duncan sah mich zweifelnd an.
„Sicher? Macht es dir wirklich nichts aus?†œ Beruhigend lächelte ich ihn an. Ich war eigentlich sogar ganz froh darüber, dass die drei morgen beschäftigt waren. So hatte ich die Gelegenheit heimlich bei Shadow vorbeizuschauen. Ich ließ mir nichts weiter anmerken und sagte:
„Nein, natürlich nicht. Ich muss dringend ein bisschen trainieren, sonst roste ich womöglich noch ein.†œ Das war noch nicht mal gelogen. Ich wollte sowieso morgen in das Trainingszentrum, allerdings erst viel später. Als die Angelegenheit geklärt war, verabschiedeten Duncan und ich uns von den beiden und zogen uns zurück.
Am nächsten Morgen versicherte ich Duncan nochmal, dass es mir nichts ausmachte, hier zu bleiben und ich mich auf das Training freute. In Wirklichkeit brannte ich geradezu darauf Shadow wieder zu sehen. Natürlich liebte ich Duncan, er war schließlich mein Gefährte, dass hatte auch nichts damit zu tun, aber irgendetwas an Shadow faszinierte mich dermaßen, dass ich noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen hatte, als ich ungeduldig darauf wartete, bis die Drei sich nach dem Frühstück endlich auf den Weg machten. Duncan küsste mich zum Abschied und sobald sie außer Sicht waren, lief ich sofort nach oben und zog mich um. Ich tauschte schnell meine Trainingsklamotten gegen Jeans und ein schlichtes weißes T-Shirt mit V-Ausschnitt, bürstete mir die Haare und machte mich beschwingt auf den Weg.

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Shadow schien geahnt zu haben, dass ich vorbeikommen würde, denn er begrüßte mich freundlich lächelnd direkt an der Geheimtür. Dann führte er mich gleich zu dem Tisch, der für zwei Personen gedeckt war und der köstlich duftende Tee schon auf mich wartete. Ich freute mich sehr ihn zu sehen, obwohl sein Gesicht wieder zur Hälfte von dem merkwürdigen Schatten verdeckt war. Shadow vermied immer noch jede noch so kleine körperliche Berührung. Dieses Mal war Mythos nicht da, und so goss er den Tee ein. Er schlug seine Beine übereinander, lehnte sich mit seiner Tasse zurück und schien mich aufmerksam zu mustern.
„Sie sind ungewöhnlich… für eine Frau!†œ Ich? Was hatte ich denn so Ungewöhnliches an mir? Verdutzt sah ich an mir runter, konnte aber nichts Besonderes entdecken. Schmunzelnd zeigte er auf meine nackten Füße. Oh! Achselzuckend gestand ich ihm lächelnd, dass ich gern barfuß lief und schon mal vergaß Schuhe anzuziehen. Er schüttelte daraufhin nur amüsiert seinen Kopf. Dann beugte er sich plötzlich vor und fragte mich lauernd:
„Und? Haben sie Duncan gestern von unserer Begegnung erzählt?†œ Seine Anspannung konnte ich förmlich spüren.
„Nein. Aber wenn er mich fragen sollte, werde ich ihm sofort die Wahrheit sagen! Ich würde ihn niemals anlügen.†œ Das hatte ich mir noch immer vorgenommen. Er seufzte tief und murmelte leise:
„Natürlich.†œ
Dann wechselte er das Thema und es wurde ein sehr interessanter Vormittag. Mit seiner angenehmen Stimme erzählte mir nicht nur von seiner Sammelleidenschaft, sondern zeigte mir auch die Gegenstände, die er im Laufe der Jahrhunderte zusammengetragen hatte. Darunter waren viele Dinge von Frauen, berühmten Frauen der Geschichte, die ihm ihre Besitztümer bereitwillig überlassen hatten. Unter anderem besaß er einen kostbaren goldenen Armreif von Elizabeth I., sogar von Kleopatra lag so eine Art Gürtel in einer der Vitrinen. Aha! Demnach hatte er wohl im Laufe seines langen Lebens zahlreiche Affären gehabt, stellte ich innerlich schmunzelnd fest. Er musste schon ziemlich alt an Jahren sein, was man ihm aber in keinster Weise ansah. Auf meine vielen Fragen antwortete er mir immer ausführlich und geduldig. Allzu vertrauliche und private Fragen vermied ich bewusst, da ich mittlerweile wusste, dass er sie nicht mochte. Er schien mir zu vertrauen und im weiteren Verlauf unseres Gespräches bot er mir das Du an. Nur als ich ihn nach dem verhangenen Bild über dem Kamin fragte, verzog er schmerzlich seinen Mund und presste die Lippen zusammen. Seine ganze Haltung war plötzlich abweisend und unnahbar. Wortlos drehte er sich um. Oh, hatte ich da vielleicht an etwas gerührt, was ihm unangenehm war?
„Tut mir leid, das wollte ich nicht†œ, murmelte ich und hätte beinahe meine Hand auf seine Schulter gelegt. Doch er entspannte sich schon wieder und ich überbrückte das verlegene Schweigen, indem ich zu dem großen runden Tisch ging auf dem Excalibur wieder lag. Ich fragte ihn, ob er es wirklich von König Arthur hatte. Shadow war mir gefolgt und antwortete, erleichtert über den Themenwechsel, ganz locker.
„Ja, er hat es mir zur Aufbewahrung gegeben. Auch die Tafelrunde, also den Tisch und die 12 Stühle. Die hat er mir überlassen, als sich die Ritter in alle Winde zerstreut hatten und er mit Genevieve aus Camelot in ein kleines, unbekanntes Schloss umgezogen war. Einen Stuhl, den 13., hat er behalten.†œ
„Momentmal! Gab es nicht, laut Legende, nur 12 Ritter? Und wer war der 13. Ritter? Oh, du Shadow? Ich sah ihn perplex an.
„Ja, ich gehörte auch mit zu der Tafelrunde seinerzeit, allerdings nicht sehr lange… Arthurs Geschichte wurde zur Legende. Dafür haben wir gesorgt, damit er mit seiner Familie in Ruhe und Frieden leben konnte, nachdem die Machtspiele und Kriege unter den Stämmen und Clans fast vorbei waren.†œ
Ich hätte ihm noch stundenlang zuhören können, doch leider war meine Zeit mit ihm viel zu schnell vorbei. Da ich ja noch immer vor hatte in das Trainingszentrum zu gehen, verabschiedete mich von ihm und versprach ihm, so bald wie möglich wiederzukommen. Er begleitete mich noch bis zur Tür. Plötzlich jedoch tat er etwas völlig unerwartetes. Er streckte eine Hand aus und berührte mit seinem Finger ganz sachte meine Wange. Doch genauso schnell wie der Augenblick kam, war er auch schon vorüber. Offensichtlich überrascht von seiner eigenen Geste, drehte er sich abrupt um und murmelte im Weggehen so etwas wie „bis morgen dann†œ. Überrascht sah ich ihm nach und fasste an die Stelle, wo sein Finger mich berührt hatte. Auf der Haut spürte ich ein merkwürdiges Prickeln, das nur ganz langsam nachließ.

Fortsetzung folgt…

Kapitel 1: „Seitensprung der Sisterhood – Ankunft in Schottland

Kapitel 2: Seitensprung der Sisterhood – Das Anwesen der Bruderschaft

findet sich hier.

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Seitensprung der Sisterhood †“ Das Anwesen der Bruderschaft

Seitensprung der Sisterhood

Kapitel 2
Das Anwesen der Bruderschaft

In der Dämmerung wachte ich auf. Duncan schlief neben mir, sein Gesicht war mir zugewandt. Eine seiner großen kräftigen Hände lag zwischen uns auf dem Kissen. Um ihn nicht zu wecken, legte ich meine Hand ganz vorsichtig in seine und musste über den Größenunterschied schmunzeln – Katzenpfötchen auf Bärentatze. Sein würziger Duft hüllte mich ein. Ich konnte nicht widerstehen und strich einige Haarsträhnen, die sein schönes Gesicht bedeckten, zurück. Federleicht fuhr ich mit meinen Fingerspitzen über seine Wangen, die verboten langen Wimpern. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn waren verschwunden und er sah total entspannt aus. Wärme durchflutete mich, als ich ihn so betrachtete. Sein Mund war leicht geöffnet und er atmete tief und gleichmäßig … eindeutig zu gleichmäßig ein und aus! Misstrauisch flüsterte ich:
„Duncan? Bist du wach?†œ
„Mh … mh†œ, brummte er und grinste mit geschlossenen Augen.
„Wer kann schon schlafen, mit so einem aufregenden Wecker neben sich†œ, flüsterte er heiser an meinen Lippen.
Plötzlich fielen mir die Ereignisse in der letzten Nacht wieder ein.
„Duncan, du hattest einen Albtraum letzte Nacht. Du hast immer wieder nach mir gerufen und mich gesucht, du … du warst richtig verzweifelt und hast mir angst gemacht.†œ Ich schmiegte mich an ihn und vergrub mein Gesicht an seinem Hals. Er legte eine Hand tröstend auf meinen Kopf.
„Wirklich? Tut mir leid, ich kann mich an gar nichts erinnern.†œ Einige rosa Stofffetzen auf seinem Arm lenkten mich von den Fragen ab, die ich ihm noch stellen wollte, und ich hielt sie ihm entrüstet unter die Nase.
„Duncan, du hast Kitty gekillt!†œ Lüstern sah er mich an und streifte mit seinen Zähnen über die empfindliche Stelle hinter meinem Ohr.
„Also, … daran kann ich mich gut erinnern …†œ Ein leises Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Seufzend stand er auf, zog sich schnell seine Shorts an, öffnete die Tür und verschwand im Wohnzimmer. Kurze Zeit später kam er mit zwei dampfenden Tassen Kaffee wieder, lächelnd zwinkerte er mir zu und reichte mir eine.
„Mit einem schönen Gruß von Mary. Sie bereitet gerade unser Frühstück zu und trifft uns dann im Park. Du hast sie ja im Sturm erobert, was?†œ
„Tja, uns verbindet eine gewisse Abscheu gegen merkwürdiges Essen!†œ Kichernd wich ich dem Kissen aus, das er nach mir warf, und verschwand im Bad.
Für die Zeremonie, die nach dem Frühstück im Park an dem Gedenkstein stattfinden sollte, zog ich meine schwarze Jeans und eine schlichte grüne Seidenbluse an. Die Farbe der Seide passte perfekt zu meinen Augen. Ich legte nur wenig Make-up auf und ließ Duncan zuliebe meine Haare offen.
Dann nahm ich das Tablett mit dem Kaffeegeschirr, um es selbst in die Küche zu bringen, da ich Mary am Vortag angesehen habe wie schwer ihr das Treppensteigen fiel. Duncan hatte sich hinter seinen Schreibtisch gesetzt, um einige Schriftstücke durchzusehen. Gerade als ich mit dem Tablett unten angekommen war, flog die Außentür mit einem großen Knall auf und ein großer Wikinger stand mitten im Rahmen. Natürlich war es kein echter Wikinger, aber er sah genauso aus – groß, muskulös, mit eisblauen Augen und einer blonden Mähne. Er hatte ein schönes Gesicht, eine gerade Nase – nur die Augen standen eine Spur zu dicht zusammen für meinen Geschmack. Seine Jeans und sein Shirt sahen fleckig aus und seine schwarze Lederjacke, die er darüber trug, war ziemlich abgewetzt. Und er hatte einen großen Fehler! Er war eine Fee! Stumm belauerten wir uns gegenseitig. Keiner rührte sich. Dann erschien ein spöttischer Zug um seinen Mund und er sah mich verächtlich an.
„Eine Hexe!†œ Aha, ein Blitzmerker!

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„Eine Fee!†œ, erwiderte ich trocken, nur wusste ich noch nicht genau ob Freund oder Feind. Lässig kam er näher, blieb vor mir stehen, deutete auf das Tablett.
„Es wurde auch Zeit, dass die Hexen für niedere Dienste angestellt werden, damit ihr endlich wisst, wo euer Platz ist!†œ Okay, Feind! Na warte, du arroganter Bursche, das kann ich auch.
„Seit wann dürfen Feen eigentlich den Vordereingang benutzen? Gerade eben aus dem Erdloch gekrochen, was?†œ In seinen Augen glomm urplötzlich Hass auf, und er umklammerte blitzschnell meine Oberarme. Wütend schüttelte er mich derart, dass meine Zähne aufeinander schlugen. Vor Überraschung und Schmerz schrie ich laut auf und ließ das Tablett fallen. Mit so einer heftigen Reaktion hatte ich nicht gerechnet! Was sollte das, wir kannten uns doch gar nicht? Mit zusammengekniffenen Augen zischte er:
„Du verdammtes Biest! Dir werde ich´s …†œ Weiter kam er nicht, denn plötzlich erfüllte ein derartig lautes Knurren den Raum, dass es von den Wänden nur so widerhallte. Schlagartig wurde ich aus seinem Griff befreit und er klebte an der gegenüberliegenden Wand. Duncan hielt mit einer Hand seinen Hals umklammert, die andere hatte er zur Faust geballt und hielt sie ihm unter die Nase. Langsam schob er ihn die Wand hoch.
„Wage es noch einmal sie anzufassen, und ich breche dir sämtliche Knochen!†œ Duncan war außer sich vor Zorn und bebte am ganzen Körper. Er war nicht wesentlich größer als der Wikinger und hielt seinen Hals eisern umklammert.
„Solltest du meiner Gefährtin noch einmal weh tun, reiße ich dir den Kopf ab! Hast du das verstanden?†œ, warnte er ihn mit gefährlich ruhiger und eiskalter Stimme. Ihre Gesichter berührten sich fast und Duncan zeigte ihm seine ausgefahrenen Fänge. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Der Wikinger sah ihn erschrocken an, dann nickte er. Duncan lockerte den Griff etwas und verlangte auf der Stelle eine Entschuldigung von ihm. Dieser sah kurz zu mir rüber und krächzte dann ungläubig:
„Sie ist deine Gefährtin? Das konnte ich doch nicht wissen. Okay, tut mir leid.†œ Ja klar, wer`s glaubt!
„Ihr Name ist Angie und sie gehört zu mir! Vergiss das ja nie!†œ Er stieß in noch einmal zur Bekräftigung gegen die Wand, dann ließ er ihn los und trat einen Schritt zurück, behielt ihn jedoch im Auge. Er beruhigte sich langsam und ich stieß den Atem aus, den ich vor Schreck unwillkürlich angehalten hatte. Die Situation entspannte sich allmählich.
„Momentmal, ist sie die Angie, die den Troll einen Kopf kürzer gemacht hat?†œ So etwas wie Respekt blitze kurz in seinen Augen auf, als er mich von oben bis unten musterte, doch sofort wurde seine Miene wieder gleichgültig. Duncan nickte nur.
„Angie, dieser Vollidiot ist Leif, unser Spion bei den Söldnern.†œ Was sollte ich dazu sagen? Dieser Widerling war der Spion, der für die Brüder arbeitete? Gut, das musste ich akzeptiren, ob es mir nun gefiel oder nicht. Aber diese halbherzige Entschuldigung reichte mir längst nicht! Also hob ich das Tablett mit einem kräftigen Schwung auf, so dass es zufällig genau mit der Kante gegen Leifs Ellbogen stieß und einen empfindlichen Nerv traf. Er fluchte unterdrückt und rieb sich den Ellbogen. Böse funkelte er mich an, hütete sich jedoch irgendetwas zu sagen. Unschuldig erwiderte ich seinen Blick.
„Oh Verzeihung, das tut mir jetzt aber schrecklich leid, wir Hexen sind ja so ungeschickt!†œ In aller Seelenruhe sammelte ich das Geschirr auf, das wie durch ein Wunder nicht zerbrochen war und küsste den verdutzten Duncan auf die Wange. Den Wikinger würdigte ich mit keinem Blick. Dann drehte ich mich auf dem Absatz um und stolzierte in die Küche.

Im Esszimmer fanden wir den Tisch liebevoll von Mary mit allerlei Köstlichkeiten gedeckt vor. Mit einer Handbewegung lud Duncan diesen Leif ein mit uns zu frühstücken. Als er meinen entsetzten Gesichtsausdruck sah, nahm er meine Hand und versicherte mir leise:
„Er ist sonst nicht so. Eigentlich ist er ein ganz umgänglicher Kerl, ich weiß auch nicht, was eben in ihn gefahren ist. Bitte!†œ Widerwillig gab ich nickend meine Zustimmung und er drückte meine Hand.
„Später haben wir noch eine kleine Konferenz, in der er uns Bericht erstatten will und ich möchte dich auch dabei haben†œ, sagte er dann etwas lauter.
„Vielleicht könnt ihr beiden ja eine Art Waffenstillstand schließen?†œ Duncan sah uns auffordernd an. Okay, an mir sollte es nicht liegen. Ich musste ihn ja nicht mögen, wenn ich mit ihm zusammen arbeiten sollte.

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Den gleichen Gedanken musste Leif auch gehabt haben, denn wir nickten uns gleichzeitig zu, gaben uns aber nicht die Hand darauf. Leif ließ demonstrativ zwei Stühle Platz zwischen uns frei und füllte sich schweigend seinen Teller.
„Na, jetzt bin ich aber gespannt, ob Wicki auch mit Messer und Gabel umgehen kann†œ, murmelte ich leise. Das konnte ich mir nicht verkneifen! Kurz darauf gesellte sich Mythos noch zu uns und begrüßte mich überschwänglich mit einer herzlichen Umarmung. Er versicherte mir mehrmals, wie schön er es fand, mich endlich wiederzusehen. Seine Begeisterung darüber mich wieder zu sehen machte mich zwar etwas misstrauisch aber vielleicht entsprach das einfach nur seinem Naturell. Ich hatte ihn das letzte Mal auf der Insel bei der Trauerfeier gesehen und fand ihn sympathisch. Er hatte ein offenes freundliches Gesicht und kluge Augen. Leif gab er einen freundlichen Klaps auf die Schulter, und Duncan nickte er nur kurz zu. Mir kam der Gedanke, dass er der Anrufer vom Vorabend gewesen sein könnte und Duncan somit schon gesehen und gesprochen haben konnte. Mit einer Tasse Kaffee setzte er sich zu uns und lächelte in die Runde. Dann zeigte er fragend auf die leeren Stühle zwischen Leif und mir. Wicki goss sich gerade in aller Ruhe ein Glas Milch ein und stellte dabei mit vollem Mund fest:
„Hier ist die Luft einfach besser!†œ
Grimmig umklammerte ich mein Messer und biss die Zähne zusammen, legte es dann aber wieder langsam neben meinen Teller. Ich wollte mich nicht von ihm provozieren lassen, aber er hatte es ja nicht anders gewollt!
„Nein, es wäre zu schade um das schöne Messer. Darf ich ihn stattdessen mit etwas Marmelade bewerfen? Die ist auch schön rot! … oh bitte!†œBeschwörend sah ich Duncan an, doch der verdrehte nur seine Augen und nahm sich ein Croissant. Wicki schnaubte verächtlich und zerknüllte seine Servierte.
„Vermutlich trifft sie nicht mal!†œ
Ganz ruhig bleiben! Ich pickte schnell mit meiner Gabel etwas von dem Rührei auf, um sie nicht gezielt in seine Richtung zu werfen und seine Rippen zu durchbohren. Mythos blickt irritiert von einem zum andern.
„Hab´ ich was verpasst?†œ
Duncan lehnte sich seufzend mit verschränkten Armen zurück und sagte ironisch:
„Nein, nicht wirklich. Wir haben gerade die zweite Runde eingeläutet!†œ Wicki ließ sich überhaupt nicht stören und trank einen Schluck Milch. Sofort verzog er betont angewidert sein Gesicht.
„Hier hat jemand die Milch sauer werden lassen, und ich weiß auch schon wer!†œ
„Pass bloß auf, dass ich dir nicht eine fette Warze dahin hexe, wo du gerade drauf sitzt, du Blödmann†œ,  murmelte ich ohne aufzusehen vor mich hin und stocherte verbissen in meinem Rührei herum. Duncan gab resigniert auf und schlug mit der flachen Hand ungehalten auf den Tisch.
„Ich geb auf! Oh Mann, der Waffenstillstand hat ja lange gehalten!†œ Ich bearbeitete weiter mein Rührei und zeigte mit dem Finger auf Leif.
„Er hat angefangen!†œ Duncan beugte sich nach vorne und sah ziemlich genervt aus, aber das war ich mittlerweile auch.
„Es ist mir egal, wer angefangen hat, ich werde es beenden. Mythos?†œ Der Angesprochene grinste nur und wusste genau, was er zu tun hatte. Er stand auf, packte Wicki am Arm und zog ihn hinter sich her. Diese Kräfte hätte ich dem kleinen Mann jetzt nicht zugetraut. Leif warf noch schnell seine Servierte auf den Tisch und rief empört:
„Hey, langsam…ich bin doch noch nicht fertig!†œ Mythos nickte entschlossen.
„Jetzt schon!†œ
Kichernd blickte ich hinter den beiden her, das Bild war einfach zu köstlich. Der Große ließ sich von dem kleinen Mythos ans Händchen nehmen und widerstandslos abführen. Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, sonst hätte ich Beifall geklatscht. Doch als ich Duncans Blick sah, verging mir das Lachen. Unbehaglich zerbröselte ich meinen Toast. Ich gab ja zu, dass ein friedliches, harmonisches Frühstück etwas anderes war, und vielleicht hatte ich ein bisschen übertrieben, aber dieser dämliche Leif trieb mich bis zur Weißglut. Duncan seufzte und sah mich eindringlich an.
„Was ist bloß los mit dir? Angie, so kenne ich dich gar nicht.†œAlso, so richtig sauer klang das jetzt zum Glück nicht, und er hatte ja recht.
„Ich mich ja auch nicht. Ach ich weiß auch nicht, aber dieser Kerl fördert eine fiese dunkle Seite in mir zu Tage, von der ich noch nicht mal wusste, dass ich sie besitze.

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Er ist wie ein rotes Tuch für mich. Dabei ist er ja noch nicht mal eine Fee von der gemeinen Sorte. Er hat nur irgendetwas an sich, das mich dermaßen reizt, dass ich kurz davor stehe, ihm an die Kehle zu gehen.†œ
Ob Duncan jetzt doch wütend auf mich war? Vorsichtig  beobachtete ich ihn über den Rand meiner Kaffeetasse. Ruhig erwiderte er meinen Blick und ich sah erleichtert, dass sich seine Mundwinkel zu einem Lächeln verzogen. Plötzlich hörte ich ein amüsiertes Glucksen von ihm.
„Eine Warze? Du hättest ihm tatsächlich eine Warze an seinen Hintern gezaubert? So was kannst du?†œ
„Oh ja, das ist eine meiner leichtesten Übungen. Sogar eine Warze mit Haaren drauf, oder eine schöne schmerzhafte Furunkel!†œ Ich stimmte in Duncans Lachen ein, und meinte noch, dass sich für Wicki dann das Sitzen eine Weile erledigt hätte. Kopfschüttelnd legte er seine Hand auf meine und sagte:
„Wir haben hier ein Gesetz, das uns jede Art von Magie und Zauberei verbietet, damit jeder auf dem Anwesen bei den Auswahlkriterien und bei der Ausbildung die gleiche Chance hat. Und jeder hält sich daran, ohne Ausnahme.†œ
„Eigentlich schade! Na ja, in meinem Fall jetzt. Aber hier für euch ist es nur gerecht. Sag mal, warum hat Mythos Wicki eigentlich nach oben gebracht, und ihn nicht einfach vor die Tür gesetzt?†œ
„Solange er hier ist, wohnt er immer in Tims Apartment. Er wird erst mal duschen wollen und sich umziehen. Er war die ganze Nacht unterwegs, um hierher zu kommen. Aber zu deiner Beruhigung, er wird morgen, spätestens übermorgen wieder verschwunden sein.†œ Okay, diese zwei Tage werde ich schon überstehen ohne auszurasten, ich musste mich bloß von ihm fernhalten.
Ich stand auf, stellte mich hinter Duncan, schlang beide Arme um ihn und drückte einen Kuss auf seinen Kopf.
„Tut mir leid um das schöne Frühstück†œ, flüsterte ich und rieb meine Wange an seiner. Auf seiner Armbanduhr sah ich, dass wir noch genug Zeit hatten, bis wir uns im Park mit den anderen treffen wollten. Also machte ich ihm den Vorschlag, dass wir einen kleinen Spaziergang machen und er mir schon mal etwas von dem Anwesen zeigen konnte. Die ausführliche Besichtigung war für den Nachmittag geplant.
Die Sonne schien vom wolkenlosen blauen Himmel, und es war noch schön warm, obwohl schon ein Hauch von Herbst in der Luft lag. Die Blätter an den Bäumen fingen an sich zu verfärben und die Rosen, die hier überall in allen nur erdenklichen Farben blühten, verströmten einen so intensiven Duft, als wüssten sie, dass ihre Zeit bald vorbei sein würde und sie in wenigen Wochen von Mutter Natur in den Winterschlaf geschickt würden. Wir schlenderten an dem Trainingszentrum vorbei und an der angrenzenden Schwimmhalle, von der Duncan mir versicherte, dass sie Olympiamaße hatte. Das Verwaltungsgebäude sah sehr beeindruckend  aus, fast wie eine alte Villa im Jugendstil. Die wenigen Leute, die uns unterwegs begegneten, grüßten freundlich im Vorbeigehen und warfen mir einen kurzen neugierigen Blick zu. Aber das störte mich nicht weiter, denn die üppigen Rosenbeete hatten es mir angetan, und ich konnte kaum widerstehen jede einzelne Blüte zu berühren oder an ihr  zu schnuppern. Ich war total begeistert und strahlte Duncan an.
„Duncan, hier gefällt es mir, es ist einfach wunderschön.†œ
Er umarmte mich und küsste mich auf die Stirn.
„Das freut mich, mein Herz. Das Anwesen ist zu meiner zweiten Heimat geworden, und ich komme immer wieder gerne nach einem Einsatz hierher zurück. Schade, um dir das Dorf der Zwerge zu zeigen, reicht leider die Zeit nicht mehr. Lass uns umkehren, der Rosenpark wartet.†œ
Der Park, in dessen Mitte der schwarze Marmorstein stand, war nicht besonders groß, aber sehr eindrucksvoll gestaltet. Überall standen auf der sorgsam gestutzten Rasenfläche viele kleine Rosenbüsche und bildeten ein wunderschönes, aber auch irgendwie geheimnisvolles Muster. Umrahmt wurde der Park von hohen Eichenbäumen, die im Sommer kühlen Schatten spendeten. Zwischen den Bäumen wuchsen hochstämmige Rosenbäumchen, die auch den schmalen Kiesweg säumten, der vom Eingang direkt bis zu dem Stein führte. Hier hatten die Rosen sinnigerweise nur eine Farbe, ein samtiges Blutrot. Der rechteckige Stein war sehr schlicht und hatte eigentlich nichts Besonderes an sich, außer den Namen, die darauf in einer fremdartigen Schrift standen. Die Buchstaben schienen aus purem Gold zu sein, und oben auf dem Stein saß ein steinerner Pegasus. Er ließ seinen Kopf traurig hängen, seine Flügel hatte er zu beiden Seiten aufgestützt. Anders als bei der Trauerfeier und der Beisetzung,  ging es diesmal ziemlich formlos zu, und es waren auch nur wenige Personen anwesend. Mythos, Duncan, Leif, Henry, Mary und ich betrachteten abwartend den Stein.

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Ich wusste nicht, was nun passieren würde, und gerade, als ich Duncan danach fragen wollte, erschien wie auf ein geheimes Zeichen aus dem Nichts eine kleine helle Flamme und fing an, die Namen von Norbert und Bowen unter die Namen der anderen, die auch ihr Leben im Kampf gelassen hatten, zu brennen. Oh Gott, es waren so viele, bestimmt an die 100 Namen waren schon eingraviert. Traurig beobachtete ich, wie der Norberts Name zuerst auf dem Stein erschien. Immer noch erschütterte mich die Art seines Todes. Ich konnte nur mühsam meine Tränen zurückhalten und biss mir auf die Unterlippe. Oh Norbert, es tut mir so leid.
Plötzlich spürte ich ein leichtes Prickeln in meinem Nacken. Jemand musste hinter mir stehen und mich beobachten. Verstohlen musterte ich die Anwesenden, doch alle starrten mit ernster Miene auf den Stein. Mary wischte sich verstohlen mit einem Tuch über die Augen und klammerte sich an Henry. Mythos sah sehr ergriffen aus und sogar Wicki, der sich mittlerweile umgezogen und seine Mähne zu einem Zopf gebändigt hatte, sah mit tiefem Ernst und sichtlich bewegt auf den Stein. Also blickte ich vorsichtig über meine Schulter und suchte die Umgebung ab, aber ich konnte zunächst niemanden entdecken. Doch, da bewegte sich etwas zwischen einem Rosenbäumchen und einer Eiche! Ein Schatten, der die Umrisse eines mittelgroßen Mannes hatte. Ich blickte kurz zu Duncan, ob er auch etwas bemerkt hatte, doch er war ganz vertieft und beobachtete die Flamme. Als ich erneut über meine Schulter sah, war der Umriss von dem Mann verschwunden. Hatte ich mich getäuscht? Nein, da war jemand gewesen, da war ich mir ganz sicher, denn das unheimlich Gefühl heimlich beobachtet zu werden, dieses spezielle Prickeln in meinem Nacken, hatte ich mir nicht eingebildet! Doch niemand außer mir schien etwas bemerkt zu haben. Um die Zeremonie nicht zu stören, beschloss ich den Vorfall zunächst für mich zu behalten.
Kurze Zeit später zerstreute sich die kleine Gruppe, und nachdem Duncan noch einen letzten traurigen Blick auf den Gedenkstein geworfen hatte, legte er einen Arm um mich und sagte auffordernd:
„Komm, der Konferenzraum wartet.“ Duncan führte mich zurück zum Haus. Direkt rechts neben dem Eingang in der großen Halle befand sich die Tür zu dem Konferenzraum. Aber viel interessanter fand ich die Tür daneben. Auf ihr klebte in Augenhöhe das Label einer bekannten Whiskeymarke, Jack Daniels!
„Und, wo geht es da hin?†œ Ich hatte schon die Hand auf der Klinke, als Duncan mich zurückzog und meinen neugierigen Blick verdächtig unschuldig erwiderte.
„Och, das ist nichts Besonderes, nur unser … äh, Freizeitraum.†œ Ach ja? Was für eine altmodische Bezeichnung. Mit hochgezogenen Brauen sah ich ihn abwartend an, doch er küsste erst meine Hand, dann meinen Mund und flüsterte grinsend:
„Später. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.†œ Ganz toll, jetzt war meine Neugierde erst recht geweckt! Was sich wohl hinter der Tür zu dem komischen „Freizeitraum†œ verbarg? Aber er hatte recht, zuerst musste die Sache mit den Söldnern geklärt werden, und auf den Bericht von Wicki war ich schon mächtig gespannt.
Der Konferenzraum selbst war im Verhältnis zu den anderen Räumen hier im Haus eher klein. In der Mitte stand nur ein ovaler Tisch mit 20 Stühlen und eine Flipchart, mehr nicht. Ein großes Fenster spendete genügend Licht. Die schweren Vorhänge blieben hier aufgezogen, anders als bei anderen geheimen Zusammenkünften. Mythos und noch jemand saßen schon auf ihren Plätzen, als Duncan und ich eintraten. Mythos stellte mir den unbekannten Mann als Demetri vor. Dieser Demetri war ein hochgewachsener Mann mit kurzgeschnitteneren honigbraunen Haaren und Augen in der gleichen Farbe. Ich fand das ziemlich ungewöhnlich, aber es sah interessant aus. Er reichte mir die Hand und schüttelte meine mit festem Händedruck.

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Sein Allerweltsgesicht und auch seine Kleidung waren eher durchschnittlich, und er wirkte ziemlich unscheinbar auf mich. Bis ich seine Stimme hörte.
„Freut mich, Sie kennenzulernen, Miss Angie. Meinen Namen wissen Sie schon, aber bestimmt nicht, welche Rolle ich hier spiele.†œ Völlig baff konnte ich ihn nur mit offenem Mund anstarren. Dieser Mann hatte einen leichten russischen Akzent und die melodischste Stimme, die ich je gehört hatte. Sie zog mich sofort in seinen Bann, sodass ich meine Augen nicht von ihm abwenden konnte. Mit dem Klang seiner Stimme brachte er bestimmt Eisberge zum Schmelzen und jede andere Frau dazu, ihm vor die Füße zu fallen, oder sich hemmungslos in seine Arme zu werfen. Zum Glück war ich schon meinem Schotten verfallen und Duncans leises gereiztes Knurren löste mich endgültig aus der Starre, in die ich trotzdem gefallen war.
„Genug! Demetri, sie ist eine von uns! Also lass es!†œ Ich blinzelte verwirrt und der Bann war augenblicklich gebrochen. Demetri sah mich entschuldigend an und sagte:
„Oh, tut mir leid, die Macht der Gewohnheit. Ich bin ein Dämon der Sinne.†œ Vielsagend tippte er sich an die dunklen kleinen Höcker auf seinem Haaransatz, die mir zuerst gar nicht aufgefallen waren. Wow, kleine niedliche Hörner. Gleich musste ich an Ef-Ef, unseren kleinen Hamster-Dämon denken. Ob er ihn wohl kannte? Ich musste ihn später mal danach fragen.
„Mit meiner Stimme kann ich jeden Verdächtigen zum Reden bringen und erkenne gleichzeitig, ob er die Wahrheit sagt. Tja, und ich bin hier auf dem Anwesen der Administrator†œ, setzte er noch mit einem sympathischen Lächeln hinzu. Seine Stimme hatte sich etwas verändert, sie war nicht mehr so betörend, aber immer noch sehr klangvoll. Wie setzten uns und warteten auf die Fee. Endlich erschien auch Leif und ging gleich zum Kopf des Tisches ohne nach rechts und links zu blicken. Er stellte sich mit verschränkten Armen in Position und fing sofort an zu berichten.
„Vor ein paar Monaten sind 16 Söldner mit ihrem Anführer verschwunden, ohne dass die anderen davon wussten. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ein Teil der Truppe sich absetzt und woanders kämpft, ohne den Rest zu informieren. Im Grunde sind alle Einzelkämpfer sind, die sich nicht im Geringsten um ihre Kampfgefährten scheren. Nur bei einem gemeinsamen Auftrag kämpfen zusammen. Diesmal konnte ich nicht rechtzeitig in Erfahrung bringen, wohin sie aufgebrochen sind. Niemand hatte geahnt, dass sie sich Dungeon angeschlossen hatten und wusste wo sie zuschlagen würden. Sie haben sich so in sein Gefolge integriert, dass sie nicht weiter aufgefallen waren. Den Rest der Truppe hatte ich soweit unter Kontrolle, dass ich sie überzeugen konnte, sich ruhig zu verhalten. Bis die Nachricht von dem großen Kampf in Peru und dem Tod des Anführers eintraf. Einer von den Söldnern konnte verletzt entkommen und hat mit mir Kontakt aufgenommen, bevor er starb.†œ Verwundert sahen Duncan und ich uns an. Einer konnte entkommen? Neugierig fragte ich Leif:
„Wie denn? Ich dachte wir hätten da gründlich aufgeräumt? Meines Wissens ist nur Dungeon entkommen, weil er…†œ, plötzlich hatte ich eine Eingebung!
„Oh, es war eine Fee? Und er ist auch geflogen, so wie der Drache, richtig?†œ Leif sah mich lauernd an, und wartete auf eine ironische Bemerkung von mir. Doch das hier hatte nichts mit unserem Kleinkrieg zu tun, dies war bitterer Ernst. Also erwiderte ich seinen Blick ruhig und professionell. Er wirkte kurz verunsichert und räusperte sich. Als er mir zustimmte, klang seine Stimme wieder genau so fest wie zu Beginn seines Berichtes.
„Ja, genau. In dem ganzen Tumult, konnte er unbemerkt fliehen und sich bis Veracruz in Mexico durchgeschlagen. Dort hat er sich mit mir getroffen und mir alles berichtet. Leider war ich nicht alleine mit ihm, und so konnte sich die Nachricht, dass du den Troll auf dem Gewissen hast, sehr schnell verbreiten und erreichte den Rest der Truppe. Irgendwie haben die Feen, die hier ansässig sind, davon erfahren, dass eine Handvoll Söldner jetzt hierher unterwegs ist, um ihren Anführer zu rächen. Ich konnte sie erst mal auf eine falsche Spur lenken, aber ich weiß nicht, wie lange das anhält. Also müssen wir warten und auf der Hut sein.†œ Nachdenklich sah ich ihn an.
„Woher wissen die Kerle, dass ich hier bin? Und was ist aus dem Typ geworden, der entkommen ist, lebt er noch?†œ

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Er schüttelte den Kopf und sagte kaltlächelnd:
„Sie wissen nicht, dass du hier bist, sie vermuten es nur. Und was den Söldner betrifft, der musste etwas gemerkt haben und wollte meine Tarnung auffliegen lassen, also habe ich seinen Tod etwas beschleunigt.†œBeruhigt nickte ich. Das war zumindest eine gute Nachricht. Duncan erhob sich und sagte mit seiner tiefen Stimme:
„Danke, Leif, jetzt wissen wir Bescheid und können uns darauf einstellen. Du behältst die Söldner weiter im Auge und meldest dich sofort, wenn sich etwas tut. Gute Arbeit, mein Freund. Das war`s dann für heute.†œ Er nickte noch einmal in die Runde, und die kleine Versammlung löste sich auf. Mythos ging mit uns zur Tür und Demetri gesellte sich zu Leif, der immer noch am Kopf des Tisches stand. Ich konnte hören, was Leif zu ihm sagte. Er bemühte sich noch nicht mal seine Stimme zu senken. Bestimmt wollte er sicher sein, dass ich es auch ja mitkriegte.
„Na gut, dann spiele ich eben den Wachhund für die Hexe. Die haben doch außer ein paar dämlichen Zaubersprüchen eh nicht viel drauf. Ohne die sind sie so hilflos wie ein Baby.†œ Abrupt blieb ich stehen und drehte mich langsam um. Das war`s du Mistkerl, es reichte mir endgültig! Zu meinem Glück und seinem Pech trug ich immer eines meiner kleinen Wurfmesser gut versteckt in meinem Gürtel bei mir. Unauffällig zog ich es hervor, visierte kurz sein Profil an, dann warf ich es locker aus dem Handgelenk … und schon steckte das Messer neben seinem Kopf in der Wand. Dabei hatte es im Vorbeiflug sein Haarband zerschnitten. Erschrocken fasste sich Wicki an seinen gelösten Zopf, dann sah er das Messer, das zitternd in der Wand steckte. Ich stellte mich vor ihn hin, ignorierte sein wütendes Gesicht und sagte, obwohl ich innerlich vor Wut kochte, völlig ruhig:
„DAS mein Lieber, war keine Hexerei, DAS war Können! Und du… kannst mich mal!†œ Ich blickte im fest in die Augen, und holte schon aus, um ihn noch kräftig gegen das Schienbein zu treten, da zog mich Duncan im letzten Moment zurück.
„Komm, Angie, er hat`s verstanden!†œ
Grimmig umklammerte er meinen Oberarm, reichte mir auf dem Weg zur Tür mein Messer, das er unbemerkt aus der Wand gezogen hatte und beförderte die Tür von außen mit einem kräftigen Tritt ins Schloss. Unerbittlich in seinem Zorn riss er mich mit sich in den Freizeitraum und trat auch diese Tür hinter uns zu. Dann drückte er mich mit meinem Rücken an die Tür. Beängstigend groß und drohend stand er vor mir, sah mich wütend an und brüllte gleich los.
„Verdammt noch mal! Wie konntest du nur so die Beherrschung verlieren! Mit dem Messer? Und wenn ich nicht gewesen wäre, hättest du ihn auch noch getreten! Wie professionell ist das denn?†œ Oh oh. Ich zog meinen Kopf ein und traute mich nicht ihn anzusehen. Innerlich schrumpfte ich auf die Größe einer Maus. Ich wollte nicht, dass er wütend auf mich war, ich wollte doch nur… Oh Himmel, wie konnte das eben in dem Verhandlungsraum nur passieren? Ich biss mir auf die Lippe und versuchte erfolglos meine Tränen runterzuschlucken. Doch er war noch nicht fertig.
„Willst du etwa jetzt immer mit dem Messer auf ihn losgehen, wenn er eine schwachsinnige Bemerkung von sich gibt?†œNatürlich wollte ich das nicht. Stumm schüttelte ich den Kopf. Dabei fixierte ich seine muskulöse Brust, die sich durch sein heftiges Atmen hektisch hob und senkte. Diesmal war er zu Recht wütend auf mich, und das konnte ich nicht ertragen. Leif war mir egal, aber er doch nicht. Mein schlechtes Gewissen regte sich, und ich schämte mich, weil ich mich so hatte gehenlassen. Schniefend wischte ich mir die Tränen ab.
„Sieh mich an†œ, forderte er leise. Unsicher hob ich den Blick und sah ihm direkt in seine dunklen Augen. Er umfasste mein Kinn und seufzte.
„Ach, Angie, manchmal könnte ich dich übers Knie legen, aber wenn du mich dann so ansiehst… und sag jetzt bloß nicht wieder, dass es dir leid tut.†œ Unglücklich seufzte ich tief und wollte nur noch, dass er mir Verzeiht, und alles wieder zwischen uns in Ordnung war.
„Tut es aber. Nicht das mit dem Messer, na ja, ein bisschen schon, aber das du so wütend auf mich bist. Duncan, ich wollte doch wirklich nicht…†œ Weiter kam ich nicht, denn er streifte mit seinen Lippen meinen Mund und murmelte:
„Sei still, kleine Hexe.†œ Duncan hob mich hoch und ich schlang meine Arme um seinen Hals und die Beine um seine Taille. Eine Hand legte er auf meinen Hinterkopf, die andere landete auf meinem Po. Dann küsst er mich, dass mir Hören und Sehen verging, alles um mich herum verschwand und sich in nichts auflöste. Es gab nur ihn und mich. Nach einer Ewigkeit löste er schweratmend seine Lippen von meinen und flüsterte:
„Wenn wir jetzt nicht die Notbremse ziehen, kann ich für nichts mehr garantieren.†œGlücklich schmiegte mich an ihn und öffnete langsam meine Augen. Verwirrt sah ich mich um und wusste im ersten Moment nicht wo ich war. Oh, das musste der so genannte „Freizeitraum†œ sein!

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Ich löste meine Umklammerung und Duncan stellte mich sanft zurück auf den Boden, hielt mich aber immer noch fest und verdeckte mir so die Sicht auf das Zimmer mit seinem Körper. Ungeduldig wollte ich ihn zur Seite schieben, aber er bewegte sich keinen Millimeter. Als ich ein bisschen nachhalf und ihn nicht ganz so liebevoll in die Seite zwickte, gab er seufzend nach und trat zur Seite. Ohne ein Wort zu sagen, sah ich mich aufmerksam um. Durch eine riesige Fensterfront an einer Seite fiel Licht hinein und machte den Raum groß und hell. Ich erkannte sofort, dass ich mich in einer Männerdomäne befand. Duncan verfolgte jeden meiner Schritte genau, blieb aber an der Tür stehen. Ich schlenderte zu der kleinen Bar, die in einer Ecke untergebracht war und betrachtete ausführlich die gut bestückten Regale mit allen Whiskey-Sorten, die man sich nur vorstellen konnte. Ich schob einen der 4 Barhocker zur Seite und beugte mich über den Tresen.
„Oh, ihr habt sogar eine Zapfanlage hier? Doch wohl nicht für das Bier hier auf der Insel, oder?†œ Ich warf ihm einen entsetzten Blick zu, doch zu meiner Beruhigung schüttelte er lächelnd den Kopf.
„Nein, wir lassen uns das Bier immer aus Deutschland kommen. Die haben nun mal das Beste!†œ Bravo!
„Aber wir benutzen die Anlage selten, uns reicht Flaschenbier.†œ
Ein leichter Tabakduft lag in der Luft. Und schon entdeckte ich an der Wand neben der Bar einen Humidor aus Mahagoniholz, in dem Zigarren verschiedener Größen aufbewahrt wurden. Neugierig ließ ich meinen Blick weiterschweifen und konnte nur staunen. Hier hatte man wirklich an alles gedacht, was das Männerherz begehrte. Ein runder Pokertisch, auf dem noch Jetons gestapelt waren, ein Billardtisch, einige Sessel mit Beistelltischchen, auf denen eine Leselampe angebracht war und Aschenbecher standen befanden sich in dem Raum. Sogar ein alter Flipperautomat stand neben einer Musikanlage, von der ich nur träumen konnte. Die dazugehörigen Boxen waren so geschickt und unauffällig im Raum verteilt, das man bestimmt einen fantastischen Klang hatte. Der CD-Turm neben der Anlage war sehr gut bestückt und die Namen der verschiedenen Bands ließen auf einen breitgefächerten Musikgeschmack der Jungs schließen. Von Klassik über Hard Rock, von Metall bis Swing – es war alles dabei. Eine CD mit alten Schlagern fischte ich heraus und hielt sie ihm fragend unter die Nase. Er grinste nur.
„Die sind von Jean und Eric.†œ
Oha, das hätte ich jetzt nicht gedacht und legte sie feixend wieder zu den anderen.
Als nächstes interessierte ich mich für die Glasfront und blickte durch die große Flügeltür, die nach draußen auf die Terrasse führte. Die Nachmittagsonne schien auf einige Liegestühle, die zum Relaxen einluden. Einige Gartenstühle standen um einen ovalen Holztisch. Jetzt fehlte nur noch… ja, wahrhaftig! Da stand er direkt neben einigen Blumenkübeln. Ein gemauerter Grill! Genau das richtige für die Jungs. Ich sah sie direkt vor meinen Augen um den Grill stehen, die Steaks auf dem Feuer, die Bierflasche in der Hand – fachsimpelnd über Dieses und Jenes und natürlich über Frauen. Grinsend drehte ich mich wieder zu ihm um und setzte meine Erkundungstour fort.
Ich entdeckte einen mobilen Flatscreen, der mitten im Raum stand, und bestimmt mit allen Sportkanälen der Welt programmiert war. Überall lagen Baseballcaps und Fußballwimpel herum. Weiter führte mich mein stummer Rundgang zu einer kleinen Sitzgruppe aus schwarzen Leder… was sonst, schmunzelte ich und strich mit den Fingerspitzen über die Lehnen. Die sah allerdings schon etwas älter und ziemlich abgewetzt aus. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich Duncan, der sichtlich nervös wurde, als ich näher zu der Wand mit den Kalendern aus verschiedenen Jahrgängen kam und sie eingehen betrachtete. Aha, deshalb war er die ganze Zeit so angespannt. Er hatte sich mittlerweile zu mir gesellt und legte einen Arm um mich. Dabei versuchte er mich in die andere Richtung zu dirigieren. Doch ich blieb einfach stehen und deutete auf einen der Kalender.
„Oh. Das müssen aber ganz arme Frauen sein, die haben bestimmt kein Geld um sich Kleidung zu kaufen.†œ
„Äh..ja. Komm meine Süße, ich zeige dir mal unser Kino†œ, versuchte er mich abzulenken und schob dabei ganz beiläufig eine Zeitschrift, die von einem der kleinen Tischen gefallen war, mit dem Fuß unter einen der Sessel. Blitzschnell tauchte ich unter seinem Arm hinweg, bückte mich und zog eine ältere Ausgabe des Playboys hervor. Mit hochgezogenen Brauen legte ich sie auf das Tischchen zurück, auf dem schon einige Magazine über Sportwagen und Luxuslimousinen lagen.
„Ich weiß schon, wegen der interessanten Reportagen, ja?†œ

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Duncan grummelte nur etwas von „Bones, du Blödmann!†œ, und strich sich dabei verlegen mit einer Hand durch die Haare.
Das kleine Teufelchen in mir weidete sich ein bisschen an seinen Unbehagen, denn er wusste ja nicht, dass wir auf der Insel auch so einen Raum hatten, ähnlich ausgestattet wie dieser hier, nur viel kleiner und ohne Kino. Bei seinem kurzen Besuch war nicht genug Zeit für einen ausführlichen Rundgang gewesen. So behauptete ich so ernsthaft wie möglich:
„Natürlich haben wir Schwestern auf unserer Insel auch so einen Raum. Aber bei uns hängen nur Bilder von Landschaften und Blumen an den Wänden, oder Motive mit niedlichen Kätzchen und Hundewelpen.†œ Okay, das war jetzt gelogen, und ich kreuzte schnell zwei Finger hinter meinem Rücken. Wir hatten sogar eine Fototapete, die fast eine ganze Wand einnahm. Auf der waren sehr nette Exemplare seiner Gattung abgebildet, auch mehr oder weniger bekleidet. Das männliche Gegenstück zu den Pirellikalendern, die hier hingen, hing auch bei uns auf der Insel. Er war aus dem Fangthasia, unserer Lieblingsbar auf dem Festland, und wir bekamen jedes Jahr die neuste Ausgabe zugeschickt.
„Eine so schöne Bar haben wir natürlich nicht, nur einen alten Kühlschrank … na ja, wir sind ja auch nicht so viele wie ihr hier.†œ Duncan sah mich mit leicht zusammengekniffenen Augen skeptisch an und stellte dann erschüttert fest:
„Angie, du schwindelst ja ohne rot zu werden!†œ
„Ich? Ich schwindel doch gar nicht! Wir habe wirklich nur einen alten Kühlschrank da stehen.†œ Erst sahen wir uns einen Moment stumm an, dann kicherten wir wie auf ein Kommando los. Er drückte mich an sich und sagte wieder ernst:
„Angie, ich kann das hier auch alles verändern, wenn du das möchtest. Das wäre wirklich kein Problem für mich.†œ Aber natürlich wäre es das, ich glaubte nämlich nicht, dass seine Brüder damit einverstanden wären. Als er nachdenklich mit gerunzelter Stirn an seiner Unterlippe nagte, überlegte er wahrscheinlich gerade, wie er das seinen Brüdern beibringen sollte. Es war so lieb von ihm, dass er das für mich tun wollte. Spontan legte ich meine Hand auf seine Wange und schüttelte meinen Kopf.
„Nein, Duncan, ich finde es super hier. Bitte lass ruhig alles so wie es ist, es stört mich nicht, wirklich nicht! Schließlich ist es für eure Zerstreuung gedacht, es ist eure Domäne, eure Zuflucht um abzuschalten, und es ist richtig so, wie es ist. Ich bin schließlich nur ein Gast hier. Aber ich danke dir für dein Angebot.†œ Ich legte meinen Kopf an seine Brust und lauschte seinem Herzschlag.
„Nur…, Angie, du wirst niemals nur ein Gast hier sein. Ich möchte, dass du dich hier wohlfühlst.†œ Er legte eine Hand auf meinen Kopf und sagte eindringlich und leise, immer noch zu ernst für meinen Geschmack:
„Ich würde alles für dich tun.†œ Zärtlich strich er mir mit einer Hand über meine Haare. Ich fing die Hand ein und hielt sie fest, dann strich ich ihm über seine gerunzelte Stirn.
„Aber das weiß ich doch, mein Lieblingsschotte. Und keine Sorge, solange ich mit dir zusammen bin, fühle ich mich überall wohl.†œ Beruhigt lächelte er endlich wieder.
„Na, dann komm mal mit.†œ Er ging mit mir zum Ende des Raumes auf einen weinroten Vorhang zu, der eine ganze Wand verdeckte. Duncan nahm eine Fernbedienung von einem der Tischchen, drückte eine Taste und schon schwang der Vorhang zur Seite. Zusammen gingen wir drei Stufen runter und befanden uns tatsächlich in einem Kino. Ich löste mich von ihm und drehte mich begeistert um meine eigene Achse. Wow, das war ja fantastisch! Mit großen Augen sah ich mich um. Vor einer riesigen Leinwand standen sogar einige Kinosessel. Die Sammlung der Filme, die ich sofort auf einem gigantischen Regal an der Wand entdeckte, begeisterte mich auf Anhieb. Unwillkürlich klatschte ich in die Hände. Natürlich waren alle Western und Clint Eastwood-Filme, jede Menge Aktion, Horror und Science-Fiktion, ein paar Komödien und etwas Comedy vertreten. Liebesfilme dagegen entdeckte ich nicht. Doch dann stieß ich etwas versteckt hinter den Bond Filmen ganz unten im Regal auf die komplette Sammlung der Disney Zeichentrickfilme. Ich versuchte ernst zu bleiben, wirklich, aber dann konnte ich nicht mehr und prustete los. Lachend setzte ich mich auf den Boden und zog wahllos eine der DVDs heraus. Oh, die Schöne und das Biest. Duncan setzte sich zu mir und zeigte grinsend auf das Cover.

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„Das geht auf Cyrus Konto. Nando und Tim lieben Arielle, Norbert und Bowen das Dschungelbuch, Eric, Jean und Bones sind ganz vernarrt in Cinderella und Schneewittchen. Ach, eigentlich mögen wir alle die Filme von Disney.†œ Oh nein, mein Lieber, so kommst du mir nicht davon!
„Und was ist dein Favorit?†œGespannt wartete ich auf seine Antwort, obwohl ich schon so eine leise Ahnung hatte, und ließ ihn dabei keine Sekunde aus den Augen. Erst tat er so, als müsste er lange überlegen und klopfte sich dabei mit dem Zeigefinger nachdenklich an seine Nase, doch dann gab er bereitwillig zu:
„Ich gestehe ja schon, meine Lieblinge sind Susie und Strolch… ja und Bambi, das wolltest du doch von mir hören, oder?†œ Er beugte sich vor und tippte mir auf meine Nase. Diabolisch grinsend setzte er noch hinzu:
„Ich kann es dir an der Nasenspitze ansehen, dass du darauf gewartet hast, du kleines Biest!†œ
Bingo! Ich grinste ihn frech an, er kannte mich zu gut! Er grinste kopfschüttelnd zurück, stand auf und zog mich sanft mit sich hoch.
„Aber wir mögen alle den kleinen Burschen, stimmt´s? Doch genug davon, sonst entlockst du mir womöglich noch alle meine Geheimnisse. Also weiter geht`s. Sieh mal, das ist doch was für dich, oder?†œ
Wow, und wie das was für mich war! Schnell hatte ich die Sache mit den Geheimnissen vergessen und nur noch Augen für den Popcornautomat und den Automaten mit Schokolade, Weingummi und sonstigem Süßkram. Eigentlich waren es ja keine Automaten, weil der Schlitz für den Münzeinwurf fehlte, aber sie sahen genau so aus, wie eben jeder sie kannte. Und meine Lieblingssorte gab es auch, Jelly Beans in allen Farben, wunderbar! Schnell öffnete ich das kleine dafür vorgesehene Kläppchen, zog eine Tüte heraus und öffnete sie.
„Probier mal, ich liebe besonders die in Orange….†œLächelnd neigte ich meinen Kopf zur Seite und schob ihm einen von den Beans einfach in seinen Mund. Er schloss kurz seine Augen und nickte dann.
„Schmeckt mir!†œ
Plötzlich sah er mich so eigentümlich an und sein Blick blieb an meinem Mund haften. Er nahm mein Gesicht in seine Hände und beugte sich langsam zu mir runter. Fasziniert betrachtete ich seine Lippen, die sich langsam teilten und seine Zungenspitze freigaben, auf der die kleine Bohne lag. Sanft drückte er sie gegen meine Lippen und als ich meinen Mund etwas öffnete, drängte er sie langsam auf meine Zunge, die ihn schon sehnsüchtig erwartete. Virtuos und sinnlich rollte er die Bohne in meinem Mund hin und her und als ich sie in seinen Mund zurückgleiten ließ, begann das Spiel von neuem. Längst hatte ich meine Arme um ihn geschlungen und gab mich diesem sinnlichen Spiel hin. Sein köstlicher Geschmack, gepaart mit dem Aroma der immer kleiner werdenden Bohne, überreizte fast meine Sinne, und ich drückte mich hilflos an ihn. Da klingelte sein Handy überlaut in dieser aufgeheizten und vor Elektrizität knisternden Atmosphäre. Ich riss meine Augen auf und verschluckte vor Schreck den Rest der Bohne. Schweren Herzens löste er sich von mir und nahm mit leicht zitternden Händen und belegter Stimme den Anruf entgegen.
„Oh… hallo, Polly. Natürlich… ja, wir sind schon fast auf dem Weg. Bis gleich….†œ

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Er verstaute sein Handy wieder in seiner Hosentasche und fluchte leise vor sich hin.
„Mist, das habe ich ja total vergessen.†œ Entschuldigend sah er mich an, als ob er dafür verantwortlich war, dass wir so plötzlich unterbrochen wurden. Bevor ich noch fragen konnte, was denn los sei, sprach er schon weiter.
„Polly hat uns zum Essen eingeladen, und wir sollten eigentlich schon längst da sein. Ich bin schon sehr lange mit ihr befreundet. Ihr Mann Aaron arbeitet auf der Seraphim als Koch. Ich kenne die beiden schon, lass mich überlegen…†œ, dabei tippte er nachdenklich gegen seine ausgefahrenen Fänge, „mh, so ungefähr 70-80 Jahre? Ach ja, und ich bin der Pate ihrer Kinder.†œ Ach ja? Und das erzählte er mir so ganz beiläufig nebenbei? Er fasste mich am Arm, um mich in Richtung Tür zu schieben. Doch ich blieb stur stehen und sah ihn nur finster an.
„Du glaubst doch wohl nicht allen Ernstes, dass ich so mit dir gehe? Mein Make-up ist bestimmt verschmiert, meine Bluse zerknittert, und meine Haare sind, dank deiner hübschen Finger, total zerzaust! Oh nein, mein Lieber, so gehe ich nirgendwo mit dir hin! Was ist es denn für ein Essen, offiziell oder mehr zwanglos? Was soll ich da anziehen? Und was soll ich mitbringen, Blumen oder etwas anderes? Was ist mit den Kindern? Hah, ich habe ja nichts zum Mitbringen, woher auch! Herr Thorpe hat ja nichts vorher gesagt, er hat so etwas Wichtiges einfach vergessen. Er will mich so ganz nebenbei seinen Freunden vorstellen. Ich fasse es nicht!†œ Ich lief mittlerweile vollkommen nervös vor ihm auf und ab und rang mit meinen Händen. Was hatte er sich nur dabei gedacht?
„Was ist, wenn ich … wenn sie mich nicht mögen, oder nicht als deine Gefährtin akzeptieren? Was…†œ Als ich aufgebracht vor ihm stehen blieb und ihn vorwurfsvoll ansah, legte er einfach seinen Zeigefinger auf meinen Mund und stoppte so meine kleine Panikattacke.
„Ruhig, ganz ruhig, Liebes. Sie werden dich mögen, wieso auch nicht? Sie sind bisher immer mit allem einverstanden gewesen und wirklich schwer in Ordnung und sehr liebenswürdig. Also beruhige dich wieder, es ist doch nichts Besonderes, nur ein Essen, also ganz zwanglos, und du siehst doch gut aus so, wie du bist, wirklich!†œ
Amüsiert betrachtete er meinen fassungslosen Blick. Das sollte mich beruhigen? Männer! Wusste er denn nicht, wie entscheidend der erste Eindruck war, besonders bei guten Freunden? Kopfschüttelnd versuchte ich mich selbst zu beruhigen, indem ich ein paar Mal tief durchatmete und tippte ihm dann nachdrücklich gegen seine Brust.
„Ich bin in fünfzehn Minuten wieder da, und du überlegst dir inzwischen, was wir ihnen mitbringen können. Und unterwegs zu ihnen, möchte ich alles über sie erfahren, damit ich mich nicht gleich in das erste beste Fettnäpfen stürze.†œ Ich nickte nochmal ernsthaft, wartete seine Antwort gar nicht erst ab, sondern küsste ihn flüchtig auf sein Kinn. Dann ließ ich ihn stehen und flitzte nach oben um mich schnell ein bisschen zurechtzumachen und umzuziehen.
Ich stand sogar noch vor der verabredeten Zeit an der Haustür und wartete ein wenig atemlos auf Duncan. Ich hatte mich auf die Schnelle für ein luftiges ärmelloses Sommerkleid in schlichtem Weiß entschieden. Falls es kühl werden sollte, was für die Jahreszeit nicht ungewöhnlich war, hatte ich mir noch schnell eine warme Strickjacke geschnappt. Als Schmuck trug ich nur die Kette mit dem Herz, die mir Duncan geschenkt hatte. Meine Haare hatte ich schnell gebürstet und trug sie offen. Auf Make-up hatte ich weitestgehend verzichtet und nur etwas Lipgloss aufgetragen. Da kam er auch schon mit einer großen Tragetüte um die Ecke und betrachtet mich stumm von oben bis unten. Nervös zupfte ich an dem Kleid herum und wartete auf eine Reaktion von ihm.
„Und? Kann ich so gehen?†œEr schluckte hörbar.
„Nicht ohne einen Aufstand zu verursachen! Aber im Ernst, du bist wunderschön, und ich möchte eigentlich gar nicht mehr los. Aber sie warten schon auf uns. Okay, etwas fehlt aber noch.†œ Er zeigte grinsend auf meine Füße. Mist, ich hatte in der ganzen Hektik meine Schuhe vergessen! Nachdem auch das erledigt war, und ich in meine flachen Riemchensandalen geschlüpft war, machten wir uns Arm in Arm auf den Weg. Unterwegs erzählte er mir ein bisschen über die Familie, und dass ich mich auf eine Überraschung gefasst machen sollte. Was das für eine war, damit rückte er nicht raus, sondern lenkte mich immer wieder ab, indem er von seinen Patenkindern erzählte. Der Junge hieß Albus und war sechs Jahre alt, seine ältere Schwester Caitleen war acht.

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Die Jüngste, Bonnie, war gerade drei geworden. Als er mir den Inhalt der großen Tüte beschreib und erwähnte, dass er von seinen Reisen immer etwas für sie mitbringen würde, knuffte ich ihn empört in die Seite. Mich so in Aufregung zu versetzen für nichts! Er grinste nur verschmitzt und flüsterte mir ins Ohr, dass er so gerne meine Augen aufblitzen sähe, wenn ich aufgebracht sei, und ich ihn ja auch nicht habe zu Wort kommen lassen.
Nach einem 15-minütigen Spaziergang durch den angrenzenden Wald des Anwesens, erreichten wir die Stadt der Zwerge. Sie sah aus wie ein kleines Dorf und es kam mir so vor, als würde ich eine Zeitreise in das Mittelalter unternehmen. Es gab nur die Hauptstraße, an der einige wenige kleine Gassen rechts und links abzweigten. Wir schlenderten auf Kopfsteinpflaster an den schmucken kleinen Fachwerkhäusern mit reichverzierten Giebeln und Erkern vorbei. An vielen Fenstern waren Blumenkästen angebracht. Scheinbar verzichteten die Bewohner auf Autos, denn ich konnte nirgends eines entdecken. Duncan zeigte mir die wenigen kleinen Geschäfte, in denen man bestimmt nach Herzenslust nach ausgefallenen Dingen stöbern konnte. Ich nahm mir vor, demnächst zurückzukehren. Meine Zeitreise wurde jäh durch einige Bewohner der kleinen Stadt unterbrochen. Modern gekleidete Zwerge schlenderten an uns vorbei und grüßten freundlich. Über einen Marktplatz mit einem steinernen Brunnen in der Mitte waren wir auch schon am Ende der Straße und gleichzeitig am Ende des Dorfes angelangt. Duncan blieb vor einem hübschen kleinen Häuschen mit einem großen Garten stehen, der von einem weißen Zaun eingefasst war. Er öffnete ein kleines Törchen und ließ mir den Vortritt. Der Garten selbst sah auf dem ersten Blick ein bisschen chaotisch aus, alles wuchs scheinbar wild durcheinander, aber bei näherer Betrachtung hatte auch dieses Chaos eine gewisse Ordnung. Es war einfach nur ein natürlicher Garten, in dem die Blumen und Pflanzen noch wachsen durften wie sie wollten, liebevoll gepflegt von seinem Besitzer. Und wo nichts wuchs, standen bunte Kübel mit Herbstastern bepflanzt. Hier und da lag Spielzeug herum. Nur ein Beet mit allerlei Kräutern war sorgsam gepflegt. Der angenehm würzige Duft, gepaart mit dem Duft der Herbstblumen, stieg mir in die Nase. Plötzlich ertönte hinter uns Kindergeschrei.
„Onkel Duncan, Onkel Duncan, endlich bist du da!†œ Ein Junge von ca. sechs Jahren, gefolgt von zwei Mädchen, die wohl seine Schwestern sein mussten, stürmte auf uns zu. Duncan hockte sich lächelnd hin und breitete einladend seine Arme aus. Die Kinder fielen ihm jauchzend um den Hals, und er ließ sich mit ihnen lachend auf den Rücken fallen. Als ich ihn dann mit den Kindern beobachtete, wie er sich von ihnen widerspruchslos mitziehen ließ und mit ihnen lachend durch den Garten tobte, sich bereitwillig von ihnen fangen ließ und sie vorsichtig und liebevoll an sich drückte, breitete sich ein wohliges Gefühl der Wärme in meinem Körper aus. Genauso hatte ich mir den Vater meiner Kinder vorgestellt, die ich irgendwann einmal haben wollte. Genauso.
Eine etwas rundliche Frau mit schulterlangen, leuchtend roten Haaren und strahlend blauen Augen trat aus dem Haus. Als sie mich sah, kam sie ohne zu zögern mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Ihr hübsches Gesicht war übersät mit Sommersprossen, und sie hatte ein sehr gewinnendes Lächeln. Als sie mich herzlich umarmte und auf beide Wangen küsste, wusste ich sofort, was Duncan mit der Überraschung meinte. Polly musste sich zu mir herunterbeugen, denn sie überragte mich um mindestens einen Kopf! Sie war also definitiv keine Zwergin! Sie war eine Dämonin, das konnte ich sofort spüren.
„Angie, oh wie schön! Herzlich willkommen! Ich heiße Polly, naja, eigentlich Philomena, keine Ahnung was meine Eltern sich dabei gedacht haben, aber nenn mich bloß Polly, bitte. Es wurde auch Zeit, dass Duncan endlich seine Gefährtin gefunden hat. Lass mich dich anschauen.†œ Sie schob mich etwas von sich weg und musterte mich ungeniert.
„Und dazu noch eine hübsche Hexe. Ach ich freue mich ja so für euch!†œ Mit dieser Begrüßung hatte sie auf Anhieb mein Herz gewonnen und ich erwiderte ihre Umarmung. Über meinen Kopf hinweg rief sie:
„Böser Duncan, warum hast du mir verschwiegen, wie nett und hübsch sie ist?†œ Doch er war zu beschäftigt um zu antworten, da die Kleinen energisch forderten den Inhalt der Tüte zu sehen. Lachend zog sie mich zu einem grob gezimmerter Holztisch mit einer Bank und einigen Stühlen. Eine hochgewachsene Weide gab der Sitzecke ein natürliches Dach und spendete Schatten. Sie setzte sich neben mich ohne meine Hand loszulassen. Zusammen beobachtet wir die Vier.

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„Er ist total vernarrt in die drei, und verwöhnt sie nach Strich und Faden. Die kleinen Monster wickeln ihn dafür hemmungslos um den kleinen Finger.†œ Laut rief sie:
„Kinder, lasst Onkel Duncan leben!†œ Das war also Polly. Diese quirlige freundliche Frau sorgte dafür, dass meine gesamte Nervosität mit einem Schlag verschwunden war. Lächelnd sah sie mich an.
„Er wird ein guter Vater sein, glaub mir.†œ
„Polly, ich danke dir für die nette Begrüßung und… ja, ich weiß, er wird ein sehr guter Vater sein. Er wird immer für seine Kinder da sein, sie beschützen und niemals im Stich lassen.†œ Ich konnte nicht verhindern, dass der letzte Satz ziemlich bitter klang, weil ich in dem Moment an meinen Vater denken musste, von dem ich nicht einmal den Namen wusste.
„Ich habe meinen Vater nie kennengelernt. Weder kenne ich seinen Namen, noch weiß ich, wie er aussieht. Ich weiß rein gar nichts über ihn.†œ Warum erzählte ich ihr, einer mir völlig fremden Person, das alles? Normalerweise war ich sehr misstrauisch Fremden gegenüber, was bei meiner Arbeit auch sehr wichtig war. Doch bei ihr spürte ich instinktiv, dass ich ihr vertrauen konnte. Ob uns auch eine Seelenverwandtschaft wie die zu meinen Schwestern verband? Ich sah ihr tief in die Augen und sah dort etwas sehr Vertrautes. Als sie mir lächelnd zuzwinkerte, waren alle Zweifel beseitigt. Sie war nicht nur eine Dämonin, durch ihre Adern floss auch Hexenblut! Erleichtert drückte ich ihre Hand. Oh war das schön, endlich eine von meiner Art hier auf dem Anwesen zu finden.
Plötzlich durchfuhr mich ein anderer schrecklicher Gedanke. Duncan ist ein Vampir und ich bin eine Hexe. Zwei ganz unterschiedliche Spezies. Ob es überhaupt möglich war, das wir beiden Kinder zusammen haben konnten? Polly schien meine Gedanken zu lesen, denn sie legte mir beruhigend eine Hand auf den Arm und sagte leise:
„Vielleicht klappt es ja auch bei euch. Mein Mann ist ein Zwerg und ich bin eine Halbdämonin. Und nun sieh dir meine drei Kinder an, oder besser gesagt, meine vier!†œ Ohne auf seine Kleidung zu achten saß Duncan mit den Kindern auf dem Rasen und spielte mit ihnen mit den Geschenken, die er mitgebracht hatte. Seine Haare waren zerzaust und er lachte glücklich. Gehorsam ließ er sich von der kleinen Bonnie, die ein Ebenbild ihrer Mutter war, eine Schleife in sein dunkles Haar binden. Ich presste meine Lippen zusammen, um nicht laut zu lachen, es sah einfach zu komisch aus! Polly kicherte leise neben mir, doch plötzlich sah sie sehr nachdenklich aus.

Fortsetzung folgt…

Kapitel 1: „Seitensprung der Sisterhood – Ankunft in Schottland“ findet sich hier.

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