Der meist diskutierte Roman des Jahres 2002
Tod eines Kritikers von Martin Walser
Gestern nacht vom Mord geträumt, wieder vom längst geschehenen. Nichts vom Opfer. Nur die Angst, entdeckt zu werden. Diesmal das Opfer im eigenen Haus vergraben. Einzige Chance, nicht entdeckt zu werden: ausgraben und irgendwo weit weg loswerden. Das ist doch vorrstellbar. Das muß gehen. Aber eben dabei kann man, muß man entdeckt werden. Die Angst quält so, daß man sich wünscht, das Entdecktwerden endlich hinter sich zu haben. Aufwachen. Wie immer, froh, weil es doch nur ein Traum war.
Martin Johannes Walser, geboren am 24. März 1927 in Wasserburg am Bodensee, ist ein deutscher Schriftsteller. Bekannt wurde Walser durch seine Darstellung innerer Konflikte der Antihelden in seinen Romanen und Erzählungen.
Die Eltern Walsers betrieben die Bahnhofsrestauration und eine Kohlenhandlung in Wasserburg am Bodensee. Das Milieu seiner Kindheit wird im Roman Ein springender Brunnen geschildert. Von 1938 bis 1943 besuchte er die Oberrealschule in Lindau und wurde anschließend als Flakhelfer eingezogen. Nach Unterlagen des Berliner Bundesarchivs ist Walser in der Zentralkartei der NSDAP mit dem Eintrittsdatum 30. Januar 1944 verzeichnet. Walser bestreitet jedoch jemals einen Aufnahmeantrag ausgefüllt zu haben. Nach dem Reichsarbeitsdienst erlebte er das Ende des Zweiten Weltkrieges als Soldat der Wehrmacht. Nach Kriegsende machte er 1946 in Lindau das Abitur und studierte an den Universitäten Regensburg und Tübingen Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie. Mit einer Dissertation zu Franz Kafka wurde er 1951 in Tübingen promoviert.
Während des Studiums arbeitete Walser als Reporter für den Süddeutschen Rundfunk und schrieb erste Hörspiele. Zusammen mit Helmut Jedele bildete er den Kern der „Genietruppe†œ des Hörfunks. 1950 heiratete er Katharina „Käthe† Neuner-Jehle. Aus dieser Ehe gingen die Töchter Franziska, Alissa, Johanna und Theresia hervor.
Seit 1953 wurde Walser regelmäßig zu den Tagungen der Gruppe 47 eingeladen, die ihn 1955 für die Erzählung Templones Ende auszeichnete. Sein erster Roman Ehen in Philippsburg erschien 1957 und wurde ein großer Erfolg. Walser lebte von da an mit seiner Familie als freier Schriftsteller erst in Friedrichshafen dann in Nußdorf am Bodensee.
In den sechziger Jahren setzte sich Walser wie viele andere linke Intellektuelle für die Wahl von Willy Brandt zum Bundeskanzler ein. 1964 war er Zuhörer beim Auschwitz-Prozess in Frankfurt. Er engagierte sich gegen den Vietnamkrieg, reiste nach Moskau und galt (auch seinem Verleger Siegfried Unseld) in den sechziger und siebziger Jahren als Sympathisant der DKP, der er aber nie als Mitglied angehörte; er war mit Ernst Bloch, Robert Steigerwald u.a. befreundet. 1988 hielt Walser im Rahmen der Reihe Reden über das eigene Land eine Rede, in der er deutlich machte, dass er die deutsche Teilung als schmerzende Lücke empfindet, mit der er sich nicht abfinden will. Diesen Stoff machte er auch zum Thema seiner Erzählung Dorle und Wolf. Auch wenn Walser ausdrücklich betonte, dass sich seine Haltung über die Zeit nicht verändert habe, sprechen einige Beobachter von einem Sinneswandel des Autors.
Eine in Verlagsverträgen ungewöhnliche Klausel ermöglichte es Walser, nach dem Tod von Siegfried Unseld mit allen seinen Werken 2004 vom Suhrkamp Verlag zum Rowohlt Verlag zu wechseln. Insbesondere spielte laut eigener Aussage dabei die fehlende Positionierung des Verlags im Streit um seinen umstrittenen Roman Tod eines Kritikers eine Rolle.
Walser ist Mitglied der Akademie der Künste (Berlin), der Sächsischen Akademie der Künste, der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung (Darmstadt) und Mitglied des deutschen P.E.N.
Tod eines Kritikers
Der Roman beginnt als Erzählung eines gewissen Michael Landolf, der beweisen möchte, dass Hans Lach, dessen letztes Buch in André Ehrl-Königs (Vorbild: Marcel Reich-Ranicki) Literatursendung SPRECHSTUNDE verrissen worden ist, nicht für den Tod des von der Bildfläche verschwundenen Starkritikers verantwortlich ist, obwohl er sich nach seiner Verhaftung selbst beschuldigt und in Mordphantasien hineingesteigert hat. Zu diesem Zweck recherchiert Landolf innerhalb des deutschen Literaturbetriebs, unterhält sich mit Kriminalhauptkommissar Wedeking über Lachs letztes Buch Wunsch, Verbrecher zu sein, besucht Hans Lach in der Psychiatrie und beginnt eine Affäre mit der Verlegergattin Julia Pelz-Pilgrim. Der vermisste Ehrl-König nimmt dabei in den Erzählungen von Professor Silbenfuchs und Rainer Heiner Henkel immer deutlicher die Gestalt eines machtbesessen „Großkaspars“ an, der keine seriöse Literaturkritik betreibt, sondern Selbstinszenierung auf Kosten der Schriftsteller. Es zeigt sich, dass der Kritiker auch in der vermeintlichen Todesnacht nur die Gelegenheit einer Inszenierung wahrgenommen hat, um sich der Affäre mit einer jungen Schriftstellerin widmen zu können. Weiter ist am Ende des Romans klar, dass Michael Landolf und Hans Lach ein- und dieselbe Person sind. Die Erzählung nimmt dadurch Züge eines literarischen Selbstgesprächs an und die Tatsache, dass Anfang und Ende in einer Ringkomposition zusammenfallen, riegelt den literarischen Kosmos nach außen hin weiter ab.
Tod eines Kritikers ist ein für Walser untypisch postmoderner Roman. Er ist nicht nur Krimi-Farce, Medienbetriebssatire und Seitensprunggeschichte, sondern enthält auch eine psychologische Studie, welche die Identitätsproblematik der Schriftsteller im Medienzeitalter behandelt. Darüber hinaus enthält das Buch vor allem auch ein Spiel mit den Realitätsebenen in Form eines Schlüsselromans, bei dem reale Personen in literarische Figuren überführt werden. Kritiker Walsers halten gerade aus diesem Grund den Roman für misslungen. Jan Philipp Reemtsma konstatierte, Walsers Wunsch, Marcel Reich-Ranicki durch sein Buch zu schaden, habe bei ihm zu einem „Kontrollverlust†œ und einem Schreibprozess „im Zustand autosuggestiver Verstörung†œ geführt. „Das Grundanliegen Martin Walsers, Marcel Reich-Ranicki in absurder und bizarrer Gestalt mit höchstem Beleidigungswert in seinem Roman auftreten zu lassen, macht alle Bemühungen um eine annähernd komplexe Erzählstruktur zunichte.†œ Aufgrund eines offenen Briefs des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher ist dieser Aspekt des Romans in der öffentlichen Wahrnehmung besonders hervorgetreten. Interessant dabei ist, dass die öffentliche Diskussion über Walsers Werk in vielen Punkten dem Drehbuch des Romans folgte, weswegen dieser aus heutiger Sicht beinahe prophetisch wirkt.
Hier und hier findet man zwei gute Rezensionen dazu, und hier gibt es noch eine komplette Abhandlung zur Mediendebatte um diesen Roman.
Das hört sich arg nach „Tod eines Kritikers“ von Martin Walser an…
ach Don, du mit deinen sechs Sinnen 🙂
das war ja ein echter Blattschuss, mitten ins Herz, und jetzt gehe ich schwer getroffen in meine Bettenburg…
Sieh’s doch positiv: Da brauchst du dir wenigstens keine weiteren Hinweise mehr zu überlegen… 😉
Schlaf gut!
PS: Seite 27, gell?
Ok, und was ich jetzt mit meinen 100 Tipps, die ich schon vorab herausgesucht habe?
Na ja, egal, aber trotzdem bin ich ganz schön neugierig, wie du so schnell darauf gekommen bist. Es war das „Skandalumwitterte“, gell 😉
ach so, ich vergaß: Herzlichen Glückwunsch und dafür bekommst du einen Becher Bio-Sahne, hm, köstlich und mit vielen Kalorien, also genau das richtige für deinen ausgemergelten Body 🙂
Stimmt, der Skandal-Hinweis hat mich auf die Spur gebracht. Zudem hab ich das Buch mal „antiquarisch“ erworben, habe es aber, wie ich (zu meiner Schande?) gestehen muss, nur angelesen; aufgrund des Medienrummels war ich zu vorbelastet, um mich unvoreingenommen darauf einzulassen. Vielleicht sollte ich es mir jetzt mit zeitlichem Abstand noch mal vorknöpfen. Hast du es gelesen?
Falls du etwas Unterstützung brauchst, um diesen Roman „anzurichten“: Hier und hier findest du 2 gute Renzensionen dazu. Und hier gibt es noch eine komplette Abhandlung zur Mediendebatte um diesen Roman.
Ich warte jetzt erst mal ab, bis du den Walser serviert hast, und stelle dann mein neues Buch morgen im Laufe des Tages vor. So eilig haben wir’s ja nicht, oder?