Der 67-jährige Schriftsteller Peter Kurzeck erhält den Grimmelshausen-Preis 2011 für seinen Roman „Vorabend„, der im März 2011 im Stroemfeld Verlag erschienen ist.
Seit 1993 wird der mit 10.000 Euro dotierte Preis alle zwei Jahre von den Städten Gelnhausen und Renchen in Baden-Württemberg sowie den beiden Landesregierungen an Autorinnen und Autoren vergeben, „die … in den vorausgegangenen sechs Jahren durch ein … erzählerisches Werk einen bemerkenswerten Beitrag zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte geleistet haben.†œ
Der Literaturpreis ist nach dem Autor des Simplicissimus Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (um 1622 bis 1676), der in Gelnhausen geboren wurde und in Renchen starb und mit seinem im Dreißigjährigen Krieg spielenden Schelmenroman berühmt wurde, benannt.
In „Vorabend“ schreibt Kurzeck auf über 1.000 Seiten die Geschichte der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit fort. Das Buch spielt unter anderem in Kurzecks Heimat in Oberhessen und in Frankfurt. Der 67-jährige Kurzeck will in seinem Buch „die ganze Gegend erzählen, die Zeit„, heißt es in der Begründung der Jury. Dies gelinge ihm dank einer Fülle von Personen und Orten, Geschichten und Motiven und dank seiner „zauberischen Erzählkunst„, berichtet das Börsenblatt.
Kurzbeschreibung
Seit Mitte der neunziger Jahre arbeitet Peter Kurzeck an dem großen autobiographisch-poetischen Projekt „Das alte Jahrhundert„. Die ersten vier Bände sind bereits erschienen: Übers Eis (1997), Als Gast (2003), Ein Kirschkern im März (2004) und Oktober und wer wir selbst sind (2007).
Über das Autobiographische hinaus entsteht eine faszinierende Zeitgeschichte.
Im Jahr 1982 in Frankfurt-Eschersheim ein langes Wochenende im Herbst: Der Erzähler ist mit Frau und Kind bei Freunden zu Besuch. Vielleicht das letzte Wochenende, bevor die Freunde nach Südfrankreich ziehen. Der Erzähler ist müde. Will schlafen. Um ihn her der Nachmittag und die vertrauten Stimmen und dazu die Stimmen in seinem Kopf. Und dann muß er erzählen! Eine lange Reise. Und wir begleiten ihn in das Land seiner Kindheit. Das Oberhessen aus der Zeit nach dem Krieg und bis in die Siebziger Jahre. Gestern noch hier und jetzt ein versunkenes Land, eine Sage. Man muß die ganze Gegend erzählen, die Zeit! Und dazu die Menschen. Kleinbauern, Handwerker und Gießereiarbeiter. Die Oberdorfwitwen, die alten Leute und ihre Geschichten. Und die Kinder, als wir alle noch Kinder waren. Die alten Kaufläden. Flohmarkt- und Flüchtlingsgeschichten. Wie es bei der Arbeit zugeht.
Lebensläufe, Vergangenheiten, die Zeit. Was die Zeit mit uns macht. Das Fernsehen. Die Liebe. Drei Paargeschichten. Wie man mitten im Pferdefuhrwerk- und Dampflokzeitalter als Sechsjähriger in Lollar am Güterbahnhof bei der amtlichen Waage steht (neben einer großen Pfütze) und weiß vom Hörensagen, die Erde ist eine Kugel. Ein langer Herbstnachmittag und er ist sechs und muß sich alle Stimmen und Farben und jede Einzelheit merken. Und hat keine Wahl, wird ein Dichter. Wenn man auf einem Berg wohnt, führt jeder Heimweg am Ende mühsam bergauf.
Die Nachkriegs-, die Not-, die Hunger-, die Hamster-, die Schwarzmarkt- und dann die neue und immer noch eine neuere neue Zeit. Der Fortschritt. Und fängt dann zu fahren an. Baustellen, der Straßenbau, Autobahnen, Schnellstraßen und Autobahnzubringer. Staatssekretäre, Ehrenjungfrauen und das Weltbild der Igel. Eine vergessene alte Landstraße, die leer in der Sonne liegt. Supermärkte, Einkaufsfahrten, Räubergeschichten, ein gelungener Amoklauf und die langen Sommer der späten Sechziger Jahre. Ein ganzes Zeitalter und jeder Augenblick fängt zu reden an. (Norbert Wehr im WDR)
Über den Autor
Peter Kurzeck ist 1943 in Böhmen geboren und als Flüchtlingskind in Staufenberg im Kreis Gießen aufgewachsen, lebte seit 1970 lange Jahre in Frankfurt am Main. Heute lebt er in Uzès, Südfrankreich, und in Frankfurt am Main. Verschiedene Literaturpreise und Stipendien: Alfred-Döblin-Preis 1991, Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 1999, Hans-Erich-Nossack-Preis 2000, Stadtschreiber von Bergen 2000/2001. 2008 erhielt Peter Kurzeck den Georg-Christoph-Lichtenberg-Preis.
Der Förderpreis, dotiert mit 2.500 Euro, geht an die 28-jährige Autorin Annika Scheffel für ihren Debütroman „Ben“ (Kookbooks Verlag) – ein modernes, anrührendes, zugleich tragisches und skurriles Märchen über die Liebe, das Leben und den Tod mit Mut zur Phantasie und Sprachwitz“, meint die Jury.
Kurzbeschreibung
Benvolio Antonio Olivio Julio Toto Meo Ho Schmitt weiß Bescheid: Lea wird sterben. Dreimal darf er seine große Liebe treffen, beim vierten Mal kommt der Tod und steckt sie in seinen Stoffbeutel. Ben flieht. Unterwegs verliert er seine Namen und ohne es zu wollen nimmt er Einfluss: Er setzt Herrn May in Bewegung, verursacht den Weltuntergang hinter dem Spiegel und bringt seinen Vater auf die Insel. Und Ben stellt fest: Alleinbleiben ist gar nicht so einfach. Annika Scheffels Romandebüt ist verspielt und existenziell, märchenhaft heutig und zeitlos schön. Mit „Ben“ ist ihr eine Figur gelungen, die uns, sind wir ihm einmal begegnet, noch lange begleiten wird. Und sie erzählt von ihm mit einer so klaren und zugleich berückend eigensinnigen Stimme, dass man ihr vom ersten Satz an verfällt.
Über die Autorin
Annika Scheffel wurde 1983 in Hannover geboren und studierte in Giessen und Bergen/Norwegen Angewandte Theaterwissenschaft. Sie war als Performerin unter anderem in „Dreckig Tanzen“ und „Das Beste Theatertück der Welt“ von Susanne Zaun zu sehen. 2007 war sie Preisträgerin beim Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen, 2008/2009 Teilnehmerin des Münchner textwerk-Seminars. Zurzeit ist sie Stipendiatin der Drehbuchwerkstatt an der Hochschule für Fernsehen und Film München. Annika Scheffel lebt und arbeitet in Berlin. „Ben“ ist ihre erste Buchveröffentlichung.
Die Literaturpreise werden im Herbst in Gelnhausen verliehen.