Der schönste erste Satz von John Dos Passos

John dos PassosDrei Möwen kreisen über verbeulten Büchsen, Orangenschalen, fauligen Rübenstrunken, die zwischen den zersplitterten Plankenwänden auf und nieder schaukeln, die grünen Wellen schäumen unter dem runden Bug, wenn das Fährboot, schlitternd auf dem Flutstrom, schnalzend, schluckend die zerspellten Wasser schneidet, schleifend, schlappend langsam auf die Helling auffährt.

Manhattan Transfer von John Dos Passos

John Dos Passos, geboren am 14. Januar 1896 in Chicago, gestorben am 28. September 1970 in Baltimore, war ein amerikanischer Schriftsteller. Er gilt neben Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald als einer der Hauptvertreter der amerikanischen Moderne und wird mit diesen zur Lost Generation gezählt.

Dos Passos wurde als unehelicher Sohn eines wohlhabenden Rechtsanwalts portugiesischer Abstammung geboren und wuchs unter der Obhut seiner Mutter in Virginia auf. Noch als Schüler unternahm er mit einem Privatlehrer eine halbjährige Bildungsreise durch Frankreich, England, Italien, Griechenland und den Nahen Osten, um dort Meisterwerke der klassischen Kunst und Architektur im Original zu studieren.

1913 schrieb er sich an der Harvard-Universität ein und ging nach Studienabschluss 1916 nach Spanien, um sich dort ebenfalls Kunst und Architektur anzuschauen. Zu der Zeit wütete in Europa der Erste Weltkrieg, in den die USA damals noch nicht eingetreten waren. Dos Passos meldete sich im Juli 1917 auf französischer Seite zusammen mit seinen Freunden E. E. Cummings und Robert Hillyer als Krankenwagenfahrer.

Im Spätsommer 1918 hatte er den Entwurf seines ersten Romans fertiggestellt. Zu dieser Zeit wurde er zu den Sanitätstruppen der US-Armee einberufen, wofür er sich in Camp Crane, Pennsylvania melden musste. Zu Kriegsende war er in Paris stationiert, wo ihm ein Anthropologie-Studium an der Sorbonne genehmigt wurde. Eine der Figuren in dem Roman Neunzehnhundertneunzehn durchläuft praktisch dieselben Stationen und bleibt nach dem Krieg in Paris.

Der erste Roman One Man’s Initiation: 1917 wurde 1920 veröffentlicht. Ihm folgte 1921 der Anti-Kriegs-Roman Three Soldiers, der ihm erste Anerkennung eintrug. 1925 erschien Manhattan Transfer, das heute neben James Joyce†² Ulysses und Alfred Döblins Berlin, Alexanderplatz als einer der großen Großstadtromane der literarischen Moderne gilt. Hier wandte er zum ersten Mal in seinem Werk die Technik des Bewusstseinsstroms an. Der Roman war auch kommerziell ein Erfolg.

Dos Passos verstand sich zu dieser Zeit als Sozialrevolutionär und betrachtete die Vereinigten Staaten als in eine reiche und eine arme Nation geteilt. Voller Bewunderung schrieb er über die Wobblies. Nach der Verurteilung von Sacco und Vanzetti beteiligte er sich mit anderen Persönlichkeiten an einer vergeblichen Kampagne, um ihnen die Todesstrafe zu ersparen. 1928 verbrachte Dos Passos mehrere Monate in der Sowjetunion, um den Sozialismus zu studieren. Er kehrte während des Bürgerkriegs mit Hemingway nach Spanien zurück, doch seine Ansichten über den Kommunismus hatten bereits begonnen, sich zu verändern. Es kam zum Bruch mit Hemingway und Herbert Matthews wegen deren herablassender Haltung zum Krieg und ihrer Bereitschaft, sich für die stalinistische Propaganda einspannen zu lassen.

Manhattan TransferKurzbeschreibung
Der Roman zeigt uns das New York der frühen zwanziger Jahre, das „moderne Ninive“, als Durchgangsstation und Umsteigebahnhof der jungen, durch Heterogenität und grosse Dynamik gekennzeichneten amerikanischen Gesellschaft. Darauf spielt der Titel – Manhattan Transfer war der wichtigste Fernbahnhof der Stadt – symbolisch an. Dos Passos montiert dieses Gesamtbild aus mehr als hundert Einzelschicksalen, die wir teils nur flüchtig, teils ausführlicher und wiederkehrend verfolgen. Eine durchgehende Handlung wird nicht entworfen, es gibt aber einige zentrale Figuren, besonders das Mädchen Elaine, dessen Geburt wird zu Beginn des Romans miterleben und die dann zur Schauspielerin und Journalistin heranwächst. Unter den zahlreichen Männern, die ihre Karriere begleiten, ist ihr zweiter Ehemann, der Journalist Jim Herf von besonderem Interesse, der aus Abscheu vor der umfassenden Herrschaft von Geld und „Business“ am Ende des Romans die Stadt verlässt und in der Weite des Landes einer ungewissen Zukunft entgegenfährt. Soziologisch gesehen lässt Dos Passos Repräsentanten der wichtigsten Schichten und Gruppen auftreten: Unternehmer, Politiker und Spekulanten; Intellektuelle und Künstler; legale und illegale Einwanderer; Land- und Industriearbeiter; Dienstpersonal; Landstreicher, Bettler und Kriminelle. Die Gesamtdynamik der Erzählung resultiert aus dem zufälligen Zusammentreffen dieser so unterschiedlichen Figuren, besonders aber aus den vielfach sich überkreuzenden Linien des – meist unerwarteten – sozialen Aufstiegs oder des Niedergangs und Scheiterns.

13 Gedanken zu „Der schönste erste Satz von John Dos Passos

  1. Also, ich stelle den Satz mal hier ein, Ihr könnt ihn dann vielleicht dort hinstellen, wo er hingehört:
    †œDrei Möwen kreisen über verbeulten Büchsen, Orangenschalen, fauligen Rübenstrunken, die zwischen den zersplitterten Plankenwänden auf und nieder schaukeln, die grünen Wellen schäumen unter dem runden Bug, wenn das Fährboot, schlitternd auf dem Flutstrom, schnalzend, schluckend die zerspellten Wasser schneidet, schleifend, schlappend langsam auf die Helling auffährt.†

    Sollte eigentlich ziemlich Google-resistent sein.

    Anjelka am 7. Oktober, 2007e

  2. @Anjelka:
    Wenn das Buch so heißt wie eine Popgruppe, die in den 70ern ein ganz bekanntes Liebeslied gesungen hat, weiß ich es…

    Aber noch nichts verraten… Wir lassen das mal einfach als kleinen Tipp stehen! 😉

    Don Farrago am 7. Oktober, 2007e

  3. @ Don Farrago

    Oh, Du bist aber verflixt schnell. Und ich überlegte schon, wie ich die Sache mit weiteren Hinweisen ratbarer gestalten kann …

    Kennst Du alle literaturhistorisch bedeutenderen Romananfänge auswendig, oder wie bist Du drauf gekommen?

    Anjelka am 7. Oktober, 2007e

  4. @Anjelka:
    Das Buch hab ich vor Jahren mal gelesen.
    Speziell die Alliterationen mit den SCHs kamen mir bekannt vor. Ich musste dann allerdings doch noch ein bisschen googeln, weil ich mir nicht sicher war.

    Aber wir lassen den Rest der Meute noch ein bisschen zappeln, gelle?
    hihi… Dolcevita 😆

    Don Farrago am 7. Oktober, 2007e

  5. @ Don Farrago
    Exzellent erinnert!

    Die Popgruppe – mit deutlich jazzigem Einschlag – hatte ich natürlich auch als Tipp vorgesehen.

    Hilfreich ist sicherlich auch, zu wissen, daß der Roman, um den es hier geht, amerikanischen Ursprungs ist und einem berühmten deutschen Roman – der übrigens auch in vielen Teilen für das Fernsehen verfilmt wurde – gern als stilistisches Vorbild zugeschrieben wurde (neben einem anderen wirkungsgeschichtlich bedeutsamen Roman, der sicherlich beide hier angesprochenen Werke beeinflußt hat; damit könnte man jetzt schon drei Titel erraten 😉 ).

    Anjelka am 7. Oktober, 2007e

  6. na super, da haben sich ja hier zwei „Spezialisten“ getroffen und ich steh mal wieder im Wald – gebe aber noch nicht auf… 😆
    Vielen Dank für diesen wunderschönen Neuvorschlag, Anjelka, und dir danke ich natürlich auch für die zusätzlichen Tipps, lieber Don…

  7. Drei Möwen kreisen über zerbrochenen
    Kisten,Orangenschalen, fauligen Kohlstücken, die zwischen
    den zersplitterten Plankenwänden auf und nieder
    schaukeln, grüne Wellen schäumen unter dem runden Bug,
    wenn das Fährboot, gleitend auf dem Flutstrom,
    schnalzend, glucksend die zerspellten Wasser schneidet,
    schleifend, schlappend langsam auf die Helling auffährt. –
    John Dos Passos: Manhattan Transfer

    etwas verändert und leider fehlt mir auch der Bezug zum Song – aber ein Vorschlag 😉
    LG

  8. @ dolcevita

    Ihr seid hier ja alle überaus pfiffig!

    Daß Du es verändert hat, liegt vermutlich daran, daß es sich bei meinem Text um eine Übersetzung handelt, die ich von meinem Großvater geerbt habe und deren Veröffentlichung im Jahre 1948 noch von der US-Militärregierung zugelassen wurde – also sicherlich keine ganz aktuelle Version.

    Einen Bezug zu einem Song gibt’s da nicht, sondern den zu einer Gruppe: Manhattan Transfer eben. Recht bekannt wurden die in den 70er Jahren mit „Chanson d’Amour“ (mir gefällt besser noch eigentlich ihre Version von „Birdland“, eigentlich ein Stück der Jazz-Gruppe Weather Report bzw. von Joe Zawinul).

    Damit bist nun wohl Du wieder am Zug.

  9. Ach nein, ich vergaß, daß ja eigentlich Don Farrago der Schnellste war – also bekommt er den Keks und das Recht auf einen Neuvorschlag, nicht wahr?

    Kann mich bei der Gelegenheit jemand noch etwas genauer mit den Spielregeln vertraut machen bzw. einen Link darauf setzen?

  10. hi Anjelka, na ja, der liebe Don war ja mal wieder schneller 🙂
    Ich habe den Romananfang als PDF über eine „Ringvorlesung aus dem Wintersemester 2003/2004 über Romane des 20 Jahrhunderts“ gefunden. Kann leider nichts über die Uni und auch nichts über die Ausgabe, die vorlag, sagen.
    Manhattan Transfer sagt mir natürlich schon etwas, danke für die Infos. LG

  11. nö, nö, nix da, der liebe Don hat es zwar vorher gewusst, aber ich unterstelle ihm mal, dass er darauf gezählt hat, dass ich es nicht herausbekomme, werde bei Gelegenheit einen Keks mit ihm teilen….
    Die Spielregeln sind ganz einfach: Wer es weiß, darf neu vorschlagen und ich überlege noch, wie ich das mit den Sieger – Keksen umsetze 🙂

  12. Hallo,
    an diesen Anfang kann ich mich nicht erinnern. Ehrlich gesagt, habe ich auch Huddeleien, mir solche langen Sätze zu merken. Dann schon lieber diesen: „Nennt mich Ismael.“ Oder den: „Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.“ Oder vielleichtnoch: „Die Erde schenkt uns mehr Selbsterkenntnis als alle Bücher, weil sie uns Widerstand leistet.“
    Herzliche Grüße
    Herr Petersilie

  13. Willkommen Herr Petersilie,
    ja, mir geht es heute ähnlich. Als wir allerdings 2007 und 2008 ganz intensiv nach Googel-resistenten Buchanfängen gesucht haben, war ich richtig fit. 😉 Vielen Dank, dass du uns nochmals an die schönen Klassiker erinnert hast.
    Herzliche Grüße zurück!

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