Der Novembermorgen, an dem der Eilzug gegen neun Uhr von Warschau nach Petersburg fuhr, war trüb und feucht.
Ende November, bei spätherbstlichem Schneematschwetter, näherte sich gegen neun Uhr früh der Zug der Petersburg-Warschauer Eisenbahnlinie unter vollem Dampf seinem Zielbahnhof Petersburg.
Es war gegen Ende des November, bei Tauwetter, als sich um neun Uhr morgens ein Zug der Petersburg-Warschauer Bahn mit vollem Dampf Petersburg näherte.
Der Novembermorgen, an dem der Eilzug gegen neun Uhr von Warschau nach Petersburg fuhr, war trüb und feucht.
Der Idiot von Fjodor Michailowitsch Dostojewski (der erste Satz aus unterschiedlichen Übersetzungen)
Fjodor Michailowitsch Dostojewski, geboren am 11.11.1821 in Moskau, gestorben am 09.02.1881 in Petersburg, war einer der bedeutendsten Schriftsteller Russlands. Dostojewski war der Sohn eines Armenarztes, er besuchte 1838-1843 die Ingenieurschule der Petersburger Militärakademie. Anschließend war er im Ingenieur-Departement für Festungsbau beschäftigt. Ab 1845 widmete er sich ganz der schriftstellerischen Tätigkeit. Wegen seiner Teilnahme an einem revolutionären Zirkel wurde er 1849 verhaftet und zum Tode verurteilt. Unmittelbar vor der Erschießung wurde er zu Zwangsarbeit und anschließendem Militärdienst in Sibirien verurteilt. 1859 kehrte er nach Petersburg zurück.
1866 erschien der erste der großen Romane, durch die Dostojewskis Werk Teil der Weltliteratur wurde: Schuld und Sühne. Die Geschichte des abgerissenen und bitterarmen Studenten Rodion Romanowitsch Raskolnikow, der aus Hochmut zum Mörder wird und sich in der Folge zu einem Menschen entwickelt, der die Welt entdeckt als das, was sie ist, überzeugt durch psychologisch realistische Charaktere und präzises, anschauliches Erzählen. Zugleich ist der Roman auch Abbild der Wandlung Dostojewskis selbst vom Revolutionär zum konservativen Christen. Im selben Jahr erschien auch der innerhalb von nur 26 Tagen verfasste Kurzroman Der Spieler, eine Beschreibung der Spielsucht.
Er unternahm 1862-63 und 1867-71 ausgedehnte Reisen nach Deutschland, Frankreich, England und Italien.Bereits mit seinen ersten Romanen „Arme Leute“ und „Der Doppelgänger“ fand Dostojewski 1846 große Beachtung.
Fjodor Michailowitsch Dostojewski starb am 9. Februar 1881 in St. Petersburg an den Folgen eines Blutsturzes.
Der Idiot
Nach einem Sanatoriumsaufenthalt kehrt der kindlich-naive und an Epilepsie leidende Fürst Myschkin nach Russland zurück. Sein demütiges und mitleidendes Wesen wirkt anziehend auf seine von Schmerz, Schuld und Bosheit geprägte Umgebung. Immer weiter verstrickt er sich in die Ränkespiele um die schöne Nastasja und seinen Rivalen Rogoschin. Neben Cervantes‘ Don Quijote und Dickens‘ Mr Pickwick gehört der tragisch-komische Held aus Dostojewskis drittem Roman als Verkörperung des Sittlich-Schönen zu den großen idealistischen Figuren der Weltliteratur.
Don Farrago am 9. Dezember, 2007 17:53
Zusammenfassung der Kommentare des philosophischen Duos Anjelka und Don Farrago:
Heute geht es um einen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts veröffentlichten Roman, der unbestritten zu den Werken der Weltliteratur gehört. Sein europäischer (aber nicht deutscher) Autor lebte und starb im 19. Jahrhundert.
Und wie bei vielen Klassikern üblich, existieren auch zu diesem Werk unterschiedliche, voneinander abweichende Übersetzungen bzw. Bearbeitungen.
Don Farrago am 9. Dezember, 2007 17:53
In meiner Ausgabe lautet der Satz:
Ende November, bei spätherbstlichem Schneematschwetter, näherte sich gegen neun Uhr früh der Zug der Petersburg-Warschauer Eisenbahnlinie unter vollem Dampf seinem Zielbahnhof Petersburg.
Don F., hast Du zufällig die Übersetzung von Swetlana Geier?
Anjelka am 9. Dezember, 2007 20:40
Die Swetlana Geier hat doch die ganzen Neuübersetzungen von Dostojewski gemacht, oder? Vielleicht ist ja die Fassung bei Zeno von ihr:
Es war gegen Ende des November, bei Tauwetter, als sich um neun Uhr morgens ein Zug der Petersburg-Warschauer Bahn mit vollem Dampf Petersburg näherte. Das Wetter war so feucht und neblig, daß das Tageslicht kaum zur Geltung kam; auf zehn Schritte konnte man rechts und links von der Bahn aus den Fenstern der Waggons nur mit Mühe etwas erkennen.
In meiner Fassung (in der Bearbeitung von Nora Urban aus den späten 1950ern) lautet die entsprechende Passage so:
Der Novembermorgen, an dem der Eilzug gegen neun Uhr von Warschau nach Petersburg fuhr, war trüb und feucht. Kaum drang das Tageslicht durch den dichten Nebel, und aus den Coupéfenstern war nur aus kurzer Entfernung auszunehmen, was grau und naß zu beiden Seiten des Bahndamms lag.
Don Farrago am 9. Dezember, 2007 21:35
Ich hab inzwischen noch ein paar weitere Übersetzungsvarianten gefunden, es ist interessant, daß der Satz (oder die Sprache) eine solche Spannbreite an Möglichkeiten zuläßt.
Ja, Swetlana Geier gilt anscheinend unter Fachleuten als die Übersetzerin russischer Literaturschlechthin, weil sie offenbar für beide Sprachen ein außergewöhnlich feines Empfinden hat und darüber hinaus sich speziell in Dostojewskis sprachliche Eigentümlichkeiten kongenial einfühlen kann. Außerdem scheint sie sich selbst einen ungeheuren Zeitaufwand für ihre Übersetzungen zuzugestehen – und mittlerweile wohl auch von den Verlagen zugestanden zu bekommen. Mich würde deshalb mal ihre Variante im Vergleich interessieren. Es gibt die Geier-Übersetzungen mittlerweile auch als Taschenbuchausgaben, vielleicht schenk ich mir die mal.
Anjelka am 9. Dezember, 2007 22:00
Übrigens steht auf der von Dir empfohlenen Zeno-Seite als Titel für †œSchuld und Sühne† der neue Geier-Titel †œVerbrechen und Strafe† (obwohl es sich nicht um ihre Übersetzung handeln kann). Die Neubetitelung soll ja eindeutig korrekt sein, vielleicht auch über die unmittelbare Wortbedeutung hinaus, weil sie sachlicher und weniger gefühlsbeladen ist. Aber trotzdem finde ich, daß der neue Titel unangenehm holprig klingt im Vergleich.
Anjelka am 9. Dezember, 2007 22:13
Ich gebe dir Recht †“ †œVerbrechen und Strafe† mutet auf den ersten Blick ein wenig seltsam an. Trotzdem scheint Frau Geier für solche Übersetzungen prädestiniert zu sein. In diesem Artikel nimmt sie übrigens Stellung zu dem Zusammenhang zwischen Zeitgeist und Übersetzung, und ich finde ihre Argumentation prinzipiell recht überzeugend. Aber das würde in der Quintessenz bedeuten, dass man sich etliche Klassiker neu oder mehrfach anschaffen müsste, und das würde wohl den Staurahmen einer normalen Mietwohnung sprengen.
Don Farrago am 9. Dezember, 2007 23:07
Danke für den Artikel – hier ist noch ein ausführlicherer Artikel aus dem Tagesspiegel, in dem sie auch kurz auf den Titel †œVerbrechen und Strafe† eingeht mit der Bemerkung, er sei gerade deshalb so adäquat zum Original, weil er nicht so schön klinge wie †œSchuld und Sühne†.
Ihre Argumentation hinsichtlich der Zeitgeistigkeit von Übersetzungen will mir allerdings nicht so unmittelbar einleuchten. Natürlich läßt sich der †œsubjektive Faktor† aus keiner Übersetzung raushalten, das liegt in der Natur der Sache. Aber das gilt doch für jede Übersetzung aus jeder Zeit, und das Original wird schließlich auch nicht alle 50 Jahre dem Sprachempfinden neuer Generationen angepaßt.
Ich hab ja z. B. auch eine Shakespeare-Übersetzung von Erich Fried, aber ich kann nicht sagen, daß sie mich wegen der größeren sprachlichen Nähe zur Gegenwart mehr überzeugt als die Schlegel-Tiecksche. Ich finde, man soll das Alter des Originals doch auch aus der Übersetzung spüren.
Der einzige Punkt, der für spätere Neuübersetzungen spricht, sind m. E. eventuelle sprachliche Glättungen aufgrund eines früheren Zeitgeschmacks (gibt es beispielsweise sicherlich im Falle Shakespeares). Aber da es sich bei solchen Glättungen gleichzeitig ja auch um Abweichungen von der übersetzerischen Ideallinie handelt, würde ich in so einem Fall ohnehin von einer verbesserten und nicht von einer zeitangepaßten Übersetzung sprechen.
Anjelka am 10. Dezember, 2007 00:02
Etwas zum Thema Übersetzung und Dostojewski
Derzeit lese ich zwei Bücher unmittelbat parallel. Weshalb.
„Dostojewskaja Erinnerungen“, Rütten und Loening Berlin 1979 und „Zwei Frauen – Die Gräfin Tolstoi und die Frau Dostojewski“ Engel und Toeche Berlin Verlag 1926
Die Zweite Frau Dostojewskis hat ihre Erinnerungen veröffentlicht. Hatte ich bereits gelesen. Diese Erinnerungen sind dafür bekannt, dass sie leicht schönfärberisch sind und Dostojewski postiv in den Vordergrund stellen.
Nun bin ich auf ein Buch gestoßen, das einen Teil dieser Einnnerungen in der Rohfassung enthält: „Zwei Frauen . . .“ Somit habe ich jetzt die Möglichkeit, die nicht verbreitete Ursprungsfassung mit der üblichen geglätteten Fassung unmittelbar zu vergleichen. Ein interessantes Unterfangen.
Zwischenmeldung:
Die kolportierte Schönfärberei bestätigt sich. Ebesno ist feststallbar, dass in der „gängigen“ Fassungen, wiederholt Teile von Dostojeskaja gestrichen wurden, die ihre Person und ihr Erleben beschreiben. Es gut um das Entwickeln eines möglichst positiven Bildes ihres verstorbenen Mannes.
Übrigens: Auch Dostojewskis Tochter Ljubow hat 1924 ihre Erinnerungen an ihren Vater niedergeschrieben. Die sind unterhaltsam -ihr Wahrheitsgehalt jedoch sehr fragwürdig und nahezu hahnebüchend. Die stellt ihre Mutter in Sachen Euphemismus um Längen in den Schatten.
ende november, bei tauwetter, gegen neun uhr morgens, näherte sich ein zug der petersburg-warschauer-eisenbahnlinie mit volldampf petersburg.
so sagt es swetlana geier.
Willkommen Ferika und vielen Dank für Swetlana Geiers Übersetzung des ersten Satzes aus „Der Idiot“. Von wann ist denn deine Ausgabe? LG
meine ausgabe ‚der idiot‘ mit übersetzung der grossen swetlana geier ist aus dem jahr 2009 im fischer-taschenbuchverlag.
ja, Die Brüder Karamasow erscheinen jetzt am 19.01. in einer neuen Ausgabe auch im Fischer Taschenbuchverlag. Schön! 😉
Warum hat man nicht bei den Übersetzungen des „ersten schönen Satzes“ von Dostojweski nicht jeweils den Übersetzer angeführt`?
„In meiner Ausgabe lautet der Satz“:
Ende November, bei spätherbstlichem Schneematschwetter, näherte sich gegen neun Uhr früh der Zug der Petersburg-Warschauer Eisenbahnlinie unter vollem Dampf seinem Zielbahnhof Petersburg. IN WELCHER??? WIE LAUTET DER ÜBERSETZER??
Die Bearbeitung von Nora Urban aus den 1950 Jahren: VON WEM IST DIE ÜBERSETZUNG??
Argumentation von Frau Geier bezüglich Übersetzung und Zeitgeist: Stellungnahme von Don Farrago:
„Ihre Argumentation hinsichtlich der Zeitgeistigkeit von Übersetzungen will mir allerdings nicht so unmittelbar einleuchten. Natürlich läßt sich der †œsubjektive Faktor† aus keiner Übersetzung raushalten, das liegt in der Natur der Sache. Aber das gilt doch für jede Übersetzung aus jeder Zeit, und das Original wird schließlich auch nicht alle 50 Jahre dem Sprachempfinden neuer Generationen angepaßt“. Dem stimme ich zu 100% zu.
Farrago: „..man soll das Alter des Originals doch auch aus der Übersetzung spüren“. Richtig! Ob nun die Übersetzung nach unserem jetzigen Empfinden hervorragend und einfühlsam ist, ist meiner Ansicht nach nicht so ausschlaggebend. Es ist eine andere Zeit und die zeitgleiche Übersetzung (vielleicht gibt es ja da auch mehrere) spiegelt eben die Sprache der Entstehungszeit wieder. Die Werke von Goethe, Schiller u.a. passt man ja auch nicht an die heutige Sprache an! Oder gibt es inzwischen eitle Personen, die so etwas schon im Sinn haben?