Die Legende von Sigurd und Gudrún von J.R.R. Tolkien

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Am 05. Mai 2009 ist in Großbritannien „The Legend of Sigurd & Gudrún“ aus J.R.R. Tolkiens Nachlass im Verlag Harper Collins erschienen. Mehr als hunderttausend Exemplare wurden bereits verkauft, und damit gehört die 384-Seiten umfassende jüngste Veröffentlichung aus Tolkiens Nachlass zu den drei meistverkauften Büchern in Großbritannien.

Das von Christopher Tolkien, dem Sohn des Verfassers, herausgegebene Werk unternimmt den Versuch, aus dem bekannten Material der Völsunga-Saga, der Edda, des Nibelungenlieds und des Codex Regius entscheidende Ereignisse, die in keiner mittelalterlichen Variante enthalten sind (die Edda z.B. ist nicht vollständig überliefert), zu erfassen. Die Legende von Sigurd und Gudrún ist in der Form eines Versepos geschrieben, Anhänger der „Herr der Ringe-Trilogie“ werden vielleicht enttäuscht sein, denn Tolkien nutzt zwar den modernen Wortschatz, aber zugleich nicht nur das altenglische Metrum (in der antiken Verslehre das Grundmuster der Folge langer und kurzer Silben), das sich im Vers ein oder mehrere Male wiederholt, sondern auch Elemente der altenglischen Schriftart.

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Was geschieht unmittelbar nachdem Sigurd (die nordische Variante des Siegfried aus der Nibelungensage) den Drachen getötet, den Schatz gewonnen und die Walküre geweckt hat? Denn die Erzählung in der Edda z.B. setzt erst damit wieder ein, dass Brynhild ihren Gatten Gunnar bedrängt, sich (und sie) an Sigurd zu rächen. Diesen Zusammenhängen widmet Tolkien zwei Epen:

Ein längeres, The New Lay of the Völsungs (Die neue Weise von den Wälsungen), setzt sich mit Sigurd, seiner Familie und seinen entscheidenden Taten auseinander.

Ein kürzeres, The New Lay of Gudrun (Die neue Weise von Gudrún) beschäftigt sich mit Gudrúns (die nordische Variante der Kriemhild) Schicksal nach dem Tod von Sigurd, ihrer Ehe mit dem Hunnenkönig Attila (Etzel), den Morden an ihren Brüdern (Gunther, Gernot und Giselher) und Hagen, ihrer Rache für den Mord an Sigurd.

In den erläuternden Texten gibt J.R.R. Toliken an, er habe die Legenden der Wälsungen und der Edda vereinen wollen – um an anderer Stelle zu sagen, „die nahezu dämonische Energie und Kraft“ der Lücke habe ihn kräftig angezogen.

Der Klett-Cotta Verlag hat inzwischen mitgeteilt, dass die deutsche Übersetzung am 20. August 2010 auf den Markt kommt und folgende Hintergrundinformationen auf seine Website gestellt:

„Die Legende von Sigurd und Gudrún“ ist ein Geschenk für alle Tolkienfans, eine Herausforderung für Philologen und eine Sensation für die Nibelungendichtung.

Mit „Die Legende von Sigurd und Gudrun“ schließt J.R.R. Tolkien nicht nur die Lücke in der Überlieferung der germanischen oder altnordischen Mythen. Gleichzeitig schafft er das Werk, das ihn in vielen Handlungsmotiven hin zu seiner großen Romantrilogie „Der Herr der Ringe“ geführt hat.

Schon seit seiner Kindheit war Tolkien von der Saga fasziniert. „Nach vergrabenen Schätzen zu suchen oder mit Piraten zu kämpfen interessierte mich überhaupt nicht. Die Schatzinsel ließ mich kalt. Besser waren die Indianer … Aber das Land Merlins und Artus†™ war noch besser … Aber am besten von allen war der namenlose Norden Sigurds des Wölsungen und des Königs aller Drachen.“

Für ihn ist der Stoff der Edda und der Wölsungensaga für unsere Zeit und das nördliche Europa so wichtig wie die Odyssee und die Ilias für die Antike. Kenner der Edda, der Wölsungensaga und des Nibelungenliedes beschäftigen sich mit vielen Textvarianten und immanenten Widersprüchen der Handlung. Tolkien hat daraus eine in sich schlüssige Version gestaltet, ohne sich in den philologischen Details zu verlieren, die er gleichwohl kennt.

Er erzählt den Stoff nun neu, einfach und ohne Widersprüche. Zwei Langgedichte, die uns die Geschichte in einem modernen Wortschatz näher bringen, in all ihrer Tragik und Grausamkeit.
Es geht um den Kampf gegen den Drachen Fafnir, der Verlobung mit Brynhild, der Hochzeit mit Gudrun, der Ermordung des Helden Sigurd und schließlich der Rache für seinen Tod. Tolkien kam es dabei entscheidend darauf an, die Wucht und Eindrücklichkeit des Altnordischen in unsere Sprache zu übertragen.

Der Übersetzung von H.-U. Möhring ist es hervorragend gelungen, den Rhythmus die Form der Stabreime und die inhaltliche Prägnanz im Deutschen zu gestalten.

Im Licht dieses Werks wird deutlich, wie verwandt die Schauplätze „Midgardr“ und „Middle-earth“ einander sind. Die Entstehung, Kontinuität und Wandlung von Tolkiens wichtigsten Handlungsmotiven ist verblüffend. Auch im Hobbit und in den Kinder Húrins wird ein Drache getötet oder überlistet. In jeder der drei Erzählungen steht er in Verbindung mit Gold, Reichtum und Gier sowie einem über den Tod des Drachen hinaus fortdauernden Verhängnis.

Die beiden Versepen von J.R.R. Tolkien, die in diesem Buch enthalten sind, wurden von Tolkiens Sohn Christopher 2009 im englischen Original herausgegeben. Eine enorme editorische Leistung. Christopher Tolkien hat sehr frühe Dokumente, Vorträge und Vorlesungen seines Vaters zur altnorwegischen und altisländischen Literatur einbezogen, um einordnen zu können, was sein Vater mit den beiden Versepen eigentlich bezweckte. Und er hat den Band mit einem umfangreichen Kommentar versehen.

Die bei Klett-Cotta erscheinende Ausgabe gibt Tolkiens Originalverse neben der deutschen Übersetzung wieder.

Eine weitgespannte Leserschaft erwartet das Erscheinen des Buchs ungeduldig. Tolkienleser, die das Buch unbedingt brauchen, auch um die Bezüge zu Mittelerde, dem Herrn der Ringe und den Kindern Húrins zu entdecken und Leser, die vom Interesse an dem Sagenstoff her kommen. Für alle jedoch ist es vor allem eine spannende Geschichte voller Abenteuer.“

Nachfolgend ein kleiner Ausschnitt aus dem ersten Gudrun-Lied (Guðrúnarkviða in fyrsta) der Edda zeigt, wie die Übersetzung aussehen könnte:

Da jammerte Gudrun, Giukis Tochter:
Die verhaltnen Tränen tropften nieder,
Und hell auf schrien im Hofe die Gänse,
Die zieren Vögel, die Zöglinge Gudruns.

Da sprach Gullrönd, Giukis Tochter:
„Euch vermählte die mächtigste Liebe
Von allen, die je auf Erden lebten.
Du fandest außen noch innen Frieden,
Schwester mein, als bei Sigurd nur.“

Da sprach Gudrun, Giukis Tochter:
„So war mein Sigurd bei Giukis Söhnen,
Wie hoch aus Halmen edler Lauch sich hebt,
Oder ein blitzender Stein am Bande getragen,
Ein köstlich Kleinod, über Könige scheint.

So daucht auch ich den Degen des Königs
Höher hier als Herians Mädchen.
Nun lieg ich verachtet dem Laube gleich,
Das im Forste fiel, nach des Fürsten Tod.

Nun miß ich beim Mahle, miß ich im Bette
Den süßen Gesellen: das schufen die Giukungen.
Die Giukungen schufen mir grimmes Leid,
Schufen der Schwester endlosen Schmerz….

Quellen: Süddeutsche Zeitung, Wikipedia

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