Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels von Stefan Moster [Rezension]

Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels von Stefan Moster

„Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels„, der Debütroman von Stefan Moster, ist im August 2009 im mare Verlag erschienen. Mit seiner ersten belletristischen Veröffentlichung gelingen Moster mehrere wunderbare Synthesen. Der Roman spielt im geschlossenen Biotop einer Kreuzfahrtgesellschaft und versucht dennoch nicht †“ und dafür ist man dem Autor dankbar †“ ein Laborversuch zur Darstellung von „Gesellschaft an sich†œ zu sein. Er spannt einen weiten, höchst kenntnisreichen Bogen über so unterschiedliche Themen wie DDR-Lebensläufe, moderne Luxusreisen oder ‚Das wohltemperierte Klavier‘ ohne schulmeisterlich zu erscheinen. Er spinnt ein Beziehungsgeflecht auf dem Schiff, welches trotz magischer Begegnungen und Zufälle niemals märchenhaft oder gar kitschig wirkt.

Das Zentrum dieses Geflechts bilden eine Mutter, Ende 40, und ihr 20-jähriger Sohn. In Form von zwei abwechselnden Erzählerstimmen, kapitelweise überschrieben mit Almut und Sebastian, wird der Schiffsalltag und seine breite Palette an Personen entwickelt. Almut ist Bordpsychologin (im Schiffsprospekt direkt „neben dem Pfarrer†œ positioniert) und Sebastian arbeitet als Barpianist. Moster nutzt die Berufe seiner Hauptfiguren, um den feinnervig beobachtenden Blick zu motivieren. Almut empfängt regelmäßig nicht nur ratsuchende Passagiere, sondern auch den ehemaligen Stasi-Führungsoffizier Gaus (jetzt Personalmanager des Kreuzschiffes) mit dem sie eine zwiespältige Nähe und Vergangenheit verbindet. Sebastian, als Angestellter zweiter Klasse, erhält Einsicht in die unteren Decks, wo das vielfältige Personal untergebracht ist. Dabei wissen die beiden, die vor Monaten im Streit auseinandergegangen sind, nicht, dass sie den gleichen Arbeitgeber haben. Nur als Lesender verfolgt man gespannt ihre sich kreuzenden Wege bis hin zur Begegnung.

Mosters Schreibstil ist geprägt von der Liebe zu genauer Beobachtung und genauer Formulierung. So erkennt man als Lesender †“ oft geradezu amüsiert – viele spezifische Details wieder, von denen man nicht einmal gewusst hätte, dass man sie kennt. So etwa, wenn beschrieben wird, wie unangenehm die Unterarme auf den erhöhten Tischrändern aufliegen, die das Wegrutschen des Geschirrs bei Seegang verhindern. Almuts Blick †“ geschärft durch berufliche Erfahrung, aber dennoch höchst subjektiv †“ entlarvt nicht ohne eine gewisse Boshaftigkeit das Gebaren der Mitreisenden und selbst das ihrer „Patienten†œ. Als Bordpsychologin muss sie etwa beim Empfang der, fast ausschließlich deutschen, Touristen mit im Spalier der Angestellten stehen und konstatiert trocken:

[…]Die meisten tragen tatsächlich eine Art Stolz zur Schau. Sie sehen aus, als inspizierten sie ihr Eigentum, wenn sie sich zum ersten Mal im Foyer umblicken. Und wenn sie die Augen nach oben richten und registrieren, daß erst nach sechs Stockwerken eine Decke kommt, und auch dies nur in Form einer leicht gewölbten Glaskuppel, die den Blick freigibt auf den Himmel über dem Meer, dann nicken sie entweder anerkennend, oder sie heischen Lob von ihren Ehefrauen für das gewaltige Ambiente. […]
Ich weiß mittlerweile, wie es nach der adelnden Aufzugsreise in mancher Kabine weitergeht. Dann will der frisch zum Meister seines Lebens gekürte Herr von seiner Frau ein Zeichen der Anerkennung und schlägt Gunstbeweise rustikal-erotischer Natur vor. Weigert sich die Gattin, kann es passieren, dass der Mann ein paar Tage später an die Tür des Musikzimmers klopft und sagt, er müsse mal mit mir reden. Willigt sie ein, steigt wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau sich bei mir meldet, etwa per Anfrage über die Rezeption, im verschlossenen Umschlag, selbstverständlich.[…]

Almuts Beratungszimmer ist gleichzeitig das Musikzimmer, in welchem ein Blüthner-Flügel den Mittelpunkt für ihre Begegnungen mit Gaus darstellt. Eine überraschend intensive und faktenreiche Auseinandersetzung über Klaviermusik (hauptsächlich Bach und Schubert) bildet die Sprache für diese Beziehung, die Züge einer Hassliebe hat. Es ist eine ungewöhnliche Qualität dieses Romans, dass Gaus und Almut sich unerhört nahekommen in ihrem Verständnis über das Spielen, Moster dies aber nicht in einer Liebesbegegnung auflöst. Im Gegenteil, die Verletzungen des außermusikalischen Lebens †“ Gaus war maßgeblich an der Erstellung von Almuts „Akte†œ beteiligt – sind und bleiben so real, dass das titelgebende Motiv auch in dieser Beziehung einen Wendepunkt bedeutet. Almut spielt nicht mit Gaus zusammen.

Sebastians Stimme ergänzt und kontrastiert die seiner Mutter. Er ist bereits im Deutschland der Nach-Wende-Zeit eingeschult worden und erinnert sich an seine Kindheit vor allem in privaten Aspekten: alleinerziehende Mutter, wenig Geld, stark musikalisch geprägte Zweisamkeit. Sein Blick auf die Schiffsgesellschaft ist deutlich zwanzigjährig; er verliebt sich, er ist unsicher und er ist zum ersten Mal allein unterwegs. Sein Talent als Pianist beschreibt Moster aber mit ebenso eindringlicher Nachvollziehbarkeit wie das andersgeartete von Almut und Gaus.

[…]In mir kochte tatsächlich so etwas wie Eifersucht hoch, obwohl die Frau mehr als doppelt so alt war wie ich. Sie hätte meine Mutter sein können. Trotzdem machte es mich ganz nervös, Tintins Hand so auf ihrer Hüfte liegen zu sehen, dass die Spitze des Mittelfingers fast die Stelle erreichte, wo die Pofalte ansetzt.
Prompt rutschten mir ein paar Akkorde ab, und Tintin warf mir einen warnenden Blick zu. Ich bat um Entschuldigung, indem ich mit allen Fingern ziemlich laut eine primitive Kadenz in die Tasten stanzte, die Harmonien anschließend auf die simple Art zerlegte und in der gleichen Reihenfolge wiederholte, sodass es wie ein Intro wirkte. Tintin verstand sofort. Ich konnte es nicht genau erkennen, aber ich wette, er zwinkerte mir kurz zu, dann führte er die Frau zu der kleinen Tanzfläche , die seit Längerem wieder leer war, so wie meistens. Sie wird normalerweise nur ab und zu von Paaren, die sich gerade erst gefunden haben, für Anschmiegemaßnahmen genutzt. Genau das hatte Tintin jetzt im Sinn, und darum rollte ich ihm und seiner Beute wie ein gehorsamer Depp quasi den roten Teppich aus und spielte „Wonderful World“.[…]

Die abwechselnden Kapitel von Mutter und Sohn, in denen sowohl die Schiffsgegenwart mit ihren mannigfaltigen Begegnungen als auch die gemeinsame Vergangenheit erzählt werden, sind durch ein zartes Netz von Berührungspunkten verbunden: hier ein Buchtitel, dort ein gleichlautender Gedanke oder die Erinnerung an ein Wort. Manchmal treffen sie auch auf die gleichen Personen. Eine alte Frau, die eben noch mit Almut Kaffee getrunken hat, sagt zu Sebastian: Sie haben Ähnlichkeit mit jemandem. Diese Anklänge und Kreuzungen sind dabei so dezent und geschickt gestreut, dass sie weder zu bedeutungsschwanger noch sinnlos wirken – es entsteht einfach ein aufregendes Echo. Wie Almut Gaus gegenüber von Bachs Fugen sagt: zwei Stimmen laufen unabhängig voneinander parallel.

So vergehen auf 448 Seiten 157 Tage Schiffsreise ohne Längen. Der Reichtum an präzise formulierten Details ist ein Genuss †“ ob man nun thematisch an Klaviermusik oder dem Ablöseprozess erwachsener Kinder interessiert ist oder ob man sich über sorgfältige Sprachwahl freuen kann.

Kurzbeschreibung
Sie sind vor Monaten im Streit auseinandergegangen; nun ahnen sie nicht, dass sie sich auf demselben Kreuzfahrtschiff befinden: Almut, Ende vierzig, als Bordpsychologin, und ihr Sohn Sebastian, Anfang zwanzig, als Barpianist.
Während sich Sebastian in eine Kollegin aus der Crew verliebt und in das Schicksal von vier blinden Passagieren verstrickt wird, bekommt Almut Einblicke in die Ehe-Abgründe der Mitreisenden und muss sich ihrer Vergangenheit stellen, die plötzlich allgegenwärtig ist: in Gestalt von Bernd Gaus, dem Personalmanager des Luxusliners, der sich täglich zur Musikstunde am Flügel in Almuts Beratungszimmer einfindet…

Über den Autor
Stefan Moster, geboren 1964 in Mainz, lebt als Autor, Übersetzer, Lektor und Herausgeber mit seiner Familie in Espoo, Finnland. Er unterrichtete an den Universitäten München und Helsinki; 1997 erhielt er das Münchner Literaturstipendium für Übersetzung, 2001 den Staatlichen finnischen Übersetzerpreis. Unter anderem übertrug er Werke von Hannu Raittila, Ilkka Remes, Kari Hotakainen, Markku Ropponen, Petri Tamminen und Daniel Katz ins Deutsche. Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels ist Stefan Mosters erster Roman.

Weitere Pressestimmen sowie eine Leseprobe zu Stefan Mosters „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels“ finden sich hinter den Links.

Stefan Moster geht auf Lesereise und stellt sein Romandebüt am

19.04., um 20 Uhr, im Literaturhaus Rostock, Ernst-Barlach-Str. 5,
21.04., um 20 Uhr, im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1,
23.04., um 19.30 Uhr, in der Stadtbücherei Uelzen, An der St. Marien-Kirche 1, vor.

Quelle Cover und Autorenfoto: mare Verlag

2 Gedanken zu „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels von Stefan Moster [Rezension]

  1. hi Gabi,
    das hört sich doch nach wunderbarer Literatur an! Vielen Dank für deine ausführliche Rezension. Freue mich auf die Lesung am Mittwoch. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass der Autor für den Deutschen Buchpreis 2010 nominiert wird.
    LG

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