Neuübersetzung: Robert Louis Stevensons Abenteuerroman „St. Ives†œ

Robert Louis Stevensons Abenteuerroman „St. Ives†œ ist sensationell – zu Wasser, auf der Erde und in der Luft.

Der schottische Schriftsteller Robert Louis Stevenson, vor allem durch den Jugendbuchklassiker „Die Schatzinsel“ (1883) und die Schauernovelle „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ (1886) bekannt, begann 1893 mit dem Roman „St. Ives„. Da er mit dem Werk nicht zufrieden war, brach er die Arbeit im Oktober 1894 zugunsten des Romans Weir of Hermiston (Die Herren von Hermiston) ab. Am 03. Dezember 1894 starb Stevenson im Alter von 44 Jahren auf der Samoa-Insel Upolu im Alter von 44 Jahren. Als Todesursache wurde eine Intracerebrale Blutung vermerkt.

„St. Ives“ blieb unvollendet. Der britische Schriftsteller und Kritiker Sir Arthur Thomas Quiller-Couch schrieb „St. Ives“ vom 31. Kapitel an in 6 weiteren Kapiteln auf Basis des schon ausgearbeiteten Konzepts zu Ende.

Wenn einmal der inflationär gebrauchte Begriff „kongenial†œ zutrifft, dann hier: Weder ein stilistischer noch ein erzähltechnischer Bruch ist in diesen letzten Kapiteln zu spüren„, schreibt Jochen Schimmang am 28.04.2011 auf FAZ.net.

St. Ives: Being The Adventures of a French Prisoner in England“ wurde 1898 veröffentlicht und erschien in der deutschsprachigen Übersetzung erstmalig 1975 unter dem Titel „Flucht ins Abenteuer“ in der Wiener Verlagsbuchhandlung Julius Breitschopf.

Im März 2011 hat der Hanser Verlag eine Neuübersetzung von Andreas Nohl auf den Markt gebracht.

Nohl hat Stevensons spätes Werk in ein geschmeidiges, frisches Deutsch übersetzt. Er hat zudem ein lesenswertes Nachwort geschrieben und den Roman mit ausführlichen Anmerkungen versehen. Der ist, wie man beim Lesen schnell begreift, nicht nur ein Spät-, sondern auch ein Hauptwerk und macht schmerzlich deutlich, dass Robert Louis Stevenson mindestens zwanzig Jahre zu früh gestorben ist. So sind gewiss einige Werke der Weltliteratur ungeschrieben geblieben. Dieses hier aber gehört ihr an und sollte nun gelesen werden„, heißt es abschließend in der ausführlichen und begeisterten Rezension von Jochen Schimmang.

Kurzbeschreibung
Ein Kriegsgefangener in Edinburgh verliebt sich in ein schottisches Mädchen, flieht und durchquert mit der Polizei im Nacken ganz England. In gottverlassenen Landschaften und zwielichtigen Kaschemmen spielen die Szenen und drohen die Gefahren, denen der Held immer wieder entkommt. Voller Eloquenz, Witz und entwaffnendem Charme zieht der Erzähler St. Ives unsere Sympathie auf seine Seite. In England gilt „St. Ives“ heute als Hauptwerk Stevensons. Andreas Nohl hat das großartige Porträt von Schottland neu entdeckt und vollständig ins Deutsche übersetzt. Ein rasanter Abenteuer- und Liebesroman zwischen Romantik und Moderne, spannend wie ein Hitchcock-Thriller!

Prolog (© Hanser Verlag)
Das Mauerstück, auf dem ich (zur Strafe für meine Sünden) saß, war auf der Innenseite mindestens zwölf Fuß hoch. Die Blätter der Buche, die mich notdürftig verbargen, waren teilweise schon abgefallen, und so war ich nicht nur selbst auf das gefahrvollste den Blicken preisgegeben, sondern hatte freie Sicht auf die Gartenwege und (unter einem immergrünen Bogen) den Rasen und ein paar Fenster des Hauses. Lange Zeit rührte sich nichts außer meinem Freund mit dem Spaten, dann hörte ich, wie ein Schiebefenster geöffnet wurde. Gleich darauf erschien Miss Flora im Morgengewand, schlenderte zwischen den Beeten näher, blieb hin und wieder stehen und betrachtete ihre Blumen – denen sie an Schönheit in nichts nachstand. Dort hatte ich eine Freundin, hier, unmittelbar unter mir, eine unbekannte Größe – den Gärtner. Wie sollte ich mich der einen mitteilen, ohne die Aufmerksamkeit des anderen auf mich zu ziehen? Ein Geräusch zu machen verbot sich. Ich wagte kaum zu atmen. Ich wollte, sobald sie hersah, ein Zeichen geben, doch sie schaute überallhin, nur nicht zu mir. Sie beugte sich über jedes noch so uninteressante Kräutlein, sie betrachtete die Kuppe des Berges, sie stellte sich sogar direkt unter mich und redete mit dem Gärtner über die langweiligsten Themen, doch hoch zur Mauer warf sie partout keinen Blick! Schließlich ging sie den Weg zum Haus zurück. In meiner Verzweiflung brach ich ein Stück Mörtel aus der Mauer, zielte auf gut Glück und – traf sie im Nacken. Sie fasste mit ihrer Hand an die Stelle, drehte sich um und schaute nach allen Seiten. Als sie mich erspähte (ich drückte die Äste auseinander, um es einfacher zu machen), stieß sie halb einen Schrei der Überraschung aus, halb schluckte sie ihn herunter.
Der vermaledeite Gärtner stand sofort stramm.
„Was möchten Sie, Miss?“ fragte er. Ihre Geistesgegenwart verblüffte mich. Sie hatte sich bereits umgedreht und sah in die entgegengesetzte Richtung.
„Da ist ein Kind in den Artischocken“, sagte sie.
„Die ägyptischen Plagen! Den knöpf‘ ich mir vor!“ rief er, und eilig watschelnd verschwand er zwischen den immergrünen Büschen. Schon hatte sie sich wieder umgedreht und kam zu mir gelaufen, die Arme ausgestreckt, ihr Gesicht in einem Augenblick von himmlischer Röte belebt, im anderen totenbleich.
„Monsieur de Saint-Yves!“ sagte sie.
„Meine verehrte junge Dame“, sagte ich, „Dies ist die unverzeihlichste Dreistigkeit -ich weiß! Aber was konnte ich anderes tun?“
„Sie sind geflohen?“ fragte sie.
„Wenn Sie das Flucht nennen wollen“, erwiderte ich.

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