Rembrandt & Elsje: Der Maler und das Mädchen von Margriet de Moor

Der Maler und das Mädchen von Margriet der Moor

Elsje Christiaens war ein 18-jähriges Mädchen aus Jütland (Dänemark), das Anfang Mai 1664 in Amsterdam zum Tode verurteilt und öffentlich auf dem Dam-Platz vor dem Rathaus mit einem Strick erwürgt wurde. Zur Abschreckung wurde ihre Leiche an einen Galgen gehängt und auf die Halbinsel Volewijk, auf die andere Seite des IJ, gebracht, wo sie „van de Locht und ‚t Geflügel verzehrt“ wurde. Einige Tage zuvor hatte Elsje ihre Vermieterin, eine Schlaffrau, mit der Axt erschlagen.

Rembrandt ruderte noch an Elsjes Todestag nach Volewijk und fertigte zwei Skizzen von dem toten Mädchen am Galgen an. Bemerkenswert ist der unschuldige, kindliche Gesichtsausdruck.

[…]“Er und Elsje. Von oben, mit den Augen der Vögel betrachtet, die sie beide, während sie in der Luft kreisen, bereits eindeutig im Blick haben, wirken sie wahrscheinlich klein und eng mit einander verbunden. Aus großer Entfernung aufeinander zugereist. Und jetzt diese Szene. Die Begegnung eines sehr dummen Mädchens und eines Mannes, der absolut nicht weiß, wohin mit seinem Kummer, aber viel vom Malen versteht. Was sie verbindet, verdichtet sich in diesem Moment. Wie wenig es doch braucht, damit er fortdauert, nicht nur für kurze Zeit, sondern für immer.„[…]

Margriet de Moor hat diesen Roman dem Maler gewidmet. Elsje war die Wegweiserin zu ihm, Rembrandt, dessen Name nicht ein einziges Mal erwähnt wird. Die Handlung ist im 17. Jahrhundert angesiedelt, dennoch ist es kein rein historischer Roman, da die Autorin aus der Sicht des 21. Jahrhundert erzählt.

Im Dezember 1663 verschwindet Elsjes Schwester Sarah-Dina wortlos aus dem gemeinsamen Elternhaus. Elsje weiß, dass sie sich auf den Weg in die verlockende Stadt Amsterdam gemacht hat, um ihrer großen Liebe zu folgen. Sie hinterlässt Elsje 5 Taler, ein kleines Vermögen, und die stumme Botschaft, die immer mehr zu einem Befehl wird : „Komm du auch!“ Am 06. März 1664, noch mitten im dänischen Winter, verlässt sie glücklich und unbesorgt ihren Heimatort, Ragnar, der in sie verliebt ist und ihren Stiefvater. „Wie sollte sie ahnen, dass sie in Wirklichkeit nicht auf dem Weg in eine Erzählung ist, sondern in eine Zeichnung, Tusche auf Papier?“ Bei Treibeis landet ihr Schiff auf einer kleinen Insel, mit dem Schlitten erreicht sie die nächste Küstenstadt, um dann wiederum mit einem Schiff, das 50 Rinder geladen hat, endlich Mitte April in Amsterdam anzukommen. Schon am Ende der Rampe wird sie von einer Frau angesprochen, die ihr einen Schlafplatz anbietet. Elsje besitzt noch 2 Taler und einige Stuiver. Die Schlaffrau verlangt pro Woche einen Taler. Elsje macht sich ohne Erfolg auf die Suche nach ihrer Schwester in der großen Stadt Amsterdam. Das Geld ist bald verbraucht, und sie kann die Miete nicht bezahlen.  Sie schuldet der Wirtin nach zwei Wochen einen Taler. Sich zu prostituieren lehnt sie ab, und nachdem die Wirtin mit einem Besen auf sie losgeht, nimmt Elsje die Axt, die zufällig in einem Handwerkskasten in greifbarer Nähe liegt, und schlägt zu. „Eine Sache, die nur die beiden Frauen etwas angeht.“

Am 03. Mai 1664, dem Tag der Hinrichtung, strömen die Menschen zum Dam, um das Spektakel zu sehen. Rembrandt ist auf dem Weg zur Apotheke, er braucht Farben für sein neues Gemälde „Die jüdische Braut„. Die Hinrichtung interessiert ihn nicht, er macht einen Bogen um das Rathaus, in dem er anderthalb Jahre zuvor gedemütigt wurde. Eine Kommission hatte ein in Auftrag gegebenes Gemälde von ihm abgelehnt. Rembrandts 22-jähriger Sohn Titus steht in der Menge und sieht wie sie „das Ding“ ruckweise Stufe um Stufe höher hieven. Titus nimmt Elsjes Ende wie einen Sargträger auf die Schulter.

Der Maler und das Mädchen“ ist in 29 Kapitel gegliedert, die Handlung spielt letztendlich an diesem einen Tag im Mai 1664, den Tag der Hinrichtung. Dennoch steht die Geschichte um Elsje nicht im Vordergrund. In erster Linie geht es um Rembrandt. Der Erzähler greift in nicht chronologischen Rückblenden das Leben des Malers auf und schweift von Zeit zu Zeit in die Gegenwart ab.  Es geht um Rembrandts Gemälde „Die jüdische Braut„, um seine Insolvenz im Jahr 1656 und den dadurch bedingten Verlust seines Hauses in der Breestraat, seiner kostbaren Besitztümer und Gemälde und um den Tod seiner Kinder und seiner beiden Frauen. Seine zweite Frau Ricky (Hendrickje Stoffels) starb 1663 an der Beulenpest. Der Krankheitsverlauf wird bis zum schrecklichen Ende genau beschrieben. Überhaupt räumt Margriet de Moor Rembrandt und seine Zeit mit Ricky viel Platz in dem Roman ein.

Nicht Schuld und Sühne ist das große Thema in diesem Roman, sondern Leben und Tod oder Licht und Schatten, ein Stilmittel, das Rembrandt immer wieder zur Betonung von Personen und Handlungen einsetze. Auch Margriet de Moor beleuchtet ihre Figuren und Kulissen in dem für sie typischen sachlichen Schreibstil immer wieder von zwei Seiten: Rembrandt als begabter Schüler und erfolgreicher Maler zum Ende hin sprachlos und vom Kummer gezeichnet. Die lebensbejahende Ricky, die nach sechs Tagen der Pest zum Opfer fällt. Elsje, die hoffnungsvoll aufbricht und unvermittelt am Galgen endet. Die Wirtin, die in ihrer neuen Mieterin eine zusätzliche Einnahmequelle sieht und jäh erschlagen im Keller liegt. Und nicht zuletzt die Stadt Amsterdam – ein lebendiger Ort mit prachtvollen Bauten einerseits und andererseits  ein Ort voll modrigem Gestank. Die Stadt weckt Hoffnungen und zugleich geht sie gnadenlos mit den Menschen um, foltert sie oder vollstreckt Todesurteile.

Die Autorin urteilt nicht und wirkt nie moralisierend. Das Ergebnis ist ein faszinierender, spannender Roman mit vielen historischen Details in einer wunderbar funkelnden Sprache – ein Meisterwerk.

Kurzbeschreibung
Warum erschlug die achtzehnjährige Elsje, gerade erst nach Amsterdam gekommen, ihr Zimmermädchen mit einem Beil? Und was veranlasste den Maler Rembrandt, dessen Name nicht genannt wird, sich zu dem Leichnam zu begeben und ihn mit wenigen Strichen für immer festzuhalten? Margriet de Moor schreibt einen großen Roman über die Malerei, die Liebe und den Tod im Amsterdam des 17. Jahrhunderts. Wie eine Malerin wechselt sie in diesem Krimi zwischen Hell und Dunkel und verschränkt die gegensätzlichen Geschichten zu einer spannenden, ergreifenden Erzählung.

Die gebundene Ausgabe „Der Maler und das Mädchen“ umfasst 299 Seiten und ist im Februar 2011 im Hanser Verlag erschienen.

Über die Autorin
Margriet de Moor, geb. 1941, studierte in Den Haag Gesang und Klavier. Nach einer Karriere als Sängerin, vor allem mit Liedern des 20. Jahrhunderts, studierte sie in Amsterdam Kunstgeschichte und Architektur.