Die Kinder der Elefantenhüter von Peter Høeg [Rezension]

Die Kinder der Elefantenhüter von Peter Høeg

An einem Karfreitag verschwinden der Pfarrer Konstantin Finø und seine Frau Clara, Organistin der Kirche und ambitionierte Tüftlerin, spurlos. Zurück bleiben die Kinder Peter, Tilte und Hans und der Foxterrier Basker, der mehr ein Mensch als ein Hund ist. Geheimnisvolle Agenten tauchen auf, den Kindern droht die Einweisung in ein Heim.

Das Ehepaar Finø hatte schon früher entdeckt, dass ein gut platziertes Wunder während der Predigt ein durchaus lukratives Geschäft verspricht. Den Kindern wird schnell klar, dass sich die Eltern wieder auf Abwegen befinden. Dieses Mal haben sie es auf die Juwelen abgesehen, die bei der Großen Synode, einem ökumenischen Gipfeltreffen in Kopenhagen, ausgestellt werden.

Peter Høegs neuer Roman „Die Kinder der Elefantenhüter†œ ist in die drei Teile „Finø†œ, „Auf dem Meer der Möglichkeiten†œ und „Die Stadt der Götter†œ gegliedert. Im Anschluss findet sich ein 14 Seiten umfassender Epilog mit dem Titel „Der Finøwalzer†œ.

†œJetzt erzähle ich dir, was wir erlebten. In Wirklichkeit tue ich das nicht, um von uns zu erzählen. Sondern um mich selbst daran zu erinnern, wann die Tür offen stand, um es dir zu zeigen.
Ich kann dir nicht durch die Tür helfen, weil ich selber nicht richtig durch sie hindurchgegangen bin. Aber wenn wir sie finden und davorstehen, oft genug, du und ich, dann weiß ich, dass wir eines Tages gemeinsam in die Freiheit hinausgehen werden.†

Der 14-jährige Peter, auch Petrus genannt, ist der Erzähler der Geschichte. Er ist eins fünfundfünfzig groß, siebenundvierzig Kilo schwer und trägt die Fußballstiefelgröße neununddreißig. Peter lebt mit seinen Eltern und seiner Schwester Tilte auf Finø. Finø ist eine Insel der Möglichkeiten und liegt mitten im Meer der Möglichkeiten. †œMeer der Möglichkeiten† klingt wenigstens viel schöner als Katzenarsch, die einzig korrekte Übersetzung für Kattegat wie Tilte findet. Tilte ist sechzehn und hat längst erkannt, dass ihre Eltern Elefantenhüter sind. Sie haben etwas in sich, dass viel größer ist als sie selbst, etwas, das sie nicht kontrollieren können. Es ist die Sehnsucht nach der Erkenntnis, was Gott wirklich ist, die ihren Augen die Wehmut verleiht, eine Sehnsucht, groß wie ein Elefant.

†œDie Finø-Bewohner haben von ihren vielen Reisen Männer und Frauen unterschiedlicher ethnischer Herkunft mitgebracht, und auf diese Weise wurden der Insel viele verschiedene Namen zugeführt†œ, erklärt Peter. Wen wundert es also einen Arzt, Psychiater Hirnforscher und Hypnotiseur namens Thorkild Thorlacius-Drøbert, eine Anaflabia Borderrud als Bischöfin oder eine Buddhistin, IT-Expertin und Chefin eines Call-Centers für sexuell-kulturelles Coaching namens Leonora Ganefryd auf Finø anzutreffen. Die Hebamme ist zugleich Leichenbestatterin, der Vorsitzende der Finøer Separatistenpartei oberster Priester von †œAsathor†. Alle leben in friedlicher Koexistenz.

Im ersten Teil †œFinø† entledigen sich die Kinder erfolgreich ihren Verfolgern um Thorkild Thorlacius und den Agenten Lars und Katinka und verschaffen sich mit Hilfe des Laute spielenden Ex-Junkie und Drogentherapeuten  Rickardt Graf Tre Løver Zugang auf die †œWeiße Dame von Finø†. Mit dem ganzen Schwarm bizarrer Charaktere machen sie sich auf den Weg nach Kopenhagen zur Großen Synode. Die †œWeiße Dame von Finø† ist ein Luxusdampfer, der für einen arabischen Ölscheich und seinem Harem gebaut wurde und mit 42 Kajüten mit goldenen Wasserhähnen, einem Pool und einer Frauenklinik ausgestattet ist. Das Schiff ist weiß wie Schlagsahne und bietet einen idealen Tummelplatz für Peter Høegs zweiten Teil †œDas Meer der Möglichkeiten†.

Für Tumult sorgt die eisgekühlte Leiche der Vibe von Ribe. Bereits seit zehn Tagen tot, ist sie in einem Sarg mit Kühlvorrichtung ebenfalls unterwegs zum Gipfeltreffen der Religionen um gesegnet zu werden. Graf Rickardt befreit sie aus ihrem Sarg, weil er ein sicheres Plätzchen für seine Laute braucht. So taucht Vibe abwechselnd im Rollstuhl im Kühlhaus des Schiffes, oder als Ärztin verkleidet in der Frauenklinik auf. Verdient hat sie die Behandlung allemal, schließlich hat sie den Kindern als Eisbudenbesitzerin im Sommer oft luftgefüllte Eiskugeln verkauft.

In †œDie Stadt der Götter† kommt es schließlich im dritten Teil zum fulminanten Showdown in Kopenhagen. Bruder Hans greift ins Geschehen ein, Pallas Athene, eine gutherzige und schlagkräftige Prostituierte, gefühlvolle Terroristen und einige andere vervollständigen den Reigen der burlesken Figuren.

†œWas wir und die Welt also erleben, ist das Schlüpfen der Elefanten aus ihren Puppen , sie schlagen mit den Flügeln und fangen an zu flattern, falls du das Bild verstehst, das vielleicht nicht gerade dem Biologieunterricht entspricht, aber einigermaßen deutlich macht, was da tatsächlich geschieht†œ, lautet Peters Botschaft.

Peter Høegs Figuren sind stark überzeichnet. Die Kinder sind die offensichtlichen unschuldigen Vertreter in einer Welt von selbstgefälligen, religiösen, korrupten, kriminellen halb- oder vollverrückten Erwachsenen. Hans ist achtzehn und studiert Astropyhsik in Kopenhagen. Er ist der Visionär unter den Kindern und stark und schön. Die sechzehnjährige Tilte hat die Spiritualität zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht. Sie verfügt über einen so messerscharfen Verstand, dass selbst ihre Lehrer sich vor ihr fürchten. Peter ist eher klein und schmächtig und dennoch der Star in Finøs Fußballverein. Er ist schnell, handelt entschlossen und mutig und ist der Realist unter den Geschwistern. Peters unverbrauchter Blick legt in seiner Vorurteilslosigkeit die Absurditäten der Erwachsenenwelt offen. Er bezieht den Lesenden direkt mit ein und schildert mit viel Wortwitz und Humor die unglaublichste Abenteuergeschichte mit Verfolgungsjagden, Entführung, Maskeraden, Erpressung bis hin zu einem Sprengstoffanschlag, den es zu verhindern gilt.

Mit einem Augenzwinkern greift der Autor die großen philosophischen Fragen des Lebens auf und spielt mit der Idee, dass bei einem Treffen mit den †œrichtig Verrückten†, den Mystikern aller Weltreligionen, eine gemeinsame Grundlage gefunden werden könnte. Schließlich sieht es in jedem Paradies fast gleich aus, und bei Licht betrachtet, sind sie sich näher, als man dachte.

Peter Høegs Fabulierkunst ist furios und amüsant. Der Roman liest sich wie ein Roadmovie und sprüht geradezu von wahnwitzigen Ideen. Er hat darin einen wahrhaft mächtigen Elefanten befreit. Dennoch wünsche ich mir in seinem nächsten Roman wieder eine Handlung mit Protagonisten in Smillas Alter. Peters altkluge Stimme wirkt am Ende doch ein wenig ermüdend.

Kurzbeschreibung
Auf den ersten Blick sind die Finøs aus Dänemark eine ganz normale Familie: Der Vater ist Pastor, die Mutter spielt Orgel, Peters großer Bruder studiert Astronomie. Doch an einem Karfreitag sind plötzlich die Eltern verschwunden, die schon einmal durch zweifelhafte Wundertaten mit der Justiz in Konflikt geraten waren. Um Vater und Mutter vor weiteren Torheiten zu bewahren, beginnen Peter und seine Schwester Tilte eine großangelegte Suchaktion. Inmitten falscher Heiliger und fanatischer Sinnsucher finden sie ihre eigene Tür zur Freiheit und zum Glück. Peter Høegs spannender und temporeicher Roman ist ein Abenteuer voller filmreifer Szenen, aktueller Anspielungen und verrückter Einfälle. Der Autor von „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ zeigt erneut seine mitreißende Fabulierkunst.

Über den Autor
Peter Høeg, 1957 in Kopenhagen geboren, studierte Schauspiel, Tanz und Literaturwissenschaften. Nach zahlreichen Reisen, vor allem in die Karibik und nach Afrika, gründete er eine Stiftung zugunsten von Frauen und Kindern in Entwicklungsländern. Peter Høeg lebt heute als freier Schriftsteller in der Nähe von Kopenhagen.

Die Kinder der Elfefantenhüter“ umfasst 488 Seiten und ist am 06.09.2010 im Hanser Verlag erschienen. Der Lesekreis bedankt sich beim Hanser Verlag für die freundliche Überlassung eines Rezensionsexemplares. Wer mehr über Peter Høeg und die Kinder der Elefantenhüter erfahren möchte, sollte unbedingt Tiltes Insel besuchen. Der Verlag hat dem Roman eine eigene Homepage eingerichtet, auf der auch aktuell ein Gewinnspiel zum Roman ausgeschrieben ist. Der Hauptpreis ist eine Reise nach Kopenhagen.

www.tiltes-insel.de