Jonathan Littell, geboren am 10. Oktober 1967 in New York, ist ein französischer Schriftsteller amerikanischer Herkunft. Littell stammt aus einer jüdischen Familie mit osteuropäischen Wurzeln. Seine Großeltern väterlicher- wie mütterlicherseits wanderten zwischen 1880 und 1886 von Russland nach den USA aus, als nach der Ermordung Zar Alexanders II. eine weitere Judenverfolgung einsetzte. Sein Vater Robert Littell wurde als Reporter und Verfasser zahlreicher, weltweit gelesener Spionageromane bekannt. Jonathan Littell wuchs zweisprachig auf, ging in Paris bis 1985 zur Schule und studierte dann in Yale. Nach vorhergehender Ablehnung durch die französischen Behörden ist er nach seinem Bucherfolg (Les Bienveillantes) seit März 2007 auch französischer Staatsbürger.
Mit 39 Jahren veröffentlichte er in französischer Sprache seinen zweiten Roman Die Wohlgesinnten (Les Bienveillantes), den er nach mehreren Jahren Recherchearbeit in nur 120 Tagen niederschrieb. Die fiktive Lebensgeschichte des bisexuellen SS-Offiziers Dr. iur. Max Aue, der ohne Reue auf seinen Einsatz bei der Judenvernichtung im 2. Weltkrieg zurückblickt, stand sofort in der Gunst der französischen Kritiker an höchster Stelle. Erschienen im August 2006, wurde er wenige Wochen später mit dem renommierten Prix Goncourt sowie dem Preis der Académie Française ausgezeichnet. Littell nahm den Prix Goncourt nicht entgegen, entzog sich der Öffentlichkeit und zog von Paris nach Barcelona.
Der Berlin Verlag sicherte sich die Übersetzungsrechte für 450.000 Euro. Das deutsche Echo war anfänglich zwiespältig, während die einen die Erzählkunst einer literarischen Darstellung der Shoah hervorhoben, kritisierten andere den Versuch, das Schweigen und Verdrängen der Täter aus ihrer Sicht zu artikulieren. Nachdem sich die deutsche Tageszeitung FAZ drei Wochen vor seiner Veröffentlichung auf dem deutschen Markt für das Buch eingesetzt hatte, nahmen die kritischen Rezensionen zu. Auch jüdische Rezensenten wie Micha Brumlik und Michel Friedman lehnten das Buch ab.
Was ist das für ein Buch?
Es ist zunächst, und dafür spricht fast alles, ein Buch von einer unerhörten Präzision. Littell hat die Quellen in einer bislang beispiellosen Weise in sein Werk integriert: von Goldhagen (den er ablehnt) bis zu Christopher R. Browning, von Albert Speer bis zu Ernst Nolte, von Joachim Fest bis Ian Kershaw. (Frank Schirrmacher)
Jede/r sollte es meiner Meinung nach lesen, kein Geschichtsbuch kann auch nur annähernd aufzeigen, wie es im 2. Weltkrieg zu den Gräueltaten kam und das Machtgefüge funktionierte. Die Täter bekommen Stimmen und damit eine geradezu beängstigende Authentizität. Nachfolgend habe ich einige Passagen zur Einführung in den Roman aus dem Lesesaal der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zusammengestellt. Falls nicht ausdrücklich anders gekennzeichnet, handelt es sich um Erläuterungen von Klaus Harpprecht. Unter dem Titel „Zwei Generationen blicken auf Littell“ findet man ausführliche Stellungnahmen zu Littell von Julia Voss (Jahrgang 1974) und Klaus Harpprecht (Jahrgang 1927). Klaus Harpprecht ist deutscher Journalist und Autor, er lebt heute als Autor in La Croix-Valmer (Département Var) in Frankreich. Er ist verheiratet mit der Autorin Renate Lasker-Harpprecht, die mit ihrer Schwester Anita Lasker-Wallfisch die Lager von Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hat. Vollständig nachzulesen hier: Auf Führers Nase gefallen – Der verhinderte Geniestreich
Die dokumentarische Leistung des Buches verdient Respekt.
Im Führungspersonal der SS, seiner Hierarchie, seinen Konflikten, seinen Intrigen kennt sich Littell besser aus als mancher Fachhistoriker.
Durch die Genauigkeit seiner Recherchen und die schockierende Härte der Bilder hat Littell mehr von der Realität des totalitären Staates, vom Funktionieren seiner Apparaturen (und seiner Funktionäre), vom Horror des Krieges und vom Grauen der Vernichtung vermittelt, als es die unübersehbaren Bibliotheken der Fachliteratur und das verknoopisierte Fernsehen, der ganze riesenhafte Aufwand der wissenschaftlichen und halbwissenschaftlichen Holocaust-Industrie zuwege brachten.
Wir hätten es auch nicht für möglich gehalten, dass ein vierzigjähriger Neufranzose amerikanischer Herkunft die Hölle im Kessel von Stalingrad mit solch schrecklicher Exaktheit nachzeichnen könne, bis zur Ortung des entlegensten Ruinenkellers, jeden Notverbandplatzes, jeder zerschossenen Flugzeugpiste, fast jeden Schützenloches den Überlieferungen getreu, nicht zu reden vom Hunger, von den Frostschmerzen, von den verzweifelten Hoffnungen, von der dumpfen Ergebenheit, schließlich vom elenden Verrecken der Landser und der Muschiks: wenigstens einhundertfünfzigtausend, die jeweils zu beiden Seiten geopfert wurden.
Einhundertundzwanzigtausend zerlumpte, ausgehungerte und kaum mehr marschfähige Deutsche schleppten sich nach der Kapitulation in die sowjetischen Gefangenenlager, neuntausend kamen schließlich nach Haus.
Der Autor dieses kritischen Versuchs hat im Krieg (damit meint Harpprecht sicherlich Littells Erfahrungen, die er in Bosnien, Afghanistan, Tschetschenien und Kongo sammelte, wo er zwischen 1993 und 2001 für die humanitäre Organisation „Aktion gegen den Hunger“ arbeitete. Dort erlebte er junge Männer in Kriegssituationen) und nach dem Krieg mit Soldaten geredet, die – wie Littells widerwärtiger Held – in letzter Stunde dem Inferno an der Wolga zu entrinnen vermochten: Stalingrad war, wie es Littell geschildert hat; die wortkargen Äußerungen der Geretteten bestätigten nahezu jedes Detail.
Littell sieht die Täter als völlig normale Deutsche, die keineswegs allesamt von wilden antisemitischen Instinkten zu ihrem Vernichtungswerk getrieben wurden – sondern durch die Bereitschaft zur „Pflichterfüllung“ und zum absoluten Gehorsam.
Er wollte keine Reportage und keinen Essay schreiben (was sein Buch in grandioser Weise ist). Seine Ambition und seine geniale Witterung für die Marktlücke trieben ihn zu einer Literarisierung des ungeheuerlichen Stoffes – und damit rannte er in eine fatale Falle.
Natürlich haben diese brutalen Reportagen mit Literatur wenig oder nichts zu schaffen. Die Wirklichkeit, wie Littell sie herbeizitiert, erlaubt keine stilistische Überhöhung.
Seine Prosa mag platt sein. Aber das ist angesichts der geschilderten Tragödien kein Kriterium. Littell wies die Vermutung schroff zurück, dass er einen „historischen Roman“ geschrieben habe. Die Frage ist, ob sein Buch überhaupt ein Roman ist. Vielmehr: einer sein sollte; einer sein darf.
Er liest, sagt er, keine Kritiken. Doch man glaubt es dem ernsten Menschen, der niemals zu lächeln scheint und auf jedem Foto streng an der Kamera vorbeistarrt. Aber deutete er nicht in einem Interview an, dass ihn die Aufnahme seines Buches im „Land der Täter“ (das er nicht so nennt) weitaus mehr interessiert als jene in Frankreich, das ihm mit fast einer Million Auflage einen Triumph bescherte, den er kühl, ja mit einer Spur von Hochmut registrierte? Lässt es ihn ungerührt, dass die Salven deutscher Empörung wie Trommelfeuer links und rechts von ihm detonieren, seit der Verlag die Leseexemplare verschickt hat?
Dieses Werk stiftet Streit. Ihn wollen wir führen. Eben deshalb, weil uns das letzte Wort nicht einfällt. (Frank Schirrmacher)
Quelle: Wikipedia, FAZ Lesesaal