Die Wohlgesinnten von Jonathan Littell: Der Titel

„Die Wohlgesinnten“ – Wie ist der Titel von Jonathan Littells Roman zu verstehen?“

Viel diskutiert wird wie der Titel des Romans „Die Wohlgesinnten“ von Jonathan Littell zu verstehen ist. So haben sich unter anderem Experten im Lesesaal der FAZ dazu geäußert.

Frank-Rutger Hausmann, geboren 1943 in Hannover, Studium der Rechte, der Romanistik, Geschichte und Mittellateinischen Philologie in Göttingen und Freiburg im Breisgau, Promotion 1968, Habilitation 1974, seine Forschungsschwerpunkte liegen in der französischen und italienischen Literatur, ist im Lesesaal der FAZ auf die Frage folgendermaßen eingegangen:

Die deutsche Übersetzung des französischen Originaltitels „Les Bienveillantes“ lautet „Die Wohlgesinnten“. Dieses Wort kommt, sieht man von der Titelseite einmal ab, nur einmal im ganzen Roman vor, und zwar am Schluss, nachdem Max Aue seinen Freund Thomas Hauser, sozusagen sein Alter ego, aber auch den Kriminalkommissar Clemens, der ihn verfolgt, getötet hat.

Für das Gesamtverständnis ist die Bedeutung des Titels demnach nicht unwichtig und erklärungsbedürftig. Der Normalleser wird bei „Die Wohlgesinnten“ nicht unmittelbar an die Rachegöttinen der griechischen Mythologie, die „Eumeniden“, denken, die man sowohl im Französischen wie im Deutschen gelegentlich als „Les Bienveillantes“ oder „Die Wohlgesinnten“ bezeichnet. Dabei handelt es sich um einen Euphemismus für den ursprünglichen Namen „Erinyen, Erinnyen“, die Töchter der Nacht mit finsterem Gesicht, die aus dem Tartaros aufsteigen, um Bluttäter und Frevler zu verfolgen und zu peinigen. Sie sind sozusagen das verkörperte schlechte Gewissen. Da die Eumeniden, kultisch betrachtet, ursprünglich segensspendende Erdgottenheiten bezeichnen, wird ihr Name von denen, die sie fürchten, zur Unheilsabwehr auf die Erinyen übertragen.

Aischylos hat den letzten Teil seiner „Orestie“ mit „Eumeniden“ überschrieben. Diese Trilogie dramatisiert eine blutige Familiensaga: Der Vater Agamemnon opfert seine Tochter Iphigenie, wird dafür von seiner Frau Klytämnestra ermordet, die wiederum von ihrem Sohn Orest getötet wird. Das Besondere daran ist, dass die Erinyen ihren Racheanspruch nicht durchsetzen können. Athenes Stimme gibt bei einer Art göttlichem Tribunal den Ausschlag für Orests Entsühnung, der seine Mutter im Auftrag Apolls erschlagen hat, was die Schuld des Muttermordes mildert. Aus den „Erinyen“ sind somit wahrhaft „Eumeniden“ geworden.
Ob nun Max Aue ein moderner Orest, das heißt ein „tragischer Held“, genannt werden kann, wie Littell im „Spiegel“-Gespräch vom 11. Februar selber sagt, bleibe dahingestellt.[…]

[…]Immerhin belegt das Ende des Romans so etwas wie ein Gewissen des Ich-Erzählers: „Mit einem Mal spürte ich das ganze Gewicht der Vergangenheit, den Schmerz des Lebens und des unerbittlichen Gedächtnisses, ich blieb allein … mit der Zeit und der Traurigkeit und dem Leid der Erinnerung, mit der Grausamkeit meiner Existenz und meines künftigen Todes. Die Wohlgesinnten hatten meine Spur wieder aufgenommen.“ Der Leser mag über dieses Ende spekulieren. Sind die Erinyen „wohlgesinnt“, weil Aue seiner irdischen Strafe bisher entgangen ist und in Frankreich untertauchen konnte, oder bezeichnet er sie nur ironisch mit diesem Namen, weil sie ihn zwar bis an das Ende seiner Tage verfolgen werden, ihm aber nichts wirklich anhaben können?[…]

Die vollständigen Ausführungen von Frank-Rutger Hausmann sowie weitere Stellungnahmen zu dem Thema im Lesesaal der FAZ.

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