August 2012: Medicine River von Thomas King

In den nächsten vier Wochen wandeln wir im Münchner Lesekreis auf den Spuren der kanadischen Schwarzfußindianer und begeben uns mit dem Fotografen Will in seine Heimatstadt Medicine River.

Medicine River lautet der Titel des im Jahr 2008 im A1 Verlag erschienenen Romans von Thomas King. Der in Kanada lebende indianische Autor ist teils Cherokee, teils griechischer und deutscher Abstammung. In Medicine River porträtiert Thomas King mit Humor und voller subtiler Wahrheiten das Leben in einer Kleinstadt nahe einem Blackfoot-Reservat im Westen Kanadas. Das Buch erhielt mehrere Auszeichnungen und stand auf der Shortlist des Commonwealth Writers‘ Prize.

Wir treffen uns zur Besprechung am 4. August 2012 um 21 Uhr bei Tine und Markus.

Kurzbeschreibung
Will, ein Fotograf aus Toronto, kehrt in seine Heimatstadt Medicine River zurück, um an der Beerdigung seiner Mutter teilzunehmen. Eigentlich soll es nur ein kurzer Aufenthalt werden, doch Will hat die Rechnung ohne seinen Freund Harlen Bigbear gemacht.
Harlen, ständig darum bemüht, das Leben von Nachbarn und Freunde zu regeln, versucht ihn von der Idee zu überzeugen, ganz nach Medicine River zurückzukehren und als einziger Native-Fotograf ein Studio zu eröffnen. Will aber fühlt sich von seinen Wurzeln, der Familie und den Freunden entfremdet. Doch Harlen findet auf alles eine Antwort, und schon bald spielt Will im örtlichen All-Native-Basketball-Team und lernt die schwangere, unverheiratete Louise Heavyman kennen …
Jenseits von Ethno-Romantik oder aufgesetzter Sozialkritik schreibt King mit einer guten Dosis Humor über das Alltagsleben der Native Americans im Nordamerika von heute, über gebrochene Biographien, menschliche Schwächen, Freundschaft, Liebe und Tod.
Bei seinen grandiosen Dialogen und Wendungen, die er beherrscht wie kaum ein anderer, ist es nahezu unvermeidlich, dass man beim Lesen zuweilen laut auflachen muss.

Über den Autor
Thomas King, 1943 als Sohn eines Cherokee und einer Griechin geboren, wuchs in Kalifornien auf und studierte englische Literatur an der Universität von Utah. Heute lebt er in Kanada und lehrt an der Universität von Guelph. Er ist Autor von Romanen, Kurzgeschichten, Drehbüchern und Kinderbüchern, arbeitet als Fotograf und hat für den kanadischen Rundfunk eine äußerst erfolgreiche Comedy-Sendung entwickelt.Cornelia Panzacchi, geb. 1959, ist promovierte Ethnologin und Romanistin. Sie betrieb Feldforschung in Westafrika und ist Übersetzerin italienischer, französischer, englischer und afrikanischer Literatur.

Juni 2012: Fegefeuer von Sofi Oksanen

Am 23. Juni 2012 besprechen wir im Lesekreis „Fegefeuer“ von Sofi Oksanen. Der Roman setzte sich in der Abstimmung gegen den Klassiker „Das Herz der Finsternis“ von Joseph Conrad durch. Wir treffen uns zu üblichen Zeit bei Hanne.

Fegefeuer (Originaltitel: Puhdistus, erschienen 2008) ist der dritte Roman der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen. Basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück (Uraufführung in Helsinki 2007), spielt der Roman 1992 in einem Dorf West-Estlands und schildert die außergewöhnliche Begegnung zweier Frauen, durch die nach und nach die leidvolle Geschichte ihrer Familie †“ verwoben mit der des ganzen Landes †“ offengelegt wird.

Das Cover der deutschsprachigen Ausgabe zeigt eine Fliege †“ überlebensgroß, ganz so, wie sie der Protagonistin und dem Leser in den allerersten Sätzen des Romans entgegentritt (Aliide Truu starrte die Fliege an, und die Fliege starrte zurück. Ihre Augen standen hervor, und Aliide wurde übel). Neben der titelgebenden ist die Fliege die wichtigste Metapher des Romans, die leitmotivisch in fast jedem Gegenwartskapitel auftaucht und die im fünften Teil, den fiktiven Geheimdokumenten, durch einen wichtigen Aspekt ergänzt wird.

Der Roman ist sinnlich und von starker Suggestivkraft. Die Intensität des Textes rührt zum einen aus der Verwendung der personalen Perspektive, zum anderen aus der sprachlichen Dichte und Präzision, mit der die Autorin äußere und innere Vorgänge beschreibt.

Leseprobe
„Sie riss die Tür auf und trat auf die Schwelle. Ringsum lag Stille wie Dämmerung. Die Nacht wurde dichter. Zara machte ein paar Schritte und blieb im gelben Licht der Hoflampe stehen. Die Grillen zirpten, die Hunde des Nachbarn schlugen an. Es duftete nach Herbst. Die weißen Stämme der Birken schimmerten im Halbdunkel. Die Tore waren geschlossen, die friedlichen Felder ruhten in den Drahtaugen des Maschendrahtzauns. Sie sog die Luft so tief ein, dass ihr die Lunge schmerzte. Sie hatte sich geirrt. Vor Erleichterung knickten ihr die Knie weg, und sie plumpste auf die Schwelle. Kein Pascha, kein Lawrenti, kein schwarzes Auto. […] Sie schob die Tür weiter auf und sah das Mädchen auf der Treppe, kehrte in die Küche zurück und ließ das Mädchen ein. Erleichterung flatterte ins Zimmer. Der Rücken des Mädchens hatte sich aufgerichtet, und die Ohren hatten sich zurechtgerückt. Sie atmete ruhig und in tiefen Zügen. Warum war das Mädchen so lange draußen gewesen, wenn der Mann gar nicht da gewesen war? Das Mädchen wiederholte, draußen sei niemand. Aliide schenkte dem Mädchen eine Tasse frischen Muckefuck ein und begann gleichzeitig, über die Beschaffenheit von Tee zu plaudern, sie beschloss, die Gedanken des Mädchens so weit von Steinen und Fenstern abzulenken wie möglich.“

Kurzbeschreibung
Wer Äußerstes erlebt hat, ist auch zum Äußersten bereit…

Wer Äußerstes erlebt hat, ist auch zum Äußersten bereit †“ das zeigt dieser vielfach ausgezeichnete und hoch spannende Roman über zwei Frauen, die sich wie zufällig begegnen und die doch eine gemeinsame Geschichte und vergleichbare Erfahrungen verbinden: Egal welches politische System auch herrscht, Opfer sind immer die Frauen.

Sofi Oksanen © Teemu Rajala

Über die Autorin
Sofi Oksanen, geboren 1977, studierte Dramaturgie an der Theaterakademie von Helsinki. Mit ihrem dritten Roman „Fegefeuer“ gelang ihr der literarische Durchbruch: Der Roman stand monatelang auf Platz eins der finnischen Bestsellerliste, wurde in 38 Länder verkauft und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Finladia-Preis, dem Nordischen Literaturpreis und dem Europäischen Buchpreis.

Die Autorin ist mit Estland durch Verwandtschaft und persönliche Erfahrungen vertraut. In Finnland geboren und aufgewachsen, ist sie die Tochter eines Finnen und einer Estin. Deren Heimat hat sie durch Besuche bei ihrer Großmutter schon zu einer Zeit kennengelernt, als Estland noch Teil der Sowjetunion war.

Bei einer Präsentation ihres Buches in Deutschland berichtete sie von ihren Erinnerungen an die Schikanen vor der Einreise einerseits; zum anderen auch an endlose Wochen auf dem Hof der Großmutter. Das Muster des Tischtuchs, das Gesumme der Fliegen. Das Abschöpfen des Schaums beim Einwecken, die brodelnde Seife, der Bottich für das Waschen der Hände. Im Schrank die Gläser mit Tomaten und Pilzen, auf dem Boden die Kräuter, ausgebreitet zum Trocknen.

Sofi Oksanens frühzeitige Vertrautheit mit dieser Lebenswelt, ihre intime Kenntnis von Land und Leuten sind in den Roman eingeflossen, machen ihn authentisch und sind Teil der Wirkung und des Erfolgs.

Quelle: Wikipedia
Quelle Foto: Wikipedia © Teemu Rajala

Mai 2012: Pandora im Kongo von Albert Sánchez Pinol

Am 21. März 2012 besprechen wir im Lesekreis †œPandora im Kongo“ von Albert Sánchez Pinol. In der Abstimmung setzte sich der Roman des hochgelobten Katalanen, der als existenzieller Grenzgänger im Stile des großen Joseph Conrads schreibt, gegen „Bessere Zeiten“ von Susanna Alakoski durch.
Wir treffen uns zur üblichen Zeit bei schönem Wetter auf Hannelores Terasse, falls es regnet bei Markus.

Kurzbeschreibung
Im Kongo, diesem endlosen Meer von Bäumen, geschehen seltsame Dinge. Was bedeutet das unheimliche Kreischen aus der Tiefe? Sind das die Klänge der afrikanischen Nacht? Tommy Thomson ist Ghostwriter und erhält den Auftrag, Marcus` Geschichte aufzuschreiben. Das Buch soll dessen Unschuld beweisen. Angeblich hat Marcus im Kongo die Brüder Craver, britische Aristokraten und Goldgräber, ermordet. Die Suche nach der Wahrheit führt Tommy immer tiefer in Afrikas Mitte: undurchdringliche Vegetation, emotionale Verstrickungen und ein Netz endloser Lüge. Albert Sánchez Piñol hat sich mit seinem zweiten Buch selbst übertroffen. ‚Pandora im Kongo‘ ist ein furioser Roman über das Erzählen, ein packendes Abenteuer und ein bewegende Liebesgeschichte.

Über den Autor
Albert Sánchez Pinol wurde 1965 in Barcelona geboren. Bekannt wurde er durch seinen Roman „Im Rausch der Stille„, der in 28 Sprachen übersetzt und mit einigen Auszeichnungen bedacht wurde (Ojo Crítico 2003, Premi Llibreter). Sánchez Piñol ist Mitglied des Zentrums afrikanischer Studien und hat über die Mbuti-Pygmäen im Ostkongo gearbeitet. Er war Mitarbeiter an einigen Enzyklopädien.

März 2012: Faule Kredite: Ein Fall für Kostas Charitos von Petros Markaris

Am 17. März 2012 besprechen wir im Lesekreis †œFaule Kredite: Ein Fall für Kostas Charitos“ von Petros Markaris. In der Abstimmung setzte sich der Griechenland-Krimi aus aktuellem Anlass u.a. gegen Die Korrekturen von Jonathan Franzen und Bessere Zeiten von Susanna Alakoski durch.
Wir treffen uns zur üblichen Zeit bei Elisabeth und Ibrahim.

Kurzbeschreibung
Die Krise legt Griechenland lahm.
Niemand hält mehr die Arbeitszeiten ein, überall wird diskutiert und protestiert. Arbeitnehmer, Rentner und Studenten gehen auf die Straße, und ihre Demonstrationszüge verstopfen das Zentrum Athens mehr, als es der Verkehr je tat.

Auch Familie Charitos muss den Gürtel enger schnallen. Gerade haben Kostas und Adriani noch die Hochzeit ihrer einzigen Tochter Katerina ausgerichtet und sich zum ersten Mal seit dreißig Jahren ein neues Auto geleistet †“ und nun wissen sie nicht mehr, wie sie die Raten abzahlen sollen. Als dann innerhalb weniger Tage zwei Banker auf grausame Weise umgebracht werden, herrscht in der Finanzwelt höchste Alarmstufe. Auch weil Presse und Polizei die Hypothese eines Terroranschlags nicht ausschließen.

Der Hass auf die Banken scheint in der Tat immer größer zu werden: Die Stadt wird über Nacht mit Plakaten tapeziert, auf welchen die Bürger zur Verweigerung der Rückzahlung von Krediten aufgefordert werden. Die Krise mit ihren Auswüchsen beschert Kostas Charitos und der Athener Polizei mehr Arbeit und Hektik denn je zuvor. Geduld und Sorgfalt wären angesagt, doch dafür hat niemand Zeit. Denn Zeit ist Geld, und Geld gibt†™s keins.

Über den Autor
Petros Markaris, geboren 1937 in Istanbul, studierte Volkswirtschaft, bevor er zu schreiben begann. Er ist Verfasser von Theaterstücken, Schöpfer einer beliebten griechischen Fernsehserie, Übersetzer von Brecht und vielen anderen deutschen Dramatikern, und er ist Co-Autor des Filmemachers Theo Angelopoulos.

International bekannt wurde der griechische Autor durch seine Kriminalromane um den in Athen ermittelnden schrulligen „Kommissar Kostas Charitos„. 2008 wurde er durch den griechischen Kulturminister, der der konservativen Partei Nea Demokratia angehört, zum Präsidenten des Nationalen Buchzentrums (EKEBI) berufen.

Petros Markaris lebt in Athen.

Januar 2012: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen von Harald Martenstein

Am 28. Januar 2012 besprechen wir im Lesekreis „Gefühlte Nähe“ von Harald Martenstein. In der Abstimmung setzte sich der Roman gegen „Faule Kredite“, Petros Markaris Krimi über die Krise in Griechenland, durch. Wir treffen uns um 21 Uhr bei Rainer und Gerlinde.

Kurzbeschreibung „Gefühlte Nähe“

Harald Martensteins neuer Roman besticht durch eine genaue Beobachtung des Paarungsverhaltens im ausgehenden 20. Jahrhundert. Er beschreibt 23 Männer in archetypischen Situationen, die eines gemeinsam haben: dieselbe Frau; eine Frau, die wir nur als N. kennenlernen. An ihrem Liebesleben und Lebenslauf reiht Harald Martenstein die unterschiedlichen Männer wie Verhältnisse auf †“ ein Roman in 23 Liebesabenteuern.

Die Geschichten und Situationen ergänzen sich, zeigen Verhaltensmuster, ergeben eine Sittengeschichte im Privaten †“ aber sie sind vor allem eins: überraschend komisch und eigensinnig.

Gefühlte Nähe ist die Vermessung der Tiefen und Untiefen des uns bekannten Beziehungskosmos.

Über Harald Martenstein

Harald Martenstein, geboren 1953, ist Autor der Kolumne „Martenstein“ im ZEITmagazin und Redakteur beim Berliner Tagesspiegel. 2004 erhielt er den Egon-Erwin-Kisch-Preis. Sein Roman „Heimweg“ wurde im September 2007 mit der Corine ausgezeichnet, 2010 erhielt er den Curt-Goetz-Ring. Für seine Kolumne Lebenszeichen wurde Martenstein 2008 der Henri-Nannen-Preis in der Kategorie Humor verliehen.