So verwaist wie auf dem Foto waren die Liegen am Heck der Costa Favolosa selten. In der Regel tummelten sich dort viele Passagiere – mit ihren völlig unterschiedlichen Büchern. An Bord des Kreuzfahrtschiffes gab es sogar ein kleine Bibliothek mit Büchern in verschiedenen Sprachen, die umsonst verliehen wurden. Wer sein Buch allerdings nicht rechtzeitig zurückgebracht hat, erhält wohl eine Rechnung über 15 Euro. In Anbracht der ansonsten sehr kostspieligen Dienstleistungen an Bord des Schiffes, ein Foto eines der zahlreichen Fotografen kostete genau so viel, also durchaus erschwinglich.
Da circa 70 Prozent der Mitreisenden aus Italien stammten, spiegelt die kleine Bilderreise der Buchcover auf verlassen Liegen viele italienische Titel wieder. Neben Andrea Camilleri und Ken Follett tauchte allerdings auch hier „Shades of Grey“ mehrmals auf. Nur eine deutschsprachige Übersetzung konnte ich nicht finden. 😉
Kurzentschlossen buchte ich am vorletzten Freitag für meine beiden Töchter und mich eine Kreuzfahrt auf der Costa Favolosa – der Märchenhaften. Die Costa Favolosa ist das 15. Kreuzfahrtschiff der Reederei Costa Crociere und erst seit Juni 2011 in Betrieb. Am 26. August 2012 legte das Schiff mit circa 3000 Passagieren und über 1000 Besatzungsmitgliedern pünktlich um 18 Uhr in Venedig ab und fuhr in Richtung Bari. Weiter über Katakolon (Olympia), Izmir und Istanbul sollte das Kreuzfahrtschiff auf dem Rückweg über Dubrovnik am 2. September wieder in Venedig einlaufen. Sieben märchenhafte Tage auf dem östlichen Mittelmeer und fünf interessante Städte erwarteten uns.
Am 30. August verließen wir um 18.30 Uhr den Hafen von Istanbul und nahmen Kurs über das Marmarameer und die Ägäis in Richtung Dubrovnik. 896 Seemeilen und ein Tag auf See lagen vor uns. Abends wurde im Theater eine Musikshow mit der siebenköpfigen weiblichen Tanzgruppe an Bord des Schiffes gezeigt.
Als ich am 31. August gegen 7 Uhr morgens aufwachte, spürte ich gleich, dass das Schiff nicht mit voller Fahrt unser neues Ziel anstrebte, sondern kreiste. Gegen 9.30 Uhr zogen wir immer noch unsere Runden in der Position – mit uns ein weiteres Kreuzfahrtschiff sowie mehrere Frachter in immer gleichen Abständen. Gegen 10 Uhr gab dann Kapitän Mario Moretta bekannt, dass ein Mitglied der Crew in den frühen Morgenstunden über Bord gefallen sei und die türkische Hafenbehörde die Weiterfahrt nicht gestatte, da sich das Kreuzfahrtschiff an der Suche nach der vermissten Person beteiligen müsse. Die Durchsage wurde zunächst in italienischer Sprache und später in weiteren Übersetzungen verkündet. Die Passagiere reagierten erwartungsgemäß geschockt und viele konnten den Blick von der Wasseroberfläche in der Hoffnung auf ein Lebenszeichen nicht abwenden.
Dennoch ging das Leben an Bord schnell gewohnt laut und gesellig weiter. Mittags zeigten Köche und Servicemitarbeiter Tanzeinlagen am zentralen Pool oder kreierten kunstvoll Figuren aus Obst. Gegen 13 Uhr teilte der Kapitän dann schließlich mit, dass die türkische Hafenbehörde der Costa Favolosa die Erlaubnis erteilt hatte, die Fahrt fortzusetzen. Die griechischen und türkischen Hafenbehörden würden die Suchaktion gemeinsam weiter fortsetzen. Als das Schiff wieder Fahrt aufnahm, überflog noch ein Hubschrauber die Unglücksstelle.
Was konkret passiert war oder wer bei dem Sturz ums Leben gekommen ist, konnte oder wollte niemand beantworten. Die Servicekräfte gaben mit Hinweis darauf, dass sie nichts Genaues wissen, keine Antworten und auch unsere deutsche Reiseleiterin wollte nichts über den Vorfall sagen. Weil meine Kinder sehr beunruhigt waren und erfahren wollten, ob es noch Hoffnung für die vermisste Person gab, suchte ich sie am nächsten Tag auf. Aber auch die Reiseleiterin nannte keine Details und erwähnte lediglich, dass eine Frau über Bord gegangen sei, andere Crew-Mitglieder den Vorfall beobachtet hätten und dass man so einen Sturz vom Deck ein Kreuzfahrtschiffes kaum überleben könne.
Am 1. September haben wir abends in unserer Kabine einen Brief vorgefunden, in dem der Kapitän nochmals den tragischen Unfall bedauerte. In erster Linie ging es allerdings um Details der Rückabwicklung der gebuchten und ausgefallenen Ausflüge nach Dubrovnik, da die Costa Favolosa wegen der stundenlangen Suche nun direkten Kurs auf Venedig genommen hatte und Dubrovnik somit nicht anfahren konnte.
Die italienische Zeitung Articolo Tre und die Webseite Crew Center berichteten am 31. August bzw. am 1. September, dass eine amerikanische Tänzerin Selbstmord begangen hat. Der US-amerikanische Anwalt Jim Walker, der weltweit sowohl Passagiere als auch Besatzungsmitglieder vertritt, hat den Vorfall aufgegriffen und auf Cruise Law News darüber gebloggt. Demnach handelt es sich bei der Toten um eine junge Tänzerin aus Südafrika. Während in den Kommentaren die Selbstmordtheorie bezweifelt wird und man eher von einem Unfall ausgeht, scheint Costa Crociere die Theorie inzwischen bestätigt zu haben. In dem Artikel heißt es weiterhin, dass in den letzten 10 Jahren weltweit 185 Personen über Bord von Kreuzfahrtschiffen gegangen sind.
Uns fiel auf, dass in der abendlichen Show am 31. August 2012 erstmals nicht sieben sondern nur sechs Tänzerinnen dabei waren. Ob nun tatsächlich ein Mitglied dieser Tanzgruppe in den frühen Morgenstunden am 31. August ums Leben kam, ist nicht gewiss. In Gedanken sind wir immer noch bei einer jungen Südafrikanerin, die in der Ägäis spurlos verschwunden ist. Und obwohl diese erste Kreuzfahrt für uns in vielerlei Hinsicht wirklich traumhaft war, hinterlässt sie einen albtraumhaften Eindruck.
Meine frisch gekürte Abiturientinnen-Tochter bummelt gerade durch die Weltgeschichte. Eine Freundin hat ihr zum Abschied „Point it“ geschenkt.
„You may be fluent in many languages but sometimes you could find yourself ‚off the beaten track‘ where you can’t communicate. ‚Point it‘, with 1300 items to point at, is the answer. Everyone in the world will understand you. This passport-sized assistant is used not only by tourists but also by UN peacekeeping forces, Olympic athletes and speech therapists. The book is the result of the author’s extensive travels in the five continents„, heißt es in der Kurzbeschreibung des kleinen, handlichen Reise-Bildwörterbuches.
Das Büchlein ist so groß wie ein Reisepass und randvoll mit Bildern. Ob Nahrungsmittel, Kleidung, Reiseutensilien, Hotelausstattungen oder Verkehrsmittel, wer danach sucht und nicht benennen kann, deutet einfach darauf.
„Point it“ mag meiner sich vegetarisch ernährenden Tochter ebenfalls dabei helfen, dass nicht versehentlich eines dieser hübschen, leckeren Tierchen auf ihrem Teller landet. 😉
Die Taschenbuchausgabe von „Point it“ umfasst 72 Seiten und ist für 5,90 Euro im Buchhandel erhältlich.
Die Fotos hat uns der Graf Verlag, München, freundlicherweise überlassen.