Der erste Satz:
Heute, am fünften November, beginne ich mit meinem Bericht.
Kurzbeschreibung
Die namentlich nicht benannte Erzählerin in Die Wand reist mit ihrer Kusine und deren Ehemann zum Wochenende auf eine Jagdhütte. Während das Ehepaar dann des Abends noch in die Gaststätte eines nahegelegenen Dorfes zieht, bleibt die Erzählerin und Protagonistin allein in der Hütte, um am nächsten Morgen festzustellen, dass sie immer noch alleine ist. Auf ihrer Suche nach den beiden bemerkt sie, dass sie durch eine unsichtbare Wand von der Außenwelt abgeschnitten wurde.
Während ihrer Exkursionen stellt die Heldin des Romanes nun fest, dass ein nicht weiter bezeichnetes Unglück wahrscheinlich alle, zumindest aber alle ihr durch die Wand sichtbaren Lebewesen getötet hat, sie mithin durch die Wand geschützt und gleichzeitig eingesperrt ist. Da das Areal, das von der Wand umschlossen wird, sich aber über ein ganzes Tal hinaus erstreckt, lernt die so Isolierte nun allmählich, sich von den verbliebenen Vorräten und den Erzeugnissen des Waldes und der Felder zu ernähren. Zu der Sorge um ihre eigene Existenz kommt dabei bald die Sorge um verschiedene Tiere, die ihr zulaufen: Ein Hund, eine Katze und eine Kuh gesellen sich zu der Erzählerin, die aus der Retrospektive dann auf verbliebenen Kalenderblättern ihre Geschichte für eine vielleicht nicht mehr vorhandene Nachwelt zu überliefern versucht.
Gegen Ende erscheint auf der Alm, die die Frau als Sommerquartier bezogen hatte, ein Mann. Dieser erschlägt jedoch, vollkommen willkürlich, den Stier und den Hund. Die Frau sieht sich daraufhin gezwungen den Mann zu erschießen. Trotz dieser Katastrophe klingt der Bericht vorsichtig optimistisch aus, so heißt es unter anderem: Seit heute früh weiß ich sicher, daß Bella ein Kalb haben wird. Und, wer weiß, vielleicht wird es doch wieder junge Katzen geben. Die Hauptperson verschiebt also einen möglichen Ausbruch aus dem Tal. Die Munition geht jedoch absehbar zu Ende, ebenso wie die Möglichkeit Feuer zu machen (Zündhölzer). Über das weitere Schicksal der Icherzählerin ist nichts bekannt.
Würdigung
Haushofers Roman, der in höchstem Maße interpretationsoffen ist, wurde schon immer in vielfältiger Weise gelesen. Er kann als eine radikale Zivilisationskritik verstanden werden, die den Menschen wieder in die Natur zurück versetzt, ihm die Kulturgüter, wie den am Haus langsam zuwachsenden Mercedes, als ebenso überflüssig wie unsinnig entzieht, und ist hierin hinsichtlich der Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen ebenso positiv wie negativ gestimmt. Überlebt die Erzählerin doch zumindest eine gewisse Zeit – über ihr mögliches Ende ist nichts überliefert – und belegt darin Anpassungsfähigkeit wie auch die Möglichkeit einer gerade im Minimalismus sich findenden moralischen Position, so negiert dieses Konzept aber, dass die Menschheit sich zumindest dem Anschein nach bereits vernichtet zu haben scheint.
Hierhin gehört auch, dass der einzige weitere Überlebende der Spezies Mensch ein überaus rücksichtloses Exemplar ist, das, kaum eingeführt, auch schon von der Protagonistin erschossen werden muss. Spätestens hierin gerät die dann doch eher negative Utopie dann aber auch zu einem emanzipatorischen Frauenroman, der die implizite Kritik am gewaltbereiten Patriarchat nicht nur in der Entwicklung der Heldin durchführt, sondern darin auf die Spitze treibt, die zumindest innerhalb des von der Wand umschlossenen Mikrokosmos letzte Möglichkeit zur Paarung, Fortpflanzung und Rettung des Fortbestandes der Menschheit in toto auszuschließen.
Über diese Perspektiven der Interpretation hinaus lässt sich Haushofers Roman aber auch als eine bis auf das Ende versöhnliche Geschichte vom friedlichen Zusammenleben von Mensch und Tier, vom Menschen in der Natur lesen und bekommt in manchen Passagen sogar Züge einer Katzengeschichte, deren Schicksal immer wieder detailliert verfolgt wird (und in gewisser Weise dann in dem Kinderbuch Bartls Abenteuer seine Fortsetzung fand). Insgesamt bleibt Haushofers Roman so eine in einfacher, kaum je zu Pathos neigender Sprache dargebotene Utopie, die zwischen Kritik und Versöhnung zu oszillieren scheint und vielleicht gerade darum das beliebteste Werk der Autorin ist.
Über die Autorin
Marlen Haushofer, geborene Marie Helene Frauendorfer, geboren am 11. April 1920 in Molln, gestorben am 21. März 1970 in Wien, war eine österreichische Schriftstellerin.
Marlen Haushofer wurde als Tochter eines Revierförsters und einer Kammerzofe im oberösterreichischen Molln-Frauenstein geboren. Von 1934 an besuchte Haushofer das Internat der Ursulinen in Linz, auf dem sie 1940 die Reifeprüfung ablegte. Haushofer studierte nach einer kurzen Phase des Arbeitsdienstes ab 1940 Germanistik in Wien und später (ab 1943) in Graz. 1941 heiratete sie den Zahnarzt Manfred Haushofer, mit dem sie später nach Steyr zog. Der Ehe, die 1953 geschieden und 1957 erneuert wurde, entstammt der Sohn Manfred, einen zweiten, älteren unehelichen Sohn namens Christian brachte sie in die Ehe mit.
Ab 1946 publizierte Haushofer kleinere Erzählungen in Zeitschriften. Ein erster Erfolg gelang ihr jedoch erst 1952 mit der Novelle Das fünfte Jahr, das dem Titel entsprechend ein Jahr im Heranwachsen eines Kindes namens Marili in nüchterner Nähe beschreibt. Der Roman Die Wand, der 1962 veröffentlicht wurde, ist wahrscheinlich Haushofers wichtigstes Werk. Die hierin beschriebene Welt eines isolierten Lebens im Wald, einer in der Katastrophe entstandenen Idylle wurde aber trotz der früh gelobten Qualitäten ebenso wie alle anderen Werke der Autorin vergessen. Lediglich die Kinderbücher bildeten hiervon eine, für die Rezeption jedoch unbedeutende, Ausnahme. Erst Frauenbewegung und Frauenliteraturforschung erkannten dann allmählich die Bedeutung des sich immer wieder mit der Rolle der Frau in der Männergesellschaft auseinandersetzenden Werkes und erlaubten so eine erneute Rezeption.
Am 21. März 1970 verstarb die an Knochenkrebs erkrankte Dichterin nach einer Operation in Wien im Alter von 49 Jahren.