„Die Mittagsfrau“ ist eine Lausitzer Legende. Sie erzählt, dass zur Mittagsstunde eine weiß gekleidete Frau mit einer Sichel über den Köpfen derjenigen erscheint, die mittags arbeiten. Die Mittagsfrau verhängt einen Fluch über sie. Die Menschen können diesen Fluch nur aufheben, indem sie ihr eine ganze Stunde von der Verarbeitung des Flachs erzählen, so berichtet Julia Franck in einem Interview mit der Zeit am 27.09.07
Franck schreibt das Jahr 1945. Eine Mutter bricht mit ihrem kleinen Sohn von Stettin aus nach Westen auf, lässt das Kind dann aber an einem Bahnhof sitzen, verschwindet vorsätzlich und endgültig, legte dem Sohn die Adresse von Verwandten ins Gepäck. Helene gibt Peter auf, eine unerklärbare Entscheidung.
Es gab diese Begebenheit in meiner Familie †“ und ich sage ausdrücklich Begebenheit †“ da die Geschichte fehlt. Mein Vater wurde 1937 in Stettin geboren. Er ist 1945 im Zuge der Vertreibung mit seiner Mutter gen Westen aufgebrochen. Auf dem ersten Bahnsteig westlich der Oder-Neiße-Grenze hat sie ihn aufgefordert zu warten und gesagt, dass sie gleich wieder kommen würde. Das tat sie nie. Meinen Vater hat das sehr geprägt. Er war ein sehr feinsinniger und intelligenter Mensch. Mit 49 Jahren ist er an einem Hirntumor gestorben. In der Zeit hatte ich ihn gerade erst etwas kennengelernt. Ich besuchte ihn oft im Krankenhaus, wir besprachen vieles, redeten aber nie über seine Mutter. Als ich jetzt vor fast sieben Jahren mein erstes Kind bekam, wurde es zu einer brennenden Frage, was eine Frau dazu gebracht haben kann, ihr Kind auszusetzen und überzeugt zu sein, dass es ihm überall anders besser gehen würde als bei ihr selbst.
Julia Franck, geboren 1970 in Ostberlin, verlebte eine ungewöhnliche Kindheit und verließ mit 13 Jahren ihr Zuhause.
Meine Mutter war Schauspielerin in Ost-Berlin, meinen Vater kannte ich kaum. Meine Schwestern und ich waren oft abends und tagsüber allein und somit auf uns selbst angewiesen. Es gab aber auch Kindermädchen †“ zum Beispiel Nina Hagen †“ und das Wochenheim, in dem wir zeitweise untergebracht waren. Es war in der DDR nicht unüblich, dass Künstler mit unregelmäßigen Arbeitszeiten ihre Kinder nur am Wochenende abholten. 1978 siedelte ich als Achtjährige mit meiner Mutter und drei Schwestern in den Westen über. Zuvor verbrachten wir einige Monate in einem Notaufnahmelager. Wir wohnten zu fünft in einem zwölf Quadratmeter großen Zimmer. Einmal in der Woche kam ein Bus aus der Stadtbücherei und brachte Bücher in das Lager. Unsere Mutter schenkte uns leere Hefte und wir fingen an, darin zu schreiben. Ich führte Tagebuch und dachte mir Geschichten aus. Schreiben wurde zu einer Art Überlebensmittel. Mit 13 Jahren bin ich von zu Hause weggegangen und habe in Berlin bei Freunden gelebt. Meine Mutter war tolerant genug, mich gehen zu lassen.
Ihr Debütroman, Der neue Koch, erschien1997, daraufhin folgten die Romane: Liebediener, Bauchlandung. Geschichten zum Anfassen, Lagerfeuer, Mir nichts, dir nichts, Erzählungen
Am 08.10. wird auf der Frankfurter Buchmesse bekanntgegeben, wer den Deutschen Buchpreis gewinnt und „Die Mittagsfrau“ gehört zu den Finalisten.
Am 16.10. um 20 Uhr ist Julia Franck zu Gast im Münchner Literaturhaus und liest aus ihrem neuen Roman.