Der schönste letzte Satz von Max Frisch

Es ist ein Tag im September, und wenn man aus den finstern und gar nicht kühlen Gräbern wieder ans Licht kommt, blinzeln wir, so grell ist der Tag; ich sehe die roten Schollen der Äcker über den Gräbern, fernhin und dunkel das Herbstmeer, Mittag, alles ist Gegenwart, Wind in den staubigen Disteln, ich höre Flötentöne, aber das sind nicht die etruskischen Flöten in den Gräbern, sondern Wind in den Drähten, unter dem rieselnden Schatten einer Olive steht mein Wagen grau von Staub und glühend, Schlangenhitze trotz Wind, aber schon wieder September: aber Gegenwart, und wir sitzen an einem Tisch im Schatten und essen Brot, bis der Fisch geröstet ist, ich greife mit der Hand um die Flasche, prüfend, ob der Wein (Verdicchio) auch kalt sei, Durst, dann Hunger, Leben gefällt mir –

Mein Name sei Gantenbein von Max Frisch

Max Frisch wurde am 15. Mai 1911 in Zürich geboren und starb dort am 4. April 1991. Mit Friedrich Dürrenmatt gehört Frisch zu den wichtigsten schweizerischen Schriftstellern der Nachkriegszeit. Zentrale Themen seines zeitkritischen Werkes sind Selbstentfremdung und das Ringen um Identität in einer ebenso entfremdeten Welt.

Mein Name sein GantenbeinMax Frisch Frisch studierte zuerst in Zürich Architektur und war danach als Journalist und Architekt tätig. Nach ausgedehnten Reisen durch Europa, Amerika und Mexiko war er seit Beginn der fünfziger Jahre als freier Schriftsteller tätig. 1958 erhielt Frisch den Georg-Büchner-Preis, und 1976 wurde er mit dem Friedenspreis des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Frischs wohl bekanntestes Stück Andorra (1961) ist eine tragische Parabel auf die Folgen des Antisemitismus, während die Farce Biedermann und die Brandstifter (1958) anhand einer absurden Einquartierungssituation die Anpassungsmentalität des satten Bürgertums und seine Anfälligkeit für autoritäre Herrschaftsformen blosslegt. In seinem zweiten Roman Homo Faber wird aus der Sicht eines rationalistischen Ingenieurs der Gegensatz von technisch-wissenschaftlichem Weltbild und „unlogischen“ Schicksalsmächten geschildert und mit der schon in Stiller auftretenden Eheproblematik (die auch das konfliktgeladene Verhältnis zu seiner langjährigen Lebensgefährtin Ingeborg Bachmann widerspiegelt) verbunden. Frisch entwickelt eine Romanform, indem er permanent verschiedene Textsorten mischt und getroffene Aussagen wieder relativiert. Dieses Mischungsprinzip begegnet wieder in der autobiographischen Erzählung Montauk (1975), die zugleich die Möglichkeiten des Erzählens reflektiert und die Suche nach objektiver Wahrheit als unausweichlichen Fehlschlag auch im eigenen Lebensplan des Autors transparent macht. Seine Erzählung Der Mensch erscheint im Holozän (1979) ist bereits gezeichnet vom Leiden am Verlust der literarischen Schaffenskraft und an der Aussichtslosigkeit eines Strebens nach einer erfüllten menschlichen Existenz angesichts einer gleichgültigen Natur. Blaubart, seine letzte 1982 veröffentlichte Erzählung, nimmt das Motiv des bekannten Märchens von Charles Perrault auf. Bemerkenswert vom literarischen und argumentativen Standpunkt sind Frischs Tagebücher, erschienen unter dem Titel Tagebuch 1946-1949 (1950) und Tagebuch 1966-1971 (1972). Neben der Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Literatur präsentiert sich Frisch hier wie anderenorts als scharfsinniger Kritiker des Zeitgeschehens, insbesondere der Schweizer Verhältnisse. So schockierte er bürgerliche Kreise mit seiner durchaus ernstgemeinten Forderung, die Schweizer Armee ersatzlos abzuschaffen – dies noch lange bevor GSoA ein Begriff war.

Kurzbeschreibung zu Mein Name sei Gantenbein
Max Frisch hat in seinem dritten großen Roman Mein Name sei Gantenbein (1964) sein zentrales Thema, das Problem der Identität, die Spannung des Ichs zum anderen, nicht verlassen. Radikaler erfaßt, entfaltet es sich heiterer, reicher als bisher. Der Komplexität des Themas entspricht die Form. Der Roman spiegelt die Verschiebung von Realität und Phantasie im Bannkreis einer Situation, die die erprobte Rolle eines Menschen in Frage stellt, sein Ich freilegt. Die Geschichten des Buches sind nicht Geschichten im üblichen Sinn, es sind Geschichten wie Kleider, die man probiert. Es sind Rollen, Lebensrollen, Lebensmuster, die die Wirklichkeit erraten haben.

15 Gedanken zu „Der schönste letzte Satz von Max Frisch

  1. Liebe Dolcevita,

    ist das der Auftakt zu einer neuen Serie oder nur ein Zwischenspiel?
    Ich tippe auf irgendeinen Titel von Friedrich Ani.

    Allerbeste Grüße zum neuen Jahr an alle LeserInnen!

  2. Naahmt allerseits! Ich tippe da eher auf Max Frisch und „Mein Name sei Gantenbein“…

    Und auch meine besten Wünsche zum Neuen Jahr an alle MitstreiterInnen!

  3. 😆 während ich mich soeben ausführlich mit Friedrich Ani (siehe neuen Beitrag) beschäftigt habe, hast du, meine liebe Mamalinde, wohl meine telepathischen Schwingungen empfangen! Never, ist das von Ani, frage mich wirklich wie du darauf gekommen bist und natürlich hat unser Tausendsassa Don Farrago mal wieder mitten ins Schwarze getroffen. Aber du, mein liebster Don, warst ja eh dran. Ich wollte heute eigentlich nur mal sehen, was es so an letzten Sätzen gibt und habe spontan Max Frisch aus dem Regal gezogen und bin über diesen, wie ich finde, außergewöhnlichen letzten Satz gestolpert und konnte gar nicht anders, als ihn reinstellen 😉
    Ah, Gratulation! War er googlebar? Was sagt die Waage, bzw. was wünscht du dir, mein Lieber, etwas Herzhaftes oder lieber eine Süßigkeit?
    LG

  4. Liebe Dolcevita,
    TSTSTS was für telepathische Schwingungen Deinerseits ließen mich derartig in die Irre laufen? Bist Du im Sturzflug gelandet?
    @ Don Farrago, woher weißt Du alles? oder wieso?
    Gratulation und eine Salzstange von der ergrippten

  5. Liebe Frau Doktor Dolcevita,
    Sie haben das Problem richtig erkannt. Leider ist es aber so, daß ich am Tage schlafe und dann in der Nacht nicht mehr schlafen kann. Da niemand bereit ist um diese Uhrzeit mit mir zu telefonieren, was gibt es da schöneres als ein Besuch auf der Lesekreisseite?

  6. Moin, ihr Lieben!

    Ich liege praktisch seit Jahresbeginn mit Hals-, Nasen-, Mittelohr- und sonstigen grippalen und fiebrigen In- und Affekten flach. Für den Gantenbein hat’s gereicht †“ den hab ich selbst, und wie ich anschließend festgestellt habe, kann man ihn wohl auch ergoogeln.

    Ich hatte auch ein paar Tage der Tag- und Nachtgleiche, d.h. es ist alles so ziemlich an mir vorbeigegangen, aber Gottseidank gibt es ja Uhren, die mit A.M. oder P.M. anzeigen, ob es 6 Uhr morgens oder abends ist… 😉

    Deswegen nutze ich jetzt am frühen Sonntagmorgen die fragwürdige Gunst der Stunde zwischen GeloMyrtol (forte) und Anabolika (soft), um euch meinen neuen Vorschlag aus der Rubrik „Freestyle“ vorzustellen (also nix Erster oder Letzter Satz, sondern einfach mal Infos über ein Buch):

    Gesucht wird ein internationaler Bestseller aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts, zu dem der Autor in der Einleitung schreibt:

    Bei einem Märchen wie diesem †“ es spielt in der Zukunft, zu unbestimmter Zeit †“ scheint es überflüssig, meinen Gestalten jede Beziehung zu lebenden Personen abzusprechen. Trotzdem möchte ich feststellen, dass keine ihr wirkliches Vorbild hat […].

    Und hier eine Kost- und Leseprobe:

    Eine nackte Birne, die schon viel zu viele Tage und viel zu viele Nächte gebrannt hatte, erhellte den Korridor. Abfallkübel verstellten ihn fast zur Gänze, und ein Neger kehrte mit einem Besen Baumwollabfälle zusammen. Sie waren voll Schmutz: Puder, Lippenstift und zweideutige Dinge. Es roch nach Birnenschnaps. Vielleicht hatte er sich umsonst geängstigt, vielleicht gab es niemanden namens Teresa, doch er wünschte, er hätte keine so volkstümliche Heilige gewählt. Er stieß eine Türe auf, und was er sah, war ein mittelalterliches Inferno †“ Rauch und nackte Weiber.

    @Dolcecita:
    Da musst du dir also wirklich überlegen, wie du diese Kategorie jetzt benennst. Wir hatten ja letztes Jahr schon diskutiert, wie das Baby heißen könnte. Aber irgendwas mit „Freestyle“ wär doch nicht schlecht, oder? Das lässt sämtliche Formen der Vorstellung offen!

    Lg †“ und viel Spaß beim Suchen!

  7. Hihi… ob das im Verlauf der Raucherfete im M.C. Mueller auch so abgeht? Von wegen Rauch und nackte Weiber? Das wäre ja eine seltsame Koinzidenz… 😆
    Und schon hab ich mich beim SZ-Magazin registriert, sicherheitshalber… Vielleicht kommt der Autor ja mit!

  8. Es ist angerichtet!
    Lieber Don, das hört sich ja gar nicht gut an, hast du dich bei Mamalinde angesteckt, so per virtuellem Virenflug? Na ja, es sieht ja wenigstens so aus, als würdest du dich auf dem Wege der Besserung befinden, kein Wunder, nach dieser geheimnisvollen AnabolikaAntibiothika-Mixtur 😉
    Ein köstlicher Versprecher, übrigens!
    Jetzt stand ich eben wieder auf der Leitung wegen dem Rauch und den nackten Weibern im M.C.Mueller, aber inzwischen weiß ich, dass du dich auf deinen neuen Text beziehst. Hoffe, es gefällt, wie ich ihn aufbereitet habe. Die Kategorie Freestyle Bücherrätsel finde ich ganz passend, mit dem Beitragstitel bin ich mir noch nicht so sicher. Ich würde natürlich gerne, wie bei den ersten Sätzen, nachträglich Titel nebst Autor in die Headline packen, damit wir einen Überblick behalten und vor allem auch gezielt gesucht und gelesen werden kann. Na ja, wir werden sehen, wie sich das entwickelt.
    Zunächst gute Besserung und ganz liebe Grüße!
    Ach so, und dein neuer Beitrag gefällt mir sehr gut 🙂
    P.S.: welchen Autor willst du denn mitnehmen, ist das als Anspielung oder als Hinweis zu verstehen?

  9. Nanu, Ihr seid ja schon bei der Arbeit, obwohl die Weihnachtszeit doch so richtig erst mit dem heutigen Tag endet, oder?

    Ein frohes neues Jahr wünsche ich erst einmal allerseits – wenn ich mir die Bulletins durchsehe, kanns ja nur besser werden. Also vorrangig meine besten Wünsche für unser aller Gesundheit.

    @ Don F.
    😉 Mit den guten Vorsätzen war es aber schnell vorbei …

    Liegt der Ort der Handlung des gesuchten Romans in Südamerika?

  10. Schnell noch, bevor der versprochene Tag vorbei ist:

    Obenauf lege ich das Foto aus Veras Garten zur Sommerzeit, das eine harmonische Familie zeigt, unschuldig lächelnde Menschen, die noch nichts ahnen von dem, was an Geburt, Heirat und Tod auf sie zukommen wird.

    Wie dieser letzte Satz schon nahelegt, handelt es sich bei dem gesuchten Buch um einen Familienroman. Einen Familienkriminalroman, gewissermaßen, aber mehr Familien- als Kriminalroman. Geschrieben hat ihn eine bekannte Krimi-Autorin, und zwar im im letzten Quartal des 20. Jahrhunderts, in dessen erster Hälfte der erste Teil (der „Fall“ und seine Vorgeschichte) und in dessen zweiter Hälfte der zweite Teil der Handlung (die Aufklärung der Vorgeschichte) angesiedelt sind.

  11. Ach ja, weitere Hinweise bitte erfragen, wenn der Satz angerichtet ist – antworten kann ich aber erst morgen.
    Der erste Satz des gesuchten Romans ist übrigens googlebar.

    🙂 Gute Nacht Euch allen!

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