„Ein liebender Mann“ von Martin Walser wird als Vorabdruck in der FAZ veröffentlicht

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung lehnte vor 6 Jahren den Vorabdruck von Martin Walsers „Tod eines Kritikers“ ab. Sie hielt das Buch zwar nicht für literarisch missglückt, seinen Autor Martin Walser und das Buch allerdings für antisemitisch. Der Vorwurf, den FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher 2002 in einem offenen Brief an Walser erhob, lautete:

Der Schriftsteller Walser spiele mit antisemitischen Klischees und hole symbolisch jenen Mord nach, dem der Jude Marcel Reich-Ranicki im realen Leben wider alle Wahrscheinlichkeit entkommen sei.

Martin WalserNun wird Martin Walsers neuer Roman „Ein liebender Mann“ überraschend nach der Kontroverse ausgerechnet in der FAZ vorabgedruckt.

„Ein liebender Mann“ kommt am 7. März in die Buchhandlungen. Darin schildert der 80-jährige Schriftsteller die Liebe des alternden Goethe zu der 19-jährigen Ulrike von Levetzow.

Der FAZ-Vorabdruck soll voraussichtlich in der zweiten Februarhälfte beginnen. Ein genaues Datum stand zunächst noch nicht fest. Am 27. Februar wird der Schriftsteller sein neues Werk in Weimar bei einer „Ur-Lesung“ vorstellen.

„Der Rowohlt-Verlag hat mit meinem Einverständnis den Roman der FAZ zum Vorabdruck angeboten, Schirrmacher hat positiv reagiert“, sagte Walser. Der Streit über die Vorab-Veröffentlichung in der Zeitung von „Tod eines Kritikers“ habe er zwar nicht vergessen. „Ich weiss, was passiert ist, ich habe mein Gedächtnis.“

Angesichts seiner vielfältigen Erfahrungen mit Kritikern sei er aber zu dem Schluss gekommen: „Der Kritiker muss nicht sein Urteil revidieren, das er irgendwann über mich gefällt hat. Es genügt, wenn er mit einem ganz anderen Buch genauso extrem gerecht wird, wie er früher extrem ungerecht geworden ist.“

Die Süddeutsche Zeitung fragt sich in der Wochenendausgabe vom 2/3. Februar: Wenn an der damaligen Aufregung irgendetwas dran war, was heißt das dann für die FAZ? „Wir drucken nur Ihre antisemitischen Bücher nicht, die zur Weimarer Klassik aber schon?“ Das Frivole dieses Vorgangs besteht darin, dass beide Seiten, der Ankläger wie der betroffenen Autor, den Antisemitismusvorwurf wie ein Geschmacksurteil behandeln, bei dem es naturgemäß geboten ist, irgendwann zur Tagesordnung zurückzukehren.

Ein liebender MannKurzbeschreibung zu Ein liebender Mann
Der 73-jährige Goethe †“ Witwer und so berühmt, dass sein Diener Stadelmann heimlich Haare von ihm verkauft †“ liebt die 19-jährige Ulrike von Levetzow. 1823 in Marienbad werden Blicke getauscht, Worte gewechselt, die beiden küssen einander auf die Goethe†™sche Art. Er sagt: Beim Küssen kommt es nicht auf die Münder, die Lippen an, sondern auf die Seelen. «Das war sein Zustand: Ulrike oder nichts.» Aber sein Alter holt ihn ein. Auf einem Kostümball stürzt er, und bei einem Tanztee will sie ein Jüngerer verführen. Der Heiratsantrag, den er Ulrike trotzdem macht, erreicht sie erst, als ihre Mutter mit ihr nach Karlsbad weiterreisen will. Goethe, mal hoffend, mal verzweifelnd, schreibt die «Marienbader Elegie». Zurück in Weimar, lässt ihn die eifersüchtige Schwiegertochter Ottilie nicht mehr aus den Augen. Martin Walsers neuer Roman erzählt die Geschichte einer unmöglichen Liebe: bewegend, aufwühlend und zart. Die Glaubwürdigkeit, die Wucht der Empfindungen und ihres Ausdrucks †“ das alles zeugt von einer Kraft und (Sprach-)Leidenschaft ohne Beispiel.

Quelle: swissinfo.ch

5 Gedanken zu „„Ein liebender Mann“ von Martin Walser wird als Vorabdruck in der FAZ veröffentlicht

  1. Ich denk ja, daß die FAZ – nicht ganz zu Unrecht – im Sinn hatte, ihren (ehemaligen) und höchstanerkannten Mitarbeiter Reich – Ranicky vor Anwürfen im eigenen Blatt zu schützen. Man sollte – in der Umkehrung von Walsers Äußerung – natürlich im Gedächtnis behalten, weshalb dessen Roman „Tod eines Kritikers“ so heftig umstritten war und für nicht akzeptabel galt. Allerdings meine ich schon, daß man anderes von Walser durchaus gut, akzeptabel und vorabdruckwert halten kann und darf. Man liest ja auch Hamsun, Celine, Ezra Pound oder D’Annunzio – und nicht ohne Gewinn. Aber man sollte sich deren Haltung zum Faschismus und / oder Antisemitismus immer präsent halten. Ich würde es so formulieren : ein Buch eines antisemitischen Autoren kann gut sein, ein Buch, das dessen Antisemitismus propagiert, verbreitet, verteidigt etc. kann es per se nicht, allein schon weil jede Programmatik der literarischen Qualität entgegenwirkt, menschenverachtende Denkweisen zudem einem Buch die Grundlage der Literatur entziehen : dem Ergründen und Schildern des zutiefst Menschlichen.

  2. Es ist schade und beschämend, dass offenbar nur wenige das sehr unterhaltsame Buch „Tod eines Kritikers“ überhaupt gelesen haben; es ist im Original nämlich gar nicht antisemitisch. Eben so wenig wie sein Autor. – Dass die Frankfurter „Ein liebender Mann“ druckt, scheint wegen der damaligen Verfehlungen und Verunglimpfungen des Herausgebers seltsam, aber Herr Schirrmacher ist nicht die Frankfurter, und es liest sie niemand, weil Herr Schirrmacher sie mitherausgibt. Es ist gut, dass Herr Walser die Zeitung nicht mit einem ihrer Verantwortlichen gleichsetzt und das einzige wirklich gelungene feuilletonistische Forum in Deutschland nutzt, um seine Literatur, eine der seltenen literarischen Perlen der Gegenwart, der interessierten Öffentlichkeit vorzustellen. – Ich danke jenen, die nicht nur Schwarz und Weiß sehen, sondern noch zu denken imstande sind. Grau ist die Urfarbe – lehrt Goethe. Mich graust es, denk ich an die vielen Leser, die lange schon zu lesen verlernt haben.

  3. Vielen Dank für eure Kommentare!
    Ich muss gestehen, dass ich Walsers Entscheidung „Ein liebender Mann“ in der FAZ vorabdrucken zu lassen nicht nachvollziehen kann. Immerhin ist Herr Schirrmacher nach wie vor dort tätig und dafür verantwortlich, dass „Tod eines Kritikers“ dermaßen zerrissen wurde.
    Mag sein, dass die FAZ ein gelungenes feuilletonistisches Forum darstellt, trotzdem hätte er doch auf den Vorabdruck ganz verzichten können. Wahrscheinlich ist es eher eine wirtschaftliche Entscheidung und letztendlich steckt der Verlag dahinter.
    Ich konnte übrigens auch nichts Antisemitisches in dem Buch finden, aber vielleicht ist Walser ein klein wenig zu weit gegangen mit der „Abrechnung“ der Literaturkritikerszene im allgemeinen und im besonderen mit Reich-Ranicki und hat unterschätzt oder auch nicht bedacht wie abhängig jeder Schriftsteller und eben auch ein Martin Walser von Kritikern ist.
    Was haltet ihr eigentlich von dem öffentlichen Brief der heute so kommentarlos in der Süddeutschen aufgetaucht ist? Es klingt ein wenig nach Abschied, geht es ihm nicht gut?
    Liebe Grüße

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