Nichts für Männer – Elke Heidenreich über Martin Walsers „Ein liebender Mann“

Liebe mit Stil

Ich bin schon froh, wenn Leute in einem Roman nicht mehr Karl von Kahn, Meschemoser, Joni Jetter oder Amei Varnbühler- Bülow-Wachtel heißen, sondern Goethe und Ulrike, ganz einfach. Um die Liebe geht es sowieso immer, aber während Joni sagt, dass sie mit der Fotze denkt und dem alten Mann gern die Eier lecken möchte, sagt Ulrike: „Ach, Exzellenz!“, und den alten Goethe zerreißt es nicht vor Kummer seiner Eier wegen, sondern weil er spürt, dass er liebt, ohne wiedergeliebt zu werden, etwas, das es eigentlich nicht geben dürfte, weil es so weh tut.

Aber er ist Dichter, ihm gab ein Gott, zu sagen, was er leidet, und so sublimiert er und schreibt die Marienbader Elegie. Und Walser schreibt „Der liebende Mann„, und natürlich kann es auf diesem hohen Niveau in den Niederungen der Begierde nicht immer bleiben, auch Goethe hält mitunter ratlos „sein Teil“ in der Hand, aber „Der liebende Mann“ ist ebenso stilsicher wie die „Angstblüte“ banal mäandert. Walsers blitzgescheiter Witz, so selten in der deutschen Literatur, hier ist er wieder, und alles Muffige und Verklemmte verschwindet aus dieser Geschichte der Wehmut angesichts des Elends vom Altwerden.

Es ist banal genug, es wird nicht erträglicher, wenn es auch noch banal beschrieben wird. Hier wirkt die Wucht der Verzweiflung hinter der Fassade extremer Verfeinerung doppelt, so wie eine halb ausgezogene Frau erotischer sein kann als eine ganz nackte. Wenn sich die Seelen nicht küssen, befriedigt auch das Eierlecken nicht.

Dieses Buch kommt der Liebe so nah, dass man weinen möchte. Klar, dass Männer das nicht lesen wollen.

Martin Walser antwortete in einem Interview auf die Frage, ob er überrascht über die positive Kritik von Frau Heidenreich gewesen sei, folgendes:  „Überrascht kann man ja auf viele Arten sein und das war eine der angenehmeren Überraschungen. Und ich war nicht einmal so erstaunt, weil ich schon gedacht habe, das könnte ein Buch sein, das Frau Heidenreich erreicht.“

Quelle: Readingroom der FAZ

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