Schule: Per Gerichtsbeschluss in die nächste Klasse?

Per Gerichtsbeschluss in die nächste Klasse?

Ein Interview mit dem Lehrer und Juristen Dr. Günther Hoegg

Sommerzeit ist Zeugniszeit. Und damit auch die Zeit für elterliche Widersprüche und Klagen gegen scheinbar falsche Benotungen oder gar die Nichtversetzung des Sprösslings. Wie können Eltern und Schüler sich gegen die von ihnen oftmals als Willkür empfundenen Beurteilungen wehren, welchen Vorgehensweisen sollten sie beachten und wann ist eine gerichtliche Klage überhaupt Erfolg versprechend? Und: Welche Beurteilungsspielräume haben Lehrer? Das wollten Bildungsklick.de von dem Lehrer und promovierten Juristen Dr. Günther Hoegg wissen.

Herr Dr. Hoegg, welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es für Eltern und Schüler, gegen Benotungen oder gar die Nichtversetzung vorzugehen?

Günther Hoegg: Es ist eine wichtige Unterscheidung, ob es zu einer Nichtversetzung gekommen ist oder ob Schüler und Eltern nur mit einer Note nicht einverstanden sind. Die schlechte Zeugnisnote hat keine großen Auswirkungen, deshalb sind die Möglichkeiten gering. Man kann sich darüber beschweren und mit dem Lehrer darüber sprechen, mehr aber nicht. Die Nichtversetzung hingegen verändert die rechtliche Stellung des Schülers, deshalb ist sie ein Verwaltungsakt und kann mit Widerspruch und Klage angefochten werden.

Ist denn bei der Zeugnisvergabe das Kind nicht schon längst in den Brunnen gefallen?

Günther Hoegg: Ein entschiedenes „Ja und Nein“. Natürlich steht jetzt die Nichtversetzung erst einmal fest, aber vorher ist ja auch noch nichts entschieden. Es ist also nicht möglich gegen eine Nichtversetzung anzugehen, die vielleicht eintritt – vielleicht aber auch nicht. Das Kind ist also in den Brunnen gefallen, aber um es wieder herauszubekommen, ist es noch nicht zu spät.
Wichtig: Widerspruch einlegen

Was können die Eltern denn jetzt noch tun?

Günther Hoegg: Da man gegen eine Nichtversetzung nicht sofort klagen kann, muss erst das verwaltungsrechtliche Vorverfahren durchgeführt werden. Dafür legen die Eltern (im Namen ihres Kindes) gegen die Nichtversetzung bei der Schule Widerspruch ein. Sie sollten sagen, welche Note sie für nicht gerechtfertigt halten und dafür auch Gründe liefern. Ein möglicher Grund wäre es z. B., wenn weniger Arbeiten geschrieben wurden, als vorgeschrieben. Oder wenn die gute mündliche Beteiligung nicht in die Note eingeflossen ist, weil der Lehrer die schriftliche Leistung unzulässig mit 90 Prozent gewichtet hat. Die Schule führt daraufhin eine sogenannte „Abhilfeprüfung“ durch, in der die fragliche Note des besagten Kollegen von der Schule noch einmal überprüft wird.

Gibt es denn eine realistische Chance, dass die Note dann noch geändert wird?

Günther Hoegg: Aber ja. Wenn die Note tatsächlich nicht korrekt zustande gekommen ist, dann hat auch die Schule ein Interesse daran, dies spätestens jetzt zu korrigieren. Und zwar aus folgendem Grund: Gibt die Schule dem Schüler bzw. seinen Eltern in der Abhilfeprüfung recht, so ist die Sache damit vom Tisch. Lehnt sie den Widerspruch jedoch ab, so geht das Ganze an die vorgesetzte Schulbehörde, die den Fall unabhängig überprüft. Denn die Ablehnung eines Widerspruchs muss grundsätzlich durch die nächsthöhere Instanz erfolgen.

Juristische Verfahren sind oft langwierig, die Sommerferien aber nach sechs Wochen vorbei. Lässt sich – etwa per einstweiliger Verfügung – eine Versetzung vorübergehend erzwingen bzw. welche Möglichkeiten gibt es überhaupt für vorübergehende Lösungen?

Günther Hoegg: Die Abhilfeprüfung findet relativ schnell statt, aber ein Verfahren vor dem Verwaltungsgericht kann lange dauern. Deshalb sollten die Eltern gleichzeitig mit dem Widerspruch „vorläufigen Rechtsschutz“ beantragen. Das bedeutet, der Schüler wird – unter Vorbehalt – in die nächste Klassenstufe versetzt und bleibt dort, bis die gesamte Angelegenheit geklärt ist. Dem wird die Schule regelmäßig zustimmen, denn es besagt noch nichts darüber, wie das Verfahren ausgehen wird.

Wie geht es jetzt weiter?

Günther Hoegg: Lassen Sie uns, damit wir weiterkommen, einmal davon ausgehen, dass der Widerspruch abgelehnt wird. Die vorgesetzte Schulbehörde bestätigt also die Nichtversetzung, Schüler und Eltern sind aber nicht davon überzeugt. Dann gibt es jetzt die Möglichkeit, Klage vor dem Verwaltungsgericht einzureichen. Hier wird dann die umstrittene Note angefochten und die Versetzung gefordert. Und die Nichtversetzung wird gerichtlich überprüft. Auch hier sollten die Eltern über eine einstweilige Anordnung beantragen, ihr Kind vorläufig zu versetzen, damit es nicht den neuen Unterrichtsstoff versäumt und keine Nachteile erleidet. Dieses Zugeständnis wird regelmäßig gewährt.

Und was überprüft nun das Verwaltungsgericht?

Günther Hoegg: Damit kommen wir zum Beurteilungsspielraum des Lehrers und seinen Grenzen. Die Notenfindung ist kein rein mathematischer Prozess, sondern auch pädagogische Erwägungen können und sollen mit einfließen. Machen wir es konkret: Wenn ein Schüler rein rechnerisch auf 4,4 steht, aber häufig seine Hausaufgaben nicht gemacht oder Vokabeltests „in den Sand gesetzt“ hat, dann kann man ihm zum Jahresende durchaus eine 5 geben. Der Beurteilungsspielraum des Lehrers ist aber nicht so groß, dass aus einer rechnerischen 3,4 durch nicht gemachte Hausaufgaben eine Fünf werden könnte. Das Gericht geht nicht in die Bewertung der einzelnen Klassenarbeiten hinein, aber es überprüft die Notenbildung der Jahresendnote. Die Schule bzw. der Lehrer muss die Unterlagen vorlegen †“ und dann rechnet das Gericht. Und wenn eine Arbeit zu wenig geschrieben wurde und durch eine gute Note in dieser weggelassenen Arbeit eine bessere Note herauskäme, dann muss die Schule die Note ändern. Und wenn durch die bessere Note der Grund für die Nichtversetzung wegfällt, muss der Schüler versetzt werden.

Können Sie etwas über die Erfolgsaussichten sagen?

Günther Hoegg: Wenn ich es ganz grob einschätzen sollte, würde ich sagen: halbe: halbe. In etwa der Hälfte der Fälle haben Schüler und Eltern Erfolg, meist schon nach dem Widerspruch und der Abhilfeprüfung. Vor Gericht sind die Chancen geringer, denn wenn auch die vorgesetzte Schulbehörde den Fall überprüft und bestätigt hat, dann ist die Entscheidung quasi fehlerfrei. Denn die vorgesetzte Schulbehörde wird in der Regel ja keine fehlerhafte Nichtversetzung bestätigen. Sie würde dann nämlich für die Schule einen Prozess führen müssen und wahrscheinlich verlieren. Also filtert man lieber vorher. Das zeigt, wie sinnvoll das vorgeschaltete Vorverfahren des Widerspruchs ist.

Verfolgt man die Medien, dann hat man ein bisschen den Eindruck, dass es immer mehr Eltern gibt, die wegen allem und jedem klagen. Sind Eltern aufmüpfiger geworden und sind die Fronten zwischen Eltern/Schülern auf der einen und Lehrern auf der anderen Seite verhärtet?

Günther Hoegg: Beides stimmt leider. Viele Eltern haben heute eine Rechtsschutzversicherung in die sie einzahlen und von der sie auch mal etwas haben wollen. Da ist die Nichtversetzung des Sprösslings eine gute Gelegenheit. Aber auch ohne Versicherung schlucken Eltern heute nicht mehr alles, was Lehrer und Schule entscheiden. Man kann auch nicht sagen, wer grundsätzlich recht hat. Es gibt Lehrer, die schlampig arbeiten, aber es gibt auch Eltern, die völlig überzogene Forderungen an die Schule stellen. Dadurch haben sich leider die Fronten verhärtet, was noch dadurch verstärkt wird, dass beide Seiten viele schulrechtliche Grundlagen nicht kennen. Den Eltern kann man das natürlich nicht vorwerfen.

Sind Lehrer eigentlich fit in Sachen Schulrecht?

Günther Hoegg: Leider überhaupt nicht, aber auch ihnen kann man das kaum vorwerfen. In den meisten Bundesländern werden die Referendare nur etwa 8-10 Stunden in Sachen Schulrecht ausgebildet, das ist eine mittlere Katastrophe. Und die Schulrechtsausbildung wird größtenteils von den Seminarleitern gemacht, die natürlich keine Juristen sind und die man auf dieses schwierige Gebiet auch nicht speziell vorbereitet. Folglich wurstelt man sich so durch und hofft, dass es keine Schwierigkeiten gibt. Die Lehrer, die dieses Defizit natürlich spüren, sind oft verunsichert, weil sie nicht genau wissen, was sie dürfen und was nicht. Ich merke das immer bei meinen Seminaren: Die Kollegen sind mit ihren Fragen kaum zu bremsen. Aber ich glaube, es gibt ein wachsendes Bewusstsein für die Bedeutung des Schulrechts. Wenn beide Seiten nämlich über ihre Rechte und Pflichten Bescheid wissen, entspannt das die Situation enorm.

Welche Möglichkeiten haben Eltern, sich in Schulangelegenheiten juristisch firm zu machen?

Günther Hoegg: Die angebotenen Seminare sind eher auf die Bedürfnisse der Lehrer ausgelegt. Aber es gibt natürlich Bücher, die einen Überblick vermitteln, z. B. die 50 wichtigsten Schulrechtsurteile (Cornelsen Scriptor). Zudem bieten alle Kultusministerien mittlerweile Internetseiten an, auf denen die Eltern die wichtigsten Erlasse nachlesen können.

Kann man Eltern und Lehrern einen Rat geben, wie sich leidige juristische Verfahren vermeiden lassen?

Günther Hoegg: Hier schließt sich der Kreis. Bei der Nichtversetzung ist das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Besser ist es natürlich, sich bereits bei den ersten Fünfen in Klassenarbeiten mit der Schule in Verbindung zu setzen und rechtzeitig gegenzusteuern. Ich kenne kaum einen Lehrer, der sich hier verweigern würde. Allerdings müssen die Schüler auch dafür ernsthaft arbeiten und die Eltern müssen die Schule dabei unterstützen. Den guten Schulabschluss gibt es eben nicht zum Nulltarif.

Zur Person
Dr. Günther Hoegg ist Jurist und Lehrer für Deutsch, Kunst und Rechtskunde an einem niedersächsischen Gymnasium. Er ist außerdem Fachobmann für Rechtskunde und Gastdozent an der Universität Oldenburg. Hoegg hat bereits etliche Bücher zum Thema Schulrecht geschrieben, zuletzt das „Praxisbuch: Schulrecht: kurz und bündig. Die 50 wichtigsten Urteile“, Cornelsen Verlag Scriptor, ISBN 3589230002, 18,50 Euro. In der Cornelsen Akademie stellt Dr. Günther Hoegg jeden Monat neue Schulrechtsurteile vor.

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5 Gedanken zu „Schule: Per Gerichtsbeschluss in die nächste Klasse?

  1. Ist es nicht immer wieder traurig und erschreckend, dass Eltern erst am Ende eines Schuljahres feststellen, dass ihr Kind nicht versetzt wird und dann aus allen Wolken fallen? Vielleicht wenn sie sich mehr für die schulischen Leistungen ihrer Kinder interessieren hätten, oder mal einen Elternspechtag wahrnehmen genommen hätten, wäre vielleicht “ das Kind nicht in den Brunnen gefallen“! Wieviele Eltern kennen noch nicht einmal die Namen der Lehrer, die ihre Kinder unterrichten? Zuviele! Aber leider sind das dann genau die, die gleich mit Klage drohen!

  2. ja, Angie, das stimmt natürlich alles! Aber ich kann dir versichern, dass es oftmals auch auf Seiten der Lehrerkräfte grobe Fehler gibt und die eine oder andere schlechte Note nicht den Kids angelastet werden kann. Ich könnte dir Geschichten erzählen… glaub mir, ich spreche mit vier Kindern aus Erfahrung. 😉
    LG

  3. Natürlich gebe ich dir in dem einen Punkt recht. Ich hatte auch schon die eine oder andere Diskussion um eine ungerechtfertigte schlechte Note. Besonders bei meinem 2. Sohn. Als sich damals die Klagen der Eltern speziel über diesen einen Lehrer häuften, war die Reaktion von dem Rektor der Schule verblüffend positiv. Mein Jüngster, der Pyromane, hat das Glück von sehr angagierten Lehrern unterrichtet zu werden, die sogar einen Teil ihrer Freizeit opfern, um mit den Schülern etwas zu unternehmen. Und er geht vom ersten Tag an gern in die Schule. 😉 Er kommt jetzt in die 12. Der Große ging übrigens in die gleiche Schule und hatte auch so ein Problem mit einem Lehrer. Gott sei Dank ließ dieser sich freiwillig nach einem halben Jahr versetzten, da er die Diskussionen mit den SCHÜLERN der Oberstufe leid war! So etwas gibt es auch… 😉

  4. ja, ich will auch weder den Schulen noch den Lehrern grundsätzlich ihre Kompetenz absprechen. Nur findet man doch immer und überall die berühmten schwarzen Schafe. Und für einen Schüler, der so ein Schaf vielleicht auch noch in zwei Fächern, sagen wir mal Physik und Mathematik, erwischt, kann das lebensentscheidend sein: neue Schule, neue Klasse, neuer Freundeskreis oder kein Abschluss, keine weiterführende Schule, keine Lehrstelle, keine Freunde… Das ist vielleicht etwas überspitzt, aber durchaus keine Seltenheit. Klar kennen auch die Schulleitungen ihre Problem-Lehrer, nur sind die in der Regel „verbeamtet“ und nicht bereit die Schule zu wechseln oder sich zu ändern. Ich bin ja eh ein Fan von Lehrer-Beurteilungen. 😉
    LG

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