E-Book-Piraterie in Deutschland nimmt dramatische Ausmaße an

Eine Studie zur „E-Book-Piraterie in Deutschland„, die der „Welt am Sonntag“ vorliegt, ergab, dass das Raubkopieren in Deutschland dramatische Ausmaße angenommen hat. Illegale E-Bookseiten, auf denen sich Interessierte gratis an Hunderttausenden raubkopierten Büchern bedienen können, breiten sich rasend schnell aus. In unzähligen Piratenforen erfreuen sich vor allem teure wissenschaftliche Literatur und Belletristikbestseller großer Nachfrage, aber auch Hörbücher und in bester Qualität eingescannte Zeitschriften und Zeitungen finden zunehmend ihre Fans.

So soll ein fleißiger Internetfreak namens „2nicegirls“ bereits 1440 Buchtitel  von bis zu 30 Euro teuren Medizinfachbüchern von unterschiedlichsten Verlagen eingescannt und kostenlos zum Download ins Netz gestellt.

Guido F. Herrmann, Verlagsleiter bei dem Wissenschaftsverlag Thieme Chemistry ist alarmiert. „Nachdem Internetpiraterie bislang vor allem die Musik- und Filmindustrie gebeutelt hat, kommt das Problem jetzt bei den Fachverlagen an“, berichtet er. Schon heute seien die wirtschaftlichen Schäden für Thieme zwar schwer zu beziffern, aber auf alle Fälle „sehr gravierend„.

Der Studie zufolge soll z.B. die E-Paper-Version des Nachrichtenmagazins „Spiegel„, die zahlende Kunden Samstagabends ab 22 Uhr im Internet abrufen können, bereits eine halbe Stunde später bei etlichen illegalen Portalen im Internet zu finden sein.  Mehrere Hunderttausende holen sie sich dann kostenlos.

Viele Verlage ahnen gar nicht, was da schlagartig auf sie zukommt, denn schon heute sind Millionen von Deutschen auf diesen Seiten unterwegs†œ, sagt Manuel Bonik, einer von zwei Autoren der Studie.

Laut einer Kalkulation, die der Münchner Hörbuchverlag angestellt hat, wurden innerhalb eines Jahres mehr als 165.000 illegale Downloads einer Harry Potter-CD verzeichnet. „Hätten nur ein Prozent der mutmaßlichen Downloader die CD rechtmäßig erworben, hätte der Handel mindestens 750.000 Euro mehr Umsatz gemacht†œ, rechnet Stephanie Häger aus der Lizenzabteilung des Hörverlags vor. (Wie Frau Häger allerdings auf diese Summe kommt, ist nicht nachvollziehbar! Anm. d. Red.)

Doch was treibt die Raubkopierer? Finanziell lohnt sich der Aufwand nicht, da die meisten illegalen Downloads gratis sind. „Ehre und Anerkennung in der digitalen Welt„, meint Internetspürhund Schaale, der vermutet, dass gelangweilte Bibliothekare in Uni-Bibliotheken und webaffine Yougster zu den Verlagsfeinden gehören. Auch wenn die Übeltäter theoretisch über die IP-Adressen ausfindig gemacht werden können, sind wahre Internetkenner perfekt getarnt oder agieren von entlegenen Erdteilen aus.

Das Unrechtsbewusstsein der Nutznießer ist gering. „Von meinem Einkommen kann ich mir keine Bücher mehr leisten. Das war früher anders. Also wenn ich welche brauchen würde, ziehe ich die mir runter„, lautet der erste Kommentar von einem gewissen „Freiherr“ zu dem Artikel „Download-Piraten entern nun die Buchverlage“ vom 12.03.2011 auf Welt Online.
Bei der Umfrage zu dem Thema „Hand aufs Herz: Haben Sie sich schon mal illegal Musik besorgt?“ haben 30 Prozent „klar, regelmäßig“ angegeben und 33 Prozent „nein, niemals. Das ist verboten„.

Quelle: Welt Online

7 Gedanken zu „E-Book-Piraterie in Deutschland nimmt dramatische Ausmaße an

  1. Wenn ich lese, dass der Börsenverein des Deutschen Buchhandels „die Sensibilisierung von Jugendlichen für die Bedeutung des geistigen Eigentums“ empfiehlt, so frage ich mich, ob das nicht genau der falsche Weg ist oder besser vielleicht: ob es nicht noch eine andere Möglichkeit, einen anderen Weg gibt. Mit anderen Worten: Warum stellt man sich in den Institutionen, den Verlagen, aber auch bei den Autoren nicht einmal grundlegend die Frage nach dem geistigen Eigentum und seiner Bedeutung, warum klebt man hier noch immer am „ICH-habe-das-gemacht“ wie eine Made am Speck. Diese ganzen dahinterliegenden Subjektvorstellungen, diese mehr als nur latente Genieästhetik, all das macht es uns doch nur unendlich viel schwerer. Warum bieten die Autoren und Verlage nicht einen Teil ihrer Literatur oder gleich alles frei kopierbar an? Mehr noch, warum schreiben Autoren noch immer abgeschlossene Werke? Warum keine Remixe wie in der Musik, warum keine offenen, weiterschreibbaren und zum aktiven Verändern einladenden Texte? Das würde sensibilisieren – für Literatur und Bücher an sich – und nicht für die nur allzu oft dahinter stehenden kommerziellen Interessen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Ich bin sehr wohl der Meinung, dass man die Leistung eines Autors, Musikers oder Wissenschaftlers schätzen sollte, aber warum versuchen wir nicht Kunst und Kultur mal anders zu denken, nein, besser, sie anders zu produzieren, zu vertreiben und zu rezipieren? Ich habe z.B. gerade einen kleinen Prosa-Band gelesen (online). Das Buch heißt „Formenverfuger / Formenverfüger“ und ist – in der gedruckten Version wie in der digitalen – mit einer Creative Comons Lizenz versehen, die das Kopieren nicht nur erlaubt, sondern – unter gewissen Bedingungen – sogar erwünscht.
    http://www.archive.org/details/FormenverfugerFormenverfger.StckeAusProsa
    Überdies gibt es in dem Buch einen Text, den der Autor nur begonnen hat, nach zwei Seiten aber abbricht und sich mit folgenden Worten an den Leser wendet: „Genug gelesen! Schreib†™ den Text selber weiter, verändere ihn, bau ihn an anderer Stelle ein, nimm ihn auseinander und montiere ihn neu, zerstöre ihn und lass ihn lebendig werden…“
    Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

  2. Willkommen Marek und vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar.
    Wenn ich mir ein Buch kaufe, möchte ich es schon in einem Stück besitzen und lesen können wann immer ich will. Und ich bin gerne bereit, dafür auch einen entsprechenden Betrag zu bezahlen. Ein Buch kann man wohl kaum mit einer Musik-CD vergleichen auf der jedes einzelne Stück in sich abgeschlossen ist. Internetprojekte, wie du sie beschreibst, gibt es ja schon länger und ich finde ebenfalls, dass sie durchaus sinnvoll sind und für manche auch lukrativ. Aber jeder sollte doch selbst bestimmen können, ob er sein geistiges Eigentum auch derart zur Verfügung stellen möchte, oder findest du nicht?
    LG

  3. Gewiss, jeder soll entscheiden können, wie und wo er seine Sachen veröffentlicht, nur wäre es mir ganz lieb, wenn die Herren Schrifsteller (und auch die Damen) mal ein, zwei grundlegende Reflektionen über ihre Vorstellungen vom geistigen Eigentum anstellen, bevor sie die Tastatur in die Hand nehmen. 99% der Autoren schreiben eben noch immer Bücher im Stile des 19. Jahrhunderts – nur leider wissen sie’s nicht.
    Mir scheint, der Realismus dominiert (wieder) auf allen Ebenen: in Form und Stil der Romane, in den Wünschen und Erwartungen der Autoren (irgendwo „Hausautor“ zu sein und ein nettes kleines Einkommen (oder ein wenig mehr) damit zu verdienen), ja überhaupt in der ganzen Buch- und Bauchladenbranche.
    Ich rede hier also nicht von Hypertextliteratur im Netz und kollektiven Internet-Romanen, sondern von der Literatur, die in den Buchläden liegt bzw. da AUCH liegen sollte, von deren Autoren und Autorinnen. Ich rede davon bzw. frage mich, wie es gelingen kann, ein anderes Verständnis von Kultur im Allgemeinen und Literatur im Besonderen aufzubauen. Und da war und ist das oben Beschriebene für mich ein Weg. Und um nochmal auf den erwähnten Prosaband von Missa zurückzukommen. Er fordert den Leser auf, eine Seite vom Buch rauszureißen. Das heißt, er fragt ihn, warum er’s nicht tut? Meine Antwort: Weil wir zu viel Respekt vor Büchern haben, zuviel Respekt vor der ganzen Literatur. Und natürlich auch Angst – Angst davor, in die falsche Ecke gesteckt zu werden („Bücherzerstörer? Das haben schon die…). Aber welche Wahl haben wir? Uns einigeln? Im Gegenteil! Das gedruckte Buch wird leben – wenn es sich verändert. Auf digitalem Papier lassen sich keine Seiten rausreißen…
    In diesem Sinne.

  4. Kleiner Nachtrag: Der amerikanische Autor John Sclazi fragte vor einigen Jahren in seinem Blog: „Wer sind Piraten? Das sind Leute, die für Dinge nicht zahlen wollen (z.B. Schwachköpfe), oder die, die nicht zahlen können (z.B. Studenten in chronischer Pleite). Die Schwachköpfe hatten wir schon immer, die würden uns nicht mal bezahlen, wenn sie das Geld dafür hätten. Ich mache mir keine Sorgen um die, ich hoffe einfach nur, dass sie in einen verlassenen Brunnenschacht stürzen, sich die Beine brechen und an Wundbrand sterben, nach ein paar extrem schmerzhaften Tagen des Leidens und Verdurstens, und dann hoffe ich, die Ratten kauen das Fleisch von ihren Knochen und scheißen es in die Löcher. Und das wars dann zu denen.“ (Quelle: gulli.com)
    Die aber, die nicht zahlen können, verurteilt Scalzi in keinster Weise, im Gegenteil, wer seine Bücher online komplett lese, werde dadurch vielleicht eines Tages zum Käufer. (Solche Erfahrungen hat z.B. Paulo Coelho mit einigen seiner Bücher gemacht.) Und wenn sie das Buch dann doch nicht kaufen: Was soll’s.
    Kurzum: Es gibt genug Möglichkeiten, Literatur und die digtiale Welt zu verbinden. Vielleicht sogar oder sagen wir besser: Hoffentlich auf einer anderen Grundlage – der einer wirklich FREIEN Kultur.

  5. Hallo Marek,
    Deine Ausführungen sind gut und schön und sicher stimmt es, dass sich eine Genieästhetik des 19. Jahrhunderts, wo ein Autor sich als autonomer Schöpfer fühlte, vorbei ist.
    Dennoch arbeiten die Autoren oft Jahre an einem Buch. Auch sie haben Anspruch auf Lohn für ihre Arbeit, Anspruch darauf, ihren Text zu verkaufen.
    Wenn man Angestellten die Löhne einfach kürzen würde, weil sie ja vielleicht in einem nicht mehr zeitgemäßen Arbeitsverhältnis stehen, oder Läden ausräumen würde mit dem Hinweis, der Kapitalismus hätte sich überlebt, dann würde sich ratz fatz die Frage anders stellen. Creativ common lizens ist eine gute Sache für die Autoren, die es so wollen. Eine wie auch immer geartete Theorie über eine „freie“ Kultur finanziert noch nicht das Leben der Künstler und Autoren.

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