Peter Rühmkorf – Gedichte zum Abschied

ParadiesvogelschißRückblickend mein eigenes Leben
fast noch die günstigste Lösung.

Und dann willst du bald nur noch mit deinem Fischmann
und der Gemüsefrau soweit zurechtkommen,
daß sie dir nicht unentwegt angegangenen Dorsch
und verstockte Radieschen andrehn –
Mit sonem stillen Stubengelehrten
kann man natürlich manches machen.

Von einer gewissen Gleichgültigkeitswarte aus
ließe sich vielleicht sogar noch
über diesen und jenen Lichtblick verhandeln:
eine bindfadenblonde Rose im Zugwind,
die es zu stützen gilt;
und du tust dich statt mit deinen Altersbeschwerden
ausnahmsweise mal
als großer Wohltäterätäter hervor.

Über den Grabesrand weg läßt sich ohnehin
nur schwer spekulieren.
Keine Mörsergranaten ins Brautbett, schon einmal gut.
Keine Tretminen in den Blumenrabatten, und auch das!
Keine Herzattacke ohne den Beistand von deinem
Lieblingskardiologen
Und der BARMER ERSATZKASSE,
Und wenn du morgens wieder mal dunkeltrunken deinen Rattenbau erreichst,
gratuliere, ah, im Kühlschrank brennt noch Licht.

Manches hält man natürlich nur aus, wenn man weiß,
daß man sich bereits auf der Rückfahrt befindet.
Die Haare lichter.
Stimme leiser.
Und auch die Schlaganfälle knattern nur so um dich rum,
daß du glaubst, in deiner lokalen Galaxis
wär bereits Weltuntergang angesagt.
Man nur gut, daß kein Ehrgeiz dich treibt,
von jedem Stück Lokuspapier
einen Durchschlag hinterlassen zu müssen.

Am schwierigsten bei solcher Lage der Dinge
Immer noch ein für Außenstehende
alles begleichendes Schlußwort.
Sage beim Abschiednehmen gern einfach
„Halten Sie die Stellung“,
was im Allgemeinen begrüßt wird –
O b w o h l S i e ?
D i e S t e l l u n g ?
H a l t e n ?

Wo die Erde bereits wie ein durchgedrehter Brainburger
durch die große kapitalistische Imbißstube saust,
rasend,
rotierend,
dem Selbstverzehr entgegen,
bis der letzte Biß und der letzte Schiß in einem Reim
zusammenfallen
und die Führung endgültig an die Kakerlaken übergeht …

Peter Rühmkorf erlag am 08.06.2008 seiner Krebserkrankung.

Paradiesvogelschiß
Gebundene Ausgabe, 160 Seiten, erschienen im Rowohlt Veralg

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Für Buchtrinker und Seitenfresser mit dem Faible für Ringelnatz

Ich habe dich so lieb

Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.

Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei – verjährt –
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.

Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.

Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.

Ich habe dich so lieb.

„Knochiges Sturmhaubengesicht…geiernder Raubritterschädel!“ – Kommentare wie diese muss Joachim Ringelnatz ein Leben lang über sich ergehen lassen. Dass er nicht wirklich das Bild eines Liebhabers abgibt, weiß niemand besser als er selbst: “ Ich bin überzeugt, dass mein Gesicht mein Schicksal bestimmt. Hätte ich ein anderes Gesicht, wäre mein Leben ganz anders, jedenfalls viel ruhiger verlaufen.

Ringelnatz leidet unter seiner Erscheinung, vor allem unter seiner großen Nase, die er schon früh bedichtet:

Hans freite des Nachbars Liesel so gern
Da drüben über der Straße.
Und sagt ihm die Liesel:
Sie mag keinen Mann
mit einer so langen Nase.

Joachim Ringelnatz, eigentlich Hans Bötticher (1883-1934), war Abenteurer, Seemann, Minensuchboot-Kommandant, Artist und Bohemien aus Sachsen (Leipzig). Die Nazis verboten ihm 1933 Kabarett-Auftritte und beschlagnahmten seine Bücher, ein Jahr später starb er völlig mittellos in Berlin. Sein Werk aber bleibt in der deutschen Literatur unsterblich. Seine Zeitgenossen liebten seine skurrilen und trotzig optimistischen Texte.

„Sein eigentliches künstlerisches Element war die Sprachphantastik, das erfinderische Spiel des Wortes, das er mit handwerklichem Sinn für Farbe und Kraft behandelte; das konnte lärmende Kaskaden geben, aber die besten seiner Verse soll man still und schlicht lesen, und dann schenken sie keine gedichtete Journalistik, sondern etwas sehr Altmodisches: Poesie.†œ Theodor Heuss

Schöne Geschenkidee: Umlibris – Buchumschläge mit Gedichten

Umlibris heißen die Schutzhüllen oder Buchumschläge der Firma Immer Dichter. Genäht aus festem Naturstoff, im Siebdruckverfahren per Hand mit Gedichten bedruckt. Sie sind waschbar bei 40° und erhältlich in 3 Größen und unterschiedlichen Farben. Eine tolle Idee für Menschen, die gern, oft und überall lesen und denen es nicht egal ist, wie ein Buch aussieht, wenn man mit ihm fertig ist.
Der Preis liegt, je nach Größe, zwischen 13,90 Euro und 17,90 Euro, hinzu kommen 2,70 Euro Versand.

Buchumschlag
Zum Beispiel bedruckt mit diesem Gedicht in Größe M :

Ach, noch in der letzten Stunde
Werde ich verbindlich sein.
Klopft der Tod an meine Türe,
ruf ich geschwind: Herein!

Woran soll es gehn? Ans Sterben?
Hab ich zwar noch nicht gemacht,
doch wir werd†™n das Kind schon schaukeln †”
na, das wäre ja gelacht!

Interessant so eine Sanduhr!
Ja, die halt ich gern mal fest.
Ach – und das ist Ihre Sense?
Und die gibt mir dann den Rest?

Wohin soll ich mich jetzt wenden?
Links? Von Ihnen aus gesehn?
Ach, von mir aus! Bis zur Grube?
Und wie soll es weitergehn?

Ja, die Uhr ist abgelaufen.
Wollen Sie die jetzt zurück?
Gibts die irgendwo zu kaufen?
Ein so ausgefall†™nes Stück

Findet man nicht alle Tage,
womit ich nur sagen will
†” ach, Ich soll hier nichts mehr sagen?
Geht in Ordnung! Bin schon

Ach
Robert Gernhardt (1936-2006)

oder mit diesem in Größe S:

Frühling läßt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist’s!
Dich hab ich vernommen!

Er ist´s
Eduard Mörike ( 1804-1875)

Liechtenstein ein Steuerparadies – das wusste auch Klaus Mann schon 1933

LIECHTENSTEIN von Klaus Mann

Klaus Mann
In unserm Erdteil steht es kläglich.
Man ist mit uns nicht mehr galant.
Die Steuern nehmen überhand.
Es ist schon bald nicht mehr erträglich.

Das Land, in dem man Milch und Honig schlürfte,
Wir suchen†™s alle, doch wir finden†™s kaum –
Drum gaukeln wir uns vor im Traum,
Als ob es so was wirklich geben dürfte.

Ach, wenn ich es im Wachen wiederfände –
Da ist es hübsch und angenehm zu sein!
Der Flüchtling findet hilfsbereite Hände.
Er kauft sich ein.
Kann so was sein?
Jawohl: in Liechten – meinem Liechtenstein.

Da liegt das Land in hochrentablem Frieden,
Wo mich nichts stört und peinigt und verdrießt.
Und wer den Eintritt aufbringt, der genießt,
Und nichts wie Fröhlichkeit ist ihm beschieden.

Woanders: Zähneklappern und Geschlotter –
Doch auf der Alm da gibt†™ s kein Sünd,
Weil hier doch ALLE Hinterzieher sind. –
Und dort, der Blühendste, das ist mein Rotter.

Man soll nichts Böses über†™s Ländle sagen!
Wenn es auch nicht sehr groß ist, sondern klein.
Es hat doch einen großen, guten Magen.
Da geht was rein.
Wo mag das sein?
In meinem Liechten – meinem Liechtenstein.

In Unschuld sprießen, wachsen, blühen
Dort Unternehmen ohne Zahl.
Und der Profit ist kolossal.
Das geht ganz ohne Schweiß und Mühen.

Und täglich kommen neue liebe Freunde –
Grüß Gott, grüß Gott – da sind Sie ja –
Ja: Ubi bene ibi patria –
Wir sind die krisenloseste Gemeinde.

Und wenn der Lehrer heut†™ zum Beispiel fragte:
„Nun, kleiner Moritz, wo liegt†™s Capitol?“
Der Moritz wär zu schlau, als daß er†™s sagte.
Er wüßt†™ es wohl.
Wo mag es sein?
Wo es so sicher ruht: in Liechtenstein.

Das Gedicht ist entnommen dem Band „Erika Mann und ihr politisches Kabarett ‚Die Pfeffermühle†˜ 1933-1937“ von Helga Keiser-Hayne, erschienen 1995 im Rowohlt-Verlag.

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Gedicht von Martin Walser – Friedensfeier, aber bald

Durch nichts zu ersetzen ist die Bestimmtheit,
wenn sie fehlt. Du kannst fast nichts lernen.
Du bist ein Aufbruch, dem nicht gesagt wird,
wohin. Wenn alle Autos plötzlich führen,
als führen sie zum selben Ziel. Kindische Wünsche.
Endlich mit den Armen nur noch umarmen, auch
die Fallensteller, die Untersteller. Den Mund
zu nichts mehr brauchen als zum Küssen. Die Hände
zum Streicheln. Zu Fäusten haben sie nicht getaugt. Wenn
ich nur nicht vorsichtig werde. Ich spür ja, wie mir
die Hölderlin-Mut fehlt. Viel zu wenig frech bin ich.
Dass ich nichts mehr wissen will von den Quartieren, in denen
das Rechthaben blüht, ist schon fast ein Verbrechen. Umarmen,
streicheln, küssen, aber alle. Alle Fallensteller, Untersteller,
Verdächtiger. Mir ist zum Umarmen keiner zu schrecklich.
Zum Unterscheiden bin ich nicht blind genug. Wie jeder werd ich
durch Zustimmung schön. Zur Friedensfeier komm ich, sagt mir, wohin.
Der himmlischen, still widerklingenden, Der ruhig wandelnden Töne voll,
sei, was ist. Ich, das Echo der Freundlichkeit. Zu hoffen ist nichts,
zu lieben viel. Überall willkommen ist niemand. Robinson wär
ein Patron. Ich habe mich so vergangen und will
gefunden werden, wo ich am liebsten wär.

Quelle: Süddeutsche Zeitung am 05. Februar 2008