Hilary Mantel über die Frankfurter Buchmesse in „Wölfe“

WölfeFrühling 1528: „Fahren Sie dies Jahr nach Frankfurt, Master Cromwell? Nein? Ich dachte, der Kardinal würde Sie vielleicht zur Messe schicken, damit Sie sich unter die ketzerischen Buchhändler mischen. Er gibt eine Menge Geld aus, um ihre Schriften aufzukaufen, aber die Flut des Unrats lässt niemals nach.“ (Wölfe: Seite 145)

Hand aufs Herz, wer hat gewusst, dass im Frühjahr 1528, also vor fast 500 Jahren, in Frankfurt schon mit Büchern gehandelt wurde? Tatsächlich kann die Frankfurter Buchmesse auf eine mehr als 500-jährige Tradition zurückblicken, denn es gab sie schon in der frühen Neuzeit. Nachdem Johannes Gutenberg (etwa 1400 bis 1468) in Mainz den Buchdruck revolutioniert hatte, wurde die Frankfurter Buchmesse zu einem Umschlagsort, an dem der Handschriftenhandel durch den Verlagsbuchhandel abgelöst wurde.

In der zitierten Stelle in Hilary Mantels historischem Roman „Wölfe“ geht´s natürlich um Luthers Bestseller, die übersetzte Bibel. Schon immer war der Widerstand gegen Einschränkungen, der Reiz des Verbotenen so groß, dass die Menschen dafür selbst den Tod riskierten. Wer Anfang des 16. Jahrhunderts in England vom Lordkanzler Thomas More mit der Lutherbibel erwischt wurde, musste damit rechnen, verbrannt zu werden. Im Roman trifft Thomas More auf Seite 145 Thomas Cromwell. Mantel beschreibt More als freundlich und schäbig – mit schmuddeligem Hemdkragen. In seinen Pamphleten gegen Luther nennt er ihn Scheiße, er sei der Anus der Welt. Keiner, so Mantel, habe die lateinische Sprache vulgärer gemacht als More.

Wölfe“ ist der erste Band der als Trilogie angelegten Buchreihe über Thomas Cromwell (um 1485 bis 1540). Der Roman beginnt im Jahr 1500, als Cromwell als 15-Jähriger sein Land verlässt und endet im Juli 1535. Die Autorin erhielt dafür im Jahr 2009 u.a. den renommierten Man Booker Preis. Die Fortsetzung erscheint Ende Februar 2013 in der deutschsprachigen Übersetzung unter dem Titel „Falken“. Hierfür erhielt Hilary Mantel im letzten Jahr wiederum den Man Booker Preis.

Hilary Mantel schreibt ungeheuer präzise und lebendig – nie klischeehaft oder gar langweilig. Dennoch ist der Einstieg in die Story nicht einfach und man sollte dem Buch unbedingt mehr als die typischen 50 Seiten einräumen. Der Vorname Thomas scheint in der Zeit besonders beliebt gewesen zu sein. Thomas Cromwell, Thomas More, Thomas Wolsey, der Kardinal, die übrigens unter Heinrich dem VIII. letztendlich alle zum Tode verurteilt wurden, sind anfangs nicht leicht auseinander zu halten. Nach spätestens 100 Seiten ist man dann allerdings so gefangen ist dieser Zeit der großen sozialen und religiösen Veränderungen, die Heinrich VIII. im 16. Jahrhundert in England auslöste, dass man das Buch kaum aus der Hand legen mag.

Kurzbeschreibung
Erscheinungstermin: 13. Dezember 2010 im Dumont Buchverlag
England im Jahr 1520: Das Königreich ist nur einen Pulsschlag von der Katastrophe entfernt. Sollte der König ohne männlichen Erben sterben, würde das Land durch einen Bürgerkrieg verwüstet. Henry VIII. möchte seine Ehe annullieren lassen und Anne Boleyn heiraten. Der Papst und ganz Europa sind dagegen. Die Scheidungsabsichten des Königs schaffen ein Machtvakuum, in das Thomas Cromwell tritt: Die Werkzeuge dieses politischen Genies sind Bestechung, Einschüchterung und Charme. Aus der Asche persönlichen Unglücks steigt er auf und bahnt sich seinen Weg durch die Fallstricke des Hofes, an dem „der Mensch des Menschen Wolf“ ist. Hilary Mantel hat mit Wölfe etwas sehr Rares geschaffen: einen wahrhaft großen Roman, der seinem historischen Gewand zum Trotz höchst zeitgemäß ist. Auf einzigartige Weise erforscht er die Choreografie der Macht.