März 2016: Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke von Joachim Meyerhoff

Am 12. März 2016 besprechen wir im Lesekreis Joachim Meyerhoffs Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke. Wir treffen uns um 20.30 Uhr bei Heike und Christian.

Joachim Meyerhoff, hauptberuflich Schauspieler und seit 2005 Ensemblemitglied des Wiener Burgtheaters, erzählt in Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke von seinem eigenen Leben und seiner Familie. Er setzt damit den Zyklus Alle Toten fliegen hoch fort, dessen erster Teil Amerika im Jahr 2011 und dessen zweiter Teil Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war 2013 erschien.

Ach diese Luecke diese entsetzliche LueckeKurzbeschreibung
Die Kindheit auf dem Gelände einer riesigen Psychiatrie und das Austauschjahr in Amerika liegen hinter ihm, der gerade zwanzig gewordene Erzähler bereitet sich auf den Antritt des Zivildienstes vor, als das Unerwartete geschieht: Er wird auf der Schauspielschule in München angenommen und zieht in die großbürgerliche Villa seiner Großeltern in Nymphenburg.Seine Großmutter ist eine schillernde Diva und selbst ehemalige Schauspielerin, sein Großvater emeritierter Professor der Philosophie, eine strenge und ehrwürdige Erscheinung. Ihre Tage sind durch abenteuerliche Rituale strukturiert, bei denen Alkohol eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Unter ihrem Einfluss wird der Erzähler zum Wanderer zwischen den Welten.
Tagsüber an der Schauspielschule systematisch in seine Einzelteile zerlegt, ertränkt er abends seine Verwirrung auf dem opulenten Sofa in Rotwein und anderen Getränken. Aus dem Kontrast zwischen großelterlichem Irrsinn und ausbildungsbedingtem Ich-Zerfall entstehen die ihn völlig überfordernden Ereignisse. Zugleich entgeht ihm nicht, dass auch die Großeltern gegen eine große Leere ankämpfen, während er auf der Bühne sein Innerstes nach außen kehren soll und dabei fast immer grandios versagt.
Die gebundene Ausgabe (352 Seiten) ist am 12.11.2015 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Januar 2016: Erschlagt die Armen von Shumona Sinha

Am 23. Januar 2016 besprechen wir im Lesekreis den Roman „Erschlagt die Armen“ von Shumona Sinha. Wir treffen uns um 20.30 Uhr bei Eli und Ibrahim.

Erschlagt die ArmenKurzbeschreibung
Erschlagt die Armen!‚ ist Titel eines Prosagedichts von Charles Baudelaire, und die Protagonistin dieses Romans scheint ihn wörtlich genommen zu haben: Die junge Frau schlägt einem Migranten in der Metro eine Weinflasche über den Kopf und findet sich in Polizeigewahrsam wieder. Dort soll sie sich erklären:

Was treibt eine dunkelhäutige Frau indischer Abstammung, die in der Asylbehörde als Dolmetscherin zwischen Asylbewerbern und Beamten vermittelt, zu einer solchen Tat? Täglich übersetzt sie das Jammern und die Lügen der Asylbewerber, deren offensichtliches Elend der Behörde nicht reicht †“ und ist angewidert vom System, deren Teil sie geworden ist. Als Migrantin bleibt sie fremd in den Augen der Beamten, aber auch für ihre ehemaligen Landsleute ist sie fremd †“ als eine, die es geschafft hat. Schließlich scheint es auch für sie in der menschengemachten Enge der Welt keine andere Begegnung als den Angriff zu geben.

Erschlagt die Armen! ist ein zorniger Roman, der in kraftvoller, bilderreicher Sprache aufrüttelnde Fragen zu Identität und Zusammenleben in einer globalisierten Welt stellt.

128 Seiten, erschienen in der Edition Nautilus im August 2015.

Über die Autorin
Shumona Sinha, geboren 1973 in Kalkutta, lebt seit 2001 in Paris. Nach der Veröffentlichung von Erschlagt die Armen! 2011 verlor sie ihre Arbeit als Dolmetscherin bei der französischen Migrationsbehörde. Ende 2013 erschien ihr dritter Roman Calcutta, ebenfalls vielfach ausgezeichnet. Sie veröffentlichte mehrere Gedichtbände auf Französisch und Bengalisch. 2008 erschien ihr erster Roman Fenêtre sur l†™Abîme.

Dezember 2015: Taqwacore von Michael Muhammad Knight

Am 19. Dezember 2015 besprechen wir im Lesekreis den Roman „Taqwacore“ von Michael Muhammad Knight. Wir treffen uns um 20.30 Uhr bei Markus.

TaqwacoreKurzbeschreibung
Das radikale Statement eines modernen Muslims
In einer muslimischen Punk-WG in Buffalo, New York, ist die Hölle los. Im Wohnzimmer, in dem tagsüber gebetet und nachts wild gefeiert wird, zeigt ein Loch in der Wand die Richtung Mekkas an. Fasiq raucht bei der Koranlektüre Joints, Jehangir betrinkt sich beim Fastengebet, Rabeya legt ihre Burka auch beim Sex nicht ab und leitet die Gebete als weiblicher Imam. Sind alle vom rechten Weg abgekommen? Oder gibt es den Islam, in dem Partys und Ramadan, Gleichberechtigung und Gebet, Koran und Punk keine Widersprüche sind?

304 Seiten, erschienen im Heyne Verlag im September 2013.

Über den Autor
Michael Muhammad Knight, geboren 1977 in New Jersey, wuchs als Katholik auf und konvertierte als Teenager, nachdem er die Autobiografie von Malcolm X gelesen hatte, zum Islam. Mit 16 Jahren wollte er in den Djihad ziehen. Doch dem Fanatismus folgten Zweifel. Taqwacore war als Abschied vom Islam gedacht. Das Buch wurde zensiert, boykottiert und konfisziert. Heute steht es auf dem Lehrplan vieler amerikanischer Universitäten.

Oktober 2015: Aberland von Gertraud Klemm

Am 31. Oktober 2015 besprechen wir im Lesekreis den Roman „Aberland“ von Gertraud Klemm. Wir treffen uns um 20.30 Uhr bei Heike und Christian.

AberlandKurzbeschreibung
Bürgerliche Mütter, bürgerliche Töchter: ein bitterböses Porträt zweier Frauen-Generationen
Elisabeth, 58, versucht würdevoll zu altern. Ihr gutbürgerliches Leben ist am ehesten charakterisiert durch das, was sie alles nicht getan hat: sie hat nicht studiert und nicht gearbeitet, sie hat ihre Kinder nicht vernachlässigt und ihren Mann nicht mit dem Künstler Jakob betrogen, sie hat der Schwiegermutter nicht die Stirn geboten und stellt noch immer nicht den Anspruch, ins Grundbuch der Jugendstilvilla eingetragen zu werden. Mit Zynismus und verhaltener Selbstreflexion beobachtet sie das Altern der Frauen um sie herum.
Und sie beobachtet ihre Kinder, vor allem Franziska, 35, die zu Wutausbrüchen neigt, mit den Anforderungen der Gesellschaft an ihre Mutterrolle hadert und die theoretische Gleichberechtigung von Mann und Frau im Alltag nicht einlösen kann. Auch sie hat ihre Visionen nicht verfolgt, weder beruflich noch privat, und begnügt sich mit einem fast fertigen Studium und einem fast geliebten Mann. Es scheint, als habe sich dieser zahnlose Feminismus von einer Generation an die nächste vererbt.
Gertraud Klemm, die mit einem Kapitel aus diesem Roman den Publikumspreis in Klagenfurt gewann, schildert eine gesellschaftliche Situation, in der mit viel ‚ja †“ aber‘ die wichtigen Entscheidungen verschoben und verhindert werden, und ihr Blick auf die Lage ist gnadenlos, bissig und (aus Verzweiflung?) wahnsinnig komisch.

184 Seiten, erschienen bei Droschl im Februar 2015.

Gertraud Klemm
Gertraud Klemm beim LiteraturBrunch der Münchner BücherFrauen im September 2015

Über die Autorin
Gertraud Klemm ist eine österreichische Schriftstellerin, deren Werk die feministische Analyse der zeitgenössischen bürgerlichen Frauenrolle ins Zentrum ihrer Erzählungen rückt.
Im Jahr 2006 erschien ihr erstes Buch Höhlenfrauen mit zwölf Kurzgeschichten im Wiener Mille Tre Verlag. In ihrem 2010 bei Arovell erschienenen dokumentarischen Essay Mutter auf Papier setzt sie sich mit den emotionalen und bürokratischen Herausforderungen einer Adoption auseinander.
Klemms erster Roman erschien 2014 im Grazer Literaturverlag Droschl unter dem Titel Herzmilch. Er erzählt aus dem Leben einer Frau, die sich nicht mit den ihr zugedachten Rollen zufriedengeben will.
Anfang 2015 erschien der Roman Aberland wiederum bei Droschl. Bei einer akademisch gebildeten zeitgenössischen Frau, die manche Züge mit der Autorin gemeinsam hat, ergeben sich aus ihrer Mutterschaft ähnliche soziale Nachteile wie bei ihrer Mutter, die mit ihrer Hausfrauenrolle ebenfalls nicht allzu glücklich wurde. Im direkten, durchaus konflikthaften Generationenvergleich schildert die Autorin eindringlich das feministische Dilemma ihrer Protagonistinnen.

 

September 2015: Deutschstunde von Siegfried Lenz

Am 25. September 2015 besprechen wir im Lesekreis den Roman „Deutschstunde“ von Siegfried Lenz. Wir treffen uns um 20.30 Uhr bei Gerlinde und Rainer.

DeutschstundeKurzbeschreibung
In seinem Roman Deutschstunde, der 1968 im Verlag Hoffmann und Campe erschien, setzt sich Lenz kritisch mit dem Dritten Reich auseinander. Der Protagonist des Romans ist Siggi Jepsen, ein Zögling einer Anstalt für schwererziehbare Jugendliche, der einen Deutschaufsatz zum Thema ‚Die Freude der Pflicht‘ schreiben muss. Darin thematisiert Siggi den Konflikt mit seinem Vater, der zur Zeit des Nationalsozialismus Polizist im norddeutschen Rugbüll ist.

Siggis Vater ist mit dem Maler Nansen befreundet, doch die NS-Zeit verändert diese Freundschaft. „Die Deutschstunde†œ schildert, wie der Polizist Jepsen die Durchsetzung des Malverbots für Nansen zu dessen persönlichem Feldzug macht. Nahezu blind erfüllt der Vater seine Pflicht, während der Sohn versucht, die Kunstwerke zu retten. Das Ende des Dritten Reiches bringt keine Veränderung. Der Vater wird kurzfristig interniert, kehrt jedoch später auf seinen Posten zurück, ungebrochen autoritätsgläubig.

Mit der „Deutschstunde“ konfrontiert Siegfried Lenz seine Leserschaft schonungslos mit scheinbar unpolitischer Pflichterfüllung und Heimattreue, welche in der Nachkriegszeit als tragender Pfeiler des Nationalsozialismus demaskiert wurde.

Über den Autor
Der 1926 im ostpreußischen Lyck geborene Siegfried Lenz gehört zu den bekanntesten deutschen Autoren der Gegenwart. Für sein Werk hat er viele Ehrungen und Auszeichnungen bekommen, dazu gehören unter anderem der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und der Goethe-Preis der Stadt Frankfurt.

Lenz†™ Kindheit und Jugend sind von den Ereignissen des Dritten Reiches geprägt. Im Alter von 13 Jahren trat er der HJ bei, machte 1943 sein Notabitur und wurde dann Soldat bei der Marine der Reichswehr. Er desertierte in Dänemark und kam in englische Kriegsgefangenschaft. Diese Erlebnisse beeinflussen sein journalistisches und literarisches Werk.