Landeplatz der Engel von Frank M. Reifenberg

Landeplatz der Engel von Frank M. Reifenberg

„Woher sollte ich denn wissen, dass er diesen verdammten Franzosen im Kopf hat“.

Fabian füllt in seinem Kopf alles in Blecheimer. Blecheimer, damit er hört, wenn sie sich öffnen und in sein Hirn entleeren. Denn wenn das passiert, bilden sich Wortgirlanden, die unkontrolliert aus seinem Mund purzeln. Zusätzlich kämpft Fabian jeden Tag vergeblich gegen tausende Bewegungen, Zuckungen und Verrenkungen. Im Alter von 8 Jahren wird er aus dem Chor geworfen, der Chorleiter kann sein Gezappel nicht mehr ertragen. Dies ist der Zeitpunkt an dem Fabian seine eigene Unzulänglichkeit erkennt. Eine Odyssee zu Ärzten und Therapeuten beginnt. Die Diagnose lautet: Tourette Syndrom.
Keiner weiß, ob das Tourette Syndrom erblich oder Schicksal ist. Seine Oma ist die einzige Person die ihn so akzeptiert wie er ist und zu der er eine liebevolle Beziehung hat. Als die Oma stirbt, vereinsamt Fabian völlig, er wird zum Außenseiter. Den rosafarbenen verbeulten Wecker und einen Stapel Bilder mit Schutzengeln, die die Oma ihm hinterlassen hat, hütet er wie einen Schatz. Den Vater, der Fabian ablehnt, hasst er und bezeichnet ihn als Teufel. Seine Mutter ist schwach, sie fügt sich dem despotischen Ehemann, einem Banker mit politischen Ambitionen, der den Posten des Innensenators anstrebt.
Die Tanzfläche in der Disco „Depot“ ist der einzige Ort an dem Fabian so richtig glücklich ist. Hier braucht er keine Medikamente, keine guten Sätze an die er sich klammern kann. Er stürzt sich in den reißenden Fluss aus Soul, Licht, Schweiß und Bewegung auch wenn er weiß, dass seine Tics danach um so gnadenloser zuschlagen.
Im „Depot“ begegnet ihm Sandra, ein Mädchen von dem er augenblicklich fasziniert ist, das aber zu einer großen Clique gehört und eifersüchtig von seinem Freund Mirco bewacht wird. Mirco klaut und kifft und hält sich mit kleinen Gaunereien über Wasser. Alles andere als wohlsituiert wächst er als Migrantenkind bei einer Prostituierten auf.
An der Bushaltestelle treffen die drei wieder aufeinander. Mirco fühlt sich von Fabians Tics provoziert, weil er denkt Fabian würde Sandra „anmachen“. Nach seinem Motto: „Erst mal die Fresse polieren und nachher Kumpel sein“, schlägt er Fabian zusammen. Die Polizei bringt Fabian nach Hause. In einem Streit zwischen den Eltern hört er, dass sein Vater ihn lieber hätte abtreiben lassen. Daraufhin packt er seine Trainingstasche und verlässt das Haus; mit im Gepäck sind der Wecker und die Schutzengelbilder.
Sandra macht Mirco wegen der Schlägerei Vorwürfe und wirft ihn dann im Streit aus der gemeinsamen Wohnung.
In dieser Nacht begegnen sich Fabian und Mirco zufällig wieder, und es ergibt sich, dass diese beiden so unterschiedlichen Jungen sich gemeinsam auf die Suche nach Geld, Glück, den Sinn des Lebens und natürlich den „Landeplatz der Engel“ begeben.

Fabian ist der Ich-Erzähler der Geschichte, einen zweiten Blickwinkel hat der Leser durch die eingefügten meist kurzen und nicht immer chronologischen Erzählungen von Mirco. So bekommt man einen genauen Einblick in die Gedankenwelt des oft „sprachlosen“ Fabian, sowie in die von Mirco, der mit Sätzen wie „Scheiß was drauf“ sein Herz eher auf der Zunge trägt. Es sind nur ungefähr 48 Stunden die man am Leben der Beiden teilnimmt und sie auf ihrer Suche begleitet. Die Geschichte ist voller überraschender Wendungen unsentimental und ohne Pathos geschrieben. Leicht atemlos bleibt man nach dieser rasanten Erzählung zurück und zwar in der Hoffnung und in dem Glauben auf mehr Toleranz in der Welt. Eine Empfehlung nicht nur für die Jugend.

Kurzbeschreibung
„Scheiß was drauf.“ Das ist der Satz, mit dem Mirco in Fabians Leben platzt. Mirco, der coole Jungganster, der gerne die Nerven kitzelt. Fabian, Sohn aus gutem Hause, dem die Nerven einen Streich spielen. Zwei, die nicht zusammenpassen. Zwei, die sich die Lippen blutig schlagen. Zwei, die nicht wissen, wohin. Aber das mit Vollgas. Eine rasante Spritztour beginnt. Durch den Kopf. Durch das Herz. Durch die Stadt. Und weiter. Zum Landeplatz der Engel. Vielleicht. Ein Roadmovie a´la „Thelma und Louise“!

Über den Autor
Frank Maria Reifenberg, in der Nähe von Siegen geboren. Lebt und arbeitet in Köln. Abitur, dann Ausbildung zum Buchhändler. Irgendwie ein toller Beruf, aber viel Arbeit für wenig Geld, keine gute Kombination, dachte er, außerdem gab es wichtigere Dinge Anfang der 80er Jahre. Er bluffte so gut erkonnte, es hat klappte, eine Public Relations-Agentur nimmt ihn, dort eine zeitlang Texter und Kundenbetreuer, wagemutig gewesen, eigene Agentur gegründet. Jetzt viel Arbeit und viel Geld. Nach zehn Jahren die Krise gekriegt, die Lust verloren, aufgehört. Ein Freund sagt, Mann, du weißt doch immer schon vorher, wie die Filme ausgehen, willste dich nicht auf der Filmschule für Drehbuch bewerben. Ja, er wollte. Einen von zwölf Plätzen an der Internationalen Filmschule, Köln, ergattert. Ab da Drehbücher und Konzepte für Film und Fernsehen geschrieben, sogar zwei Folgen Sesamstraße, da ist er stolz drauf. Dann auch Romane und letztes Jahr zum ersten Mal für die Bühne: ein Musiktheaterstück für die Bayerische Staatsoper: liebe.nur liebe. Seine Romane erschienen unter anderem in Russland, China, Tschechien, Italien.

Frank M. Reifenberg betreibt ein Blog unter dem Namen „Landeplatz der Engel„. Viele Informationen zum Buch aber auch über das Tourette Syndrom sind dort abrufbereit. Ich bin mir sicher, der Autor freut sich über jede Beteiligung an einer seiner vielen Themen die er zur Diskussion stellt, aber auch über Fragen, Anregungen oder Meinungen zum Buch oder zum Thema Tourette Syndrom.

Broschiert 253 Seiten, erschienen im Juli 2008 im Thienemann Verlag, 13,90 Euro

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.