Kurzbeschreibung
Der 72-jährige August Brill, Ex-Literaturkritiker und Journalist, sitzt morgens um drei in seinem Rollstuhl im dunklen Wohnzimmer. In der Schwebe zwischen Wachen und Schlaf denkt er sich eine Geschichte aus, um seine nächtens überhandnehmenden Sorgen zu verdrängen: Ein Mann erwacht in einem tiefen Erdloch. Wie er hineingekommen ist, weiß er nicht. Zufällig hat er noch seine Brieftasche und versichert sich, dass er Owen Brick heißt und als Zauberer in Queens lebt. Als ihn bei Tagesanbruch schließlich ein Uniformierter befreit, spricht der ihn jedoch als «Corporal» Brick an und gibt ihm nebst einer geladenen Pistole den Auftrag, sich in die nächste Stadt zu begeben und dort im Auftrag der Sezessionstruppen einen Mann zu erschießen, dessen Tod den seit Jahren tobenden Bürgerkrieg sofort beenden würde. Bürgerkrieg? Man schreibt doch das Jahr 2007, Amerika führt Krieg im Irak, aber einen Bürgerkrieg? Der Soldat starrt Brill an: Krieg im Irak? 9/11? Nein. Er spinne wohl. In Wahrheit hätten sich nach der betrügerischen Wahl im Jahre 2001 diverse Staaten aus der Union verabschiedet, die Folge sei ein blutiger Krieg um die Macht in Amerika. «Mann im Dunkel» ist eine glanzvolle Parabel, künstlerisch gewagt und unerbittlich kritisch.
Über den Autor
Paul Auster wurde 1947 in Newark, New Jersey, geboren. Er studierte Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia University und verbrachte danach einige Jahre in Paris. Heute lebt er in Brooklyn. Er ist mit der Schriftstellerin Siri Hustvedt verheiratet und hat zwei Kinder.
Eine Rezension von Christel Dormagen (Rowohlt Revue 86) – gefunden bei Rowohlt
Dass er Geschichten erzählen kann, wissen wir Auster-Leser längst, und dafür, dass er sie in raffinierten Verpackungen serviert, lieben wir ihn. Mit seinem jüngsten Roman Mann im Dunkel hat Paul Auster mindestens in puncto Konstruktion noch einen draufgelegt.
Die Geschichte in der Geschichte der Geschichte
Da liegt also ein alter Mann schlaflos im Bett und versucht, die langen Stunden der Nacht zu überstehen. Nach einem schweren Unfall wird er von Tochter und Enkelin gepflegt. Man erfährt, dass August Brill, so heißt der Mann, offenbar quälende Erinnerungen von sich fernhalten möchte, die ihn vor allem nachts heimsuchen. Was man jedoch erst sehr viel später und spannungssteigernd fein dosiert erfährt, sind die Gründe für seine Flucht aus der Vergangenheit: Brill hat gerade seine Frau verloren, in seinem Leben aber auch anderen manches Leid zugefügt. Aus Furcht vor dem Aufbrechen alter Wunden lenkt er sich nächtelang mit ausgedachten Geschichten ab.
Einmal nun versetzt er einen gewissen Owen Brick in eine bedrohliche Parallelwelt. Dieser Brick erhält den Befehl, einen ihm gänzlich fremden Menschen zu töten. Der arme Kerl will aber niemanden töten und nur raus aus diesem vermeintlichen Albtraum. «Ich will in mein Leben zurück», sagt er, was natürlich verrückt ist, wo doch seine beiden Leben dem Kopf des alten Mannes entsprungen sind! Und so verwirrt ihn die Erklärung des Auftraggebers auch nur: «Es gibt viele Welten, und jede von ihnen wird in einer anderen Welt erträumt oder phantasiert oder von jemandem aufgeschrieben. Der alte Mann hat Sie erfunden, damit Sie ihn töten.» Erst dann dürfe er in seine eigene Welt zurückkehren. Und der umzubringende Mann heißt … August Brill! Brick sagt der Name nichts, aber uns Lesern, und spätestens jetzt beginnt uns der Kopf zu schwirren …
Brooklyn-Sound, Auster-Sound
In Mann im Dunkel †“ ein wunderbar vieldeutiger Titel im Übrigen †“ spielt Auster als Herr aller Wörter und Welten auf verhexende Weise eine uralte menschliche Phantasie durch: Würden nicht auch wir gern einmal gottähnlich Leben lenken, anstatt der Willkür des Schicksals ausgeliefert zu sein? Auster ist dieser Gott †“ als Menschen und Geschichten erfindender Schriftsteller ohnehin. Aber darüber hinaus erschafft er sich ein Alter Ego, jenen von Katastrophen gebeutelten schlaflosen alten Mann des Romans, von dem bis zuletzt offenbleibt, ob er selbst sterben oder lieber andere leiden lassen möchte oder beides gleichzeitig.
Dass bei alledem auch der berühmte Auster-Sound nicht zu kurz kommt, diese seine elegante Art, mit lockerer Hand unglaubliche Kalendergeschichten in die Erzählung einzustreuen, sei für Liebhaber nur nebenbei bemerkt.
Und hier geht es zur Leseprobe
Gebundene Ausgabe: 224 Seiten, erschienen im Verlag Rowohlt , Auflage: 2 (1. Oktober 2008), 17,90 Euro
Reicht es, wenn ich schreibe „ein typischer Auster-Roman“? Ja und nein. Ja, weil August Brill, die Hauptperson im neuen Roman, Geschichten erlebt oder erfindet, die so eigentlich nur Auster beschreiben kann. Nein, weil diese allerdings nicht so versteckt oder leise angedeutet werden (bzw. verschachtelt sind) wie in anderen Büchern von ihm. Ich habe den Eindruck, dass das Alter immer mehr in seine Werke mit einfliesst, besonders gut zu spüren bei der Beziehung zwischen Vater und Tochter bzw. Enkelin. Aber das soll keine Kritik sein. Ich habe das Buch auf alle Fälle in einer Nacht und dem darauffolgenden Vormittag zu Ende gelesen.
hi BuchBote,
ja, ich glaube auch, dass das ein ganz besonders gutes Buch von ihm ist. Eigentlich bin ich ja eher ein Fan seiner Frau, aber ich denke den Mann im Dunkel werde ich lesen.
LG