Black Dagger Ladies Online
Liebe
Kapitel 9
„Na, fügst du dich jetzt?“ Cyrus hatte bemerkt, dass sie überlegte. „Nein!“, sie wand sich weiter, er kam für einen kurzen Augenblick ins Wanken. Sie schaffte es ein Knie anzuziehen und rammte es ihm mit voller Wucht in die Familenplanung. Er heulte auf und ließ ihre Hände los. Doc rappelte sich auf alle Viere hoch. Cyrus hatte sich schon wieder gefangen, packte sie im Nacken und ließ sie abrupt wieder los. Torkelnd kam sie zum Stehen und sah, dass Bowen hinter Cyrus stand und ihn von hinten umklammerte. „Lass die Finger von ihr!“, brüllte er ihn an. Cyrus schien jede Menschlichkeit verloren zu haben und wehrte sich nach Kräften. „Sie hat dich sitzen lassen, Alter. Sie hat keinen Bock auf dich, gönn mir doch auch etwas Spaß, du hast mir so von ihr vorgeschwärmt.“ Er schaffte es sich loszureißen und schlug Bowen mit voller Wucht ins Gesicht. Ein krachendes Geräusch ertönte, und Blut schoss aus Bowens Nase hervor. Aber das schien ihn nicht zu stören, er schlug zurück und zielte auf Cyrus Magen. Dann hagelte es eine Abfolge von gezielten Schlägen auf Arme und Beine, die Cyrus allerdings mit dem Kopf abwehrte. Ein letzter Schlag in den Magen und Cyrus sank in die Knie und krümmte sich auf dem Boden zusammen.
Doc stand wie angewurzelt da. Irritiert von dem gerade Geschehenen, versuchte sie mit ihrem zerfetzten Top ihre Blöße zu bedecken. Bowen kam auf sie zu, sie wich vor ihm zurück. Er streckte seine Hand nach ihr aus, zog sie aber wieder zurück, als er in ihr Gesicht blickte „Alles okay bei dir? Hat er dich verletzt?“ „Mit mir alles in Ordnung. Mit dir aber nicht. Bowen, dein Gesicht, lass uns reingehen, ich sollte mir das genauer ansehen, es sieht echt übel aus.“ „Ach, nicht so schlimm, ich kann Einiges ab. Cyrus und ich kloppen uns ganz gern mal.“ Besorgt schaute er Doc an, zog sein T-Shirt aus und reichte es ihr. „Danke.“ Beim Anziehen atmete sie tief seinen würzigen zimtigen Duft ein. „So, Bowen, ich weiß, eure körperliche Heilung ist beeindruckend schnell, aber falls deine Nase gebrochen ist, sollte ich es mir wirklich ansehen, oder möchtest du lieber, dass ich Fernando hole?“ „Nein, wir sollten da nicht noch mehr Leute mit reinziehen. Komm lass uns auf die Krankenstation gehen, aber nur, wenn es dir nichts ausmacht.“ Sie sah Bowen streng an. „So ein Blödsinn, du hast mir vermutlich gerade das Leben gerettet und wir sind doch keine Kinder. Was machen wir mit Cyrus?“„Der kommt schon klar. Er ist vielleicht ein bisschen angeschlagen, aber ich habe ihn nicht verletzt.†œ
Das Licht im Krankenflügel schmerzte zuerst in Docs Augen. Den Kopf hatte sie sich bei dem Sturz auch ziemlich gestoßen, und er brummte stetig. Sie klopfte auf den Behandlungstisch in der Mitte des Raumes. „Hopp!“ Bowen setzte sich darauf und sah Doc an, auf dem Weg zur Station hatten sie kein einziges Wort gewechselt. Er hatte Sorge etwas Falsches zu sagen, oder sie zu vertreiben.
„Dann wollen wir mal sehen. Sie richtete die OP-Lampe auf sein Gesicht und er blinzelte. „Hm, am besten du schließt die Augen und versuchst dich zu entspannen. Ich werde jetzt erstmal das Blut entfernen, und dann schauen wir weiter.“ Er tat wie ihm geheißen, und Doc tupfte vorsichtig das Blut aus seinem Gesicht. Auch wenn seine Nase höllisch schmerzte, er genoss ihre Hand an seiner Wange, mit der sie seinen Kopf festhielt. Ein paar Tropfen waren auch seinen Hals hinab gelaufen, es war unglaublich, was dieser Mann für eine Wirkung auf sie hatte – sie hätte es am liebsten abgeleckt. Aber sie ermahnte sich an ihre Arbeit zu denken. „Deine Nase ist gebrochen, sie fängt schon an zu verheilen. Ich muss sie richten, damit sie gerade zusammenwachsen kann, es sei denn, du hättest gerne einen neuen Look?“ Sie sah ihn an und wartete auf eine Antwort, aber Bowen brachte kein Wort heraus. Er sah ihr in die Augen und verlor sich darin – der Spiegel der Seele. Er hatte das Gefühl sie ewig zu kennen. „Bowen, ich richte jetzt deine Nase, okay? Leg dich mal hin und beiß die Zähne zusammen, das könnte jetzt ein bisschen weh tun, aber du darfst dir danach auch nen Lolli aussuchen.“ Sie packte mit beiden Daumen und Zeigefingern seine Nase und drückte äußerst kraftvoll daran herum.
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Ein lautes knirschendes Geräusch war zu vernehmen, nach einem letzten Knacken war sie mit ihrer Arbeit zufrieden, tupfte noch das letzte bisschen Blut weg und klebte einen Streifen Tapeverband auf die Nase. „Also, in den nächsten vier Stunden solltest du besser keine mehr auf die Zwölf bekommen. Sie war schon leicht zusammengewachsen, deshalb hat es etwas geknackt, aber keine Sorge, in den Rocky-Filmen haben sie es auch so gemacht. Jedenfalls dürfte man davon morgen absolut nichts sehen können. Knochen kann ich mit meinen Kräften leider nicht zusammenwachsen lassen.“
Bowen setzte sich auf. „Sag mal, redest du jetzt nicht mehr mit mir?“ Sie stellte sich vor ihn und verschränkte die Arme vor der Brust. „Doch.“ Er kratze sich am Kopf und wirkte irgendwie verlegen. Sie sah so umwerfend aus wie sie in seinem, für sie viel zu großen T-Shirt dastand. Sie war für ihn einfach „SEIN“, es war so klar, so greifbar in diesem Moment. „Okay, dann solltest du dich vielleicht jetzt auch mal schlafen legen.“ Sie schaltete die Lampe aus, blieb an der Türe stehen und wartete bis er mit ihr den Raum verließ. Er wandte sich zu ihr um. „Jane, das eben da draußen mit Cyrus, das war sehr knapp, pass bitte besser auf. Hier an Bord ist einfach zu viel Testosteron und zu wenige Frauen. Ich werde dafür sorgen, dass nachts ein Vampir draußen Wache hält. Cyrus ist mein Freund, aber solange du dich nicht entschieden hast, wird er auch versuchen bei dir zu landen. Er gehört zu den jüngeren Wölfen, er hat seine Bestie noch nicht im Griff. Der Mond beeinflusst ihn sehr stark, nicht auszudenken, was bei Vollmond passiert wäre. Er war nicht er selbst. Ich hoffe, du kannst ihm das verzeihen, er wird sich morgen sicherlich Vorwürfe wegen des Vorfalls machen. Und, Jane? Du fehlst mir.“ Sie schluckte, am liebsten hätte sie sich ihm an den Hals geworfen. „Bowen, danke, dass du da warst. Es wird nicht wieder vorkommen, und du kannst mich kaum vermissen, wir haben uns heute Morgen doch noch gesehen.“ Sie ließ ihn stehen und eilte zurück, weg von ihm… ins Bett, sie musste alleine sein.
Sie behielt sein Shirt an, der Geruch gab ihr ein Gefühl von Geborgenheit. Warum hatte sie ihm nicht gesagt, dass sie ihn auch vermisste. Auch wenn es ihr unlogisch erschien, er hatte sie doch gar nicht eingeengt. Er war vielleicht etwas besitzergreifend, aber eigentlich gefiel es ihr. Und würde sie umgekehrt nicht genauso handeln, wenn noch mehr Frauen hier wären? Sie musste zugeben, dass, angesichts dessen was eben passiert war, seine Eifersucht und sein Beschützerinstinkt ja auch nicht gerade unbegründet gewesen waren. Bowen war perfekt, er passte wunderbar zu ihr, das ist ihr in der kurzen Zeit schon aufgefallen. Sie hatte einen Rückzieher gemacht, weil sie niemandem einen Teil von sich geben wollte, der dann vielleicht irgendwann einfach verschwand. Ganz tief im Inneren war ihr klar, das Bo Recht hatte mit allem was er gesagt hatte. Sie gehörten zusammen, sie empfand so stark für ihn, es raubte ihr fast den Verstand. Ihr fiel dafür kein anderer Begriff als Liebe ein. Liebe? Eins hatte sie in ihrem Leben gelernt, und auch bei vielen anderen gesehen, die es getroffen hatte, wer liebt, hat auch verdammt viel zu verlieren. Lilli hatte auch ihre Liebe verloren. Damals hatten sie alle große Sorge sie würde nicht damit fertig werden. Sie wollte Bo schon jetzt nicht mehr verlieren. Tränen liefen über ihr Gesicht als ihr klar wurde, wie blöd sie sich verhalten hatte. Die Gefühle waren da, und sie würde verdammt viel verpassen, wenn sie darauf verzichtete. Davor weglaufen kann man auch nicht.
„Was war das für ein verrückter Tag heute†œ, dachte Kerstin. Sie saß auf ihrem Bett und versuchte alles noch mal Revue passieren zu lassen. Zunächst war da morgens das tolle Frühstück mit Tim. Da war alles noch entspannt. Dann kam das Unausweichliche, sie musste Tim von dem Gespräch mit Angie erzählen, und er hatte nicht sehr begeistert reagiert. Als dann noch Drago um die Ecke gebogen war, war es aus mit der Ruhe. Aber das Schlimmste war die Prügelei im Fitnessraum zwischen den beiden gewesen, und dass Angie dabei versehentlich verletzt wurde. Das Bild spulte sich immer wieder vor ihrem geistigen Auge ab.
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Kerstin schüttelte den Kopf, so, als wolle sie die Erinnerungen los werden, aber das klappte natürlich nicht. Im Zimmer auf und ab laufend spürte sie eine innere Unruhe, so konnte es nicht weitergehen, sie musste dringend etwas unternehmen. Ob es den beiden Männern gut ging? Sie brauchte Gewissheit, also machte sie sich auf den Weg zu Tims Kabine. Als sie vor seiner Tür stand, überlegte sie, ob das jetzt eine so gute Idee war. Aber sie musste einfach wissen, ob es ihm gut geht. Sie nahm allen Mut zusammen und klopfte. Sofort wurde die Tür aufgerissen. Tim stand vor ihr, und sein
Gesichtsausdruck war alles andere als freundlich. „Was willst du den hier?“, fuhr er sie an. „Ich, ich wollte fragen, ob es dir gut geht“, stammelte Kerstin. Tim lachte böse auf, „ja, sicher. Warum sollte es mir nicht gut gehen? Du machst mich zum Gespött der Mannschaft, hintergehst mich, und wegen dir hab ich einen Abriss von Duncan bekommen.“ Er drehte sich um und ging Richtung Fenster. Kerstin stand noch immer in der Tür und wusste nicht, ob sie eintreten sollte oder nicht. „Ist sonst noch was? Möchtest du von mir eine Erlaubnis für irgendwas?“ Das ging zu weit. Jetzt wurde Kerstin sauer. „Was bildest du dir eigentlich ein? Ich habe versucht dir zu erklären was los ist. Aber offensichtlich hast du mir nicht zugehört, sonst würdest du dich hier nicht zum Affen machen. „Völlig in Rage stürmte Tim auf Kerstin zu, in seinen Augen blitzte der blanke Zorn. Kerstin blieb jedoch unberührt stehen. Sie schaute ihm direkt in die Augen. Alles was er sehen konnte, war Kälte. Das bremste ihn ein wenig. „Was ist? Möchtest du mir jetzt auch eine verpassen?“, fragte sie schnippisch. Tim sank in sich zusammen. Damit hatte er nicht gerechnet. „Nein, natürlich nicht. Und das mit Angie war ein Unfall, das hast du doch gesehen?“ „Ja, hab ich das? Hast du dich so wenig unter Kontrolle, dass du Feind von Freund nicht unterscheiden kannst? Ist das nicht das Erste was wir in unserer Ausbildung gelernt haben?“ Die Kälte in Kerstins Stimme ließ ihn verstummen. „Weißt du was, Tim, ich bin hier hergekommen, weil ich mir ernsthafte Sorgen um dich gemacht habe, aber so wie es aussieht, war das unnötig. Und ich habe keine Lust auf so eine Beziehung. Ich brauche keinen Partner, der nicht zuhören kann, wenn es mir einmal schlecht geht. Und der sich dann wie ein Neandertaler benimmt, nur weil er mit einer bestimmten Situation nicht klar kommt. Ich möchte, dass wir beide erstmal auf Abstand gehen. Ich muss mir über so Einiges erst klar werden. Und du solltest dein Benehmen auch überdenken.“ Mit diesen Worten drehte Kerstin sich um und ging. Sie ließ Tim mit offenem Mund im Türrahmen stehen. Blindlings lief sie den Flur entlang und wusste nicht wohin. Die Tränen brannten in ihren Augen. „Das darf doch alles nicht wahr sein†œ, dachte sie. Plötzlich hatte sie die Orientierung verloren und wusste nicht, wo sie gelandet war. Der Flur, in dem sie stand, war schwach beleuchtet, verschiedene Holztüren verwiesen auf unbekanntes Terrain. Hier war sie noch nie gewesen. Das Schiff war doch immer wieder für eine Überraschung gut. Neugierde flammte in ihr auf, und sie begann an verschiedenen Türen anzuklopfen. Überall Stille. Nach und nach öffnete sie einige der Türen und erspähte dahinter völlig leere Kabinen. „Waren das alte Kabinen und wer hatte darin gewohnt?†œ, fragte sie sich. Als sie den Flur gerade wieder verlassen wollte, hörte sie Musik. Es kam aus einem der hinteren Zimmer. Sie ging dem Klang der Musik nach. Ja, eindeutig, das war Linkin Park und zwar auf voller Lautstärke. Da hat aber jemand einen guten Geschmack, freute Kerstin sich und stand unschlüssig vor der Tür, aus der die Musik kam. Wer mochte hier wohnen? Ihre Neugierde war stärker, und nachdem auf ihr Klopfen niemand reagiert hatte, öffnete sie einfach die Tür. Eine angenehme Wärme und ein merkwürdiger Geruch nahmen sie in Empfang. Was sie zu sehen bekam, verschlug ihr glatt den Atem. Das Zimmer war im mittelalterlichen Tudorstil eingerichtet. Steinimitate an den Wänden und eine indirekte Beleuchtung sorgten für ein natürliches Ambiente. Links sah sie einen großen massiven Tisch aus Holz mit passenden Stühlen. Ein riesiges, prunkvolles Bett, welches mit handgeschnitzten Ornamenten verziert war, stand auf der rechten Seite. Und mitten im Zimmer saß Drago auf dem Fußboden. Er schien zu meditieren und merkte nicht, dass Kerstin die Tür geöffnet hatte. Vorsichtig betrat sie das Zimmer, sie wollte ihn auf keinen Fall erschrecken und zog leise die Tür hinter sich zu.
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In dem Moment drehte Drago den Kopf und sah sie mit leuchtend grünen Augen an. Ein leises Grummeln war aus seiner Richtung zu hören. „Hallo, schöne Frau. Was für eine nette Überraschung“, begrüßte er sie freundlich. Automatisch fühlte Kerstin sich besser, und da war es wieder, dieses Kribbeln. Aber diesmal nicht nur in ihrer Magengegend. Ein angenehmer Schauer überkam sie. Wie paralysiert starrte sie ihn an. Plötzlich wurde ihr bewusst, was sie tat und schaute weg, aber da war es schon zu spät. Drago hatte ihre Gedanken schon längst gelesen. Mist, schoss es ihr durch den Kopf. Woran hatte sie gerade gedacht? Ah ja, was für einen tollen Oberkörper und was für tolle muskulöse Oberarme er doch hat. Wie gern sie ihn nochmals küssen würde. „Man, bist du blöd†œ, schalt sie sich. Ganz damit beschäftigt ihre Gedanken zu ordnen, bemerkte sie nicht, dass Drago aufgestanden war und jetzt direkt vor ihr stand. Sie zuckte zusammen. Aber er lächelte nur, dieses Mal weder schelmisch noch arrogant. Sein Lächeln strahlte Wärme und Zärtlichkeit aus. „Hallo“, sagte er. „Hallo“, flüsterte Kerstin zurück.
Sie räusperte sich. „Darf ich dir etwas anbieten, oder kann ich dir bei irgendwas behilflich sein?“, fragte Drago, um die peinliche Situation zu entschärfen. Kerstin blickte nach unten und durch ihren Kopf schossen tausende von Antworten. Klar, du könntest mich küssen, überall. Du könntest mich auf dein Bett und danach würde ich gerne deinen Körper erkunden. Wir würden uns stundenlang lieben und hätten noch immer nicht genug. Kerstin musste über ihre Gedanken lächeln und bei einem Blick in Dragos Augen lief sie rot an. Wissend sah er sie an. „Und, warum tun wir es nicht“, fragte er und grinste
Erschrocken fuhr Kerstin zusammen. „Aber, aber du kannst…du hast mir nicht in…wieso weißt du was…“, stammelte sie vor sich hin. Na, Klasse, nie ist ein Loch da, wenn man sich in einem verstecken möchte. Ihr wurde schwindelig, Drago fasste sie zärtlich an den Schultern. „Ich weiß nicht warum, aber ich habe jedes Wort gehört, das du gedacht hast seitdem du hier bist. Bislang bin ich auch davon ausgegangen, dass es nur bei Blickkontakt funktioniert. Aber bei dir scheint es ganz offensichtlich anders zu sein.†œ Das war zu viel für heute. Mit einem leicht verwirrten Blick schaute sie Drago an, dann wurde es dunkel um sie herum und ohnmächtig sank sie in Dragos Arme.
Nachdem Kerstin mit mir den Trainingsraum verlassen hatte, platzte Lilli der Kragen. Sie stand immer noch am Rand der Matten und war mal wieder giftgrün. Ein Zustand, den sie persönlich hasste. Sie hatte ihre Leuchterei im Moment gar nicht mehr im Griff und das war gefährlich. Es verriet sie sofort als magisches Wesen, was bei den Normalsterblichen meistens nicht gut ankam. Jahrelang hatte sie trainiert, um es zu kontrollieren, und es gelang ihr mittlerweile perfekt. Doch seit wir an Bord der Seraphim bei der Bruderschaft waren, hatte sie irgendwie die Kontrolle verloren, und sie wusste nicht warum. Das machte ihr schwer zu schaffen und brachte sie mächtig aus dem Gleichgewicht.
Auch die Jungs standen immer noch um den Schauplatz der Schlägerei herum. Tim und Drago machten betroffene Gesichter, Tiago und Fernando schienen eher belustigt zu sein. Lilli hatte sich kerzengerade aufgerichtet, die Arme links und rechts an die Seite gepresst und die Hände zu Fäusten geballt. Sie stand kurz vor der Explosion, doch sie machte sich umgehend Luft und fing an zu schreien. „Was für total bescheuerte Idioten seid ihr eigentlich? Seid ihr so blöd, oder tut ihr nur so, grrrr? †œSie zitterte vor Zorn am ganzen Körper. „Ich muss jetzt was kaputt schlagen†œ, sagte sie mehr zu sich selbst, drehte sich um und verließ die Halle. Die verdutzten Blicke der Jungs folgten ihr. Sie ging eine Tür weiter in die Kampfsporthalle und dort direkt zu dem riesigen Schrank mit ihren Lieblingswaffen, den Samurai-Schwertern.
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Sie nahm sich zwei wunderschöne Exemplare heraus. Ohne auf ihre makellose Schönheit zu achten, wirbelte sie sofort wie ein Derwisch durch den Raum. Sie drehte sich, sie duckte sich, sie sprang nach vorne, rollte sich geschickt über Schulter und Rücken ab und ließ dabei die beiden Schwerter kreisen. In der Mitte des Raumes stand eine große Trainingsfigur aus speziellem Hartholz mit bunt aufgemalten Trefferflächen. Diese hatte Lilli nun erreicht. Sie schlug mit ihren Schwertern wild auf die Figur ein und verarbeitete sie langsam aber sicher zu Kleinholz. Sie verausgabte sich vollkommen. Sie atmete schwer, ihre Arme und ihre Lunge brannten wie Feuer, doch sie achtete nicht darauf. Wie im Rausch ließ sie weiter die Schwerter fliegen, sie fühlte nur noch Wut und Zorn. Sie drehte sich um, um erneut auszuholen, da trafen ihre Klingen auf klirrenden Widerstand. Fernando stand vor ihr, ebenfalls mit zwei Schwertern in den Händen. Mit gekreuzten Klingen hatte er ihre abgefangen. Lillis Augen weiteten sich vor Schreck und die Schwerter fielen ihr aus den zitternden Händen. „Oh Gott, Fernando!†œ, keuchte sie atemlos. Fernando lächelte sie verständnisvoll an. „Geht es dir jetzt besser?†œ Lilli ließ sich vollkommen ausgepumpt auf den Boden sinken. „Unwesentlich†œ, japste sie. Fernando räumte die Schwerter weg, ließ Lilli zu Atem kommen und setzte sich ihr gegenüber. „Möchtest du mit mir darüber reden? Was macht dich so wütend?†œ „Ach Fernando, da gibt es so vieles. Hast du Zeit?†œ „Soviel du willst und brauchst.†œ „Okay, wo fange ich am besten an? Also, du weißt ja inzwischen, dass die Mädels wie meine Familie sind. Und wie eine Familie haben wir auch friedlich auf unserer Insel gelebt. Wir haben zusammen trainiert, wir haben zusammen gearbeitet und wir haben zusammen unheimlich viel Spaß gehabt. Natürlich haben wir alle sechs in unserem Leben größere und kleinere Wunden davongetragen, aber wir haben uns gegenseitig getröstet, geholfen und gestützt. Wir waren einfach glücklich. Dann sind wir hier zu euch auf das Schiff gekommen, um mit euch gegen die Dragons zu kämpfen. Und was ist jetzt? Alles ist auf einmal so kompliziert und chaotisch. Ich meine jetzt nicht uns beide. Ich bin unheimlich glücklich darüber, dich gefunden zu haben. Ich weiß, dass du mich liebst und du lässt mich meine Wunden vergessen. Aber was mit meinen Schwestern gerade passiert, macht mich wütend, und es macht mir auch Angst. Zum Beispiel die Sache mit Doc und Bowen. Da entwickelt sich langsam eine Liebe, und bevor Jane weiß wie ihr geschieht, fängt Bowen an sie einzuengen und sie als sein Besitz auf Ewigkeit anzusehen. Dass Jane dann schreiend davon rennt und in ein absolutes Gefühlschaos stürzt, ist ja wohl klar. Was hat er sich nur dabei gedacht? Dann Tim, Drago und Kerstin. Kerstin zerbricht sich den Kopf, redet sich den Mund fusselig, weiß überhaupt nicht was da los ist, ist zwischen den beiden hin und her gerissen. Und anstatt ihr mit Verständnis und Hilfe beizustehen, gehen die beiden hin, verprügeln sich wie auf dem Schulhof und verletzen Angie noch dabei. Was ist eigentlich mit Drago und euch? Warum seid ihr so wütend auf ihn? Ja, und dann auch noch Angie. Erst gerät sie zwischen Norbert und Jean und jetzt noch dieser Auftritt von Duncan. Der war ja wohl voll daneben. Und schließlich Lucy und Gavin. Wieso steht Gavin auf einmal in Flammen? Und mir geht´s auch nicht gut, ständig laufe ich grün an. Ich habe total die Kontrolle verloren und das macht mich fast wahnsinnig. Ich fasse es nicht, was ist denn hier los?†œ Lilli war vollkommen fertig, aber jetzt hatte sie einmal alles rausgelassen, was ihr im Moment so auf der Seele lag. Fernando sah sie nachdenklich, aber auch liebevoll an. Er nahm vorsichtig ihre zitternden Hände und fing an sie sanft zu streicheln. „Ich glaube, hier muss ich wohl für ein wenig Aufklärung sorgen. Also, meine Schöne, dann pass auf. Zuerst einmal zu deinem Leuchten. Ich habe dir schon gesagt, dass ich es liebe. Du musst da ein bisschen lockerer werden. Hier auf dem Schiff ist es doch gar kein Problem, jeder weiß, dass du eine Elfe bist. Und als wir in New Orleans waren, hast du ja nur geleuchtet, als du Duncan fertig gemacht hast. Also nimm mal den Gang raus. Ich denke, wenn es wirklich absolut sein muss, hast du es wieder unter Kontrolle.
Dann zu Doc, Bowen, Angie und Duncan. Da muss ich dir über uns Vampire etwas erklären. In einigen Fällen kommt es vor, dass wir auf unsere absolute Gefährtin treffen.
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Sie ist praktisch wie für uns geschaffen. Wie durch ein unsichtbares Band sind wir auf ewig mit ihr verbunden. Wenn wir Glück haben, beruht es auf Gegenseitigkeit und wir können mit unserer Gefährtin eine Blutverbindung, die dann untrennbar ist, eingehen. Bowen hat in Jane seine Gefährtin gefunden, so wie ich in dir und ich habe den Verdacht, dass es Duncan mit Angie auch so geht. Dieser Auftritt vorhin, hat diesen Verdacht bei mir geweckt. Ich bin mir aber nicht sicher. Bei Bowen weiß ich es sicher, er hat schon mit mir darüber geredet. Bowen hat das Problem, dass er schon von Jane getrunken hat. Damit wurde die Verbindung für ihn untrennbar. Aber um diese Verbindung endgültig zu machen, muss Jane auch von ihm trinken. Er hat alles ein wenig überstürzt und hat es leider versäumt, Jane alles genau zu erklären. Er weiß, was für ein Fehler er gemacht hat und glaube mir, er wird sich bemühen, das alles wieder in Ordnung zu bringen. Lass die beiden nur mal machen, das wird schon. Mit Gavin…….†œ, „ Halt, mal!†œ, unterbrach Lilli ihn, „wie, du hast in mir deine Gefährtin gefunden?†œ „Ja, Lilli. Du bist meine Gefährtin. Du bist für mich bestimmt. Ich hatte gleich, als ihr an Bord gekommen seid, so ein komisches Gefühl. Aber als wir dann das erste Mal allein waren und ich mich ganz auf dich konzentrieren konnte, ist es mir klar geworden. Du darfst dich jetzt aber nicht unter Druck gesetzt fühlen. Wenn du für mich nicht dasselbe empfinden kannst, wird diese Verbindung nicht stattfinden.†œ Lilli sah Fernando verwundert und etwas skeptisch an: „Oh, Okay!†œ Fernando musste wieder lächeln, als er ihren Gesichtsausdruck sah. „Darüber können wir später noch ausführlich sprechen. So jetzt also zu Gavin. Er hat das Problem, dass er im Schlaf die Kontrolle über sein Feuer verliert und das hat sich in letzter Zeit gehäuft. Er ist untröstlich, dass Lucy, sich an ihm verbrannt hat. Er möchte noch genauer mit uns darüber sprechen. Ich denke, er hat eine Ahnung, was mit ihm los ist. So und jetzt noch zu Tim, Kerstin und Drago. Da kann ich dir eigentlich nicht viel dazu sagen. Ja klar, was Tim und Drago da vom Stapel gelassen haben, ist absolut nicht in Ordnung. Wenn mich nicht alles täuscht, will sich Duncan die beiden noch zur Brust nehmen. Aber ich habe noch mit keinem von ihnen darüber gesprochen. Das angespannte Verhältnis von Drago zu uns Brüdern, spielt da wahrscheinlich schon eine große Rolle.†œ Fernando bekam einen abwesenden Gesichtsausdruck. Er ließ seinen Blick an Lilli vorbei an die Rückwand der Halle schweifen, so, als würde er an etwas ganz Entferntes denken. „Was ist zwischen euch vorgefallen?†œ, fragte Lilli. Fernando atmete tief durch und schaute sie wieder aufmerksam an. „Also, Drago gehört ebenfalls unserer Bruderschaft an und zwar schon lange. Doch eines Tages verschwand er spurlos, ohne ein Wort. Inzwischen wissen wir, dass er bei den Dragons eingeschleust wurde um sie auszuspionieren. Wir hatten bis jetzt keine Kenntnis davon. Das Problem dabei ist, auf unserem Anwesen lebte damals ein Mädchen namens Lindsay. Sie wuchs bei uns auf und war uns wie eine kleine Schwester. Zwischen ihr und Drago hatte sich eine Romanze entwickelt und als Drago verschwand, hat sie sich das Leben genommen. Der Verlust von ihr hat uns an den Rand des Erträglichen gebracht und wir haben das Drago nie verzeihen können.†œ Fernando schaute Lilli verzweifelt an und er hatte Tränen in den Augen. Nun streichelte Lilli seine Hände, um ihm ihr Mitgefühl zu zeigen. „Fernando, das dürft ihr nicht.†œ „Was dürfen wir nicht?†œ, fragte er verständnislos. „Ihr dürft Drago nicht dafür verantwortlich machen, und ihr dürft ihn nicht verstoßen. Er musste einen noch größeren Verlust ertragen als ihr. Er hat eine Liebe verloren. Er hat seine Brüder, deren Liebe und deren Vertrauen verloren. So schlimm es sich auch anfühlt oder auch anhört, Lindsay hat für sich alleine diese Entscheidung getroffen. Auch ich habe einmal vor dieser Entscheidung gestanden. Aber ich habe mich für das Leben und für meine Schwestern entschieden. Lindsay hätte sich auch für das Leben entscheiden können aber sie hat sich anders entschieden. Das dürft ihr Drago nicht zum Vorwurf machen. Ich denke er hat genug gelitten.†œ Fernando schaute Lilli verwundert an. „Wahrscheinlich hast du recht. Aus dieser Sicht habe ich es noch gar nicht betrachtet. Ich glaube, ich werde Morgen zu Drago gehen und mal mit ihm darüber sprechen. Er hatte ja noch nie die Gelegenheit sich dazu zu äußern oder jemandem seine Gefühle anzuvertrauen.
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Vielleicht kann ich ihm helfen, wieder in unsere Bruderschaft zurück zukehren. Obwohl das mit Tim, Kerstin und ihm noch etwas problematisch werden könnte.†œ
Fernando erhob sich und zog Lilli mit nach oben. „Was meinst du? Geht es uns beiden jetzt ein bisschen besser. Konnten wir das Eine oder Andere etwas klarer machen?†œ Lilli lächelte ihn an: „Ich denke ja, zumindest für mich. Ich bin total erledigt. Machen wir es uns auf meinem bequemen Ottomanen etwas gemütlich?†œ Fernando zog Lilli schon aus der Halle. „Ich dachte schon, du fragst mich nie.†œ
Nicht lange danach lagen die beiden engumschlungen in Lillis Kuschelecke und schliefen glücklich und zufrieden ein. Was währenddessen noch alles in dieser Nacht passierte, sollten sie dann am nächsten Morgen erfahren.
Eigentlich sollten sie die Tage auf See zum Trainieren und Kräfte sammeln nutzen. Stattdessen machten sie sich hier auf dem Schiff das Leben schwer. Sie versuchten zum Teil sich aus dem Weg zu gehen, aber trotzdem kam es immer wieder zu spannungsgeladenen Aufeinandertreffen. Warum mussten sie aber mit einem so verdammt attraktiven Haufen wie der Bruderschaft so eng zusammenarbeiten? Das musste ja zu Komplikationen in ihrer Gefühlswelt führen. Das Leben könnte so einfach sein. Noch gestern war Lucy überzeugt gewesen, die große Liebe gefunden zu haben, aber heute hatte sie schon wieder Zweifel. Gavin benahm sich seltsam, aber bisher hatte sie noch keine Gelegenheit mit ihm zu sprechen. Seit dem Brand in seiner Kabine ging er ihr aus dem Weg, und sie hatte nicht die leiseste Ahnung wieso.
Das Beste, was sie in dieser Situation tun konnte, war sich abzulenken, ablenken durch Arbeit. In New Orleans konnten sie eine zerstörte Festplatte sicherstellen und Lucy machte sich ans Werk, ihr ihre Geheimnisse zu entlocken. „Das wird schwer, du siehst nicht gerade gesund aus†œ, murmelte sie vor sich hin. Das Gehäuse der Festplatte war total verschmort und eine ziemlich übel riechende Substanz tropfte heraus. Da sie nicht genau wusste, mit womit sie es tun hatte, zog sie vorsichtshalber eine Schutzbrille an und streifte sich Handschuhe über. Das Gehäuse zu knacken war gar nicht so leicht, aber es gelang ihr die ferromagnetische Scheibe, im allgemeinen Sprachgebrauch auch Festplatte genannt, aus dem Gehäuse zu entfernen, ohne weiteren Schaden anzurichten. Ein Reinigungsbad sollte sie von Schmutz und Rückständen dieses stinkenden Schleims befreien. Doch vergaß sie nicht vorher noch eine Probe in ein kleines Glas abzufüllen. Den Schleim würde sie irgendwann später genauer untersuchen. „Sieht doch gar nicht schlecht aus†œ, stellte sie fest und entnahm die Platte dem Reinigungsbad. „Schauen wir doch mal, was du an Geheimnissen verbirgst†œ, sagte sie und legte die Scheibe in einen neuen Festpatten-Driver. Hoffentlich hatten sie Dragons damals nicht genügend Zeit die Daten unwiderruflich zu zerstören. Das Laufwerk summte leise und die ersten Daten erschienen auf dem Bildschirm. Allerdings waren es nur einzelne Buchstaben und Zahlen, bisher konnte sie noch nichts Brauchbares entdecken. Eigens für solche Zwecke hatte Lucy ein Programm entwickelt, das auch komplizierte Löschmodi rückgängig machen konnte. Vielleicht würde sie ja so an ein paar Informationen gelangen. Während das Programm seine Arbeit tat, stand Lucy auf, um sich einen Kaffee zu holen. Sie genoss die Stille im Raum, das leise Surren von den Computern und technischen Geräten wirkte beruhigend auf sie. Mit einem Piepton meldete ihr Programm, dass es seine Arbeit beendet hatte. „Na wer sagt†™s denn. Was haben wir denn da?†œ, fragte sich Lucy und begann die zerstümmelten Dateien zu prüfen und sortieren. Mit dem Ergebnis sichtlich zufrieden, rief Lucy sofort nach Duncan. Als Duncan den Computerraum betreten hatte, fand er sie ziemlich aufgeregt und ungeduldig vor. „Mir ist es gelungen ein paar Daten von der zerstörten Festplatte zu rekonstruieren und ich habe dabei eine interessante E-Mail über ein geplantes Treffen der Dragons gefunden, das musst du dir sofort ansehen!†œ, plapperte sie los und winkte Duncan zu sich herüber.
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„Schau, das Treffen ist schon morgen in Havanna, da müssen wir doch hin. Das ist eine einmalige Chance für uns an neue Informationen zu kommen!†œ Duncan entgegnete barsch: „Wer, und ob wir dahin gehen, entscheide immer noch ich!†œ
Er sah Lucys enttäuschte Miene und bereute auch schon wieder seine schroffe Zurechtweisung. Das war nun wirklich kein Grund, seine schlechte Laune an ihr auszulassen. „In Ordnung†œ, sagte er etwas versöhnlicher, „wir schauen uns das mal in Ruhe an. Ich rufe Sweetlife an, mal sehen, ob sie über das Treffen noch etwas herausfinden kann. Gute Arbeit, Lucy, aber jetzt geh schlafen.†œ
Obwohl Lucy immer noch viel zu aufgeregt zum Schlafen war, zog sie sich in ihre Kabine zurück.
Seit Stunden zermarterte ich mir meinen Kopf. Was war gestern in seiner Kabine geschehen? Ich konnte mich an nichts mehr erinnern! Plötzlich schoben sich ein paar Augen mit einem seltsamen Ausdruck in meine Gedanken. Ich hielt inne…was war jetzt das? Und auf einmal verspürte ich auch ein Ziehen in meinem Innern, das ich nicht kannte. Erschrocken starrte ich auf die leere Kaffeetasse in meiner Hand… wurde ich so langsam verrückt? Ich musste mich dringend ablenken, aber womit bloß? Norbert! Oh! An ihn hatte ich in den vergangenen Stunden überhaupt nicht gedacht. Und was hatte das jetzt zu bedeuten? Liebte ich ihn nicht mehr? Doch, irgendwie schon, aber nicht so, wie es eigentlich sein sollte, nicht so richtig tief und endgültig, so… für immer. Ich musste mit ihm reden! Jetzt sofort! Das duldet keinen Aufschub. Ich sprang auf, rannte zur Tür und gerade als ich sie aufgerissen hatte, stand Norbert mit einem verlegenen Gesichtsausdruck vor mir. „Wir müssen reden!†œ, sagten wir wie aus einem Mund und mussten lachen, „ Komm rein†œ, sagte ich mit einem Lächeln, „ich wollte gerade zu dir. Setz dich schon mal, möchtest du was trinken?†œ „Nein, danke.†œ „ Okay, dann schieß mal los†œ, forderte ich ihn auf. Er sah mich immer noch etwas verlegen an und räusperte sich: „Also,…man, das fällt mir nicht leicht jetzt, aber… okay!†œ Er atmete tief durch, und als er meinen geduldigen Blick sah, sprach er weiter: „Also, ich habe lange mit Jean gesprochen. Vielmehr er hat, also wir haben …†œ Da musste ich schmunzeln und sah ihn ruhig an: „Sprich einfach weiter, ich werde schon nicht sauer. Ich nehme an, ihr zwei habt über mich gesprochen, und Jean hat dir gesagt, was damals zwischen…†œ „Ja†œ, unterbrach er mich und sah mich liebevoll an. „Er hat mir alles erzählt. Aber dann sagte er etwas, dass mich sehr nachdenklich gemacht hat. Er liebt dich! Und bevor ich ihm eine reinhauen konnte, sagte er noch etwas sehr Entscheidendes: Dass er dich liebt, weil du ein liebenswerter Mensch bist.†œ Ach ja? Dann sag das mal Duncan! Als ich seinen Namen in meinen Gedanken aussprach, war dieses Ziehen wieder da, und seine Augen sahen mich an. Ich wurde etwas nervös, doch ich wollte das jetzt nicht! Also verdrängte ich es für den Moment und konzentrierte mich auf Norbert. „Aber eben nicht so, wie es eigentlich sein sollte, wie man seinen Gefährten lieben sollte, so tief und innig, an den man für immer gebunden sein möchte.†œ Da musste ich lachen, und er sah mich irritiert an. Schnell nahm ich seine Hand und sah ihm in die Augen. „Und du fühlst genau so, stimmt`s?†œ Er nickte nur stumm und sah mich erstaunt an. „Und du weißt nicht, wie du es mir sagen sollst? … Ach, Norbert†œ, lachte ich erleichtert, „genau das gleiche wollte ich dir auch sagen. Ich war gerade auf dem Weg zu dir. Das wir uns im Bett so gut verstanden haben, hatte wohl nicht viel mit der einen Liebe zu tun. Aber es war wirklich sehr, sehr schön.†œ Er sprang auf, nahm mich in seine Arme, drückte mich kurz an sich und sagte dann erleichtert: „Ja, das war schon etwas ganz besonderes zwischen uns. Oh Gott, bin ich froh, dass du genauso empfindest! Alles andere hätte ich mir nie verziehen. Jean und ich werden dich immer ein kleines bisschen lieben, ich vielleicht noch mehr, und wir werden immer für dich da sein. Als deine besten Freunde, auf die du dich immer und jederzeit verlassen kannst.
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Und wenn dir einer was will, dann bekommt er es mit uns zu tun!†œ „Okay, ich nehme dich beim Wort.†œ Ich wüsste da schon wen!
„Das kannst du auch†œ, sagte er und sah mich sehr ernst an. „Tut mir leid, aber Jean wartet auf mich… na ja, eigentlich auf uns beide.†œ „Ich kann nicht, ich habe noch was Wichtiges zu erledigen. Wir können uns ja später noch an der Poolbar treffen.†œ „Gute Idee, ich werde dann mit dem neuen Kapitän da sein und auf dich warten.†œ Er küsste mich auf die Wange und flüsterte mir ins Ohr: „Mh, eigentlich schade, ich könnte jetzt mit dir…†œ Ich schüttelte lachend den Kopf und schob ihn aus der Tür. „Geh lieber mit dem Wölfchen spielen.†œ Ach, wenn sich doch alles so unkompliziert und ohne Streit zum Guten wenden lassen würde…
Als mein Blick auf die Wodkaflasche fiel, wurde mir siedend heiß. Ich musste wissen, was in seiner Kabine vorgefallen war. Oh mein Gott! Hatte ich mich ihm vielleicht an den Hals geschmissen? Mir wurde ganz elend bei dem Gedanken! Das hielt ich nicht länger aus, ich musste zu ihm. Er musste doch wissen, was passiert war! Ich seufzte tief. Also auf in die Höhle des Löwen!
Ich war furchtbar nervös, als ich seine Kabine erreichte. Würde er überhaupt mit mir reden wollen? Seine Tür war nur angelehnt, und als ich die Stimme von Tiago hörte, wollte ich schon wieder kehrtmachen. Doch die Sache musste einfach geklärt werden, also musste ich hier warten, bis er wieder alleine war: „So, mein Großer. Alles wieder in Ordnung. Und wenn du … äh, ich meine bei dir noch mal eine Möwe Harakiri an dem Fenster versucht, äh… von innen, sag einfach Bescheid.†œ Dann sprach er mit gesenkter Stimme weiter. „Was sollte das übrigens mit Angie im Fitnessraum? Sie wollte doch nur…†œ „ Ich weiß genau, was diese kleine Hexe wollte!†œ, unterbrach Duncan ihn mit kalter Stimme, „aber das werde ich schon regeln, auf meine Art! Ich leite den Einsatz hier, was schon schwierig genug ist, und besonders jetzt, da Lucy noch etwas auf der Festplatte gefunden hat und sie wahrscheinlich nach Kuba will. Bowen ist im Moment auch zu nichts zu gebrauchen. Glaubst du, dass ich da noch jemanden brauche, die eure Hormone durcheinander wirbelt. Bestimmt nicht! So, danke für deine Hilfe, aber ich muss jetzt arbeiten.†œ Ich stand da wie erstarrt! „ Ach, dir ist ja nicht zu helfen†œ, sagte Tiago beim Rausgehen, und als er mich an der Tür sah, flüsterte er mir zu: „Sei bloß vorsichtig, der ist immer noch geladen.†œ Ich nickte ihm zu, trat leise ein und schloss die Tür hinter mir. Als ich ihn sah, konnte ich den Blick nicht von ihm wenden. Wie er so da stand mit dem Rücken zu mir, so groß und mächtig, ein bisschen düster und geheimnisvoll, so… unbeschreiblich, da ergriff mich eine tiefe Sehnsucht nach ihm. Plötzlich hatte ich die Gewissheit, sie durchfuhr mich wie ein Blitz! Es würde ab sofort nur noch IHN für mich geben, ER war derjenige, der ab sofort mein Leben sein würde. Ihn würde ich immer lieben, so tief und endgültig wie ich noch nie jemanden vor ihm geliebt hatte, so bedingungslos und unwiderruflich. Er war der Teil von mir, den ich gesucht hatte. Er würde immer meine Seele, meine Gedanken, mein Atem, und mein Herz sein. Für immer… für mich. Aber ICH würde das nie für ihn sein. Und damit würde ich wohl leben müssen, oder es zumindest versuchen… irgendwie.
Tränen brannten in meinen Augen, und eine tiefe Verzweiflung ergriff mich, aber ich würde nicht zusammenbrechen, nicht hier und nicht jetzt, nicht vor ihm in seiner Kabine. Dazu war später immer noch Zeit genug! Also schluckte ich meine Tränen runter und riss mich, so gut ich in dem Moment konnte, zusammen. „Duncan,… ich weiß zwar immer noch nicht, was ich dir getan habe und warum du was gegen mich hast, das ist ja schließlich auch deine Sache, aber ich muss wissen, was hier gestern passiert ist, ich kann mich an nichts erinnern, bitte!†œ Meine Stimme wurde immer leiser und dann versagte sie ganz. Als ich seinen Namen sagte, zuckte er zusammen. Er hatte wohl nicht mit mir gerechnet, und als er sich nach einiger Zeit langsam zu mir umgedreht hatte, traf mich die Kälte in seinem Blick diesmal besonders hart. „Ich hab dir doch schon gesagt, dass nichts passiert ist! Du bist hier betrunken rein gestürmt, hast mich total wild beschimpft und bist dann zusammengesackt. Ich … äh, hab dich aufs Bett gelegt… und dann bist du eingeschlafen… Mehr gibt†™s nicht zu erzählen!
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Also, was willst du noch von mir?†œ Zwischendurch hatte er einen so sonderbaren Ausdruck in seinem Blick, aber nun starrte er mich nur wieder kalt und wütend an. Und ich wusste genau, dass er log! Aber ich wusste in diesem Moment auch ganz genau, dass er das nie zugeben würde. Er drehte mir wieder den Rücken zu und starrte aus dem Fenster, das Tiago gerade eben ersetzt hatte. Ich wollte zu ihm, ihn in den Arm nehmen, ihn spüren und ihn schmecken. Und es tat weh, so verdammt weh, wie er so eiskalt da stand und mich ignorierte. Schnell steckte ich meine Hände in die Taschen meiner Jeans, um nicht doch noch in Versuchung zu geraten zu ihm zu gehen und in anzufassen, oder mich ihm an den Hals zu werfen. Seine Zurückweisung könnte ich nicht ertragen. Also versuchte ich einen möglichst würdigen Abgang hinzulegen, auch wenn es mich wahrscheinlich umbringen würde. Hoffentlich bemerkte er das leichte Zittern, das mittlerweile meinen ganzen Körper ergriffen hatte, in meiner Stimme nicht. „Ich möchte mich für meinen Auftritt hier entschuldigen, und was danach passiert ist… oder auch nicht, ich weiß ja nicht was… Es tut mir leid, dass ich auf dem Friedhof so einen Wirbel veranstaltet hab, es tut mir auch leid, dass ich euch dadurch alle in Gefahr gebracht habe. Okay, für den Hurrikan kann ich nun wirklich nichts. Aber wenn ich deiner Meinung nach auch daran schuld bin, bitte.†œ Ich sah, wie er seine Hände zu Fäusten ballte. Bitte nicht schon wieder… Daher beeilte ich mich und sprach schnell mit leiser Stimme, den Türknopf schon in der Hand: „Da du meinen Anblick ja offensichtlich nicht ertragen kannst, werde ich dich nie wieder belästigen, und ich werde versuchen, dir hier auf dem Schiff so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Und ich möchte dich bitten, dass du mir ebenfalls aus dem Weg gehst.†œ
„Nein†œ, flüsterte er und drehte sich kopfschüttelnd zu mir um, „es ist genug!†œ „Was meinst du damit?†œ, fragte ich ihn, und als er langsam auf mich zukam, starrte ich ihn nur erschrocken an. „Bitte nicht… ich†œ, doch weiter kam ich nicht. Er zog mich einfach in seine Arme und drückte mich mit einem verzweifelten Stöhnen an sich. „Ich kann nicht mehr†œ, flüsterte er und vergrub sein Gesicht in meinem Haar. „Und bei Gott, ich habe es versucht, mich von dir fernzuhalten. Die Gefährtinnen von uns Brüdern sind tabu für die anderen, das ist Gesetz. Aber es bringt mich um,… zu wissen, dass Norbert… †œ Dann sah er mich so traurig und zugleich so liebevoll an, dass mir die Tränen kamen. Ich nahm sein Gesicht in meine Hände und sah ihm tief in die Augen: „Duncan, ich liebe ihn nicht, und er mich auch nicht.†œ Dann zog ich seinen Kopf zu mir herunter und küsste ihn. Zum Reden war später noch Zeit…
Nach einem ziemlich anstrengenden Vormittag, den Doc damit verbracht hatte, die Legierung in ihre Einzelteile zu zerlegen, saß sie jetzt am Schreibtisch in der Krankenstation. Den Fehler in ihrem Gemisch hatte sie endlich ausfindig machen können. Als Don und Hack damals ihre Sachen durchwühlt hatten, fanden sie es wohl unheimlich einfallsreich, die Schildchen mit den Beschriftungen, die an den Phiolen hingen, auszutauschen. So hatte sie statt Gargoyle-Blut Grenadine-Essenz verwendet. Kein Wunder, dass die Ghule darauf nicht reagierten. Zufrieden, dem Fehler auf die Schliche gekommen zu sein, lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück und rieb sich die Augen. Ihr Blick schweifte durch das Fenster aufs Meer hinaus. Sie hatte jetzt eine ganze Weile Nachforschungen über Peru angestellt und herausgefunden, dass es dort Skorpione gab. Sie musste also unbedingt ein Gegengift mitnehmen. Unsterblich zu sein bedeutete im besten Fall wirklich Unsterblichkeit. Trotzdem gab es für jedes mythische Wesen die eine oder andere Weise in den Äther geschickt zu werden. Wenn auch so ein Skorpionbiss nicht unbedingt tödlich sein musste, er konnte auf jeden Fall einigen Schaden anrichten. Vor allem dann, wenn der Betroffene für ein paar Stunden ausgeknockt würde. „Hey Doc, hast du vielleicht einen Moment Zeit?†œ Cyrus stand mit einem sehr zerknirschten Gesichtsausdruck, der so gar nicht zu seinem sonst so sonnigen Gemüt passte, im Türrahmen.
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„Natürlich, komm rein.†œ Misstrauisch und abwartend blickte Doc ihn an. „Doc, ich möchte mich bei dir entschuldigen, wegen… ähm.. meinem Aussetzer in der vergangenen Nacht†œ, stotterte er drauflos. „Ich kann verstehen, wenn du mich jetzt verabscheust. Wenn es irgendeinen Weg gibt wie ich das wieder gutmachen kann, bitte, dann sag es mir. Ich fühle mich so mies.†œ Gequält schaute er sie an und wandte den Blick wieder ab. „Man, Cyrus, du hast mir einen verdammten Schrecken eingejagt, und wenn Bowen nicht plötzlich da gewesen wäre… Ich mag mir gar nicht vorstellen was dann passiert wäre! Du musst doch wissen wie schlecht du dich im Griff hast und damit rechnen, dass wir auch mal nachts an Deck sind.†œ „Ja, du hast Recht, ich muss mich halt daran gewöhnen, dass wir jetzt so hübsche Ladies an Bord haben. Doc, bitte, ich schwöre dir, so etwas wird niemals wieder vorkommen.†œ Sie musterte ihn abschätzend und ließ sich mit der Antwort Zeit. „Okay, Cyrus, vergessen wir die Geschichte. Dafür möchte ich aber bevorzugte Behandlung, wenn ich Drinks bestelle.†œ Er nickte langsam. „Ich hoffe, die Angelegenheit hat nicht der Freundschaft zwischen dir und Bowen geschadet.†œ Ungläubig sah er sie an. „Du verzeihst mir? Jane, du bist echt cool! Bowen hat wirklich Glück, dass du… Du hast auf jeden Fall ewig was gut bei mir. Bei ihm und mir ist alles beim Alten. Er hat mich schon des Öfteren vor Dummheiten bewahrt.†œ „Das ist gut. Ich möchte wirklich nicht, dass er wegen mir einen Freund verliert.†œ „Apropos Freund, Doc, ich bin vorhin bei ihm gewesen und ich habe ihn noch nie … es geht ihm überhaupt nicht gut.†œ Er sah ihr in die Augen und ihm entging nicht das Mitgefühl, das darin aufblitzte „Ich glaube, ich habe total überreagiert, trotzdem, er hätte mir von der ganzen Gefährtinnensache doch was sagen müssen.†œ Cyrus brauchte gar nicht weiter zu bohren, er sah es in ihren Augen, sie war genauso durch den Wind wie Bowen. Er würde seinem Freund, von seinem Eindruck berichten und hoffte, dass die beiden Königskinder bald wieder zusammen finden würden. Cy grinste Doc an und machte sich dann aus dem Staub. Doc wandte sich wieder ihren Recherchen zu, doch ihre Augen fingen bald an zu brennen. „Mist, diese modernen Computerdinger… eigentlich sind mir Bücher viel lieber, aber zur Informationsbeschaffung ist diese Technologie einfach viel effizienter†œ, dachte sie und stellte das Gerät aus. Sie entschied für heute Schluss zu machen und wollte duschen und dann irgendwo einen Happen essen. Vielleicht hätte ja eine ihrer Freundinnen Zeit, die Einsamkeit lastete zu dieser Zeit schwer auf ihr.
Als sie aus der Dusche gestiegen war und ins Schlafzimmer gegangen war um sich anzuziehen, hatte sie das Gefühl Bowens Geruch wahrzunehmen. Es löste sofort eine Welle der Sehnsucht bei ihr aus. Sie setzte sich aufs Bett, die Tränen konnte sie einfach nicht aufhalten. So etwas war ihr vorher noch nie passiert. Verschwommen sah sie etwas in ihrem Augenwinkel. Sie blinzelte die Tränen weg, und da sah sie, dass ein kleines Gänseblümchen auf ihrem Kopfkissen lag. Sie nahm es in die Hand und drehte es zwischen Daumen und Zeigefinger. Bowen, er war hier gewesen. Woher wusste er bloß, dass Gänseblümchen ihre Lieblingsblumen waren?
Sie ging zum Kleiderschrank und zog sich an. Dabei fällte sie eine folgenschwere Entscheidung, sie hatte es satt alleine rumzuhängen und sich mies zu fühlen. Sie war doch auf Bowen gar nicht mehr sauer, dafür vermisste sie ihn viel zu sehr. Warum also mit diesem Theater weitermachen? Sie musste zu ihm. Vor seiner Tür hielt sie kurz inne, dann klopfte sie zaghaft an und wartete. Keine Reaktion, sie klopfte noch einmal und diesmal ein wenig lauter, doch hinter der Türe war es totenstill. Sollte sie einfach die Karte benutzen, die sie noch hatte, und in seiner Kabine auf ihn warten? Sie überlegte kurz und zog dann die Karte durch das Lesegerät. Mit einem leisen Klicken öffnete sich die Tür und sie ging hinein. Bei dem Anblick, der sich ihr bot, blutete ihr Herz. Bowen saß auf dem Boden. Den Rücken zum Eingang gewandt, lehnte er an seinem Bett und blickte durch die Glasfront hinaus aufs Meer. Zwischen seinen Fingern hielt er ein Gänseblümchen. Er hörte ihre Schritte und drehte sich um, ihre Blicke trafen sich. Unglauben spiegelte sich in seinen Zügen wider. Langsam erhob er sich, blieb aber an Ort und Stelle stehen.
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Fortsetzung: Black Dagger Ladies Online – Zwischenstopp in Havanna