Seitensprung der Sisterhood
Duncan und ich betraten den großen Konferenzraum im Hauptgebäude dicht gefolgt von Doc Jane und Sam. Ich kannte den Raum noch nicht und sah mich neugierig um. Er war sehr nüchtern eingerichtet und vollgepackt mit technischen Geräten. Eine Wand bestand nur aus Monitoren – vor einem saß Demetri, der leise in sein Headset sprach und seine Finger über die vor ihm liegende Tastatur fliegen ließ.
Er lächelte nur kurz, hob flüchtig die Hand zur Begrüßung und widmete sich sofort wieder seiner Tätigkeit. Wir nahmen an dem schlichten ovalen Tisch Platz, an dem schon Tiago, Jean und Eric saßen. Da öffnete sich die Tür und Leif erschien. Mit einem kurzen Nicken in unsere Richtung setzte er sich ans andere Ende des Tisches. Duncans Augenbrauen zogen sich kurz zusammen, als er die Fee stumm betrachtete. Dann erwiderte er den knappen Gruß und legte demonstrativ seine Hand auf meine und drückte sie sanft. Doc stieß mich an und wir zwinkerten uns amüsiert zu.
Sie wusste nun alles, was in den vergangenen Wochen passiert war. Nach einem fantastisch zubereitetem Essen von Mary und einer kleinen, aber ausgelassenen Feier mit Tiago, Eric und Jean, haben wir die halbe Nacht gequatscht und uns gegenseitig auf den neusten Stand der Dinge gebracht.
Jetzt betraten Shadow und Mythos den Raum. Shadow stellte sich gleich an das Ende des Tisches und starrte einen Moment vor sich hin, dann hob er eine Hand und sofort trat Stille ein. Seine Augen schimmerten silbrig, als er uns der Reihe nach betrachtete. Mittlerweile kannte ich ihn gut genug, um zu wissen, dass er innerlich ziemlich aufgewühlt war, das aber hinter einer gleichgültigen Miene gut zu verbergen wusste. Auch dass er selbst hier stand, wo er doch eigentlich lieber im Hintergrund blieb und Mythos diese Aufgaben überließ, machte mich stutzig. Etwas Außergewöhnliches musste geschehen sein. Plötzlich saßen wir alle kerzengerade da und blickten ihn gespannt an.
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„Ich habe einige Neuigkeiten, die euch sehr interessieren werden!“, sagte er mit ernster Stimme und sah uns dabei der Reihe nach an.
„Es ist an der Zeit Sweetlife dazu zuschalten. Bitte sei so gut, Demetri.“
Alle waren still und blickten neugierig in Richtung des Computergenies. Auf dem großen Bildschirm an der Wand erschien ein Testbild, dann war Sweetlife an ihrem mächtigen Schreibtisch in ihrem Büro auf der Insel zu sehen.
Die Lautsprecher knisterten. Sweetlife lächelte freundlich in die Kamera.
„Seid gegrüßt, meine Lieben†, sagte sie mit ihrer rauchigen Stimme und schnippte dabei die Asche der unvermeidlichen Zigarette zielsicher in den gläsernen Aschenbecher. Sie wirkte besorgt und Doc überlegte, wie lange es her war, dass sie sie zuletzt auf der Insel gesehen hatte.
Shadow nickte Sweetlife zu und fuhr fort.
„Zuallererst muss ich dir von einigen Veränderungen, die den Orden betreffen, berichten. Tim hat eine Beurlaubung auf unbestimmte Zeit beantragt.†œ
Ein ungläubiges Raunen ging durch den Raum. Shadows Stimme unterbrach das darauf folgende laute Stimmengewirr.
„Ruhe, bitte. Um eure Fragen zu beantworten, Tim spielt mit dem Gedanken, den Bufo-Mönchen beizutreten. Er begleitet sie auf eine Pilgerwanderung nach Bethlehem, danach fällt er seine endgültige Entscheidung. Diese Mönche haben kein festes Kloster, sie reisen durch die ganze Welt, um ihre Missionen zu erfüllen. Wie mir einer unserer Agenten in Ankara berichtete, traf Tim sie während seines Urlaubs auf dem Weg zu einer Döner-Bude und sah, wie sie bei einer Krötenwanderung den Tieren über die Straße halfen. Er war ja schon immer sehr tierlieb und fing an, ihnen dabei zu helfen. In seiner Nachricht an den Agenten stand, dass Tim eine, wie er sagte, Eingebung hatte und dieses Leben als Mönch der Sinn seines Lebens sei und er allem Weltlichen abschwören wolle. Er lässt euch grüßen und wünscht euch viel Erfolg bei eurem nächsten Einsatz.†œ
Nach dieser Erklärung trat Stille ein. Ungläubig blickte sich jeder um. Doc sah ein Funkeln in Tiagos Augen, dann hielt er sich den Bauch und seine Schultern zuckten vor Anspannung. Er gab ein undefinierbares Quietschen von sich. Dann konnte auch Jean seine Fassung nicht mehr wahren. Er schmunzelte in die Runde und als er einen Schluck von seinem Kaffee nahm, sah er, dass auch Duncan ein breites Grinsen auf dem Gesicht hatte. Tiago bekam sich wieder in den Griff.
„Oh man, Tim in sonem roten Kleidchen, das würde ich zu gern sehen.†œ
„Bitte beruhigt euch wieder, das war noch nicht alles. Weiterhin müssen wir auch auf unbestimmte Zeit auf Kerstin und Drago verzichten. Am besten übergebe ich jetzt an Sweetlife.†œ Er nickte in ihre Richtung.
Die Anführerin des Sixpack räusperte sich kurz.
„Wie ihr ja wisst, ist Kerstin mit Drago nach Neuseeland zu seiner Familie gereist. Sie fühlt sich dort sehr wohl und wurde dort auch direkt in die Familie aufgenommen. Ihr kennt sie ja und wisst, wie hilfsbereit sie ist. Als die Schwester von Drago mit ihrem Mann von einem Einkaufsbummel nicht wieder heimkehrte, übernahm sie das Ausbrüten ihrer Eier. Das dauerte fast drei Wochen. Letzte Woche sind die kleinen Drachen geschlüpft und da sie Kerstin und Drago als erstes erblickten, halten die Drachenbabys die beiden nun für ihre Eltern. Bis das spurlose Verschwinden von Dragos Schwester nicht aufgeklärt ist, wird sich in erste Linie Kerstin um die 14 Kleinen kümmern. Natürlich hat sie alle Hände voll zu tun, sie steckt bis über beide Ohren in schmutzigen Windeln. Falls die richtige Mutter nicht bald wieder auftaucht, bin ich mir nicht sicher, ob Drago und Kerstin den Hort der Drachen überhaupt wieder verlassen werden. Die Jungen sind übrigens sehr niedlich, sie hat mir Fotos geschickt. Ich leite euch die E-Mail von ihr mal weiter.†œ
Doc und Angie waren sprachlos und konnten gar nicht fassen, dass ihre Schwester ihr aufregendes Leben tatsächlich für einen Mutterjob aufgegeben haben sollte. Sie blickten sich an, dann wieder auf den Monitor.
„Ich soll euch grüßen und ausrichten, dass ihr nicht allzu sauer auf sie sein sollt. Sie hofft, dass ihr ihr verzeiht, dass sie euch hängen lässt. Sie will euch das noch persönlich erklären. So, das war aber leider noch nicht alles an Neuigkeiten von mir.“
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Sweetlifes Gesicht flackerte auf dem großen Bildschirm, doch nach wenigen Sekunden hatte Demetri wieder ein klares Bild geschaffen. Ihre freundlichen Augen schienen jeden einzelnen von uns anzusehen.
„Ich habe letzte Woche einen Brief von Lilli aus Argentinien erhalten. Es würde zu lange dauern ihn komplett vorzulesen, also werde ich euch nur das Wesentliche mitteilen und das Original an euch schicken.
Auch sie ist sehr herzlich von der Familie Zoom aufgenommen worden. Doch nach einem Barbecue tauchte plötzlich Nandos Ex-Freundin Joana auf und verlangte von ihm endlich die Alimente für die gemeinsamen fünf Kinder. Wie ihr euch sicher vorstellen könnt, fiel Lilli aus allen Wolken, zumal diese Joana zu dem Zeitpunkt auch noch hochschwanger mit Zwillingen von ihm war.†œ
Oh nein! Wer hätte das von Nando gedacht? So wie es aussah, keine von uns. Die Jungs geizten nicht mit bissigen Kommentaren zu dem miesen Schuft! Die arme Lilli. Sweetlife gönnte sich unterdessen einen großen Schluck Kaffee aus ihrer Lieblingstasse mit dem Marienkäfernmotiv. Erst als Shadow eine Hand hob und wieder Ruhe eingekehrt war, sprach sie weiter.
„Lilli hat ihm das alles verziehen und will bei ihm bleiben. Jedoch kann sie ihr grünes Leuchten nach diesen dramatischen Ereignissen nicht mehr kontrollieren. Denn das war noch nicht alles. Seine Familie, die von alledem nichts wusste, hat ihn zusätzlich auch noch enterbt. Nur seine Großmutter hat ihn noch finanziell unterstützt, und so konnte Nando mit Lili zusammen eine Bäckerei aufmachen, in der sie Teutonisches Spezialitätenbrot anbieten. Sie sorgen nun gemeinsam für ihren Lebensunterhalt und auch für die Kinder, die Joana bei ihnen gelassen hat. Leider wohnen sie jetzt in einem ziemlich abgelegen Ort in der Wildnis und haben dort weder Computer noch Internet. Darum hat sie auch den Brief geschickt und Mail.
Lilli ist jetzt durch ihr dauerhaftes Leuchten natürlich für den Außendienst untauglich geworden und bat mich um die Freigabe aus dem Sixpack. Ich bin ihrem Wunsch nachgekommen und habe ihr auch in eurem Namen Grüße ausgerichtet. Ich hoffe, das war in eurem Sinn?†œ
Doc Jane und ich sahen uns einen Moment an und zuckten mit den Achseln.
„Na klar†œ, sagte Doc und ich nickte zustimmend. Was gab es da auch mehr zu sagen, wir konnten einfach nicht fassen, was aus unseren Schwestern geworden war? Doch Sweetlife war immer noch nicht fertig.
„Ich habe auch Nachrichten von Lucys Mutter aus Italien erhalten.
Lucy und ihr Bruder haben sich während der großen feucht-fröhlichen Wiedersehensfeier in Katzen verwandelt, wie alle Mitglieder der Familie. Das muss wohl bei den Gestaltwandlern so üblich sein. Und da sehr viel Rotwein und Grappa geflossen war, ist leider ein kleines Missgeschick passiert. Die beiden waren die einzigen, die sich nicht wieder zurückverwandeln konnten und sind daraufhin verschwunden. Kurze Zeit später wurden sie beim Streunen in den Gassen von Neapel erwischt und von tierlieben Menschen eingefangen und zum dortigen Tierheim gebracht. Es ist ein kleines privates Tierheim. Tja, und wie das so üblich ist mit Streunern sie… sie wurden kastriert.†œ
Sweetlife blickte todernst und fixierte einen imaginären Punkt über unseren Köpfen an, räusperte sich kurz, atmete tief ein und sprach weiter.
„Gavin fand die beiden leider zu spät. Lucy und Raphaello wurden schon an ein älteres Ehepaar vermittelt und leben jetzt außerhalb von Neapel in einem kleinen Dorf. Er hat alles Mögliche versucht, aber die beiden fühlen sich sehr wohl dort und da Gavin seit kurzem unter einer Katzenallergie leidet…†œ
Sweetlife musste den Punkt über uns höchst interessant finden, denn sie ließ ihn nicht aus den Augen. Mit unerschütterlicher Miene sprach sie weiter.
„Jedenfalls bleiben sie dort. Gavin ist daraufhin für den Rest des Urlaubs nach Cannes geflogen und hat dort bei den Filmfestspielen einen Job angenommen, um sich abzulenken. Er, als Feuerelfe, bedient dort die… ökologischen… Popcornautomaten…, die ohne Strom… Entschuldigt mich bitte einen Moment, mein Telefon!†œ
Überstürzt sprang Sweetlife aus unserem Blickfeld und wir starrten auf ihren leeren Schreibtisch. Telefon? Ihr Telefon stand still und schweigend auf dem Schreibtisch! Nur waren jetzt merkwürdige Laute zu hören, die verdächtig nach unterdrücktem Lachen klang.
Nach diesen Mitteilungen saßen wir alle mucksmäuschenstill da. Niemand wagte es, den anderen anzusehen. Eine Bewegung, ein Geräusch und die Hölle würden losbrechen. Als Duncan seinen Stift fallen ließ und unvermittelt unter dem Tisch verschwand um nach ihm zu suchen, wagte ich einen schnellen Blick in die Runde. Tiago griff blitzschnell zu einer Cola-Dose, die auf dem Tisch stand, öffnete sie mit einem Zischen und nahm hastig einen tiefen Schluck. Jean umklammerte seine Kaffeetasse mit beiden Händen und sah aus, als würde er angestrengt im Kaffeesatz lesen. Sam senkte seine Stirn langsam auf die Tischplatte und wagte nicht sich zu rühren. Eric saß mit gerunzelter Stirn und verschränkten Armen kerzengerade auf seinem Platz und blickte ernst vor sich hin. Leif hatte sich auf seinem Stuhl sehr weit zurückgelehnt und starrte angestrengt auf einen Punkt an der Decke.
„Hilfe†œ, murmelte er kaum hörbar. Ich schloss sofort meine Augen und biss mir fast die Zunge blutig. Himmel! Plötzlich gab Doc Jane neben mir ein unterdrücktes Glucksen von sich, gleich darauf noch eins. Das war´s! Schlagartig war es mit unserer Beherrschung vorbei und wir lachten alle lauthals los. Duncan schlug bei dem Versuch aufzustehen mit dem Kopf unter die Tischplatte, Tiago lief vor Lachen die Cola aus der Nase und Mythos sank in Zeitlupe seitwärts vom Stuhl. Leif kippte gleich mit dem ganzen Stuhl um und blieb einfach liegen. Duncan umklammerte, immer noch unter dem Tisch, meine Beine und wollte sich ausschütten vor Lachen. Sam bebte am ganzen Körper und trommelte mit der Faust auf den Tisch, ohne die Stirn von der Platte zu nehmen. Doc und ich lagen uns hinter seinem Rücken kichern in den Armen.
Es dauerte eine Weile bis wir uns wieder halbwegs beruhigt hatten. Ich wischte mir immer noch grinsend die Tränen ab und sah Shadow mit dem Rücken zu uns stehen. Auch seine Schultern bebten. Doch von ihm war kein Laut zu hören. Nur Eric saß immer noch kerzengerade mit zusammengezogenen Brauen da und erwiderte kopfschüttelnd meinen fragenden Blick.
„Oh nein, Angie, wenn ich jetzt anfange zu lachen, kann ich nie wieder aufhören, das schwöre ich dir!†œ
Sweetlife war noch nicht wieder aufgetaucht, aber sie musste noch in ihrem Büro sein, denn ihr herzliches ansteckendes Lachen klang ziemlich gespenstisch aus dem Monitor.
Plötzlich öffnete sich die automatische Tür mit einem leisen Zischen und ein Geist wankte in den Raum…
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Sofort war es totenstill im Raum und alle starrten zu der Gestalt, die im Türrahmen stand.
Es handelte sich offensichtlich um einen Mann, der an die zwei Meter groß war. Seine Beine waren in eine eng anliegende schwarze Lederhose gehüllt und seine Füße steckten in überkniehohen Stiefeln mit unzähligen Schnallen an der Seite. Geziert wurde das Ensemble noch von einem Killernietengürtel, an dem jede Menge Ketten herabhingen. Er trug ein schwarzes Hemd mit voluminösen Rüschen am Kragen und an den Ärmeln. Sein Hals zierte auch so ein Killernietenband. Das Gesicht war weiß gepudert und die Augen so dunkel geschminkt, dass sie wie schwarze Löcher wirkten. Auch der schwarze Lippenstift wirkte seltsam grotesk. Sein Outfit krönte ein grellpinker Irokesenschnitt, der zu Stacheln aufgestyled war.
Leif und Mythos standen langsam auf und blieben regungslos stehen. Die Gestalt bewegte sich einen Schritt in den Raum, die Tür schloss sich zischend hinter ihr. Doc runzelte die Stirn, denn was sie zuerst für einen Geist gehalten hatte, kam ihr vage bekannt vor. Da das Anwesen so abgesichert war, dass keine Unbefugten eindringen konnten, stellte diese Person jedenfalls keine Bedrohung dar, also verhielten sich alle ruhig. Doc scannte die Person von oben bis unten und von unten bis oben. Ihr Gesicht blieb an den bernsteinfarbenen Augen hängen.
„Cyrus?“, hörte sie sich sagen, doch war es kaum mehr als ein Flüstern. Sie wusste nicht genau warum, aber ja, die Augen… sie kannte diese Augen nur zu gut. Doch nichts an dieser Aufmachung hätte sie glauben lassen, es könnte sich um ihn handeln. Sie blinzelte, dann noch einmal.
„Ja, ich bin´s. Es war gar nicht so leicht das Anwesen zu finden und ich warne euch, ich will keine blöden Sprüche hören.†œ
Es trat wieder Stille ein und alle blickten sich betreten. Dann ging das Gelächter wieder los.
„Tut mir leid.†œ, sagte Jean lachend, „aber das geht beim besten Willen nicht, du siehst aus wie eine Ugly-Betty-Puppe.†œ
„Los, raus mit der Sprache, warum siehst du aus wie Chucky in echt?†œ, forderte Tiago eine Erklärung.
Duncan, der sein Schmunzeln nicht mehr vom Gesicht zu bekommen schien, zog Angie auf seinen Schoß und vergrub sein Gesicht ich ihren Haaren, als er Cyrus lauschte. Shadow stand derweil mit gerunzelteter Stirn da und blickte auf den Werwolf. Cyrus seufzte laut.
„Okay, ich komme sowieso nicht drumherum. Ihr kennt doch noch meinen Cousin Jean-Claude?†œ, fragend sah er in die Runde und Doc musste einen neuen Lachanfall unterdrücken.
„Er hat bei uns Zuhause in Beauport, einen neuen Club eröffnet.†œ
„Was? In eurem Dorf gibt es einen Stripclub?†œ fragte Jean grinsend.
„Ja, genau, das Danse Macabre. Ich hab´ Jean-Claude damit aufgezogen und gewettet, dass der Club bei der Eröffnung kläglich versagen wird. Ich meinte, es würde sowieso niemand kommen und nie gedacht, dass dafür eine Nachfrage besteht. Leider hat sich in den letzten Jahren die Szene dort sehr verändert und ich habe die Wette verloren. Ich musste als Showmaster dort die Acts ansagen und natürlich entsprechend aussehen. Jean-Claude hat sich natürlich köstlich amüsiert und bei meinem Kostüm kein Klischee ausgelassen. Ich musste mich so beeilen herzukommen, dass ich noch keine Zeit hatte mich umzuziehen. Außerdem brauche ich noch gleich ein Foto von mir in diesem Aufzug hier, das ich ihm mailen muss. Er wollte unbedingt, dass ich so hier aufkreuze. Er meinte, dass dürfe er euch keinesfalls vorenthalten.†œ
„Schade, dass es der letzte Tag ist heute†œ, meinte Tiago, „mit dir wären wir endlich mal in diesen Gothicclub reingekommen, in dieses Guilty Pleasure.†œ Cyrus strafte ihn mit einem bösen Blick und setzte sich an den Tisch, gegenüber von Doc und Sam.
Stirnrunzelnd betrachtete er den Engel, sagte aber kein Wort. Tiago konnte es sich nicht nehmen lassen, Cyrus die Neuigkeiten der anderen Mitglieder mitzuteilen. Ein lautes Räuspern lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf den Bildschirm. Sweetlife saß wieder am Tisch, sie hatte glänzende Augen und ihre Wimperntusche war etwas verschmiert, doch sie versuchte ganz geschäftsmäßig und ernsthaft zu wirken. Sie nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. Ihre Augen wurden groß, als sie Cyrus erblickte, und fixierten dann angestrengt einen Punkt irgendwo an der Wand.
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Doch diesmal hatte sie sich schneller wieder im Griff. Nach einem kurzen Räuspern nickte sie auffordernd in Shadows Richtung. Der legte sogleich einen Gegenstand auf den Tisch, den ich noch nie vorher gesehen hatte. Ein circa 10×15 cm großes Kästchen aus blank poliertem dunklem Holz, an dessen Vorderseite einige kleine Edelsteine eingelassen waren. Die winzigen Steine, ich glaube es waren Saphire, umgaben ein kleines Schloss in einem scheinbar willkürlichen Muster. Neugierig betrachteten wir diesen Gegenstand näher. Doch bevor wir Fragen stellen konnten, klärte uns Sweetlife auf.
„Das ist die Schachtel der Petra, die Jane und Sam aus Irland gerettet haben. Ihr Inhalt wird euch helfen den Drachen endgültig zu vernichten. Sie ist seine Achillesferse nach der wir so lange gesucht haben. In diese Schachtel wurde vor vielen Jahrhunderten von seiner Gefährtin Petra das Herz von Dungeon verbannt, als er sich der schwarzen Magie zuwandte und eine Gefahr für die Menschheit wurde. Petra selbst hat die Schachtel in die Unterwelt gebracht und dort versteckt. Sie hat ihren Dienst leider mit dem Leben bezahlt. Wie die Schachtel in Irland auftauchen konnte, ist uns nicht bekannt. Aber das ist auch nicht wichtig, wichtig ist nur, dass sie jetzt in unserem Besitz ist. Sie darf aber unter keinen Umständen zu früh geöffnet werden! Dungeon würde sofort ihre Signatur erkennen und niemand könnte ihn bei dem Versuch, sie wieder in seine Gewalt zu bringen, aufhalten. Sollte sie jemals in seine Hände gelangen, wäre er unbesiegbar und seine Macht unermesslich. Die Schachtel ist nur mit einem bestimmten Schlüssel zu öffnen und zusätzlich mit einem Schutzzauber umgeben. Auch wer diesen Zauber zu früh bricht, würde den Drachen sofort auf seine Spur bringen.†œ
Alle betrachteten die Schachtel nun mit ziemlichem Respekt. Sie lag da wie eine Granate, eine scharfe Granate, die jeden Moment hochgehen konnte.
„Und wo ist der Schlüssel?†œ, fragte Leif interessiert. Doc griff beherzt nach der Schachtel und betrachtete sie von allen Seiten.
„Ich kenne das Muster†œ, flüsterte sie kaum hörbar, „das ist auch kein Muster, das sind Schriftzeichen, die ich schon einmal gesehen habe, ich weiß nur nicht mehr wo…?†œ Sie legte die Schachtel zurück und zog nachdenklich die Stirn kraus. Mit einem triumphierenden Lächeln legte Schadow einen circa 20 cm großen, antiken goldenen Schlüssel auf den Tisch, direkt neben die Schachtel.
„Hey, das ist doch der Schlüssel, den Bowen und ich in Peru gefunden haben†œ, rief Jane überrascht und sprang auf. „So einen Zufall gibt es doch nicht! Und wie soll er in das Schloss passen? Er ist doch viel zu groß! Außerdem sind es arabische Schriftzeichen, die auf ein Portal hindeuten. Das hat Bowen damals gesagt. Es kann also niemals der richtige Schlüssel sein!†œ
Als der Name Bowen fiel, wurde es plötzlich ganz still im Raum. Sichtlich aufgewühlt starrte Doc Shadow an. Ob sie in dem Moment an die Umstände dachte, unter denen sie mit Bowen den Schlüssel gefunden hatte? Sie hatte mir die Episode damals erzählt, auch den romantischen Teil. Ich biss mir auf die Lippen und hoffte, dass die Erinnerungen nicht zu schmerzhaft für sie waren. Beschwichtigend hob Shadow eine Hand und lächelte Jane beruhigend an.
„Es war wirklich einer der großen Zufälle, die im Leben passieren. Vielleicht war es auch Schicksal, dass ihr den Schlüssel gefunden habt? Es könnte auch sein, dass Moggovitor ihn dort für euch platziert hat. Es ist ihm erlaubt, zu lenken, aber niemals darf er aktiv eingreifen ohne ausdrücklichen Wunsch. Aber wer weiß das schon, letztendlich zählt nur, dass der Schlüssel, genau wie die Schachtel, in unserer Hand ist.†œ
Als Shadow das Wort übernommen hatte, setzte Jane sich wieder und rückte näher zu Sam. Innerlich atmete ich erleichtert auf, sie schien endgültig über Bowen hinweg zu sein. Jetzt lauschte sie, wie wir alle, gebannt Shadows Erklärungen, eine Hand lag vertraut auf Sams Arm.
„Duncan hat ihn mir gleich nach seiner Ankunft hier übergeben und ich habe in zunächst zu einigen anderen antiken Artefakten gelegt. Erst als Sweetlife mir von der Schachtel berichtete und mir ein genaues Bild von ihr übermittelt hatte, bemerkte ich die frappierende Ähnlichkeit der Muster und begann in meinen alten Schriften zu forschen. Da ich Magie spüren konnte, hatte ich sofort die kleinen feinen Schwingungen, die die Schachtel umgaben, gespürt. Nur bei dem Schlüssel regte sich nichts, er blieb ein toter Gegenstand.“
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„Diese Schriftzeichen sind nicht arabischen Ursprungs. Sie sind eine längst vergessene Sprache der Drachen. Diese Zeichen sind dem Arabischen sehr ähnlich und daher leicht zu verwechseln, sie haben aber eine vollkommen andere Bedeutung. Dennoch konnte ich sie entschlüsseln!†œ Er schrieb mit seiner eleganten, etwas altertümlichen Schrift nur einen Satz an die Flipchart.
„Im Inneren liegt der Schlüssel zum Erfolg, auf die eine oder andere Art.†œ
Mh, das war aber nicht sehr spektakulär. Ich hatte mit einem schwerlösbaren Rätseln gerechnet, umständlichen Hinweisen, komplizierten Wortspielen, etwas in der Art.
„Na, das ist ja nicht schwer†œ, bemerkte ich, „das Herz ist ja in der Schachtel. Aber der Schlüssel passt trotzdem nicht, er bleibt nun mal zu groß.“
„Geduld. Was für die Schachtel gilt, gilt auch für den Schlüssel, denn auf beiden sind ja dieselben Zeichen.†œ
Shadow nahm den Schlüssel, drehte zu unserem Erstaunen den Griff ab, und ließ aus einem Hohlraum eine Art pechschwarze, zweizackige Cocktailgabel, halb so groß wie mein kleiner Finger, auf den Tisch gleiten. Er nahm die Gabel auf und hielt sie hoch, damit sie jeder sehen konnte.
„Fein poliertes Obsidian. Seht euch nur die einzigartigen Muster auf den Zinken an, die Unebenheiten, eine hervorragende Arbeit eines unbekannten Künstlers. So etwas ist äußerst selten – und sie passen genau in das kleine Schloss.†œ
Augenblicklich wurde es unruhig in dem Raum. Woher wollte er das so genau wissen?
„Natürlich konnte ich das nicht praktisch prüfen, ohne den Drachen zu wecken. Aber, ich habe da so meine Methoden. Das ist der richtige Schlüssel!†œ, versicherte er abschließend und legte ihn in gebührendem Abstand zu der Schachtel wieder auf den Tisch. Er ließ uns einen Moment Zeit das Gehörte sacken zu lassen. Shadow und seine Geheimnisse, dachte ich schmunzelnd, aber ich glaubte und vertraute ihm. Duncan lehnte sich zurück und streckte seine langen Beine aus.
„Jetzt wissen wir das Wie, aber noch nicht das Wo†œ, warf ich zweifelnd ein.
„Dazu komme ich jetzt†œ, sagte Shadow, öffnete in aller Ruhe eine Flasche Wasser und trank ein paar Schlucke. Oh, er verstand es wunderbar, uns auf die Folter zu spannen, dachte ich und rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her. Mit einem überlegenen Lächeln fuhr er endlich fort.
„Dungeon hat sich nach seiner Niederlage in Peru und der Vernichtung der Klone zunächst an einen unbekannten Ort zurückgezogen, um seine Wunden zu lecken. Nur Battle, sein schwarzer Magier und seine Kumpanen, waren in seinem Namen ziemlich aktiv – wie ihr ja wisst.†œ
Oh ja, wenn ich nur an den Angriff auf Duncan in Le Havre dachte, lief mir immer noch ein kalter Schauer über den Rücken.
„Nun ist es einem unserer Agenten, der eine der Spuren verfolgt hatte, gelungen, ihn auf Sizilien zu orten. Er hat sich wahrscheinlich in eine der zahlreichen Nebenhöhlen des Ätnas zurückgezogen. Wo genau, ist uns leider nicht bekannt. Aber er ist noch dort. Eure Aufgabe wird es nun sein, ihn aufzuspüren und ihn zusammen mit dem Inhalt der Schachtel in die glühende Lava zu werfen. Das wäre nicht nur seine endgültige Vernichtung, sondern auch die seiner Anhänger. Er hat sie so fest an sich gebunden, dass sein Tod auch der ihre bedeuten würde.†œ
Ein paar Sekunden war es totenstill, dann brach ein wahrer Begeisterungssturm los. Jubelnd klatschten wir uns gegenseitig ab und trommelten auf den Tisch. Na, das waren ja mal gute Neuigkeiten! Wir hatten einen Anhaltspunkt, endlich ging es wieder in die Schlacht! Wir alle waren mehr als bereit und brannten darauf, dem elenden Mistkerl gehörig in seinen geschuppten Hintern zu treten und ihn ein für allemal zur Strecke zu bringen! Okay, das mit der Lava würde nicht so einfach werden, aber für alles gab es schließlich einen Plan! Mit einem grimmigen Lächeln stand Duncan auf und wandte sich an Shadow.
„Gib mir eine Stunde, dann habe ich das Team zusammen und einen todsicheren Plan.“ Shadow erwiderte sein Lächeln und nickte.
„Nichts anderes habe ich erwartet†œ, sagte er vertrauensvoll und klopfte ihm auf die Schulter, dabei funkelten seine Augen dämonisch wie flüssiges Silber, sein Enthusiasmus war ansteckend.
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Sweetlife vertraute ihm offenbar auch, denn sie verabschiedete sich mit herzlichen Worten und mit dem Hinweis, dass wir in Verbindung bleiben. Sie hatte wie immer noch einen dringenden Termin.
Als der Monitor wieder automatisch auf Standby schaltete, öffnete sich die Tür mit einem leisen Zischen.
„Ah, da ist ja auch schon Mary. Sie hat einen kleinen Imbiss für euch vorbereitet. Habt ihr noch Fragen?†œ
Wir sahen uns an und zuckten mit den Schultern. Eigentlich war alles soweit klar… nur ich hatte eine Frage, aber die hatte nicht wirklich etwas mit dem Fall hier zu tun und konnte noch ein bisschen warten.
„Nicht? Gut, dann werde ich mich jetzt mit Mythos zurückziehen und euch das Feld überlassen.†œ Shadows Lächeln war äußerst befriedigend, als er vom Tisch zurück trat, um Mary Platz zu machen. Ich wartete also geduldig, bis Mary die Platten mit Sandwiches und kleinen Snacks auf dem Tisch verteilte und jedem mit vielsagendem Blick eine Servierte in die Hand gedrückt hatte. Nachdem sich die Tür hinter ihr, Shadow und Mythos lautlos geschlossen hatte, platzte ich mit meiner Frage heraus.
„Wer ist Jean Claude?†œ
Doc nickte zustimmend neben mir.
„Oh ja, das würde ich auch gerne wissen.†œ
Plötzlich wirkten die Jungs seltsam verlegen, drucksten herum und waren auf einmal sehr beschäftigt mit so wichtigen Sachen wie die Flaschen auf dem Tisch neu zu ordnen oder lose Blätter und Stifte auf dem Tisch hin und her zu schieben. Wie aufs Stichwort flackerte auf einmal der Monitor und ein gutaussehender Mann erschien, der mit melodischer tiefer Stimme und mit einem leichten französischen Akzent zu sprechen begann.
„Cyrus mein Lieber, bist du wohlbehalten angekommen?†œ Doc und ich starrten den hinreißend attraktiven Mann auf dem Monitor mit großen Augen an. Er war circa 1.80 cm groß, schlank, hatte blauschwarze Locken, die ihm offen bis zur Taille reichten und unverschämt tiefblaue Augen. Sein Gesicht war schon fast zu makellos für einen Mann. Seine schönen sinnlichen Lippen hatte er zu einem lasziven Lächeln verzogen, so dass die Spitzen seiner Eckzähne aufblitzten. Er stand lässig angelehnt an einer glänzenden Metallstange, die bis zur Decke reichte. Mit blankem Oberkörper und nur mit einem schmalen Lederetwas um die Hüften. Seine Stiefel glichen denen von Cyrus, sie gingen auch bis weit über die Knie, nur fehlten die unzähligen Schnallen. Ich vermutete, dass sie aus feinstem Wildleder gearbeitet waren, denn sie schmiegten sich wie eine zweite Haut um die Beine und ließen einen schmalen Streifen seiner nackten Oberschenkel frei. Höchst interessant war auch der Hintergrund. Der Mann schien sich in einer Art Bar aufzuhalten, wohl eher in dem Stripclub, den Cyrus erwähnt hatte. Dank moderner Technik konnten wir den ganzen Raum überblicken. Das Licht war schummrig, die Musik wummerte und… holla, an eben diesen langen Stangen, die in dem Raum verteilt angebracht waren, räkelten sich aufreizend, mehr oder weniger, halbnackte gutgebaute Männer, nur mit schmalen Lederstreifen bekleidet, die notdürftig die strategisch wichtigen Punkte bedeckten. Brillant in Szene gesetzt von Spotlights, die an ihren glänzenden Körpern auf und ab wanderten. Unwillkürlich beugten Doc und ich uns weiter über den Tisch, näher zum Monitor.
„Wow!†œ, hauchten Doc und ich im Chor. Das musste ein Stripclub für Frauen sein. Denn das Publikum war, soweit wir das erkennen konnten, ausschließlich weiblich. Wow, sowas gab es in Kanada?
„Das ist Jean Claude… wie er leibt und lebt!†œ, bemerkte Cyrus trocken und verdrehte die Augen. Dieser zwinkerte uns schamlos aus halbgesenkten Lidern zu und ließ eine Reitgerte geschmeidig durch seine langen Finger gleiten, bevor er mit der Spitze wedelte und auf uns zeigte.
„Warum hast du mir verschwiegen, dass ihr zwei so reizende Schönheiten in eurer Bruderschaft habt, mein lieber Cousin?†œ Doc streckte einen Arm über den Tisch und wedelte mit der Hand ohne die Augen von dem Monitor zu nehmen.
„Tiago? Kann ich was von deiner Cola haben? Mir ist so warm…. Sind das aber hohe Stiefel.†œ Ich griff nach dem Blatt Papier, das vor mir lag und wedelte mir Luft zu.
„Ist die Klimaanlage kaputt? Puh, ist das heiß hier! Guck mal Jane, der Blonde ganz links… also der kann sich ja verrenken. Noch ein bisschen tiefer und ihm verrutscht die….†œ
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„DEMETRI!†œ, brüllte Duncan laut. Plötzlich war der Bildschirm wieder schwarz. Oh schade, gerade wo es interessant wurde. Doc und ich zogen einen Flunsch und blickten zu Demetri. Der zuckte mit den Schultern und hob entschuldigend beide Hände.
„Sorry, muss ein Übertragungsfehler gewesen sein.†œ Ja klar! Jane und ich grinsten uns an. In ihren Augen funkelte der Schalk.
„Jungs, wie wäre es, wenn wir, natürlich erst nachdem wie den Drachen erledigt haben, eine Reise nach Kanada machen würden?†œ, fragte Doc. Ihre Stimme klang nicht nur schwer begeistert, sondern hatte auch einen klitzekleinen doppelzüngigen Unterton.
„Nein!†œ
Waren das Sam und Duncan? Oder alle Jungs gleichzeitig? Als Sam und Duncans tiefes Knurren und unser Kichern langsam abklangen, entspannten sich alle wieder und unterhielten sich leise, dabei verputzten wir Marys köstlichen Sandwiches. Duncan setzte sich zu Demetri und machte sich Notizen. Er arbeitete sehr konzentriert an dem Plan. Verträumt betrachte ich ihn leise seufzend. Wie er wohl mit solchen Stiefeln aussehen würde? Bestimmt umwerfend. Auch so ein winziges Lederetwas stände ihm bestimmt super gut. Meine Fantasie machte gerade große Sprünge, riesengroße. Schnell schob ich mir den letzten Bissen in den Mund und griff wieder zu dem Blatt Papier.
Duncan brauchte nicht mal eine halbe Stunde, als er sich mit nachdenklicher Miene wieder neben mich setzte, mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn gab und sich wortlos die Platte mit den letzten Sandwiches heranzog, die er genüsslich verschlang. Geistesabwesend streichelte er mir dabei mal über meinen Arm oder meine Hand. Obwohl ich vor Ungeduld und Neugierde fast platzte, verkniff ich mir, ihn anzusprechen und ließ ihn in Ruhe seinen Gedanken nachhängen, auch wenn es mir verdammt schwer fiel. Die anderen schienen an seine Schweigsamkeit in solchen Fällen gewöhnt zu sein, denn sie warfen ihm nur einen flüchtigen Blick zu, ohne ihre Gespräche zu unterbrechen und ignorierten ihn dann wieder.
Endlich spülte er die letzten Bisse mit einer Cola runter, putzte sich artig den Mund mit seiner Servierte ab, die ich ihm stumm reichte und warf sie auf die leere Platte. Dann schlug er mit der flachen Hand kurz auf den Tisch.
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Sofort verstummten die Gespräche und alle Augen waren auf ihn gerichtet.
„Zuerst müssen wir wissen, ob es etwas Neues von der Trollfront gibt. Leif?†œ
Leif schüttelte bedächtig seine blonde Mähne.
„Nein, alles Ruhig. Eigentlich verdächtig ruhig, aber hier in Schottland halten sich auch nur noch sehr wenige auf. Ich mache mich gleich wieder auf den Weg und werde meine Augen und Ohren aufhalten. Ich werde euch benachrichtigen, wenn sich etwas regt.†œ
Duncan nickte flüchtig und sprach gleich weiter.
„Gut. Jetzt zum Team. Angie, Jane, Cyrus, Jean, Tiago, Eric, Sam und ich werden morgen Früh mit dem Heli nach Sizilien fliegen und außerhalb von Maletto landen, ganz in der Nähe der Basis, in der unser Agent schon auf uns wartet. Dort ist auch einer der geheimen Zugänge zu dem Vulkan. Sam, du wirst den Heli fliegen.†œ
Der Angesprochene nickte sofort zustimmend. Seine funkelnden Augen waren ernst und konzentriert auf Duncan gerichtet, während er Docs Hand nicht losließ. Sie hatte gut gewählt, offensichtlich war er ein Mann mit vielen Talenten.
„Angie und Jane, ihr seid für den Schutzzauber der Schachtel zuständig und werdet ihn zur gegebenen Zeit außer Kraft setzten. Eric wird vor Ort mit Demetri verbunden bleiben. Jean und Tiago, ihr beiden Spürnasen macht Dungeon in dem Vulkan ausfindig. Cyrus, du kannst sie unterstützen und wirst Fernandos Stelle als Heiler einnehmen. Doc wird dich unterstützen. Unsere weitere Vorgehensweise klären wir dann vor Ort. Fragen?†œ
„Was ist mit Waffen?†œ, warf Eric ein.
„Nur die eigenen. Alles andere ist schon in der Basis.†œ
Jean der Waffenmeister zeigte mit dem Daumen nach oben, ein kurzes zustimmendes Kopfnicken der anderen… das war´s auch schon mit der Besprechung. Hoppla, das war aber kurz und knapp. Ein bisschen verwirrt standen auf. Jane sah mich an und ich konnte auch nur ratlos mit den Schultern zucken. Vermutlich erinnerte sie sich gerade, genau wie ich, an unsere Teambesprechungen auf der Insel. Da ging es jedes Mal wesentlich lauter und lustiger zu, auch wurde jedes Detail bis ins Kleinste diskutiert. Aber das gehörte nun der Vergangenheit an. Offenbar waren wir jetzt also offizielle Mitglieder der Bruderschaft, ohne viel Tamtam und das ganze Brimborium einer feierlichen Aufnahme. Oh, und ebenfalls ohne schmerzhafte Stechen eines Orchideen-Tattoos, dem Zeichen der Bruderschaft. Mir konnte es nur Recht sein. Die Jungs standen noch um den Tisch herum und schienen auf etwas zu warten. Duncan erwiderte meinen fragenden Blick und plötzlich verzogen sich seine Mundwinkel zu einem unheimlichen Lächeln.
„Also los, Brüder… und Schwestern! Heizen wir dem Mistkerl ordentlich ein!†œ
Duncan reckte seine geballte Faust in die Mitte und wir berührten sie unaufgefordert mit unserer. Ein lauter Schlachtruf aus allen Kehlen bekräftigte unsere Absicht den Drachen endgültig in den Schlund der Hölle zu schicken. Kurz darauf verabschiedete sich Leif hastig und verließ den Raum, auch der Rest verstreute sich. Nur Duncan, Doc, Sam, Demetri und ich blieben noch. Duncan ging zu Demetri und beugte sich über die Tastatur um etwas einzugeben, als Jane Sam hastig etwas ins Ohr flüsterte und mich dann mit besorgtem Gesichtsausdruck und einer gemurmelten Entschuldigung in Duncans Richtung auf die Seite zog.
„Wie stellt Duncan sich das eigentlich vor?†œ flüsterte sie, als wir mit dem nötigen Abstand zu den Jungs in einer Ecke standen, „woher sollen wir wissen, welches der richtige Spruch ist? Drachenmagie ist sehr kompliziert, wie du weißt. Dagegen war die Sache in Peru, als wir gemeinsam den Magier eliminiert haben, ein Kinderspiel. Denk doch nur mal an das Malheur mit Ef-Ef… wenn da was schief geht… nicht auszudenken!†œ
Verdammt, sie hatte Recht. Daran hatte ich überhaupt nicht gedacht! Mit Drachenmagie kannte ich mich nicht besonders gut aus, obwohl einige zu meiner Familie gehörten. Sie war einfach zu komplex. Wir durften uns nicht den kleinsten Fehler erlauben. Aber ich hatte schon eine Idee, wer uns da helfen konnte. Beruhigend klopfte ich ihr auf den Arm und ging zurück zu Duncan.
„Ich habe mit Doc noch etwas zu erledigen, mein Schotte. Wir treffen uns dann später in der Villa, ja?†œ Duncan sah auf und küsste mir flüchtig auf die Stirn.
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„Schon gut, ich habe mit Sam und Demetri auch noch Einiges zu besprechen.†œ
Schon beugten er und Sam sich wieder zu Demetri, und ich machte mich mit Doc auf zu Shadows Gemächern. Natürlich hätten wir den Aufzug benutzen können, der uns direkt von dem Konferenzraum zu Shadow gebracht hätte. Doch ich fand den anderen Weg viel amüsanter. Unterwegs zur Villa erzählte ich ihr die Geschichte von dem Geheimgang und meiner ersten Begegnung mit Shadow. Kichernd liefen wir durch den Gang und stolperten dann durch die Geheimtür, geradewegs in den großen Saal mit der wunderschönen Kuppel. Jane blieb abrupt stehen und sah sich um.
„Wow… du hast recht! Das ist ja wirklich beeindruckend!†œ
Da ich mich hier schon bestens aus kannte, überließ ich sie einen Moment ihrer Begeisterung und suchte unterdessen nach Shadow. Der saß in trauter Zweisamkeit mit Libell vor dem Kamin und trank Tee. Er hatte uns natürlich schon bemerkt und sprang sofort auf. Mit einem einladenden Lächeln eilte uns entgegen. Libell folgte ihm nur zögernd und blieb in einigen Metern entfernt abwartend stehen. Neugierig musterte sie erst mich, dann Doc. Ach ja, die beiden kannten sich noch nicht persönlich, sondern nur aus meinen Erzählungen. Nachdem ich die beiden rasch einander vorgestellt hatte, unterrichtete ich Shadow von der Teambesprechung und erklärte ihm unser Dilemma. Er überlegte kurz und rieb sich nachdenklich das Kinn. Dann schnippte er mit den Fingern und führte er uns in einen abgelegenen Teil seiner riesigen Bibliothek. Er blieb vor einem recht unscheinbaren kleinen Schrank stehen, der mir eigentlich noch nie aufgefallen war und öffnete die schlichte Glastür. Mit einer Handbewegung forderte er uns auf, näher zu treten.
„Ich bin mir sicher, dass ihr hier fündig werdet. In diesem Schrank befindet sich ein Buch, das von Druiden und Hexen zusammen geschrieben worden ist. Es gilt als das einzige noch verbliebene Exemplar dieser Art und ist sehr alt.†œ
Wie bitte?!
„Euren ratlosen Minen entnehme ich, dass ihr von dem Buch noch nie gehört habt. Wundert euch nicht, es galt lange als verschollen und ist irgendwann in Vergessenheit geraten. Aber es enthält mehrere aufschlussreiche Kapitel über Drachenmagie. Ihr könnt es in aller Ruhe studieren und wenn ihr meine Hilfe braucht, zögert nicht. Ich bleibe in der Nähe†œ, fügte er schmunzelnd hinzu.
Mit einer leichten Verbeugung zog er sich mit Libell wieder zurück.
„Vielen Dank†œ, murmelte Doc abwesend und strich mit beiden Händen und leuchtenden Augen über den Einband.
Sie war schon in ihrem Element und hatte alles andere um sich herum ausgeblendet. Das Buch war so groß und schwer, dass wir das riesige Monstrum, dessen Inhalt gebunden in gegerbtem Leder sicher aufbewahrt wurde, nur zu zweit bewegen konnten. Der Buchdeckel war noch zusätzlich mit schweren Eisenbeschlägen und kunstvollen Riegeln verziert, die das Gewicht noch mal enorm in die Höhe trieben. Oh Himmel, war der Schrank eigens um dieses Buch herum gebaut worden?
„Vampir müsste man sein†œ, presste ich zwischen den Zähnen hervor, als wir es zusammen auf ein Lesepult direkt neben dem Schrank wuchteten.
Trotz seines hohen Alters war es erstaunlich gut erhalten und zeigte keinerlei Gebrauchsspuren. Zum Glück war es mit keinem Zauber umgeben und so hatten wir keine Schwierigkeiten die Riegel in die richtigen Richtungen zu schieben, um das Buch zu öffnen. Neugierig schlug Jane die erste Seite auf.
„Oh Mist… das gibt´s doch nicht! Und was machen wir nun?†œ flüsterte ich entsetzt, nachdem wir einige Zeit stumm auf die sehr fremdartigen Schriftzeichen und Symbole gestarrt hatten.
„Genau… Mist!†œ, stimmte Jane mir grimmig zu, „ich kenne ja schon viele Schriftzeichen, aber diese hier sind mir vollkommen unbekannt.†œ
Kopfschüttelnd fuhr sie mit dem Zeigefinger immer wieder ratlos über die geheimnisvollen Zeichen. Es war zum Verzweifeln! Wie sollten wir in so kurzer Zeit es schaffen, diese Zeichen zu entziffern und auch noch das ganze Buch durchackern, um den richtigen Spruch zu finden? Ohne Hilfe waren wir aufgeschmissen. Seufzend sah ich mich nach Shadow um und zuckte leicht zusammen, als eine Hand sich beruhigend auf meine Schulter legte. Er schien unser Dilemma bemerkt zu haben und war lautlos hinter uns getreten.
„Oh Verzeihung, ich vergaß… diese Schriftzeichen wurden eigens für das Buch erschaffen. Ihr könnt sie gar nicht kennen, tut mir leid.†œ
Nur zu gerne machten wir ihm Platz und konnten dann nur staunen, als er über das Buch gebeugt scheinbar mühelos die Seiten überflog. Nach nur wenigen Minuten hob er den Kopf und lächelte siegessicher.
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„Es ist gar nicht so schwer wie es aussieht. Man nehme einige altgriechische Schriftzeichen, römische, germanische Runen, ägyptische Hieroglyphen, etwas von den Mayas, den Kelten, ein bisschen Asiatisches, kombiniere die uralten Zeichen an den richtigen Stellen mit den Neueren, befolge einen bestimmten Rhythmus und schon hat man… was ist?†œ
Doc starrte immer noch ratlos auf das Buch und ich rollte mittlerweile gereizt mit den Augen. Das war jetzt nicht sein Ernst, oder? So ein Blabla!
„Oh Shadow, bitte! Zeig uns einfach, wo das mit der Drachenmagie steht und übersetzte es für uns, Ja?!†œ forderte ich ihn ungeduldig auf.
Er lächelte ein wenig nachsichtig über meine Ungeduld, murmelte eine Entschuldigung und machte sich ans Werk. Er bemühte sich erst gar nicht, uns die Zeichen zu erklären, sondern suchte gleich nach dem Kapitel mit der Drachenmagie. Es dauerte auch nicht lange und er hatte gefunden, was wir brauchten. Den Spruch, oder vielmehr die richtige Kombination von verschiedenen Sprüchen, war schnell übersetzt und wir prägten sie uns auch sofort ein. Trotzdem schrieb Doc sie sicherheitshalber auf. Die ganze Aktion hatte kaum etwas mehr als eine Stunde gedauert. Erleichtert atmete ich auf, zumindest eine Hürde war geschafft! Ich umarmte Shadow.
„Vielen Dank. Du bist der Größte!†œ
„Es war mir ein Vergnügen†œ, sagte er schmunzelnd und drückte mich kurz an sich. Dann gab er mich wieder frei und wandte sich an Doc.
„Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen gerne die Zeichen bei einer Tasse Tee …†œ
„Oh nein, dafür haben wir keine Zeit. Wir haben noch viel zu tun!†œ unterbrach ich ihn schnell und kassierte von Doc einen irritierten Blick.
Hastig stopfte ich den Zettel in meine Hosentasche und griff nach ihrer Hand.
„Los, komm schon! Wenn alles vorbei ist, kommen wir wieder hierher†œ, versprach ich ihr, als ich sie fast gewaltsam von dem Buch wegzerren musste.
Fortsetzung folgt…
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Wer mehr von dem Online-Roman „Seitensprung der Sisterhood“ lesen möchte, findet die Kapitel 1 bis 9 von Angie und die Kapitel 1 bis 3 von Doc Jane hinter den Links.
Nachdem das Schicksal und die turbulenten Ereignisse die beiden Protagonistinnen Angie und Doc Jane auf dem Anwesen der Bruderschaft in Schottland wieder zusammengeführt hat, bestreiten sie gemeinsam den alles entscheidenden Kampf gegen ihren Erzfeind. Nur sie können die Welt retten und den gefürchteten Drachen besiegen. 😉
Um einen kleinen Einblick in die Story zu gewähren, nachfolgend die Legende mit den wichtigsten Mitwirkenden:
Auf dem Anwesen
Shadow: Gründer der Bruderschaft und „König†œ des Anwesens. Ein Dämonenfürst und Vater von Angie.
Mythos: Shadows rechte Hand. Ein Dämon.
Demetri: Computergenie und zuständig für Recherchen. Dämon der Sinne
Dr. Home: Arzt und Wissenschaftler. Ein Mensch und aus unerklärlichen Gründen unsterblich.
Igor: Schweigsamer Assistent des Doktors. Spezies unbekannt.
Libell: Feenprinzessin und Stiefschwester von Leif
Leif: Agent der Bruderschaft. Eine Fee.
Ikarus: Pilot und Gestaltwandler.
Mary: Haushälterin und seit vielen Jahren die gute Seele im Haus der Ordensbrüder. Spezies unbekannt.
Henry: Zuständig für den Fuhrpark der Bruderschaft, Mechaniker und Autofreak. Ein Zwerg.
Polly: Lebt in der Stadt der Zwerge mit ihrer Familie. Freundin von Angie und eine Hexe.
Sam: Ein Engel und Gefährte von Doc Jane
Mitglieder des Ordens der schwarzen Orchidee
Duncan: Vorsitzender. Vampir und Gefährte von Angie
Cyrus: Werwolf und Heiler.
Tiago: Werwolf und zuständig für das Catering. Bester Kaffee ever…
Jean: Werwolf und Kapitän der Seraphim (Yacht)
Eric: Werwolf und Verbindungsoffizier
Tim: Werwolf und neuer Waffenmeister
Bones: Vampir und Konstrukteur. Gefährte von Kate
Fernando: Vampir und Heiler. Gefährte von Lilli
Gavin: Feuerelfe und Trainer. Gefährte von Lucy
Drago: Drache und Gestaltwandler. Undercoveragent und Gefährte von Kerstin
Aktive Mitglieder der Sisterhood
Doc: Merküre, Druidin und Heilerin, Tochter von Merlin.
Angie: Hexe und Dämonenhalbblut, Tochter von Shadow
Sweetlife: Chefin der Sisterhood. Halbgöttin und mehr…
Ef-EF: Dämon mit französischem Akzent in Gestalt eines Hamsters.
Nur die Besten der Bruderschaft schaffen es nach jahrelanger, harter Ausbildung in den Orden der schwarzen Orchidee. Sie sind die Elite der Bruderschaft und ausgezeichnete Kämpfer.
Alle können dank genetischer Manipulation im Mittelalter bei Tageslicht existieren und haben den Blutdurst besiegt. Ein Sekret in ihren Fangzähnen sorgt für sexuelle Stimulation. Ihre übernatürlichen Fähigkeiten dagegen sind ausgeprägter. Die Werwölfe verspüren nicht mehr den Drang sich bei Vollmond zu verwandeln. Sie haben sich unter Kontrolle … meistens. 😉
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