Kritik am Auswahlverfahren des Deutschen Buchpreises in der Süddeutschen Zeitung

„Eugen Ruge hat mit seinem Werk In Zeiten des abnehmenden Lichts (Rowohlt) den Deutschen Buchpreis gewonnen – zumindest wenn es nach unseren Lesern geht“, meldete das Börsenblatt überraschenderweise bereits am Montagmittag. Abends wurde die Meldung dann wiederholt; mit dem Unterschied, dass diesmal nicht die Börsenblatt-Leser, sondern die Jury abgestimmt hatte und zu dem gleichen Ergebnis gekommen war.

Warum das Börsenblatt das Voting der Leser bereits veröffentlicht hat, obwohl die Mitglieder der unabhängigen Jury noch hinter verschlossenen Türen tagten, ist nicht ganz nachvollziehbar, zumal das Börsenblatt das Verbandsorgan des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist.

Unter der Headline „Mutlose Mitte – Kompromisskandidat: Eugen Ruge erhält der Deutschen Buchpreis für seinen Roman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ veröffentlicht die Süddeutsche Zeitung in der heutigen Ausgabe einen kritischen Artikel von Volker Breidecker, der hinterfragt, ob Eugen Ruges Sieg das Ergebnis eines fragwürdigen Auswahlverfahrens ist.

Seiner Meinung nach  stritten die Jurymitglieder weder für Originalität, Einfallsreichtum und Wagemut noch für sprachkünstlerische Qualitäten, sondern wählten mit Eugen Ruge einen „Kompromisskandidaten“. Sein  Romandebüt werde sich zweifellos sowohl beim hiesigen und auch beim internationalen Publikum  gut verkaufen, allerdings sei dieser „Heimatstoff“ vor Jahren schon lebendiger, bissiger und prägnanter von Barbara Honigmann (Ein Kapitel aus meinem Leben) erzählt worden.

Nicht leicht miteinander vereinbar seien die Kriterien – hier die literarische Qualität eines Buches, dort seine kommerziellen Erfolgsaussichten, die die jährlich wechselnde Jury zu einem Spagat zwinge, meint Volker Breidecker. Fatal sei jedoch das Prozedere beim Schaulaufen der Kandidaten in der Endrunde. Jedes Jurymitglied übernimmt für einen Shortlist-Autoren die Patenschaft und präsentiert ihn wie bei der Oscar-Verleihung mit Kurzfilm und persönlichen Worten dem Publikum im Frankfurter Römer. Demnach sei laut Volker Breidecker jeder Juror vor allem „seinem“ persönlichen Favoriten verpflichtet und unterliege dadurch einem nicht geringen Druck zur Selbstprofilierung. Nachdem allein aus sportlichem Ehrgeiz alles darangesetzt werde die Wunschkandidaten der Kollegen abzusägen, bliebe nach dem Gemetzel nur ein „Konsenzkandidat“ zu küren.

Dr. Volker Breidecker, Literaturwissenschaftler, Politologe, Autor und Mitarbeiter der Süddeutschen Zeitung, fordert, das Auswahlverfahren des Deutschen Buchpreises dringend zu überarbeiten. Wie das Auswahlverfahren besser funktionieren könnte, verrät er leider nicht.

Die Vorabveröffentlichung des Votings hat mich zwar ebenfalls irritiert, ich kann mir allerdings beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Jurymitglieder tatsächlich derartig miteinander konkurrieren und nur ihre „persönlichen“ Kandidaten durchsetzen wollen.

Beim mit 601.000 Euro (!) dotierten und vom Verlag Editorial Planeta gestifteten spanischen Literaturpreis Premio Planeta müssen Autoren bzw. die Verlage ihre Manuskripte unter einem Pseudonym einreichen, so dass sie den Jury-Mitgliedern nicht bekannt sind. Dieses Verfahren hat dazu geführt, dass auch häufig bisher unbekannte Autoren ausgezeichnet werden.

Leider ist das System auch nicht perfekt, denn hier gibt es Vorwürfe, der Planeta-Verlag nehme Einfluss auf die Jury und berücksichtige nicht ausreichend die literarische Qualität.

Quelle Foto: Deutscher Buchpreis © Claus Setzer

5 Gedanken zu „Kritik am Auswahlverfahren des Deutschen Buchpreises in der Süddeutschen Zeitung

  1. Die Idee, dass Manuskripte nur unter Pseudonym eingereicht werden dürfen, finde ich gar nicht so schlecht. Wenn allerdings die Jury mit echten literarischen Fachkräften besetzt ist, die sehr belesen sind, könnten sie bereits bekanntere Schriftsteller durchaus am literarischen Stil etc. „wiedererkennen“.

  2. hi Liisa,
    ehrlich gesagt, weiß ich nicht so genau, was ich davon halten soll. Es liest sich wie ein Schlag ins Gesicht bzw. wie ein Rundumschlag in die Gesichter von Börsenverein, Jurymitglieder und neuem Buchpreisträger. Ich kann mir wirklich nicht so recht vorstellen, dass persönliche Interessen bei der Wahl in den Vordergrund rücken. Glaubst du das alles?
    Mir gefällt die Umsetzung beim Premio Planeta auch gut. Dass unter Umständen Autoren wieder erkannt werden, finde ich nicht so gravierend schlimm. 😉 Was mir nicht gefällt, ist die Höhe des Preisgeldes. Bei mehr als einer halben Millionen ist wohl die Gefahr der Korruption groß.
    LG

  3. Naja, es war ja klar, dass sich Stimmen wie diese erheben würden. Ist doch jedes Jahr so, dass es Meckerer und Neider gibt. In Deutschland ist das sowieso sehr ausgeprägt: immer erstmal das Schlechteste annehmen, vermuten, erwarten, etc. Im Prinzip ist es doch eine Binsenwahrheit, dass eine Jury es nie richtig machen kann. Egal wem sie am Ende den Preis zusprechen, ob nun bei diesem oder den anderen Literatur-Preisen (gilt auch für andere Preise) es gibt immer Unzufriedene. So läuft das „Geschäft“ nun mal. Wer in eine Jury geht, weiß worauf er sich einlässt und muss ein entsprechend dickes Fell haben, damit das hinterher alles einfach abtropft. Morgen wird schon wieder eine neue (entschuldige die nachfolgende Wortwahl) Sau durch’s (literarische/feuilletonistische) Dorf getrieben. Ich hoffe nur, Eugen Ruge (und auch andere Gewinner, vor allem wenn sie noch relativ neu im [dt.] Literaturbetrieb sind) hat kluge Ratgeber, die ihm gesagt haben, dass er in dieser Woche am besten gar keine Zeitung liest. Dann ficht ihn so ein Genörgel auch nicht an, weil er ja nix davon weiß.

  4. War das wirklich so klar? Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals in der Form das komplette Prozedere in Frage gestellt wurde. Natürlich müssen die Preisträger auch Kritik einstecken. Wenn das sachlich begründet in einer Rezension passiert, ist das bestimmt auch zu ertragen, aber so? Na ja, hoffen wir, dass er von dem „Genörgel“ nix mitbekommt! 😉 Andererseits kann ich leider auch nicht beurteilen, ob Volker Breidecker evtl. auch recht hat.
    LG

  5. Öhm, also das Schema „Jury betreut Favoriten“ erinnert mich stark an X-Factor ^-^
    Für eine Casting Show ist das auch oki, aber für einen Buchpreis… ich hätte diverse Ideen es anders zu machen, am sinnvollsten erscheint mir die Möglichkeit, dass statt der Jury, ein unabhängiges Team den Autoren/Verlagen zur Seite steht und mit ihnen zusammen eine Präsentation des Buches/des Autors erstellt.

    Grundsätzlich finde ich es aber schade, dass nicht jedes Buch die Möglichkeit hat überhaupt erst nominiert zu werden, weshalb ich kein großer Fan dieses Buchpreises bin. Wenn nun auch noch so merkwürdige Vorgehensweisen angewandt werden… ich weiß nicht, was ich davon halten soll…

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