Lesen! wird abgesetzt – ZDF trennt sich von Elke Heidenreich

Das ZDF hat die Zusammenarbeit mit Elke Heidenreich mit sofortiger Wirkung beendet. Die beiden für dieses Jahr noch geplanten Ausgaben von „Lesen!†œ werden nicht mehr produziert.

Der Programmdirektor Thomas Bellut erklärte am Donnerstag:

„Mit ihren Äußerungen in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (siehe: Elke Heidenreich: Reich-Ranickis gerechter Zorn) und in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (siehe: Elke Heidenreich verteidigt sich gegen das ZDF) hat Frau Heidenreich die Ebene einer sachlichen Auseinandersetzung verlassen und das ZDF sowie einzelne seiner Mitarbeiter persönlich in nicht mehr hinzunehmender Weise öffentlich herabgesetzt. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem ZDF und Frau Heidenreich wurde dadurch so nachhaltig zerstört, dass eine gedeihliche und sinnvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist. Ich bedauere es, dass unsere jahrelange Zusammenarbeit so beendet werden muss.†œ

Auch nach dem Abschied Heidenreichs werde es eine Literatursendung im ZDF geben, so Bellut. An einem Nachfolgekonzept für das Jahr 2009 werde gearbeitet. Anstelle der geplanten Sendungen am 31. Oktober und 5. Dezember wird das Kulturmagazin „aspekte†œ ausgestrahlt.

Nachdem Marcel Reich-Ranicki den Deutschen Fernsehpreis abgelehnt hatte, hatte Elke Heidenreich die Gala, das Fernsehen insgesamt und das ZDF heftig kritisiert:

„Man schämt sich, in so einem Sender überhaupt noch zu arbeiten. Von mir aus schmeißt mich jetzt raus, ich bin des Kampfes eh müde†œ, hatte sie in der Frankfurter Allgemeinen geschrieben. Die Gala beschrieb sie als „armselige, grottendumme Veranstaltung†œ, die nominierten Filme und Serien seien in der Mehrzahl „jämmerlich†œ. Sie entschuldige sich „stellvertretend für alle Leidenden an diesen Zuständen bei Reich-Ranicki für diesen unwürdigen Abend†œ.

Harte Worte fand sie auch für den Moderator Thomas Gottschalk, den sie als „müden alten Mann†œ bezeichnete.

Marcel Reich-Ranicki hatte Gottschalk anschließend in Schutz genommen: „Thomas als dumm hinzustellen, ist eine Unverschämtheit. Elke hat sich miserabel benommen. Sie hat noch intrigiert. Sie wollte, dass man Thomas meine Laudatio wegnimmt, um sie selbst zu halten.†œ

Für die Entscheidung des ZDF, die Zusammenarbeit mit der Moderatorin Elke Heidenreich zu beenden, hat Marcel Reich-Ranicki Verständnis gezeigt. „Es war naheliegend†œ, sagte Reich-Ranicki der dpa. „Sie hat gesagt: Ich schäme mich, dass ich für diesen Sender arbeite. Aber dann musste man ihr sagen: „Adieu, Sie brauchen sich nicht mehr zu schämen.†œ Über mögliche Nachfolger wollte der frühere Moderator der ZDF-Literatursendung „Das Literarische Quartett†œ nicht spekulieren: „Das werde ich dem ZDF gerne sagen, wenn das ZDF sich an mich wendet.†œ

Er erklärte, seine kritische Rede bei der Preisverleihung habe sich allein auf die Feier bezogen. Die Interpretation, er habe bei seiner Schelte die deutschen Fernsehprogramme insgesamt gemeint, sei „großer Unsinn†œ: „Ich habe nicht gesagt, alles im deutschen Fernsehen ist abscheulich, ist Mist, ist nicht gut. Ich habe gesagt: Die hier stattfindende, stattgefundene Feier war ganz schlimm und nicht akzeptabel.†œ Das sei ein großer Unterschied. „Ich habe nicht den Krieg führen wollen mit den Sendern.†œ

Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung

Elke Heidenreichs Abrechung mit ZDF, ARD, Sat 1, RTL und Thomas Gottschalk

Bei der Aufzeichnung der Fernsehpreis-Verleihung im Kölner Coloneum am Freitag sollte Marcel Reich-Ranicki den Ehrenpreis des Deutschen Fernsehpreises für sein Lebenswerk erhalten.

Als er schließlich nach vier Stunden vorzeitig, der Ablauf musste geändert werden, weil er schon vorher drohte den Saal zu verlassen, auf die Bühne gebeten wurde, wetterte er auch schon los:

„Meine Damen und Herren, ich habe in meinem Leben, in den 50 Jahren die ich in Deutschland bin, … viele Literaturpreise bekommen. Und ich habe immer gedankt für diese Preise, wie es sich gehört und bitte – verzeihen Sie mir, wenn ich offen rede – es hat mir keine Schwierigkeiten bereitet, für die Preise zu danken. Heute bin ich in einer ganz schlimmen Situation. Ich muss auf den Preis, den ich erhalten habe, irgendwie reagieren, und der Intendant Schächter sagt mir, bitte, bitte nicht zu hart. Ja, in der Tat. Ich möchte niemanden kränken, niemanden beleidigen oder verletzen. Aber ich möchte auch ganz offen sagen, ich nehme diesen Preis nicht an … Wäre der Preis mit Geld verbunden, hätte ich das Geld zurückgegeben. Aber er ist ja nicht mit Geld verbunden, ich kann nur diesen Gegenstand, der hier verschiedenen Leuten überreicht wurde, von mir werfen, oder jemanden vor die Füße werfen. Ich kann das nicht annehmen. Und ich finde das auch schlimm, dass ich das hier vier Stunden erleben musste. Bei dem vielen Blödsinn, den ich heute Abend gesehen habe, glaube ich nicht, dass ich dazugehöre. Ich habe viele schöne Fernsehabende, zum Beispiel bei Arte, verbracht….“

Schließlich griff Thomas Gottschalk, der durch die Sendung führte, ein und bot Reich-Ranicki eine einstündige Sendung zusammen mit den Chefs der großen Sender an, bei dem über alles geredet werden könne, was derzeit fehle im Fernsehen: Bildung, Erziehung, „Literatur“, wie der Kritiker ergänzt. Der willigte skeptisch ein, denn die Intendanten würden seine Vorschläge sicher sehr schön finden, dann aber sagen, das könnten sie nicht realisieren.

Die „Sondersendung“ mit ihm und Gottschalk soll bereits in dieser Woche, am kommenden Freitag, im ZDF gesendet werden.

So weit so gut, eine Preisverleihung an die man sich durch die Ehrung Reich-Ranickis noch in zehn Jahren erinnern wird.

Ebenfalls haften bleiben wird die Reaktion von Elke Heidenreich hierzu. In der FAZ schrieb sie am Sonntag einen Artikel  (Reich-Ranickis gerechter Zorn ), der sich wie eine längst fällige Abrechnung mit ZDF, ARD, Sat 1, RTL und Thomas Gottschalk liest.

Ihr Fazit: „Schmeißt mich doch raus!“

Man kann gespannt sein, ob das ZDF ihrer Aufforderung nachkommt.

Elke Heidenreich über die Fernsehpreis-Verleihung:

Der Moderator Thomas Gottschalk schritt routiniert über die Bühne und hudelte ohne einen Funken von Witz oder Geist seine „Moderationen“ herunter, die er so oder anders schon tausendmal gemacht hat.

Nahezu jeder Preisträger stammelte am Mikrofon herum, das sei so ein toller Preis, und man wisse nun gar nicht, was man sagen solle, und man sei totaaaaal überrascht, und man danke aber dem tollen Team und dem tollen Redakteur und dem Ehemann und dem Kind und, Mama, das ist für dich.

Die dargebotenen Produkte und Arbeiten waren in der Mehrzahl jämmerlich, jämmerlich wie unser Fernsehen ist, wie arm, wie verblödet, wie kulturlos, wie lächerlich.

Man mutet keinem so intelligenten, achtundachtzig Jahre alten Mann einen solchen stundenlangen Schwachsinn in hässlicher Kulisse zu.

Thomas Gottschalk hat eine einzige Eigenschaft, die ihn zum Moderator befähigt, nur eine †“ er ist nicht intelligent, er ist nicht charmant, er hat keinen Witz, aber er ist reaktionsschnell.

Der Kritiker, der Spielverderber ist weg, nun ziehen wir unsere hirnlose Scheiße durch bis zum Schluss.

Keiner der Programmdirektoren oder Intendanten kam auf die Bühne in diesem Augenblick, weil es verknöcherte Bürokarrieristen sind, die das Spontane längst verlernt haben, das Menschliche auch, Kultur schon sowieso.

Man schämt sich, in so einem Sender überhaupt noch zu arbeiten. Von mir aus schmeißt mich jetzt raus, ich bin des Kampfes eh müde.

Ich schäme mich, ich entschuldige mich stellvertretend für alle Leidenden an diesen Zuständen, und derer sind auch in diesen verlotterten Sendern noch viele, bei Marcel Reich-Ranicki für diesen unwürdigen Abend.

Bitte nimm den Preis nicht an, jetzt nicht und nie. Lass dich nicht einlullen. Und rede nicht mit den Vertretern der Sender, es bringt nichts. Sie werden es nicht begreifen.

Und was die Macher eines solchen desolaten Abends angeht: Fahrt bitte einmal im Mai nach Hamburg zum Henri Nannen Preis und lernt, wie die das machen †“ ein unterhaltender Abend für intelligente Menschen. Es ist möglich. Aber eben nicht bei ZDF, ARD, Sat 1 und RTL. Und schon gar nicht mit Thomas Gottschalk.

Chapeau, Elke Heidenreich!

Nachtrag vom 23.10.2008:
Das ZDF hat die Zusammenarbeit mit Elke Heidenreich mit sofortiger Wirkung beendet. Die beiden für dieses Jahr noch geplanten Ausgaben von „Lesen!†œ werden nicht mehr produziert. Anstelle der geplanten Sendungen am 31. Oktober und 5. Dezember wird das Kulturmagazin „aspekte†œ ausgestrahlt. Weitere Infos siehe hier!

Quelle: Süddeutsche Zeitung, FAZ

Elke Heidenreich wird mit Hans-Bausch-Mediapreis geehrt

Der Südwestrundfunk (SWR) verleiht Elke Heidenreich in diesem Jahr den Hans-Bausch-Mediapreis.
Die Jury sei einmütig zu dem Schluss gekommen, den mit 10.000 Euro dotierten Preis an die 65-jährige Journalistin, Moderatorin und Literatin zu verleihen, teilte SWR-Intendant Peter Boudgoust als Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Hans Bausch Mediapreis mit.

Die studierte Germanistin und Theaterwissenschaftlerin Elke Heidenreich stehe seit Jahrzehnten für die Verbindung von Hochkultur und geistreicher Unterhaltung und mache so anspruchsvolle Themen einem breiten Publikum zugänglich, heißt es in der Begründung der Jury.

Prof. Dr. Hans Bausch, der Namensgeber des Preises, war Journalist und von 1958 bis 1989 Intendant des Süddeutschen Rundfunks in Stuttgart (heute Südwestrundfunk). Der Preis wurde 1983 vom SDR zum 25-jährigen Dienstjubiläum des damaligen Intendanten erstmals verliehen und erhielt 1992 den Namen „Hans Bausch Mediapreis“. Am 30. März 1992 wurde er zu Händen Professor Dr. Claudia Mast posthum an Hans Bausch verliehen, der damit insbesondere für seine Verdienste um das Fachgebiet Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim ausgezeichnet wurde. Prof. Dr. Hans Bausch starb 1991. Der SWR führt die gleichnamige Stiftung fort und verleiht die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung an Persönlichkeiten oder Organisationen, „die sich um die Förderung von Medienpublizistik, -forschung und -pädagogik verdient gemacht haben“.

Der Hans Bausch Mediapreis wird am 14. Oktober in Stuttgart verliehen.

Quellen: Börsenblatt, Foto: ZDF

Lesen! im ZDF am 05. September mit Christian Brückner

Christian Brückner
Christian Brückner

In der ersten Lesen! im ZDF-Sendung nach der Sommerpause am 05. September um 22.30 Uhr wird Elke Heidenreich den Schauspieler und Synchron- und Hörbuchsprecher Christian Brückner begrüßen.

Christian Brückner wird sein Lieblingsbuch Moby Dick von Herman Melville vorstellen und aus Falling Man (Kiepenheuer & Witsch) von Don DeLillo vorlesen.

Die Bücherliste der Sendung vom 5. September hat das ZDF noch nicht bekannt gegeben.

Christian Brückner, geboren am 27. Oktober 1943 in Waldenburg, Schlesien, aufgewachsen in Köln, ist Schauspieler und wohl der berühmteste deutsche Synchron- und Hörbuchsprecher. Das magische Timbre seiner Stimme ist ein Phänomen. Er hat Marlon Brando und Harvey Keitel gesprochen – und natürlich Robert de Niro.
Bereits während des Studiums (Germanistik, Theaterwissenschaft und Soziologie) arbeitete Brückner im Theater und als Hörfunksprecher.

Durch die Synchronisierung von Warren Beatty in dem Film Bonnie und Clyde (1967) und vor allem durch die Leihstimme für Peter Gilmore in der berühmten englischen TV-Serie Die Onedin-Linie wurde seine markante Stimme bekannt.

Seither ist er vielbeschäftigt im Synchronwesen tätig. Seit 1974 (Der Pate II) ist er die Feststimme von Robert De Niro, Martin Scorsese ließ ihn extra für die Synchronisation von Taxi Driver casten. Ausgenommen von Angel Heart, Mean Streets, 1900, Wer die Killer ruft, Fesseln der Macht, Brazil, Der Liebe verfallen und The Untouchables †“ Die Unbestechlichen synchronisierte Brückner den Charakterdarsteller seitdem in all seinen bislang über 60 Filmen. In Es war einmal in Amerika wurde De Niro nur auf der DVD-Version durch ihn synchronisiert, während in der ursprünglichen Kinofassung ein anderer Sprecher zu hören ist.

Des Weiteren lieh er seine Stimme in unregelmäßigen Abständen auch anderen Schauspielern: Alain Delon, Bruce Dern, Peter Fonda, Giuliano Gemma, Richard Jordan, Martin Sheen, Robert Redford, Jon Voight, Harvey Keitel, Donald Sutherland, Michael York, Pierre Brice und Dennis Hopper. Auch Klaus Kinski sprach in einigen Filmen mit seiner Stimme.

Christian Brückner ist oft in Hörspielen, Hörbüchern, Lesungen und als Sprecher für Dokumentationen im Einsatz. Besonders bekannt dürften die zahlreichen Einsätze als Stimme in den Geschichtedokumentationen von Guido Knopp (u. a. Hitlers Helfer und 100 Jahre †“ Der Countdown) sein. Hier wechselte er sich teilweise mit Rolf Schult, der deutschen Synchronstimme von Robert Redford, ab. 2006 wurde mit Brückner als alleinigem Sprecher eine vollständige, dreißigstündige Lesung des Romans Moby Dick von Herman Melville in der deutschen Übersetzung von Friedhelm Rathjen veröffentlicht. Im Rahmenprogramm der 29. Ausstellung des Europarates und Landesausstellung Sachsen-Anhalt 2006 Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation wirkte Brückner an der Produktion einer Musik-Hörspiel-CD zum Codex Manesse mit, auf der er als Erzähler fungiert. Dieses Hörspiel wurde im September 2006 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg live uraufgeführt.

Als Schauspieler trat Brückner unter anderem in Tatort †“ Lauf eines Todes (1990), Tatort †“ Falsches Alibi (1995) und in den Serien Spiel des Lebens (1996) und Rosa Roth als Oberstaatsanwalt Seibold auf. Weiterhin sah man ihn als Dr. Jonathan McBain in der SAT1 Mini Fernsehserie Aeon †“ Countdown im All. 2007 trat er als Professor Sigmund Freud in Die Methode von Christopher Hampton im Ernst Deutsch Theater, Hamburg, auf.

Selbst berichtete er einmal, er hätte es erlebt, dass Taxifahrer sich verwundert umdrehten, wenn er einstieg; sie fragten sich, welcher Star gerade im Wagen Platz genommen hatte.

Und hier die Bücherliste der Sendung vom 05. September:

Die souveräne Leserin von Alan Bennett
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
Wagenbach Verlag, 2008
Fadengeheftet, Leinen, 120 Seiten

„Ein herrlich unterhaltsames, witziges Buch, aber außerdem noch sehr viel mehr: ein todernstes Manifest über die Macht des Lesens, Leben zu verändern, und über die Möglichkeit, durch das Lesen das Leben zu führen, das man schon immer führen wollte.“ The Observer
Kurzbeschreibung
Eine Liebeserklärung an die Queen und an die Literatur †“ wer hätte gedacht, dass das zusammenpasst?!

Die Hunde sind schuld. Beim Spaziergang mit der Queen rennen sie los, um den allwöchentlich in einem der Palasthöfe parkenden Bücherbus der Bezirksbibliothek anzukläffen. Ma†™am ist zu gut erzogen, um sich nicht bei dem Bibliothekar zu entschuldigen, leiht sich ebenfalls aus Höflichkeit ein Buch aus †“ und kommt auf den Geschmack. Von da an deckt sie sich jede Woche mit Lesestoff ein und lernt den Küchengehilfen Norman kennen, mit dem sie sich fortan über ihre Lektüren unterhält.
Not amused ist hingegen der Privatsekretär der Queen, Sir Kevin, der nichts unversucht lässt, Her Majesty dem schädlichen Einfluss Normans zu entziehen. Denn die Queen beginnt, ihre Pflichten zu vernachlässigen, liest nun lieber in ihrer Kutsche, statt der Menge zuzuwinken.
Ein Bennett at its best †“ very British, wie immer, und von so umwerfender Komik, dass Ihnen der Bowlerhat hochgeht!

Erinnerungen an glückliche Tage von Julien Green
Aus dem Französischen von Elisabeth Edl
Hanser Verlag, 2008
Fester Einband, 272 Seiten

Kurzbeschreibung
Die Kindheit eines kleinen amerikanischen Jungen in Paris, am Beginn des 20. Jahrhunderts. Julien Green lässt in seinen Erinnerungen die „Belle Époque“ auferstehen: das Klappern der Pferdehufe auf dem Pflaster, den Alltag ohne Radio und Telefon, die Schrecken eines strengen, unmenschlichen Schulsystems und die Geborgenheit in der bürgerlichen Familie. Erst als Frankreich in den Ersten Weltkrieg zieht, bricht auch für ihn ein neues Zeitalter an. Ein wunderbares Buch über eine versunkene Welt: Zeitdokument, Entwicklungsroman, Hymnus auf das Glück der Kindheit und ein großes Lesevergnügen.

Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein von André Heller
S. Fischer Verlag, 2008
Gebundene Ausgabe, 144 Seiten

Kurzbeschreibung
André Heller greift Szenen und Begebenheiten seiner Kindheit auf und verwandelt sie in die Geschichte eines Jungen mit funkelnder Phantasie. In einem Asbest Anzug als erster Mensch in das Innere des Vesuvs hinabzusteigen, um in der glühenden Lava nach Feuerfischen zu suchen – das ist einer von Pauls Plänen. Ein anderer: Weltmeister im Unsichtbarsein. André Heller schreibt eine poetische Erinnerung an die schillernde Gesellschaft des Wiener Großbürgertums, eine Zuckerbäckerdynastie und einen Jungen. Paul nimmt sich vor, einmal ein eleganter Hundling zu werden, ein solch freier Mensch wie sein skurriler Onkel aus New York. Als Pauls Vater, der Süßwarenfabrikant und Kommerzialrat Roman Silberstein, zu Tode kommt, reisen die jüdischen Onkel aus Übersee an und übertreffen einander im Schildern von Anekdoten aus dem merkwürdigen Leben der Silbersteins. Aus dieser mondänen und sonderbaren Familie, in der die versunkene k. u. k. Welt weiterlebt, siedelt Paul über in das selbstgeschaffene Reich des Unsichtbaren, der vorüberhuschenden Träume und fernen Zukunftsvisionen: „Geboren wird man als Entwurf zu einem Menschen, und dann muss man Zeit seines Lebens aus sich einen wirklichen Menschen machen.“

Moby-Dick oder Der Wal von Herman Melville
Aus dem Englischen von Friedhelm Rathjen
Marebuchverlag, 2007
Illustrierte Sonderausgabe mit Leseband, 992 Seiten
inkl. Hörbuch auf 2 MP3-CDs

Kurzbeschreibung
Jubiläumsausgabe – Basierend auf dem vollständigen, als gesichert geltenden Urtext. Übersetzt von „dem wunderbar kreativen und kraftvollen Friedhelm Rathjen“ (Die Welt) †“ „dem strengsten Diener fremder Sprachen in Deutschland“ (Frankfurter Rundschau). Illustriert mit den berühmten Federzeichnungen, die der amerikanische Künstler Rockwell Kent 1930 für eine limitierte Luxusedition des Romans schuf. Ergänzt durch einen umfangreichen Anhang mit Texten aus dem Quellgebiet des Romans, die in dieser Ausgabe zum ersten Mal auf Deutsch vorliegen. Gelesen von Christian Brückner, dem Star unter den Sprechern.

Der Außenseiter von Sadie Jones
Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek
Schöffling & Co Verlag, 2008
Gebundene Ausgabe, 416 Seiten

Kurzbeschreibung
1945 kehrt Gilbert Aldridge aus dem Zweiten Weltkrieg zurück zu seiner Familie. Während er die beschauliche Routine des Kleinstadtlebens genießt, durchstreift sein Sohn Lewis mit seiner schönen, rastlosen Mutter die Wälder – bis an einem Sommertag unten am Fluss ein schreckliches Unglück geschieht. Lewis bleibt allein und verstört zurück. Wenige Monate später wird ihm die junge Alice als neue Stiefmutter vorgestellt.
Lewis lebt fortan als Fremder im eigenen Haus; er sucht Zuflucht im Alkohol und in heimlichen Exzessen in einem Londoner Nachtclub. Seine Trauer und Wut entladen sich schließlich in einer weiteren Katastrophe.
1957 kehrt der 19jährige Lewis nach zweijähriger Haft aus dem Gefängnis zurück. Ehemalige Freunde und Nachbarn begegnen ihm mit Misstrauen: Wer nicht ist wie die anderen, muss zum Außenseiter werden. Immer wieder versucht Lewis einen neuen Anfang zu finden; immer tiefer gerät er in einen Strudel aus Gewalt, Verzweiflung und enttäuschter Hoffnung.
Sadie Jones‘ Roman über den „Außenseiter“ Lewis ist von überwältigender Schönheit, eine leidenschaftliche und immens spannende Geschichte darüber, was mit denen geschieht, die die Regeln brechen, aber auch darüber, welches Schicksal jene ereilt, die die Regeln aufgestellt haben.

Oben ist es still von Gerbrand Bakker
Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke
Suhrkamp Verlag, 2008
Gebundene Ausgabe, 315 Seiten

Kurzbeschreibung
Helmer van Wonderen, Bauer wider Willen, macht klar Schiff. Er verfrachtet seinen bettlägerigen Vater ins Obergeschoß, entrümpelt Wohn- und Elternschlafzimmer, streicht Dielen, Fenster, Türen und Wände und schafft neue Möbel an. Das Gemälde mit den schwarzen Schafen, die Fotografien von Mutter und die alte Standuhr kommen nach oben, alle Pflanzen, die blühen können, auf den Misthaufen. Da Vater ihm nicht den Gefallen tut, einfach zu verschwinden, sich von einem Windstoß hinwegfegen zu lassen oder wenigstens zu sterben, richtet Helmer sein Leben unten neu ein. Seine ungelebten Träume kann er jedoch nicht so leicht entsorgen. Als er eines Tages unerwartet Post erhält, brechen sich Erinnerungen Bahn. »Henk hätte hier wohnen sollen. Mit Riet und mit Kindern.« Henk, der Zwillingsbruder, ist lange tot. Riet aber lebt, und sie hat einen Sohn.

Gerbrand Bakkers erster Roman war in den Niederlanden ein großer Publikumserfolg. Genau in der Beobachtung von Mensch und Natur, subtil in der Anspielung und von zärtlicher Skurrilität, entwickelt Bakkers trockener, lakonischer Erzählstil von der ersten Seite an einen unwiderstehlichen Sog. Unversehens findet man sich mit einem wortkargen Bauern inmitten von Milchkühen, Texel-Schafen, einer Nebelkrähe und zwei Eseln an die großen Fragen des Lebens erinnert und versteht, daß Komik und Tragik, Witz und Wehmut, oben und unten unauflöslich zusammengehören.

Falling Man von Don DeLillo
Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert
Gesprochen von Christian Brückner
Parlando, 2007
7 CDs, 519 Minuten Laufzeit

Kurzbeschreibung
Don DeLillos großer Roman über den 11. September

New York in Asche und Rauch am 11. September. In eindringlichen Bildern zeichnet DeLillo den Ablauf der Ereignisse nach: von den Tätern zu den Opfern, von Hamburg nach New York. In unvergesslichen Szenen entsteht das Leben einer Familie nach der Katastrophe, die berührende Geschichte einer Liebe ohne Zukunft. Mit seiner sprachlichen Kunst und seiner packenden Erzählweise gelingt es Don DeLillo in Falling Man, das scheinbar Unsagbare überzeugend in Worte zu fassen.

Karg und klar ist DeLillos Blick für die geheimen Details des Alltags, die in jedem noch so unscheinbaren Augenblick die Zerbrechlichkeit des Ganzen ahnen lassen.

Quellen: Börsenblatt, Wikipedia Fotos: Wikipedia, Flickr

Elke Heidenreich wird 65 – Happy Birthday!

DasErste gratuliert Elke Heidenreich.

Unverblümt erklärt sie, an welchem Körperteil ihr das „blöde Datum“ vorbeigeht, das diesem Film als Anlass dient. Elke Heidenreich wurde gestern 65, eine Frau im Pensionsalter stellt man sich irgendwie anders vor. Gegen ein Geburtstagsporträt hatte sie nichts einzuwenden, obwohl sie das Interview in ihrem holländischen Feriendomizil mit hörbar erkälteter Stimme geben musste. Kleine Handycaps ignoriert sie lässig, und nicht einmal die Krebserkrankung, die sie vor fünf Jahren heimsuchte, konnte ihren phänomenalen Tatendrang bremsen.

Claudia Müllers Beitrag der Reihe „höchstpersönlich“ in der ARD wirkt anfangs wie ein Werbespot für Heidenreichs ZDF-Erfolgssendung Lesen!, zeigt aber auch unbekanntere Facetten des Essener Energiewunders. Und hat als Laudator den FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher gewonnen, der sich mit dem denkwürdigen Satz verewigt: „Es gab vor Elke Heidenreich im machtvollen Sinne keine Literaturkritikerin in Deutschland.“

Sie rückt das zurecht, indem sie von der „Literaturkritik“ entschieden abrückt und sich zu dem bekennt, was sie in ihrer Sendung unter die Leute streut: Leseempfehlungen der subjektiv begeisterten Art.

Nun hat sich ihr Interesse auf die Oper verlagert, und selbst wer ihre Libretto-Versuche skeptisch betrachtet, muss ihre unablässigen Neuanfänge bewundern. Am sympathischsten berührt das Geständnis, hinter ihrer strahlenden Dynamik verberge sich ein Gefühl der „Grundvergeblichkeit und Melancholie“. Das macht sie und diesen Film glaubwürdiger als alles andere.

Höchstpersönlich, Samstag, 14.03 Uhr, ARD

Quelle: Süddeutsche Zeitung