Literaturverfilmung: Schande von J.M. Coetzee ab 17.09. im Kino (Trailer)

Am 17.09. startet die Literaturverfilmung von „Schande“ (orig. Disgrace) von dem vielfach ausgezeichneten südafrikanischen Schriftsteller J.M. Coetzee in den deutschen Kinos. Coetzee, geboren 1940 in Kapstadt, erhielt zwei Mal den Booker Prize (u.a. 1999 für Schande) und 2003 den Literaturnobelpreis.

1974 veröffentlichte Cotzee seine erste Erzählung unter dem Titel Dusklands. In ihr wurden Parallelen zwischen Amerikanern in Vietnam und der niederländischen Besiedlung Südafrikas gezogen. Seine Werke nehmen immer sehr deutlich Bezug auf die sozialen und politischen Missstände und Probleme seines Landes und stellen die Menschlichkeit auf hohem ästhetischen Niveau in den Mittelpunkt. Einzelschicksale werden allegorisch für alle Menschen dargestellt.

In Schande setzt sich der Autor, neben den Konflikten zwischen Schwarzen und Weißen sowie zwischen Männern und Frauen, auch mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier auseinander.

In den Hauptrollen agieren John Malkovich als David Lurie und Fiona Press als Lucy. Weiterhin sind Scott Cooper, Eriq Ebouaney, Jessica Haines in dem Film zu sehen. J.M. Coetzee arbeitete an dem Drehbuch mit.

Zum Inhalt
David Lurie ist schon in seinem eigenen Leben kein Held, geschweige im dem von jemand anderem. Mit 52 Jahren ist der Protagonist von Schande am Ende seines beruflichen wie auch seines Liebeslebens angelangt und scheint geradezu absichtlich mit dem Unglück zu flirten. Seit langem Professor für Neuere Philologien am Cape Town University College in Kapstadt, wurde er kürzlich zum Assistenzprofessor für Kommunikation derselben Einrichtung degradiert, die mittlerweile ostentativ in Cape Technical University umbenannt wurde.

SchandeObwohl er seiner neuen Disziplin täglich viele Stunden widmet, findet er deren erste Prämisse, wie sie im „Communications 101“-Handbuch formuliert ist, geradezu absurd: „Die menschliche Gesellschaft hat die Sprache erfunden, damit wir unsere Gedanken, unsere Gefühle und unsere Absichten einander mitteilen können.“ Seiner Ansicht nach — die er für sich behält — liegen die Ursprünge der Sprache im Gesang, die Ursprünge des Gesangs wiederum in der Notwendigkeit, die übergroße und ziemlich leere menschliche Seele mit Klang zu erfüllen.

David, der bereits zweimal geschieden ist und dessen äußerliche Anziehungskraft nachläßt, verführt auf ziemlich unbarmherzige Weise eine seiner Studentinnen; sein unschickliches Verhalten wird bald aufgedeckt. In seinem achten Roman wäre J.M. Coetzee vielleicht damit zufrieden gewesen, eine tiefgründige akademische Satire zu schreiben. Aber in Schande hat er sich weitaus mehr vorgenommen, und seine Kunst ist so kompromißlos wie seine Hauptfigur — allerdings auch unendlich komplexer. Nicht bereit, das Spiel der öffentliche Reue mitzumachen, läßt sich David schließlich feuern — eine letzte Geste der Verachtung. Nun, denkt er, kann er sich hinsetzen und etwas über Byrons letzte Lebensjahre schreiben — keine leere, ungelesene Kritik, „Prosa als Meterware“ sozusagen, sondern ein Libretto. Zu diesem Zweck reist er in die Ost-Kap-Provinz zur Farm seiner Tochter. Lucy, die Mitte Zwanzig ist, kehrte dem Schick der Stadt den Rücken und lebt nun auf fünf Hektar Land vom Blumen- und Gemüseanbau und einem Hundeasyl. „Nichts könnte einfacher sein“, denkt David. In Wirklichkeit könnte nichts schwieriger sein — oder, jetzt im neuen Südafrika, gefährlicher. Weit davon entfernt, die Zuflucht zu sein, die er gesucht hat, ist in Salem kaum etwas sicher. Gerade als sich David in seine vorübergehende Rolle als Landarbeiter und wenig begeisterter Freiwilliger im Tierheim eingelebt hat, werden er und Lucy von drei schwarzen Männern überfallen. Unfähig, seine Tochter zu beschützen, ist Davids Schande nun komplett. Ihre ist allerdings weitaus größer.

Es gibt in Coetzees schmerzlichem Roman viel mehr zu erkunden, und wenig davon ist tröstlich. Es wäre zu einfach, seinen Titel aufzugreifen und Schande als eine komplizierte Aufarbeitung persönlicher und politischer Schande und Verantwortung zu betrachten. Aber das Anliegen des Autors ist die Geschichte seines Landes, die Brutalitäten und der Verrat. Coetzee setzt sich auch mit der Frage auseinander, wieviel Seele und wieviele Rechte wir Tieren zugestehen. Nach dem Überfall nimmt David seine Rolle im Hundeasyl viel ernster und findet schließlich eine Art Zuhause und ein gewisses Maß an Liebe. In Coetzees The Lives of Animals, vor kurzem in der Schriftenreihe der Princeton University erschienen, erzählt eine alternde Romanschriftstellerin ihren Zuhörern, daß die Frage, die alle Labor- und Zootiere beschäftigt, lautet: „Wo ist mein Zuhause, und wie komme ich dorthin?“ Obwohl er im Vergleich zu den ungewollten Tieren, die in seiner Obhut sind, geradezu allmächtig ist, ist David letztendlich genauso gefangen und genauso verloren wie sie.

Schande ist geradezu gewollt einfach. Und doch besitzt es seine ganz eigene magere, herzzerreißende Lyrik, vor allem in den Beschreibungen der ungewollten Tiere. Am Anfang der Geschichte erklärt David seiner Studentin, daß Lyrik den Leser entweder sofort anspricht — „eine plötzliche Offenbarung und eine plötzliche Reaktion“ — oder überhaupt nicht. Coetzees Buch spricht da anders; seine Schichten und Traurigkeiten wickeln sich endlos ab. —Kerry Fried, Amazon Redaktion

Neue Literatursendung im WDR mit Christine Westermann ab Herbst 2009

Wie das Börsenblatt heute berichtet, soll Christine Westermann im Herbst eine eigene Literatursendung im WDR-Fernsehen bekommen.

Die WDR-Sendersprecherin Stefanie Schneck teilte auf Anfrage des Börsenblatts mit, dass es Überlegungen für ein Format gibt.

Das neue Format soll voraussichtlich im Herbst starten, einen konkreten Termin gebe es noch nicht. Auch über das genaue Konzept der Sendung machte Schneck keine Angaben.

Wie es heißt, soll lit.Cologne-Leiter Werner Köhler mit Westermann durch die Sendung führen.

Christine Westermann ist als Fernseh- und Radiomoderatorin, Journalistin und Autorin tätig.
Ab 1972 arbeitete sie als freie Journalistin für diverse Radio- und Fernsehsender, produzierte Filme und Reportagen und moderierte im ZDF die drehscheibe. 1983 wechselte sie zum WDR und moderierte jahrelang mit Frank Plasberg die Aktuelle Stunde.

Seit 1996 moderiert Westermann gemeinsam mit Götz Alsmann die Sendung Zimmer frei!, in der ein jeweils wechselnder prominenter „WG-Gast†œ mit ungewöhnlichen Aufgaben und Spielen konfrontiert wird.  Für die Arbeit an Zimmer frei! wurde das Moderatoren-Duo 2000 mit dem renommierten Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnet.

Christine Westermann ist auch als Moderatorin für den Radiosender WDR 2 tätig, wo sie im Wechsel mit ihren Kollegen den Montalk und sonntags den Buchtipp präsentiert.

1999 veröffentlichte Christine Westermann ihr erstes Buch Baby, wann heiratest du mich? Ein Roman aus dem Beziehungsdschungel, ein Jahr später folgte Ich glaube, er hat Schluss gemacht. Geschichten aus dem richtigen Leben. 2008 erschien das gemeinsam mit Jörg Thadeusz geschriebene Buch Aufforderung zum Tanz †“ Eine Zweiergeschichte †“, ein Briefwechsel zwischen zwei Journalisten.

Quellen: Wikipedia, Börsenblatt

Suhrkamp Verlag veröffentlicht unbekanntes Max Frisch-Tagebuch 3

An den Leser
Der verehrte Leser – einmal angenommen, daß es ihn gibt, daß jemand ein Interesse hat, diesen Aufzeichnungen und Skizzen eines jüngeren Zeitgenossen zu folgen, dessen Schreibkraft niemals in seiner Person, nur in seiner Zeitgenossenschaft begründet sein kann, vielleicht auch in seiner besonderen Lage als Verschonter, der außerhalb der nationalen Lager steht – der Leser täte diesem Buch einen großen Gefallen, wenn er, nicht nach Laune und Zweifel hin und her blätternd, die zusammensetzende Folge achtete; die einzelnen Steine eines Mosaiks, und als solches ist dieses Buch zumindest gewollt, können sich alleine kaum verantworten.

Max Frisch, Zürich, Weihnachten 1949

tagebuch-1946-1949Mit diesen Zeilen eröffnet Max Frisch das Tagebuch 1946-1949. Aus den etwa 130 Notizheften, die Frisch in der Nachkriegszeit anlegte, ging 1947 zunächst das literarische Tagebuch mit Marion hervor. Peter Suhrkamp ermutigte Frisch, das Konzept weiter auszubauen, und gab durch persönliche Rückmeldung zu den Texten konkrete Anregungen. 1950 erschien im neu gegründeten Suhrkamp Verlag das Tagebuch 1946-1949, ein Mosaik aus Reiseberichten und autobiographischen Betrachtungen, politischen und literaturtheoretischen Essays, sowie literarischen Skizzen, die Frischs Dramen und wesentliche Motive seines erzählerischen Schaffens des kommenden Jahrzehnts vorwegnahmen.

tagebuch-1966-19711972 erschien das Tagebuch 1966†“1971.

Bislang ging man davon aus, dass Frisch als 70-Jähriger ein später begonnenes drittes Tagebuch vernichtete, weil er sich dessen kreativer Gestaltung aufgrund eines zunehmenden Verlusts seines Kurzzeitgedächtnisses nicht mehr gewachsen fühlte. So endet sein zweites Tagebuch mit den Worten: „Laut Statistik hat sich das durchschnittliche Lebensalter weiter erhöht; als ich 73 bin, beträgt das durchschnittliche Lebensalter bereits 74 – ich erkläre meinen Austritt….“

Heute wurde bekannt, dass der Suhrkamp Verlag anlässlich seines 60-jährigen Bestehens im März 2010 ein bisher unbekanntes Werk von Max Frisch veröffentlicht. Fast 20 Jahre nach dem Tod des Schriftstellers erscheint das 184seitige Typoskript mit dem Titel Tagebuch 3. Es schließt an die beiden Tagebuch-Publikationen von 1950 und 1972 an. Laut Beschriftung des Autors sind die Aufzeichnungen 1982 in New York entstanden. Das Werk wurde nach Verlagsangaben erst vor wenigen Monaten im Züricher Max-Frisch-Archiv entdeckt, wo es den Unterlagen von Frischs damaliger Sekretärin zugeordnet war. Es handelt sich teils um Notate von wenigen Zeilen, teils um mehrseitige Passagen, in denen Max Frisch über sich und sein Leben, sein Verhältnis zu Frauen, zu Freunden und seine Beurteilung der politischen Situation in den USA während der Reagan-Administration erzählend reflektiert. Er hat diese Einträge redigiert und ihre Abfolge festgelegt.

Peter von Matt, der Vorsitzende der Max Frisch-Stiftung in Zürich, editiert das Tagebuch 3 und versieht es mit den notwendigen Kommentaren.

Der 1911 in Zürich geborene Max Frisch gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Autoren der Nachkriegszeit. Er starb am 4. April 1991, mitten in den Vorbereitungen für seinen 80. Geburtstag. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehört der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Quellen: Wikipedia, Max-Frisch-Archiv,  BuchMarkt

Micropayment: Shanda Ltd revolutioniert den Buchmarkt in China

680 Millionen Chinesen besitzen ein Handy, es gibt 32 Millionen Blogger und bislang 340 Millionen Internetnutzer. Man geht davon aus, dass sich die Zahl der Internetnutzer, gerade durch die neuen Handys mit der internetkompatiblen Technik, bald verdoppeln wird.

Auch in Sachen E-Publishing werden die Chinesen enorme Sprünge machen. Luc Kwanten, ein ehemaliger amerikanischer Universitätsprofessor, der heute amerikanische Literatur nach Asien verkauft, sieht China als weltweiten Vorreiter für das E-Publishing: „Nirgends wächst das Netz in solch einem Tempo, China wird in Sachen E-Books allen davon galoppieren.“

Die Firma Shanda Interactive Entertainment Limited allen voran. Shanda publiziert 80 Prozent aller chinesischen Internetliteratur. Laut dem Geschäftsführer Hou Xiaoqiang  sind auf der eigenen Seite 400 000 Bücher erhältlich, täglich werden 8000 weitere kapitelweise freigeschaltet. Zehn Millionen Nutzer besuchen die Seite täglich.

Als Leser darf man die erste Hälfte, manchmal auch die ersten zwei Drittel eines E-Books umsonst lesen. Danach zahlt man pro tausend Schriftzeichen einen verschwindend geringen Betrag, am Ende hat man meist nur ein Zehntel dessen bezahlt, was man im Handel für ein gedrucktes Buch ausgeben würde. So werden mit dem Micropayment-Modell Millionen verdient. Unter „Micropayment“ versteht man die Bezahlung  winziger Geldbeträge für das Herunterladen einzelner Musikstücke, Buchkapitel oder Artikel im Netz. In Europa und den USA ist die Debatte, ob Micropayments die Zukunft der Medien retten können, noch keineswegs entschieden.

Bislang beschränkt sich das Angebot von Shanda größtenteils auf „Teenie-Literatur“ und Actiongeschichten, bei deren Aufbau man eher an Videospiele denkt als an Romane. Die großen Geschäfte macht die Firma seit zehn Jahren mit Onlinespielen, die Literatur ist nur ein Nebengeschäft.

Zunehmend attraktiver wird Shanda für Autoren, Texte können relativ unkontrolliert veröffentlicht werden, die Tendenz, Bücher zu kaufen, nimmt bei den Chinesen ab. So bietet der Ausweg ins gelobte Netz vielen Autoren eine Chance.

Die Printverlage sehen hilflos zu, wie Shanda quasi über Nacht den Buchmarkt revolutioniert. Erst kürzlich hat das Unternehmen dem britischen Verlag Penguin tausende von Buchtiteln abgekauft. Sie werden über die Website von Shanda veröffentlicht, gedruckt wird allerdings nur, was auch häufig angeklickt wird.

Auf der vom 14. bis 18. Oktober 2009 stattfindenden Frankfurter Buchmesse ist China Ehrengast.

Am 14.10.2009 werden Hou Xiaoqiang (CEO Shanda Literatur Limited), Jianguo Liu (Generaldirektor, die General Office of GAPP, VR China), Jiao Yang (Director General, Shanghai Verwaltung für Presse und Publikationen, VR China), Zhou Hongli (CCO Shanda Literatur Limited) erwartet. Es geht um die Themen: Wie funktioniert das „Geschäftsmodell Shanda“? Wie wirkt es sich auf das traditionelle Verlagswesen aus? Der nächste Schritt: E-Books, Handys und gedruckte Bücher.

Laut der Süddeutschen Zeitung soll Hou Xiaoqiang übrigens geäußert haben, dass er gern die gesamte deutsche Literatur auf seiner Website verkaufen würde.

Quelle: Süddeutsche Zeitung

Jury gibt Shortlist für den Preis der SWR-Bestenliste bekannt

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Die Shortlist, bestehend aus zehn Titeln,  für den Preis der SWR-Bestenliste wurde bekanntgeben. Der mit 10 000 Euro dotierte „Preis der SWR-Bestenliste“ wird von einer 30-köpfigen Jury gewählt und beim Kritikertreffen in Baden-Baden am 11. September 2009 vergeben.

Nominiert sind:

Per Olov Enquist: Ein anderes Leben, Hanser

ein-anderes-leben1Kurzbeschreibung
Von einem, der als Sohn einer strenggläubigen Volksschullehrerin in einem Dorf in Schweden aufwuchs und zu einem der angesehensten europäischen Schriftsteller wurde. Per Olov Enquist erzählt seine Lebensgeschichte, als ob es die eines anderen wäre: Er studierte in Uppsala, erlebte die RAF-Zeit in West-Berlin, schrieb in München als Journalist über die Olympiade und debütierte mit seinem ersten Theaterstück am Broadway in New York. „Wenn alles so gut ging, wie konnte es dann so schlimm werden?“ – steht als Leitfrage über Enquists Biografie, die auch tief in die Alkoholabhängigkeit und an den Rand des Todes führte. Ein außergewöhnliches Buch, das sich liest wie ein zeitgenössischer Roman.

Anna Katharina Hahn: Kürzere Tage, Suhrkamp

kurzere-tage1Kurzbeschreibung
Marco wohnt im Hochhaus an der Hauptstraße. Von hier ist es nicht weit bis zum Olgaeck, und hinter dem Olgaeck liegt die Constantinstraße, wo die Altbauten unter Denkmalschutz stehen und die Äpfel beim türkischen Feinkosthändler teurer sind als im Hauptbahnhof. Hier wohnen die Aufsteiger, Übermütter und ihre wohlerzogenen Kinder. Hier scheint alles in Ordnung – wenn man nicht vom Supermarkt ins Büro und vom Büro in den Kindergarten hetzt, so wie Leonie, wenn man nicht am Doppelleben als Karrierefrau und Mutter verzweifelt. Judith findet Halt in der Anthroposophie. Hingebungsvoll pflegt sie den Jahreszeitentisch für ihre Kleinen. Doch nachts helfen nur Tabletten gegen die Angst. Im Nebenhaus wohnen die alten Posselts. Sie haben geschafft, wovon die Enkelgeneration nur träumt, nämlich ein Leben lang zusammenzubleiben. Da versetzt Marco die Nachbarschaft in Aufruhr. Kürzere Tage ist eine wortmächtige Bestandsaufnahme und eine melancholische Abrechnung mit einer Gesellschaft, in der alle Werte fragwürdig geworden sind.
Wohlstand und Aussichtslosigkeit, Eurythmie und Hysterie, Elternglück und Kinderleid. Virtuos schildert Anna Katharina Hahn das satte Stuttgart von einer anderen Seite.

Aleksandar Hemon: Lazarus, Knaus

lazarusKurzbeschreibung
In seinem neuen Roman folgt Aleksandar Hemon den Spuren eines ungelösten historischen Mordfalls. Dabei entdeckt sein Held Parallelen zwischen gestern und heute, begegnet einem verschollenen Freund und macht sich auf die Suche nach den eigenen Wurzeln in einem fernen Land. Eine lakonische, höchst unterhaltsame und rasant erzählte Geschichte über politische Hysterie, Heimatlosigkeit und geplatzte Träume. Und die Geschichte einer Männerfreundschaft, die ihresgleichen sucht. Durch Zufall stößt der Schriftsteller Vladimir Brik in Chicago auf die Geschichte von Lazarus Averbuch, der 1908 während der Anarchistenunruhen erschossen wurde. Brik ist von Lazarus‘ Schicksal tief berührt und beschließt, nach Osteuropa in die Heimat des jungen Einwanderers zu reisen. Kurz vor seinem Aufbruch läuft ihm Rora über den Weg, ein Jugendfreund aus Sarajevo – und Brik weiß, dass er den idealen Reisegefährten gefunden hat. Schon damals in Sarajevo war Rora das, wovon Jungs wie Brik nur zu träumen wagten: cool, charmant, verwegen. Brik und Rora machen sich auf, die Spuren des fremden Toten zu suchen. Doch im Grunde ihres Herzens wissen sie, dass diese Reise von der Neuen in die Alte Welt eine Reise zu den eigenen Wurzeln ist.

Reinhard Jirgl: Die Stille, Hanser

die-stille1Kurzbeschreibung
Einhundert Jahre aus der Geschichte zweier Familien und aus der Geschichte eines Landes: Reinhard Jirgls „Die Stille“ ist das monumentale Epos vom langen 20. Jahrhundert in Deutschland. Am Anfang steht ein Fotoalbum, die ältesten Bilder sind über achtzig Jahre alt: einhundert Fotografien zweier Familien, die eine aus Ostpreußen stammend, die andere aus der Niederlausitz. Zwei Weltkriege, Inflation, Flucht und Vertreibung haben diese beiden Familien über fünf politische Systeme hinweg, von der Kaiserzeit bis heute, überlebt. Den einhundert Fotografien folgend, erzählt Jirgl Geschichten von Verletzungen, Liebe und Verrat. „Die Stille“ bestätigt seinen außergewöhnlichen Rang.
Reinhard Jirgl wurde für seinen Roman „Die Stille“ bereits mit dem Grimmelshausen-Preis 2009 ausgezeichnet.

Hans Pleschinski: Ludwigshöhe, C.H. Beck

ludwigshoheKurzbeschreibung
Die drei Geschwister Berg – Clarissa, Monika und Ulrich – machen ein vertracktes Erbe. Ihr Onkel Robert bedenkt sie mit gewaltigen und weit verzweigten Vermögenswerten, allem voran mit einer Villa am Starnberger See. All dies könnte sie auf einen Schlag von ihrem ermüdenden, nicht unbedingt aussichtsreichen Existenzkampf befreien. Aber er macht ihnen eine Auflage: Sie müssen dieses Haus als Hort und Zufluchtsort für Lebensmüde betreiben und ihnen auch das eine oder andere nützliche Utensil bereithalten; nicht nur rechtlich eine Gratwanderung. Voller Skrupel und Ängste, aber auch scharf aufs Erbe öffnen die Geschwister die Villa an der Ludwigshöhe für eine stetig wachsende Zahl von Finalisten . Da findet sich eine verzweifelte Verkäuferin neben dem Bühnenbildner mit gewissen körperlichen Defiziten ein, eine ausgebrannte Lehrerin neben einer vereinsamten Schauspielerin, eine medikamentenabhängige Witwe neben der liebeskranken Domina, ein bankrotter Verleger, aber auch eine erst 17jährige syrische Immanitin, die Angst hat, Opfer eines Ehrenmords zu werden. Während die Geschwister den Keller des Hauses mit praktischen Kühltruhen füllen, machen die Moribunden fast gar keine Anstalten mehr, ihrem dunklen Drang zu folgen. Die alte Villa erlebt ein Fest des Lebens – der kuriosen Beziehungen, Gespräche, Annäherungen und Abstoßungen, neuer Liebe und Lebensmutes – wie es als frisches, zeitgemäßes Panorama und in brillant-unterhaltsamer Form nur Hans Pleschinski inszenieren kann.
Ein großer Roman, der ein ebenso präzises wie farbiges Bild des gegenwärtigen Lebens bietet, der Versagungen, Überforderungen und Zwänge, aber auch der Wünsche, Sehnsüchte und der Möglichkeiten, die dem Dasein auch abzugewinnen sind.

Kathrin Schmidt: Du stirbst nicht, Kiepenheuer & Witsch

du-stirbst-nichtKurzbeschreibung
Vom Hirnschlag erwacht – die Geschichte einer Heilung Helene Wesendahl weiß nicht, wie ihr geschieht: Sie findet sich im Krankenhaus wieder, ohne Kontrolle über ihren Körper, sprachlos, mit Erinnerungslücken. Ihr Weg zurück ins Leben konfrontiert sie mit einer fremden Frau, die doch einmal sie selbst war. Kathrin Schmidt packt ihre Leser diesmal durch die Beschränkung, und zwar im wörtlichen Sinne. Mit den Augen ihrer erwachenden Heldin blicken wir in ein Krankenzimmer, auf andere Patienten, das Pflegepersonal und den eigenen Körper, der plötzlich ein Eigenleben zu führen scheint. Und wir erleben die mühsamen Reha-Maßnahmen mit, die Reaktionen der Familie, den aufopferungsvollen Einsatz ihres Mannes – und die bruchstückhafte Wiederkehr ihrer Erinnerung. Was da zutage tritt, konfrontiert Helene mit einem Leben, in dem sie sich kaum wiedererkennt, und das vieles in Frage stellt, was in der neuen Situation so selbstverständlich scheint. Sie entdeckt frühe Brüche in ihrer Biographie, verdrängte Leidenschaften und aus der Not geborene Verpflichtungen. Als ihr bewusst wird, dass ihr Herz sich bereits auf Abwege begeben hatte und sie den Mann, der sie jetzt so eifrig pflegt, eigentlich verlassen wollte, droht sie den Boden unter den Füßen zu verlieren. Kathrin Schmidt gelingt das Erstaunliche: Sie macht den Orientierungs- und Sprachverlust nach einer Hirnverletzung erfahrbar und zeigt einen Weg der Genesung, der in zwei Richtungen führt, zurück und nach vorn. Dabei entsteht ein Entwicklungsroman ganz eigener Art, der durch seine innere Dynamik fesselt und durch die Rückhaltlosigkeit, mit der seine Heldin sich mit ihrer Vergangenheit und Gegenwart konfrontiert, fasziniert. Er überzeugt vor allem durch die bewegende Schilderung eines sprachlichen Neubeginns.

Julia Schoch: Mit der Geschwindigkeit des Sommers, Piper

mit-der-geschwindigkeit-des-sommersKurzbeschreibung
Vor allem die Frauen waren übermütig, ihre Gesichter leuchteten, und ihr Lachen hörte man die ganze Nacht hindurch. Als hätte ihnen nun der Lauf der Geschichte, die Auflösung unseres Staates, ein Argument für ein eigenes Leben gegeben. Meine Schwester aber, die in der Abgeschiedenheit der Kiefernwälder und des Stettiner Haffs von der Freiheit geträumt hatte, hatte noch nichts, das sich zu verlassen lohnte. Nur die Familie, den Ehemann. Aber sie blieb, traf sich wieder mit ihrem alten Liebhaber und gab sich fast schwärmerisch der verlockenden Vorstellung hin, dass in diesem anderen Staat ein anderer Lebenslauf für sie bereitgestanden hätte. Wäre ich aufmerksamer gewesen, hätte ich ihre verhängnisvolle Entscheidung vielleicht rückgängig machen können.

Uwe Tellkamp: Der Turm, Suhrkamp

der-turmKurzbeschreibung
Hausmusik, Lektüre, intellektueller Austausch: Das Dresdner Villenviertel, vom real existierenden Sozialismus längst mit Verfallsgrau überzogen, schottet sich ab. Resigniert, aber humorvoll kommentiert man den Niedergang eines Gesellschaftssystems, in dem Bildungsbürger eigentlich nicht vorgesehen sind. Anne und Richard Hoffmann, sie Krankenschwester, er Chirurg, stehen im Konflikt zwischen Anpassung und Aufbegehren: Kann man den Zumutungen des Systems in der Nische, der »süßen Krankheit Gestern« der Dresdner Nostalgie entfliehen wie Richards Cousin Niklas Tietze – oder ist der Zeitpunkt gekommen, die Ausreise zu wählen? Christian, ihr ältester Sohn, der Medizin studieren will, bekommt die Härte des Systems in der NVA zu spüren. Sein Weg scheint als Strafgefangener am Ofen eines Chemiewerks zu enden. Sein Onkel Meno Rohde steht zwischen den Welten: Als Kind der »roten Aristokratie« im Moskauer Exil hat er Zugang zum seltsamen Bezirk »Ostrom«, wo die Nomenklatura residiert, die Lebensläufe der Menschen verwaltet werden und deutsches demokratisches Recht gesprochen wird. In epischer Sprache, in eingehend-liebevollen wie dramatischen Szenen entwirft Uwe Tellkamp ein monumentales Panorama der untergehenden DDR, in der Angehörige dreier Generationen teils gestaltend, teils ohnmächtig auf den Mahlstrom der Revolution von 1989 zutreiben, der den Turm mit sich reißen wird.

Uwe Timm: Halbschatten, Kiepenheuer & Witsch

halbschattenKurzbeschreibung
Ein Oratorium auf eine zu allem entschlossene junge Fliegerin und eine ungelebte Liebe. Marga von Etzdorf, eine junge Fliegerin, erschießt sich im Mai 1933 in Aleppo, Syrien, nach einer Bruchlandung. Sie ist 25 Jahre alt. Ihr Grab liegt auf dem Berliner Invalidenfriedhof. Was hat sie hier, zwischen den Toten der preußischen Militärgeschichte, NS-Größen und zivilen Opfern der letzten Kriegstage, zu suchen? Gibt es eine Erklärung für ihren gewaltsamen Tod? Der Stadtführer, der Uwe Timms Erzähler über den Invalidenfriedhof geleitet, weist auf beunruhigende Nachbarschaften hin. Hier liegt nicht nur Scharnhorst, der Held der Befreiungskriege, sondern auch Heydrich, der Organisator der Judenvernichtung, neben namenlosen Opfer aus dem Mai `45. Die Toten beginnen zu reden, sich zu erklären, zu rechtfertigen. Unter den Stimmen, die zu dem Erzähler sprechen, ist auch der junge Kampfflieger Christian von Dahlem. Auf einem ihrer spektakulären Langstreckenflüge hatte Marga von Etzdorf in Japan Dahlem kennengelernt und mit ihm ein seltsame, zauberhafte Nacht verbracht – eine Nacht des Erzählens. Zusammen in einem Zimmer, aber getrennt durch einen Vorhang, waren die beiden sich fern und gewährten einander doch Nähe. In einem Augenblick innerer Preisgabe erzählen sie sich ihre Leben – und müssen sich am nächsten Morgen trennen. Dieses Oratorium des Schreckens und der Liebe, in dessen Mittelpunkt Marga und von Dahlem stehen – eine unbedingte Liebe und ein Verrat -, beschwört zugleich die Dämonen und Engel der Geschichte und erzählt von Haltungen und Sichtweisen, von denen die deutsche Geschichte geprägt und gezeichnet ist. Vielstimmig und vielschichtig, gedanken- und anspielungsreich, klug und bewegend, begibt sich dieser Roman auf ein Terrain, wo sich die Gewalt der Geschichte, der Zufall und das individuelle Schicksal begegnen, einander bestätigen, aber auch widersprechen – für den, der zu hören vermag.

Olga Tokarczuk: Unrast, Schöffling & Co.

unrastKurzbeschreibung
Eine Frau und ihr kleiner Sohn verschwinden auf mysteriöse Weise während des Urlaubs; eine orthodoxe Sekte will durch ständige Bewegung dem Teufel entkommen; die Ich-Erzählerin auf permanenter Wanderschaft: In ihrem neuen Buch Unrast beschäftigt sich die große polnische Autorin Olga Tokarczuk mit der Reiselust und dem Nomadentum des modernen Menschen. In einer Vielfalt von Texten, von der Reiseerzählung über mythologische Geschichten bis zur pointierten philosophischen Betrachtung, bannt sie die Hektik des modernen Lebens in einen feinverwobenen erzählerischen Kosmos, der durch brillante Prosa besticht.
Olga Tokarczuks Figuren sind Getriebene, Flüchtende vor der Starrheit der Zuordnung, der Verwurzelung, rastlos auf der Suche nach einer immateriellen Heimat. Der Weg dorthin führt durch ein faszinierendes Labyrinth von Geschichten über Menschen, Dinge, Orte und Zeiten, die dieses Buch zu einer wahren Welt für sich machen.
„Die Reise ist wohl die größtmögliche Annäherung an das, was unsere moderne Welt zu sein scheint: Bewegung und Instabilität. Jede Epoche sieht sich versucht, den Zustand des zeitgenössischen Menschen mit irgendeinem schlauen Wort zu beschreiben. Mir scheint, dass für unsere Zeit ‚Unrast‘ ein solches Wort sein könnte.“ Olga Tokarczuk