Im Sitzen läuft es sich besser davon von Alois Hotschnig [Rezension]

Im Sitzen läuft es sich besser davon von Alois Hotschnig

In sechs Erzählungen unterschiedlichster Länge entfaltet Alois Hotschnig eine Welt des Alterns zwischen Vernunft und Verfall. Der Titel des Bandes ist zugleich der letzte Satz der letzten Erzählung. So entsteht eine Klammer, die die Sammlung in einen diskreten Zusammenhang bindet.

Der erste Text mit der Überschrift „Karl†œ beschreibt das symbiotische Zusammenleben eines älteren namenlosen Ehepaares mit ihrem Hund Karl. Die anfänglich noch realistisch wirkende Konzentration auf das Haustier schlägt zunehmend ins Absurde um, da Karl nicht nur „Mann†œ und „Frau†œ, sondern allmählich den ganzen Ort mit Bissen traktiert und beherrscht. Obwohl bandagierte Bisswunden bald zum Erscheinungsbild der örtlichen Bevölkerung gehören, ergreift keiner naheliegende Maßnahmen; die Launen des Hundes werden als unabänderlich hingenommen. Als seine Bisse schließlich als heilbringend begehrt werden, nimmt die Erzählung märchenhafte Züge an. Zum Schluss verschwindet Karl unter ungeklärten Umständen.

Trotz dieses inhaltlichen Normbruchs präsentiert die Eingangserzählung sich jedoch als normale Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende. Die allwissende Erzählerstimme gestaltet einen zusammenhängenden Verlauf aus einer übergeordneten Perspektive. So wird eine Kontrollfähigkeit vermittelt, die den darauffolgenden Texten fehlt. Es ist als ob mit dem Verschwinden Karls auch der ordnende Zugriff abhanden gekommen. Von nun an wird in Dialogen, direkter und erlebter Rede erzählt, die Einheiten werden kleiner.

Das macht sie keineswegs sinnentleert. In „Die großen Mahlzeiten†œ wird besprochen, in welchem Rhythmus die Medikamente zwischen den Mahlzeiten genommen werden sollen. Darüber herrscht keine Einigkeit, man diskutiert, beobachtet sich gegenseitig und der Kreis von Teilnehmern ist unscharf. Ich und Du, Vater und Mutter, aber auch Paul, Hans und Franz spielen eine Rolle. Hotschnig bedient sich dabei einer Sprache, die „dem Volk auf’s Maul schaut†œ. Die Versatzstücke klingen alltäglich und vernünftig, die Redewendungen sind konventionell. Erst die kleinen Verschiebungen machen stutzig:

„Wann du kommst, lässt sie fragen. Es ist sieben.
Die Pillen willst du nicht nehmen, sagst du? Warum denn nicht?
Weil ich hungrig bin. Weil mir nach Essen ist. Jetzt. Darauf freue ich mich schon den ganzen Tag. Satt zu sein, endlich einmal.
Aber gegessen habt ihr doch heute? Gefrühstückt. Es ist sieben Uhr abends jetzt, Vater.
Wäre denn jetzt nicht Zeit, dieses Zeug einzunehmen? Um sieben, um elf, um drei und um sieben, das sagst du doch immer. Oder ich frühstücke jetzt und nehme es um acht. Obwohl, wenn ich es um acht nehme, dürfte ich doch erst um neun wieder essen. Sie sagt, wenn ich es um sechs geschluckt hätte, könnte ich jetzt um sieben etwas haben.†œ

Mit der nächsten Erzählung, „Etwas verändert sich†œ, wird das Ensemble der Namen größer, Orte von Flattach bis Arles werden aufgezählt und die Dialoge schwanken in ihrem Realitätsbezug. Gleichzeitig nehmen inhaltlich Begriffe zu, die eine Art Heim, eine gemeinsame Unterbringung anzeigen. Dennoch bleiben die Dialoge konkret, sie zeugen von Vertrautheit und gemeinsamen Erinnerungen. Man spricht von Thea, Klaus und Kurt, den Freunden, und auch von Herrn Orter und Frau Harter. Wieder taucht ein Paul auf, kommt ein Hund vor, doch wer genau gerade spricht, bleibt unklar.

Die kleineren Reisen†œ vermischen nun ganz gezielt die „großen Mahlzeiten†œ der Gegenwart mit den Reisezielen der Vergangenheit. Refrainartig werden Menüs zitiert – „Kürbiscremesuppe, Saftfleisch mit Knödel und Blaukraut, Kompott†œ – ohne dass mit Sicherheit gesagt werden kann, ob das sprechende Paar vom ‚Essen auf Rädern‘ versorgt wird oder bereits in einem Altersheim isst. Ihr Interesse gilt aber vor allem dem Festhalten der Urlaubsorte und -erlebnisse aus vergangenen Tagen. Der erinnerte Figurenkreis expandiert gewaltig, gut dreißig Freunde und Bekannte werden namentlich erwähnt und mit Speisen und Orten verknüpft. Auch Karl ist wieder da, allerdings als Mensch, der mit „Gerda†œ um das Vorrecht des genaueren Erinnerungsvermögens ringt. Hotschnigs Wiedergabe ist dabei durchaus komisch:

Und in Cattolica Hans-Peters erste Lasagne. Er war zum ersten Mal mit dabei, und es war seine erste Lasagne.
Die beinahe seine letzte Lasagne gewesen wäre. Weil er doch am Tag darauf eine Kolik gehabt hat. Wegen der Muscheln.
Wegen der Muscheln war das? Hans-Peter isst keine Muscheln, das stimmt.
Hans-Peter isst überhaupt nicht mehr, Gerda. Zwanzig Jahre ist das jetzt her. Danach hat er sich nur noch von Lasagne ernährt.
†œ

In der vorletzten, sehr kurzen, Erzählung wird nun deutlich ein Umzug vorbereitet. Es scheinen drei Generationen involviert (Grossvater, Sohn und Enkel), aber es bleibt unentscheidbar, ob die Abreise in Richtung Familienanschluss oder eher sogar ins Irrenhaus geht. „Besorgungen für den Tag†œ unterscheidet sich nämlich dahingehend von den übrigen Texten als hier über größere Strecken nun wirklich Non-Sense-Reime aneinandergereiht werden. Gerda ist auch wieder da und der Hund Klabund und eine deutliche Anspielung auf einen anderen Wahnsinn: Brandstiftung. So wie „Die kleineren Reisen†œ auch „Die großen Mahlzeiten†œ hätten heißen können, würde für diese Erzählung „Etwas verändert sich†œ passen. Die „Besorgungen für den Tag†œ wiederum überschreiben genauso gut die Einkaufsbemühungen aus „Die kleineren Reisen†œ. Hotschnig spielt mit diesen Momenten des Wiedererkennens, so dass nicht nur die Grenzen innerhalb der einzelnen Erzählungen, sondern auch die zwischen ihnen verschwimmen.

Der Ort der letzten Erzählung, „Ausziehen ja, anziehen auch†œ, ist eine Arztpraxis. Vom eigenen Haus mit Hund über eine Gemeinschaftsunterkunft verengt sich nun der Raum auf ein Wartezimmer. Die Wörterliste stammt diesmal aus dem Bereich der Medikamente, das Personal aus der Gegenwart und dem erinnerten Café Central. Wieder sind die Dialoge meist voll sinnvoller, gegenseitiger Anteilnahme und lassen sich gut verfolgen, nur das Kreisen um das Immergleiche weist auf einen Verfallsprozess hin.

Sehen Sie?
Sehen Sie, sehen Sie, Sagen Sie mir, was ich sehen soll, vielleicht sehen wir es dann gemeinsam.
Frau Miller. Frau Miller war die Nächste, meine ich. Oder nicht?
Frau Miller war die Nächste, ja. Frau Miller ist immer die Nächste. Seit ich bei der Frau Doktor bin, ist Frau Miller die Nächste oder eine der Nächsten, in jedem Fall aber ist sie vor mir. Und das oft mehrmals am Tag.
Und jetzt?
Was und jetzt, Sie können einen aber auch ganz schön beschäftigen, wissen Sie.
Der Nächste, wer der Nächste ist, jetzt, nach der Frau Miller. Sie? Oder ich? Nach Frau Miller wird ja nicht wieder Frau Miller die Nächste sein. Oder doch?

Zu diesem Zeitpunkt hat man auch als Lesender bereits aufgegeben, die Texte unterscheiden zu wollen, es gibt immer einen davor und einen nächsten. Hotschnig spinnt ein Gewebe, welches einem immer bekannter vorkommt und doch könnte man es nicht nacherzählen. Jede einzelne Äußerung klingt vernünftig, das Ganze aber lässt sich nicht platzieren. Dieses „Dunkel war’s, der Mond schien helle†œ ist keine neue Technik und muss es auch nicht sein; die Frage stellt sich aber, warum Hotschnig sie anwendet. Ist der Erzählantrieb denn wirklich widersprüchlich? Das Bewusstsein der Figuren mag sicherlich ausfransen und die Lebensschau nicht immer chronologisch sein. Der Tonfall aber ist stets gutmütig; man ist willig zu verstehen, zu trösten und aufeinander einzugehen. Insofern verdeutlicht die Absurdität vielleicht lediglich das Asynchrone eines alternden Gehirns. Man wird Zeuge mannigfaltiger Listen von Details †“ Namen, Begriffe und Orte †“ , die nicht mehr gebraucht werden und Redewendungen, die nichts mehr bewirken. So bleibt vielleicht nur der sture Witz übrig, mit dem Frau Hatzer sich im allerletzten Abschnitt widersetzt:

„Frau Hatzer, wollen Sie sich nicht setzen, wo wir endlich einen Platz für Sie gefunden haben, dort wäre noch ein Platz für Sie, sehen Sie?
Das macht nichts. Ich kann auch stehen. Ich versäume nichts, wenn ich stehe und ich versäume nichts, wenn ich sitze. Aber solange ich noch stehen kann, sitze ich doch lieber, wissen Sie. Im Sitzen läuft es sich besser davon.
†œ

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Der 140 Seiten umfassende Erzählband „Im Sitzen läuft es sich besser davon†œ von Alois Hotschnig erschien bei Kiepenheuer & Witsch im September 2009.

Der Lesekreis bedankt sich Gabi für die ausführliche Rezension und beim Verlag Kiepenheuer & Witsch für die freundliche Überlassung eines Rezensionsexemplares.

um[laut] – ein anspruchsvolles Magazin für junge und politische Kunst

Foto: Patrizia Odyniec – Ausschnitt „eine Ordnungswidrigkeit“ © um[laut]

um[laut] ist ein Magazin für junge und politische Kunst. Es erscheint viermal jährlich als Printmagazin und in Farbe. Wer sich für Gesellschaftskritisches, Andersgedachtes von Künstlern, die inspiriert werden von einer gewissen Sorge um die Welt in der sie leben interessiert, sollte unbedingt einen Blick hineinwerfen.

Die aktuelle Ausgabe 08 (3. Quartal 2010) ist unter dem Titel „was glänzt“ erschienen. Darin enthalten sind Fotografien von Caterina Micksch, die sich in einem Interview den Fragen der um[laut]-Redaktion über ihre Arbeit zum Thema Neonatizid stellt. Unter dem Titel „Gretchen 2006/2007“ hat Caterina Micksch die Fundorte von 20 Babyleichen, die 2006 kurz nach ihrer Geburt von ihren Müttern getötet wurden, unter ungewöhnlichen Aspekten imaginiert.

Eine Ordnungswidrigkeit: begangen mit Wasser und Waschmittel. Über die Ästhetik von Normverstößen“ berichten die Fotografien von Patrizia Odyniec auf eindrucksvoll schöne Weise.

Lyrik von Alexander Weinstock, Axel Görlach, Sascha Kokot, Matthias Kröner und Christian Kreis regen zum Nachdenken, Träumen und ein wenig zum Lachen an.

In Eva Romans Kurzgeschichte „Machs gut, Albertine“ wird das Leben weitergehen ob mit oder ohne Albertine. In weiteren Prosastücken geht es in Johann Reissers „Erzählungen an einen Hund„, Roman Schaupps „Der schwere Ausnahmefehler 1N7ST, Daniela Chanas „Pflichterfüllung“ und Jinn Pogys „Nackter Hohn„.

um[laut] präsentiert die anspruchsvollen scharfsinnigen Kurzgeschichten und Gedichte, Fotografien und Malerei oder Streetart so, dass die Kunst in jedem Beitrag in seiner schlichten aber hochwertigen Gestaltung für sich spricht.

Junge Künstler und Kreative, ob etabliert oder Newcomer, werden gebeten, ihre „politische Kunst“ einzureichen.

Die um[laut]-Redaktion, um die Herausgeberin Anne von der Bey, ist nach eigenen Angaben anspruchsvoll, aber immer offen für Unbekanntes und Ungewohntes.

Quelle: um[laut]

Literatur + Neapel: Der Tag vor dem Glück von Erri de Luca

Literatur + Neapel: Der Tag vor dem Glück von Erri de Luca

„Eine archaische Gesellschaft entfaltet sich unter dem Blick Erri de Lucas, eine Gesellschaft, geprägt von Armut, Enge, Religion und Gewalt. Es ist das Neapel kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, der frühen 50er Jahre, also auch das der Kindheit Erri de Lucas. Diese Zeit ist vergangen. In diesem Buch aber erscheint sie noch einmal, wundersam, und schmerzlich schön“, sagt Denis Scheck in seiner Literatursendung „Druckfrisch“ am 29.09.2010 über Erri de Lucas neuen Roman „Der Tag vor dem Glück„.

Kurzbeschreibung
Mit der klaren, bildreichen Sprache des Südens erzählt Erri De Luca die Geschichte eines Waisenjungen, der im Schatten des Vesuvs erwachsen wird. Es ist zugleich eine Liebeserklärung an seine Stadt Neapel: an ihre morbide Schönheit und an ihre freiheitsliebenden, stolzen Bewohner.Der Tag vor dem Glück: Das ist der Tag, an dem es dem kleinen Waisenjungen gelingt, den Ball hinter dem Fuß der marmornen Statue hervorzuangeln jetzt darf er bei den Großen mitspielen. Es ist auch der Tag, an dem er unter einem alten neapolitanischen Mietshaus ein geheimes Verlies voller Bücher entdeckt, in dem ein Jude den Krieg überlebte. Und es ist der Tag, an dem das geheimnisvolle Mädchen Anna ihren Platz am Fenster im dritten Stock verlässt und ihm entgegengeht. Don Gaetano, portiere in eben jenem Mietshaus, wird bald sein väterlicher Freund. Er weist ihn nicht nur in die Geheimnisse des Kartenspiels ein, sondern auch in die Kunst des Gedankenlesens. Und er zeigt ihm, wie man in einer Stadt überlebt, in der Glück und Verderbnis so nah beieinander liegen. Einer der schönsten, erfolgreichsten Romane des italienischen Bestsellerautors nun auf Deutsch.

Die gebundene Ausgabe umfasst 172 Seiten und ist im September 2010 im Graf Verlag erschienen.

Über den Autor
Erri de Luca, 1950 in Neapel geboren, war Maurer und Lastwagenfahrer, fing erst mit vierzig zu schreiben an und ist heute einer der meistgelesenen Autoren Italiens. „Der Tag vor dem Glück“ wurde mit dem Petrarca-Preis 2010 ausgezeichnet.

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Deutscher Buchpreis 2010: Die 20 Bücher der Longlist im Überblick

Deutscher Buchpreis 2010: Jury nominiert 20 Romane

Die Jury hat in den letzten Monaten 148 Titel, die zwischen Oktober 2009 und dem 08. September 2010 erschienen sind oder noch erscheinen, gelesen und heute die 20 Romane, die für die Longlist nominiert sind, bekanntgegeben.

„Nach Monaten der Lektüre, in denen wir immer wieder auch Entdeckungen gemacht haben, haben wir lange und durchaus kontrovers diskutiert. Wir freuen uns, eine Longlist zu präsentieren, die ein breites Spektrum abdeckt: eine Vielfalt der Formen und Welten, die in die deutsche Provinz führen, aber auch nach Russland, Israel, ins ehemalige Jugoslawien, nach Paris oder Prag†œ, sagt Jurysprecherin Julia Encke, Literaturkritikerin bei der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. „Es sind Romane mit eigenwilligen Stimmen, Gesellschaftsporträts und erzählerische Experimente, sehr komisch manchmal, ohne dass sie ihre Figuren denunzieren. Es wird bestimmt nicht leicht sein, aus diesen Titeln eine Shortlist zu erstellen, die, auch in unseren Köpfen, noch überhaupt nicht feststeht. Erst einmal muss alles wieder von vorne diskutiert werden. Wir sind selbst gespannt†œ, so Encke.

Am 8. September 2010 wird die Shortlist mit 6 Titeln veröffentlicht. Am Abend der Preisverleihung, am 4. Oktober 2010 zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römers, erfahren die sechs Autoren, an wen von ihnen der Deutsche Buchpreis geht. Der Preisträger erhält ein Preisgeld von 25.000 Euro; die fünf Finalisten erhalten jeweils 2.500 Euro.

Die nominierten Romane in alphabetischer Reihenfolge:

Alina Bronsky – Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche

Kurzbeschreibung
Die Geschichte der leidenschaftlichsten und durchtriebensten Großmutter aller Zeiten
Am Anfang tut sie alles, um nicht Großmutter zu werden: Im Jahr 1978 ist Rosalinda wild entschlossen, die Schwangerschaft ihrer viel zu jungen und viel zu dummen Tochter zu beenden. Doch das misslingt, und sobald Aminat auf der Welt ist, entbrennt ein rücksichtsloser, grotesk-komischer Kampf um sie.
Jenseits des Urals herrschen klare Verhältnisse: Die Tatarin Rosalinda bestimmt, ihr Gatte Kalganov spurt, und ihre Tochter Sulfia benimmt sich schlecht. Es mangelt an vielem, aber nicht an Ideen, und schon gar nicht an Willenskraft. Es steht also immer etwas Scharfes auf dem Tisch, und alle größeren Malheurs, die Sulfia anrichten könnte, werden verhindert. Nur ihre Schwangerschaft nicht, und auch nicht die Geburt von Aminat, dem genauen Gegenteil ihrer Mutter: schön, schlau, durchsetzungsfähig – ganz die Großmutter eben.
Rosalinda steht zum ersten Mal einem Geschöpf gegenüber, das ihr ebenbürtig ist, und wird die leidenschaftlichste Großmutter aller Zeiten. Im ungleichen Kampf zwischen der glücklosen Sulfia und der rücksichtslosen Rosalinda wird das Mädchen zur Wandertrophäe – und der Leser zum Zeugen haarsträubendster Ereignisse, komischster Szenen, schlagfertigster Dialoge.
Alina Bronsky gelingt eine Glanzleistung: Sie lässt ihre radikale, selbstverliebte und komische Hauptfigur die Geschichte dreier Frauen erzählen, die unfreiwillig und unzertrennlich miteinander verbunden sind – in einem Ton, der unwiderstehlich ist. Durch drei Jahrzehnte und diverse Schicksalsschläge führt sie die ungleichen Frauen, und der Leser folgt ihr atemlos.
Voller Gefühl, Sinnlichkeit, Drastik und Exotik: ein scharfer Frauenroman!

Jan Faktor – Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag

Kurzbeschreibung
Ein ödipales Vergnügen – Faktors erotischer Entwicklungsroman über Widerstände, Schmutz und Schönheit. Georg wächst in der schönsten Wohngegend Prags in einem summenden Frauenhaushalt auf. Leider zur Zeit des politischen Terrors, der überirdischen Atomversuche und später des Reformversuchs von ’68. Zwischen Tanten mit Kriegstraumata, dem tyrannischen Onkel ONKEL und der überstrahlend-schönen Mutter bleibt ihm nur die Flucht nach vorn.
Das sozialistische Prag hat in den Jahren von Georgs Jugend seinen Glanz verloren. In einer Stadt voller gewalttätiger Müllmänner, 50-ccm-Motorradcowboys, sexbesessener Fremdgänger und vieler anderer unsozialistischer Elemente nutzt Georg alle sich bietenden Freiräume, um auszubrechen: Er experimentiert mit hochexplosiven Substanzen, verbringt die Nachmittage mit wilden Jugendcliquen und findet im Kreis der Familie schließlich auch eine Geliebte. In einer Gesellschaft, die von den Rändern her vergammelt und sich von innen auflöst, bekommt das Körperliche eine befreiend-subversive Bedeutung. Georg mobilisiert alle Kräfte, um neben der Mutter auch dem stickig-klebrigen Vaterhaushalt zu entkommen, in dem er seine verhassten Wochenenden verbringen muss. Als er nach der Okkupation des Landes den kulturellen Niedergang miterlebt und sich der Prager Dissidentenszene nähert, wird ein geschasster Intellektueller, der sich trotz seiner Blindheit wie ein Sehender in der Stadt bewegt, zu seinem Wunschvater.
Georg macht sich seit seiner frühen Kindheit Sorgen um seine Vergangenheit, seiner hellen glücklichen Zukunft ist er sich aber völlig sicher. Die Frage, ob er wirklich glücklich werden wird, beantwortet sich bei einer zufälligen, aber nicht wirklich vermeidbaren Begegnung auf der Straße.
Indem Jan Faktor Georg selbst erzählen lässt, macht er das Erzählen zu einem zweiten subversiven Akt – und führt damit den Entwicklungs- und den Gesellschaftsroman zusammen. So entstehen ein vor Witz strotzendes Psychogramm einer Familie und ein hellsichtiges Porträt einer Stadt.

Nino Haratischwili – Juja

Kurzbeschreibung
Beruhend auf einer wahren Geschichte stellt die erfolgreiche Theaterautorin Nino Haratischwili in ihrem ersten Roman die Frage nach Authentizität. Das Buch „Die Eiszeit“ von Jeanne Saré wird in den Siebziger Jahren ein großer Verkaufserfolg, vor allem in feministischen Kreisen. Das hasserfüllte Buch der jugendlichen Selbstmörderin Saré animiert mehrere Leserinnen zum Suizid. Nun, in der Jetztzeit, macht sich eine Kunstwissenschaftlerin in Paris auf die Suche nach Saré. Was hat der Verleger des Buches, ein frauenhassender älterer Herr mit Saré zu tun? Wer war Jeanne Saré eigentlich? Warum gibt es keine Zeugnisse? Und wie konnte das Buch derart wirken? Nino Haratischwili verknüpft geschickt mehrere Erzählstränge in diesem Roman, und beschreibt auf schwindelerregende Weise, welche Bedeutung das Reale und das Irreale für das soziale Leben haben können.

Thomas Hettche – Die Liebe der Väter

Kurzbeschreibung
Die berührende Geschichte eines Vaters, der um seine Tochter kämpft.
Peter hat eine Tochter, aber das Sorgerecht für sie hat er nicht. Annika war zwei, als er und ihre Mutter sich trennten. Seitdem gerät jede elterliche Absprache zum Machtkampf um die inzwischen dreizehnjährige Annika. Ein Silvesterurlaub auf Sylt wird für Vater und Tochter zur entscheidenden Probe auf ihre Liebe.
Die Reise auf die Insel ist für den Verlagsvertreter Peter auch eine Rückkehr in Landschaften der Vergangenheit. Hier hat er die Sommer seiner Kindheit verbracht, als seine Mutter in einer Buchhandlung in Kampen arbeitete. Die Spaziergänge am Strand, die alte Kirche von Keitum, der Leuchtturm rufen Erinnerungen in ihm wach. Zum ersten Mal versucht er, seiner Tochter von sich zu erzählen. Er begegnet Susanne wieder, einer Freundin aus der Schulzeit, mittlerweile verheiratet und Mutter zweier Kinder. Und er muss erleben, dass er auf die Väter der scheinbar heilen Familien, die diese Ferien zusammen verbringen, wie ein Menetekel wirkt.
Es ist die Zeit zwischen den Jahren, die Rauhnächte, in denen Tiere sprechen können und die Tore der Geisterwelt offen stehen. „Die Wilde Jagd“ tobt um das Ferienhaus auf der Düne, ein Wintersturm. Und in der Silvesternacht, zusammen mit Freunden im „Sansibar“, steht plötzlich Peters gesamte Existenz auf dem Spiel. Atemlos folgt man seiner Stimme, die erzählt, was ihm geschieht – gegenwärtig, distanzlos, unmittelbar.
Dieser Roman über die Schwierigkeit, heute Vater zu sein, ist Thomas Hettches persönlichstes Buch. Meisterhaft gelingt es ihm, die Atmosphäre des winterlichen Sylt mit einem Familiendrama zu verbinden, in dem es um die eigene Vergangenheit geht, die persönliche Integrität und eine gemeinsame Zukunft.

Michael Kleeberg – Das amerikanische Hospital

Kurzbeschreibung
Liebe in Zeiten der neuen Kriege
Paris, im Winter 1991. Hélène steht in der Empfangshalle des amerikanischen Hospitals, als vor ihr ein Mann zusammenbricht. Sein Blick brennt sich in ihre Augen. Das ist die erste Begegnung zwischen der dreißigjährigen Pariserin und David Cote, einem amerikanischen Soldaten. Die beiden vom Schicksal Gebeutelten freunden sich an und stützen einander auf ihrer schmerzhaften Suche nach der Wahrheit über sich selbst.
Michael Kleeberg versteht es auf eindringliche Weise, Zeitgeschichtliches und Privates, die seelischen Qualen des Krieges und die körperlichen des unerfüllten Kinderwunschs mit der dichten Atmosphäre von Paris zu verweben. Ein meisterhaft komponierter Roman voll erschütternder und unvergesslicher Szenen.

Michael Köhlmeier – Madalyn

Kurzbeschreibung
Sebastian Lukasser, Schriftsteller, kennt Madalyn seit ihrem fünften Lebensjahr. Sie kann ihm Dinge anvertrauen, die ihre Eltern nicht verstehen würden. Jetzt ist sie vierzehn und erlebt ihre erste, ausweglos komplizierte Liebesgeschichte. Kompliziert, weil Moritz alles andere als ein leichter Fall ist – er wurde bei einem Einbruch erwischt und ist ein notorischer Lügner. Oder spricht er vielleicht doch die Wahrheit? Michael Köhlmeiers Roman über Madalyn und Moritz ist eine herzzerreißende Erzählung über die erste Liebe und große Gefühle.

Thomas Lehr – September. Fata Morgana

Kurzbeschreibung
Zwei Väter und zwei Töchter, zwei parallele Lebensgeschichten in den USA und im Irak. Ihre Schauplätze sind weit entfernt, und doch verbinden sie zwei politische Ereignisse: Sabrina stirbt am 11. September 2001 im New Yorker World Trade Center, während Muna 2004 in Bagdad bei einem Bombenattentat ums Leben kommt. Thomas Lehr, in Deutschland einer der „klügsten und brillantesten Schriftsteller“ (FAZ), begibt sich in seinem grandiosen, vielschichtigen Werk auf eine literarische Grenzwanderung zwischen zwei Kulturen. In einer verdichteten, lyrischen Sprache erzählt „September“ vom Islam, von Öl, Terror und Krieg und von zwei Frauen, die stellvertretend für die Opfer dieses Konflikts stehen.

Mariana Leky – Die Herrenausstatterin

Kurzbeschreibung
Katja Wiesberg verschwimmt die Welt vor Augen. Ihr Mann ist fort, und sie ist ihren Job los. Katja ist allein. Da sitzt auf einmal ein älterer Herr auf dem Rand ihrer Badewanne und stellt sich als Dr. Blank vor. Es ist der Geist ihres ehemaligen Nachbarn. Und noch ein Fremder taucht auf: Nachts steht ein Feuerwehrmann vor der Tür, der behauptet, zu einem Brand gerufen worden zu sein und nicht wieder geht. Mit entwaffnender Zutraulichkeit nistet er sich in Katjas Leben ein. Erst allmählich begreift sie, wie gut er ihr tut: Ein kleinkrimineller Feuerwehrmann, der Karatefilme liebt, ist gerade das Richtige, um sie zurück ins Leben zu holen. Eine abenteuerliche Dreiecksgeschichte nimmt ihren Lauf, zwischen einer aus dem Alltag gefallenen Frau, einem überaus selbstbewussten Liebhaber und einem lebensweisen Toten, den allerdings nur Katja sehen kann. Mariana Lekys Roman verführt in eine Welt, die komischer und trauriger ist als unsere und dabei geisterhaft menschlich.

Nicol Ljubić – Meeresstille

Kurzbeschreibung
Die Macht der Vergangenheit
Morgens, wenn er aufwachte, lag er jedes Mal mit dem Kopf auf ihrem Kissen. Kann die Liebe zweier junger Menschen eine Brücke bauen über Schuld und Trauma nach dem Balkankrieg?
Es gibt etwas, das ist stärker als die Liebe, und das ist die Erinnerung an das, was geschehen ist. Die Völker des Balkans werden von den Schrecken der Vergangenheit verfolgt. Ana kann nicht vergessen, dass sie die Tochter eines angeklagten serbischen Kriegsverbrechers ist. Und Robert liebt Ana. Weil die zärtliche Liebe den entsetzlichen Kriegserinnerungen mehr und mehr zum Opfer zu werden droht, fährt er zunächst nach Den Haag zum Prozess von Anas Vater und später dann an den Ort des Geschehens, nach Vi egrad. Um Ana zu verstehen, will Robert hinter das kommen, was sie bewegt, ihre Vergangenheit. Kompositorisch klug, weil in den richtigen Momenten mal sanft, mal nüchtern erzählt, hangelt sich Nicol Ljubic durch eine fatalistische Liebeserzählung. Wer gerne die Tagesschau wegzappt, dem erschließt sich in diesem Roman zudem einer der unsagbarsten Konflikte des 20. Jahrhunderts. Mit „Meeresstille“ setzt die Vergangenheitsbewältigung ein. Da fällt dann auch kaum ins Gewicht, dass einige reflexive Passagen zu kurz geraten sind. (ml – Kulturnews.de)

Kristof Magnusson – Das war ich nicht

Kurzbeschreibung
„Bestimmt gibt es auch eine Zeit für das Privatleben. Frau. Kind. Später. Ich war erst 31. Zwischen dreißig und vierzig muss man brennen.“ Ein junger Banker, auf dem Sprung zur großen Karriere. Eine Literaturübersetzerin, auf der Flucht vor dem schön eingerichteten Leben mit Weinklimaschrank und Salzmühle mit Peugeotmahlwerk. Ein international gefeierter Schriftsteller mit Schreibblockade und Altersangst. Drei Menschen, die sich unversehens in abenteuerlicher Abhängigkeit befinden. Wie konnte es dazu kommen? Eine Bank, ein Leben ist schnell ruiniert. Das ist das Erschreckende, aber auch das Komische an diesem Roman, der mit großer Leichtigkeit von unheimlichen Zeiten erzählt.

Andreas Maier – Das Zimmer

Kurzbeschreibung
Mit einem Bein steht er noch im Paradies, dafür hat die Geburtszange gesorgt. Immer ist er ein Kind geblieben, und wurde doch stets älter, und leben mußte er auch irgendwie. Nun ist er schon dreißig und hat seine große Liebe, einen VW-Variant Typ 3, mit dem fährt er zwischen den blühenden Rapsfeldern umher. Es ist das Jahr der ersten Mondlandung, 1969, als man in Frankfurt am Main noch Treppensteigen geht in den Bordellaltbauten um den Bahnhof herum. Ein Tag im Leben Onkel J.s. Hin- und hergerissen zwischen Luis Trenker, der Begeisterung für Wehrmachtspanzer und den Frankfurter Nutten, wird J. plötzlich als ein Mensch erkennbar, der außerhalb jeden Schuldzusammenhangs steht, noch in den zweifelhaftesten Augenblicken. Einer, der nicht zugreift, weil er es gar nicht kann, während die Welt um ihn herum sich auf eine heillose Zukunft wie auf die Erlösung vorbereitet. Nach den Romanen „Wäldchestag“, „Klausen“, „Kirillow“, „Sanssouci“ und „Onkel J. Heimatkunde“ setzt Andreas Maier neu an: Das Zimmer ist ein Erinnerungsporträt und Roman zugleich, vielleicht der Beginn einer großen Familiensaga, eine Reflektion über Zeit und Zivilisation, über die Würde des Menschen und wie sie erhalten bleiben kann. „Der begabteste Schwadroneur unter den jüngeren Autoren.“ Ulrich Greiner, Die Zeit

Olga Martynova – Sogar Papageien überleben uns

Kurzbeschreibung
Ein verspielter und kluger Roman über eine russisch-deutsche Freundschaft mit ungewöhnlichen Ansichten des 20. Jahrhunderts in Russland.Marina stammt aus Petersburg und ist zu Besuch in Deutschland, wo sie bei einem Kongress über Daniil Charms und seinen Freundeskreis spricht. Außerdem ist da ein Mann, der in Leningrad Russisch studierte und mit dem sie damals, vor 20 Jahren, eine Liebesgeschichte lebte. Die Vergangenheit ist nicht vergangen und das gilt nicht nur für diese private Geschichte: »Ich habe Angst vor den Geheimnissen der Zeit.« Ein ganzes Jahrhundert (und manchmal auch mehr als das) passiert in den Assoziationen Marinas Revue, und nirgendwo sonst ist dieses letzte Jahrhundert vielfältiger, durch gewaltige Brüche im Sozialsystem fragmentierter gewesen als in Russland: vom Zarenreich über die Revolution, die Sowjetunion, die Weltkriege, die Belagerung Leningrads durch die Deutschen, die Perestrojka
Olga Martynova, Lyrikerin und Essayistin, fächert in ihrem ersten (und auf Deutsch geschriebenen) Roman mit bezaubernder Leichtigkeit das Schwierigste vor uns auf: die vielen Seiten der Vergangenheit, den »Grünspan der Zeit«, dieses Gleiten von Positionen und Ansichten, das nur die Literatur vermitteln kann. Wir lesen nicht nur von den literarischen Avantgardisten rund um Charms und Vvedenskij, von der Gegenwart des Jüdischen in vielen Bereichen der Alltagskultur, wir erfahren auch von Hippies und Landkommunen in Innerasien, von Autostopp-Reisen nach Sibirien und vom buddhistischen Kloster mit dem unverweslichen Lama. Martynovas genauer Blick fördert aber auch überraschende Beobachtungen an ihrer deutschen Umgebung zutage, an diesem an deutsch-russischen Kulturverbindungen interessierten Publikum.
„Sogar Papageien überleben uns“ ist ein berührender und überraschender Roman, der auf paradoxe Art ignoriert, was seine Protagonistin einmal fordert, »dass man in den Büchern besser nicht von den komplizierten Sachen schreibt«. Und was wäre komplizierter als das Wandern in die Vergangenheit, als das assoziative Gewebe der Erinnerung, als die Arbeit der Dichter an unserem Gedächtnis?

Martin Mosebach – Was davor geschah

Kurzbeschreibung
Es ist eine gefährliche Frage, die bereits den Keim einer Eifersucht enthält: Wie war das eigentlich mit dir, bevor wir uns kannten? Die beiden sind seit Kurzem ein Paar, und sie stellt ihm jene Frage. Seine Antwort wird zu einem Gespinst aus Wahrheit und Dichtung, einem wahren Lügenpalast, errichtet aus soliden Bausteinen von Wirklichkeit. Auf der Bühne Frankfurts inszeniert Martin Mosebach, mit detektivischer Genauigkeit und meisterhafter Sprachkunst, ein böses Spiel von Liebe und Zufall.

Melinda Nadj Abonji – Tauben fliegen auf

Kurzbeschreibung
Eine ungarische Familie aus Serbien in der Schweiz. Ein schwungvoll und gewitzt erzählter Roman aus der Mitte Europas.Zuhause ist die Familie Kocsis also in der Schweiz, aber es ist ein schwieriges Zuhause, von Heimat gar nicht zu reden, obwohl sie doch die Cafeteria betreiben und obwohl die Kinder dort aufgewachsen sind. Die Eltern haben es immerhin geschafft, aber die Schweiz schafft manchmal die Töchter, Ildiko vor allem, sie sind zwar dort angekommen, aber nicht immer angenommen. Es genügt schon, den Streitigkeiten ihrer Angestellten aus den verschiedenen ehemals jugoslawischen Republiken zuzuhören, um sich nicht mehr zu wundern über ein seltsames Europa, das einander nicht wahrnehmen will. Bleiben da wirklich nur die Liebe und der Rückzug ins angeblich private Leben?

Doron Rabinovici – Andernorts

Kurzbeschreibung
Weshalb polemisiert der israelische Kulturwissenschaftler Ethan Rosen gegen einen Artikel, den er selbst verfaßt hat? Erkennt er seinen eigenen Text nicht wieder? Oder ist er seinem Kollegen Klausinger in die Falle gegangen, mit dem er um eine Professur an der Wiener Universität konkurriert? Ethan Rosen und Rudi Klausinger: Beide sind sie Koryphäen auf demselben Forschungsgebiet, und doch könnten sie unterschiedlicher nicht sein: Rosen ist überall zu Hause und nirgends daheim. Selbst der Frau, die er liebt, stellt er sich unter falschem Namen vor. Klausinger wiederum ist Liebkind und Bastard zugleich. Er weiß sich jedem Ort anzupassen und ist trotzdem ruhelos: Was ihn treibt, ist die Suche nach seinem leiblichen Vater; sie führt ihn schließlich nach Israel und zu Ethan Rosen. Dessen Vater, ein alter Wiener Jude, der Auschwitz überlebte, braucht dringend eine neue Niere. Bald wird die Suche nach einem geeigneten Spenderorgan für die Angehörigen zur Obsession. Und selbst der obskure Rabbiner Berkowitsch hat plötzliches Interesse an den Rosens. Herkunft, Identität, Zugehörigkeit †“ um und um wirbelt Doron Rabinovici in seinem neuen Roman „Andernorts“ die Verhältnisse in einer jüdischen Familie, deckt ihre alten Geheimnisse auf und beobachtet sie bei neuen Heimlichkeiten. Am Ende dieser packend erzählten Geschichte sind alle Gewißheiten beseitigt. Nur eines scheint sicher: Heimat ist jener Ort, wo einem am fremdesten zumute ist. »Rabinovici gelingt das Kunststück, seine Prosa unterhaltsam, elegant und leicht, zugleich aber auch ausgesprochen artifiziell, genial und mehrdeutig darzubieten.« Tages-Anzeiger

Hans Joachim Schädlich – Kokoschkins Reise

Kurzbeschreibung
«Hans Joachim Schädlich ist der grosse Lakoniker unter den deutschen Gegenwartsautoren.» (Die Zeit) Der Exilrusse Fjodor Kokoschkin kehrt auf der Queen Mary 2 von einer Reise an die Orte seiner Kindheit und Jugend nach New York zurück. Seine Erinnerungen rufen die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihren Verfolgungen, Schicksalen und Emigrationen wach …

Andreas Schäfer – Wir vier

Kurzbeschreibung
Lothar war Pilot bevor es geschah. Seine Frau Ruth war damals Stewardess, nun hilft sie in der Telefonseelsorge, damit es wenigstens anderen besser geht. Ihr Sohn Merten glaubt, als Einziger zu wissen, warum sein Bruder ermordet wurde. In der Familie Wilber klafft eine Lücke. Man redet nicht über Jakob und über den Grund, warum er nicht mehr da ist. Am Tag der Verurteilung des Mörders zünden sie eine Kerze an und warten, bis der Anruf kommt: Lebenslänglich. Nachts liegen die Eltern nebeneinander, und die Mutter fragt: Bist du erleichtert? – Nein. Andreas Schäfer erzählt luzide und souverän die Geschichte eines Traumas und seiner Folgen. Sie lässt den Leser nicht mehr los.

Peter Wawerzinek – Rabenliebe

Kurzbeschreibung
Ein Buch wie ein Erdbeben. Über fünfzig Jahre quälte sich Peter Wawerzinek mit der Frage, warum seine Mutter ihn als Waise in der DDR zurückgelassen hatte. Dann fand und besuchte er sie. Das Ergebnis ist ein literarischer Sprengsatz, wie ihn die deutsche Literatur noch nicht zu bieten hatte. Ihre Abwesenheit war das schwarze Loch, der alles verschlingende Negativpol in Peter Wawerzineks Leben. Wie hatte seine Mutter es ihm antun können, ihn als Kleinkind in der DDR zurückzulassen, als sie in den Westen floh? Der Junge, herumgereicht in verschiedenen Kinderheimen, blieb stumm bis weit ins vierte Jahr, mied Menschen, lauschte lieber den Vögeln, ahmte ihren Gesang nach, auf dem Rücken liegend, tschilpend und tschirpend. Die Köchin des Heims wollte ihn adoptieren, ihr Mann wollte das nicht. Eine Handwerkerfamilie nahm ihn auf, gab ihn aber wieder ans Heim zurück.
Wo war Heimat? Wo seine Wurzeln? Wo gehörte er hin? Dass er auch eine Schwester hat, erfuhr er mit vierzehn. Im Heim hatte ihm niemand davon erzählt, auch später die ungeliebte Adoptionsmutter nicht. Als Grenzsoldat unternahm er einen Fluchtversuch Richtung Mutter in den Westen, kehrte aber, schon jenseits des Grenzzauns, auf halbem Weg wieder um. Wollte er sie, die ihn ausgestoßen und sich nie gemeldet hatte, wirklich wiedersehen? Zeitlebens kämpfte Peter Wawerzinek mit seiner Mutterlosigkeit.
Als er sie Jahre nach dem Mauerfall aufsuchte und mit ihr die acht Halbgeschwister, die alle in derselben Kleinstadt lebten, war das über die Jahrzehnte überlebensgroß gewordene Mutterbild der Wirklichkeit nicht gewachsen. Es blieb bei der einzigen Begegnung.
Aber sie löste – nach jahrelanger Veröffentlichungspause – einen Schreibschub bei Peter Wawerzinek aus, in dem er sich das Trauma aus dem Leib schrieb: Über Jahre hinweg arbeitete er wie besessen an Rabenliebe, übersetzte das lebenslange Gefühl von Verlassenheit, Verlorenheit und Muttersehnsucht in ein großes Stück Literatur, das in der deutschsprachigen Literatur seinesgleichen noch nicht hatte.

Judith Zander – Dinge, die wir heute sagten

Kurzbeschreibung
Bresekow, ein Dorf in Vorpommern. Als die alte Frau Hanske stirbt, kommt ihre Tochter Ingrid mit ihrer Familie aus Irland zur Beerdigung. Ingrid hatte Bresekow vor vielen Jahren fluchtartig verlassen. Der Besuch verändert vieles im Dorf, wirft gerade für die Familien Ploetz und Wachlowski alte und neue Fragen auf. Die Dorfbewohner beginnen zu sprechen, über ihr derzeitiges Leben und ihre Verstrickungen von damals. Bresekow war immer eine kleine Welt, eng, abgelegen und heute zudem vom Verfall bedroht.
Judith Zander lässt drei Generationen zu Wort kommen. Sie erzählt mit ungeheurer Sprachkraft von einem verschwiegenen Ort im Nordosten Deutschlands, von Provinz und Alltag, von Freundschaft und Verrat, vom Leben selbst.

Joachim Zelter – Der Ministerpräsident

Kurzbeschreibung
Ein politischer Roman, eine politische Satire. Die punktgenau trifft. Und zu denken gibt. Voller Esprit. Mitreißend erzählt.Dass er einen Autounfall hatte, dass dabei einiges passiert sei, insbesondere in seinem Kopf und mit seinem Gedächtnis. Dass er zehn Tage im Koma gelegen habe und erst seit Kurzem wieder wach sei … Und: dass er Claus Urspring heiße und er Ministerpräsident sei und es auch bleiben werde – ein politischer Begriff, ein Inbild der Vertrautheit und Unverrückbarkeit, der kurz vor einem alles entscheidenden Wahlkampf stehe …
All das und noch einiges mehr erfährt Claus Urspring, ein von Wahlkampfhelfern und politischen Beratern Getriebener, ein soufflierter und inszenierter Mensch, der seit seinem Unfall kaum mehr weiß, wer er einmal war und was mit ihm eigentlich ist.
Zwischen liebenswerter Ahnungslosigkeit und kindlichem Erstaunen, zwischen Fremdsteuerung und eigensinniger Selbstbehauptung erzählt der Roman einen um Erinnerungen und Selbstfindung ringenden Helden, der sich in einer Welt wieder findet, in der Politik nur noch leere Inszenierung und inhaltloser Schein ist.

Quelle: Börsenblatt

Literatur + Prag: Georgs Sorgen um die Vergangenheit von Jan Faktor

Literatur + Prag: Georgs Sorgen um die Vergangenheit oder im Reich des heiligen Hodensack-Bimbams von Prag von Jan Faktor

Kurzbeschreibung

Ein ödipales Vergnügen – Faktors erotischer Entwicklungsroman über Widerstände, Schmutz und Schönheit. Georg wächst in der schönsten Wohngegend Prags in einem summenden Frauenhaushalt auf. Leider zur Zeit des politischen Terrors, der überirdischen Atomversuche und später des Reformversuchs von ’68. Zwischen Tanten mit Kriegstraumata, dem tyrannischen Onkel ONKEL und der überstrahlend-schönen Mutter bleibt ihm nur die Flucht nach vorn.
Das sozialistische Prag hat in den Jahren von Georgs Jugend seinen Glanz verloren. In einer Stadt voller gewalttätiger Müllmänner, 50-ccm-Motorradcowboys, sexbesessener Fremdgänger und vieler anderer unsozialistischer Elemente nutzt Georg alle sich bietenden Freiräume, um auszubrechen: Er experimentiert mit hochexplosiven Substanzen, verbringt die Nachmittage mit wilden Jugendcliquen und findet im Kreis der Familie schließlich auch eine Geliebte. In einer Gesellschaft, die von den Rändern her vergammelt und sich von innen auflöst, bekommt das Körperliche eine befreiend-subversive Bedeutung. Georg mobilisiert alle Kräfte, um neben der Mutter auch dem stickig-klebrigen Vaterhaushalt zu entkommen, in dem er seine verhassten Wochenenden verbringen muss. Als er nach der Okkupation des Landes den kulturellen Niedergang miterlebt und sich der Prager Dissidentenszene nähert, wird ein geschasster Intellektueller, der sich trotz seiner Blindheit wie ein Sehender in der Stadt bewegt, zu seinem Wunschvater.
Georg macht sich seit seiner frühen Kindheit Sorgen um seine Vergangenheit, seiner hellen glücklichen Zukunft ist er sich aber völlig sicher. Die Frage, ob er wirklich glücklich werden wird, beantwortet sich bei einer zufälligen, aber nicht wirklich vermeidbaren Begegnung auf der Straße.
Indem Jan Faktor Georg selbst erzählen lässt, macht er das Erzählen zu einem zweiten subversiven Akt – und führt damit den Entwicklungs- und den Gesellschaftsroman zusammen. So entstehen ein vor Witz strotzendes Psychogramm einer Familie und ein hellsichtiges Porträt einer Stadt.

Über den Autor
Jan Faktor, freischaffender tschechischer Schriftsteller; seit 1978 in der DDR als Kindergärtner, Schlosser, Übersetzer und in der inoffiziellen Literaturszene engagiert.