Ein Zeitalter in einem Satz – von Leo Tolstoi aus Zwei Husaren

Leo TolstoiUm das Jahr 1800, in jenen Zeiten, als es noch keine Eisenbahnen gab, keine Chausseen, keine Gasbeleuchtung, keine Stearinkerzen, keine niedrigen Sofas mit Sprungfedern, keine unlackierten Möbel, keine blasierten Jünglinge mit Monokel, keine freidenkerischen weiblichen Philosophen, keine holden Kameliendamen, an denen unsere Zeit so reich ist – in jenen naiven Zeiten, als man im Reisewagen oder in einer Kutsche von Moskau nach Petersburg reiste und eine Unmasse häuslicher Küchenerzeugnisse mitnahm, volle acht Tage auf weichen, staubigen oder morastigen Landstraßen unterwegs war und auf Koteletts Posharski, waldaische Glöckchen und Kringel schwor, da an langen Herbstabenden die Talglichter herunterbrannten und Familienkreise von zwanzig, dreißig Menschen beleuchteten, als bei Bällen Wachs- und Walratkerzen auf die Armleuchter gesteckt wurden, als man die Möbel symmetrisch aufstellte, als unsere Väter noch jung waren, nicht allein durch das Fehlen von Runzeln und grauen Haaren, und sich um der Frauen Willen schossen und diensteifrig vom anderen Zimmerende herbeistürzten, um zufällig oder nicht zufällig fallengelassene Taschentücher aufzuheben, als unsere Mütter kurze Taillen und gewaltige Ärmel trugen und Familienangelegenheiten durch das Ziehen von Loszettelchen entschieden, als die verführerischen Kameliendamen sich vor dem Tageslicht versteckten – in den naiven Zeiten der Freimaurerlogen, der Martinisten, des Tugendbundes, in den Zeiten von Männern wie Miloradowitsch, Dawydow, Puschkin – fand in der Gouvernementsstadt K. nach Beendigung der Adelswahlen eine Versammlung von Gutsbesitzern statt.
(Erster Satz aus Leo N. Tolstoj, Zwei Husaren)