Preis der Leipziger Buchmesse 2011 geht an Clemens J. Setz

Der 28-jährige österreichischer Schriftsteller und Übersetzer Clemens J. Setz erhält den mit 15.000 Euro dotierten Preis der Leipziger Buchmesse 2011 für seinen Roman „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes„.

Der Buchpreis wurde ihm am 17.03. 2011 auf der Leipziger Buchmesse verliehen.

Hoch gehandelt wurden Wolfgang Herrndorf und sein Coming-of-Age-Roman „Tschick“ sowie Arno Geigers anrührendes Alzheimer-Buch „Der alte König in seinem Exil“ – beide seit Wochen auf der Bestsellerliste.

Mit der Wahl von Clemens J. Setz, der als eine Art Wunderkind der deutschsprachigen Literatur gilt und dessen beiden ersten Romane bereits mehrfach ausgezeichnet wurden, bewies die Jury einmal mehr Mut: Mit „Die Liebe zur Zeit des Mahlstädter Kindes†œ hoben sie ein unbequemes, sperriges, keinesfalls dem Massengeschmack verpflichtetes Buch auf den Schild. Die 18 Erzählungen des Autors sind voll von Gewalt, Sexualität, phantastischen Bildern und menschlicher Abgründe.

Die Jury begründete ihre Wahl folgendermaßen:

„Den Ausschlag gaben die Kühnheit der Konstruktion, die Eigenwilligkeit der Sprache und die Konsequenz des Konzepts, das zu gleichermaßen originellen wie unheimlichen Geschichten führte. Sie machen mit einem ernüchternden Menschenbild ernst, das wir wissenschaftlich längst akzeptiert haben, aber kulturell bislang erfolgreich überspielen. Das Erzählpersonal setzt sich aus Eltern zusammen, die mit ihren Kindern nichts anfangen können, aus Paaren, die ihre Verfallszeit längst überschritten haben, aus Einzelgängern, Außenseitern und rituellen Opfern, die sich das Selbstmitleid nicht mehr leisten, zum Selbstmord nicht in der Lage sind und am Nullpunkt des sinnvollen Lebens dahinvegetieren. Bei Setz hat die Einbildungskraft das Schlimmste immer schon vorweggenommen, seine Figuren immu nisieren sich gegen den Schmerz und lagern ihr natürliches Empathie-Vermögen in animistische Dingbeschwörungen aus. In dieser moralfreien, von Illusionen desinfizierten Welt wird der Sadismus zum letzten Kanal des Transzendenzbegehrens.
In seiner bewusst artifiziellen, hochverspiegelten Prosa porträtiert sich der Autor als Exorzist einer aus den Fugen geratenen Phantasie, als moderner Schamane in Blaubarts letzter Kammer, der im fahlen Flimmern der Medialität die Schmutzarbeit des Zuendedenkens für uns erledigt. Sein Personal teilt sich in jene, die sich aus dem Dekorum der Humanität lustvoll herauswinden, um alle Hemmungen fallen zu lassen, und andere, die sich in die Einsamkeit des reinen Beobachters retten. Im Verbund mit diesen Ortlosen gelingen ihm die stärksten Effekte. In Erzählungen wie „Das Riesenrad†œ und „Kleine braune Tiere†œ skizziert er eine Menschheit im Wartezustand, ohne Leitbilder und Ideale, losgelöste Astronauten im Raumschiff Erde, auf der Abschussrampe, aber ohne Ziel. Der Preis würdigt ein düsteres, mit Überraschungen aufwartendes Prosalabor, in dem ein junger Autor sich traut, mit den Mitteln der Sprache Vabanque zu spielen.“

Kurzbeschreibung
Eines Tages ist es da. Steht am Ende einer Sackgasse mitten in der Stadt. Es ist ein großes Kind. Den Blick hält es demütig zu Boden gesenkt, seine Haut ist rissig. Tagsüber versammeln sich die Bewohner der Stadt um dieses Kind, veranstalten Kundgebungen und Konzerte. Nachts schlagen sie auf es ein, mit Fäusten, Stöcken und Ketten †“ auf die Skulptur aus weichem, niemals trocknendem Lehm, auf das Mahlstädter Kind. Der Künstler hat es ihnen zur Vollendung überlassen, hat ihnen die Aufgabe übertragen, es »in die allgemein als vollkommen empfundene Form eines Kindes zu bringen«.

Zuerst treibt die Kunstbegeisterung die Bewohner der Stadt, dann kommen sie als Pilger ihrer Wut, verlieren prügelnd die Kontrolle über sich und beinahe auch ihren Verstand.

Nach den beiden von der Kritik bejubelten und mit Preisen ausgezeichneten Romanen „Söhne und Planeten“ und „Die Frequenzen“ legt der österreichische Autor Clemens J. Setz nun einen Band mit Erzählungen vor. Es sind Geschichten gespickt mit grotesken Ideen und subtilem Horror, voller gewalttätiger Momente und zärtlicher Gesten. Wie in den Romanen präsentiert sich Setz auch in der kurzen Form als scharfer Beobachter der menschlichen Natur und einfühlsamer, geradezu liebevoller Porträtist ihrer Eigenarten.

Der Preis der Leipziger Buchmesse wird seit 2005 an herausragende deutschsprachige Neuerscheinungen in den Kategorien Belletristik und Sachbuch/Essayistik sowie Übersetzungen vergeben.

Den Leipziger Buchpreis in der Kategorie Sachbuch/Essayistik erhält Henning Ritter für die „Notizhefte“. In der Kategorie Übersetzung gewinnt Barbara Conrad für die Übersetzung von Lew Tolstois „Krieg und Frieden“.

In diesem Jahr hatten die sieben Juroren fast 500 Titel zu prüfen, die sie binnen sechs Wochen zu lesen hatten, um je Kategorie fünf Nominierte zu benennen.

Quelle: Börsenblatt

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert