Literaturkreise boomen, zumindest in Großbritannien, und die Zeiten, wo ältere Damen beim Likörchen über Bücher reden, sind auch bei uns längst passé.
Etwa 50 000 „Book Clubs“ gibt es mittlerweile in England, Tendenz steigend. Es entwickelt sich ein umsatzstarker Markt, der für die Verlage interessant ist. Penguin entsendet regelmäßig „Ambassadors“, Botschafter, an die LeserInnenbasis, um zu eruieren, wie verschieden die Geschmäcker sind. Bekannte britische Autorinnen wie Naomi Alderman, Helen Dunmore und Nicci Gerrard verbringen ganze Abende mit den Lesekreisen – und horchen deren Mitglieder über Lektüregewohnheiten, mögliche inhaltliche Tabus und stilistische Vorlieben aus.
„Es ist eine wunderbar sinnliche und fruchtbare Sache, Literatur gemeinsam zu besprechen – und das auch noch mit Schriftstellern“, sagt Claudia Paul vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels über solche Vorstöße. Allerdings sei in Großbritannien die Lesekreiskultur dergestalt ausgeprägt, dass die Initiative der Verlage, sich in Gestalt der Autoren zu den Zirkeln zu begeben, nahe liege. Im deutschsprachigen Raum sei man dagegen noch nicht so weit, Lesezirkel als strategischen Faktor wahrzunehmen. Weder in ökonomischer Hinsicht noch bezüglich einer emotional grundierten Leser-Verlag-Bindung, deren Ausverkauf selbst bewährten Institutionen wie den Bertelsmann-Buchclubs droht .
Dies gilt selbst für Europas größten rein belletristischen Verlag Diogenes (Zürich). Zwar gehört dessen Sprecherin Ruth Geiger selbst einem Literaturkreis an. Dennoch sucht und pflegt das auf gediegene Unterhaltung abonnierte Haus keine entsprechenden Kontakte zur kollektiv lesenden Basis, heißt es.
Insofern könnte sich das geringe Engagement deutscher Verlage, Buchbotschafter an die Basis zu entsenden, irgendwann als vertane Chance erweisen. Obwohl es für Deutschland keine verlässlichen Zahlen gibt, wie der Börsenverein mit Bedauern feststellt, kommt auch hierzulande kaum ein Ort ohne Literaturkreis aus. Dabei erstaunt die Vielfalt der Organisationsformen.
In Berlin knüpfen seit 1995 Britta Gansebohms „Literarischer Salon“ und andere mondäne Foren an die gesellig-intellektuellen Traditionen einer Rahel Varnhagen oder einer Henriette Herz an. Andere Zirkel (zumal in Universitätsstädten), deren Pensum meist politische Titel umfasst, sind eher den Lesegesellschaften des 18. und 19. Jahrhunderts verpflichtet, denen die gemeinschaftliche Lektüre einschlägiger Aufklärungsliteratur als Vorschein der bürgerlichen Emanzipation galt.
So kommen auch wir vom Lesekreis München schon seit 1999 regelmäßig zusammen, um über Buchinhalte und Autoren und Autorinnen zu sprechen, manchmal, um darüber zu streiten, aber immer, um uns gegenseitig zuzuhören und über das Leben zu reden.
Bin gespannt, wann die deutschen Verlage diese Zusammenschlüsse fördern, um die Interessen ihrer Kundschaft kennen zu lernen.
Quelle: Welt