Longlist zum Deutschen Buchpreis 2009

Deutscher Buchpreis

Heute wurde die Longlist der nominierten Autoren und Autorinnen für den Deutschen Buchpreis 2009 bekanntgegeben.

79 Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben bis Ende März 154 deutschsprachige Romane eingereicht. Daraus wählte die Jury die 20 Bücher der Longlist. Aus der Longlist wählen die Juroren sechs Titel für die Shortlist, die am 16. September 2009 veröffentlicht wird.

Am 12. Oktober, dem Abend der Preisverleihung beim Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römer, erfahren die sechs Autoren, wer von ihnen den Deutschen Buchpreis 2009 gewonnen hat.

Der Deutsche Buchpreis ist mit insgesamt 37.500 Euro dotiert: Der Preisträger erhält 25.000 Euro, die übrigen fünf Autoren der Shortlist erhalten jeweils 2.500 Euro.

Longlist:

Der Mann schläftSibylle Berg: Der Mann schläft (Hanser, August 2009)

Kurzbeschreibung
Eine Frau liebt einen Mann, weil der die Frau liebt. Was kann man sich Besseres wünschen in einer Welt, in der die Liebe nur noch ein Marketinginstrument ist? Ebendiese Welt kennt kein Pardon: Auf einer Reise nach China kommt der Mann gleich wieder abhanden, und man fragt sich, ob das mit rechten Dingen zugeht. Warum sucht man nach Veränderung, wenn man das Glück gefunden hat? Warum bleibt man nicht dort, wo man glücklich ist? Sibylle Berg erzählt eine moderne Liebesgeschichte und zeigt mit so melancholischen wie bösartigen Bildern eine Welt, in der man höchstens zu zweit überleben kann.

Wie wir verschwindenMirko Bonné: Wie wir verschwinden (Schöffling & Co., Februar 2009)

Kurzbeschreibung
Wie wir verschwinden, der erwartete neue Roman von Mirko Bonné, erzählt eine große Geschichte der Erinnerung: Raymond, Witwer mit zwei so lebhaften wie eigensinnigen Töchtern, erhält nach Jahrzehnten des Schweigens einen Brief seines todkranken Jugendfreundes Maurice, der ihn in die gemeinsam erlebte Vergangenheit zurückversetzt: nach Villeblevin, wo 1960 Albert Camus bei einem Autounfall ums Leben kam. Ein französisches Dorf und ein historisches Ereignis werden für zwei Jugendfreunde zum symbolischen Angelpunkt, um die fünfzig zurückliegenden Jahre zu erinnern und ihre Schicksalhaftigkeit anzuerkennen. Erinnerung an die eigene Jugend und Sterben eines Idols verbinden sich zu einem ergreifenden Roman, der Mirko Bonné als einen der bedeutenden Autoren unserer Zeit zeigt. Wie wir verschwinden ist ein großes Buch der Erinnerung, ein Roman unseres Lebens wie des Sterbens einer Ikone des letzten Jahrhunderts: Albert Camus.

Das Leben der WünscheThomas Glavinic: Das Leben der Wünsche (Hanser, August 2009)

Kurzbeschreibung
Stellen Sie sich vor, Ihre geheimsten Wünsche würden wahr. Die innersten, dunklen Wünsche, von denen Sie selbst bisher nichts ahnten. So ergeht es Jonas, dem ein Unbekannter eines Tages ein unerhörtes Angebot macht: „Ich erfülle Ihnen drei Wünsche.“ Der Ehemann, Vater, Werbetexter und leidenschaftliche außereheliche Liebhaber lässt sich auf das Spiel ein. Bis seine Frau eines Abends tot in der Badewanne liegt. Weiß die Nacht etwa mehr von Jonas‘ Wünschen als er selbst? Unverwechselbar erzählt der in Wien lebende Schriftsteller Thomas Glavinic die Geschichte eines ganz normalen Mittdreißigers, der genau das bekommt, was er sich wünscht. Und noch ein bisschen mehr.

Der Brenner und der liebe GottWolf Haas: Der Brenner und der liebe Gott (Hoffmann und Campe, August 2009)

Kurzbeschreibung
Ob du es glaubst oder nicht. Der Brenner ist wieder da. Ein Comeback, wie es noch keines gab.
Der Brenner, Expolizist und Exdetektiv, hat endlich einen guten Job gefunden. Noch nie im Leben hat er sich so wohlgefühlt. Aber es wäre nicht der Brenner, wenn es lange dauern würde, bis wieder was passiert. So sorgt eine Tafel Schokolade für eine Kettenreaktion, an deren Ende sieben Begräbnisse stehen.

Welt aus GlrasErnst-Wilhelm Händler: Welt aus Glas (Frankfurter Verlagsanstalt, September 2009)

Kurzbeschreibung
Jillian und Jacob Armacost betreiben die größte Galerie für Glaskunst New Yorks. Dabei sind sie ein denkbar ungleiches Paar: Während Jillian seit einem Kindheitserlebnis eine Passion für die Blütenlampen von Tiffany hat und mit Mitte Zwanzig bereits eine führende Expertin für Glas ist, treibt der fast dreißig Jahre ältere Frauenheld Jacob die Galerie mit einem absurden Kauf um ein Haar in den Ruin.
Jillian trifft eine Entscheidung: Sie wird sich von Jacob trennen. Zuvor aber muss sie die Zukunft der Galerie sichern. Eine äußerst wertvolle Sammlung von Glasvasen in Italien erscheint als die letzte Rettung; ohne einen Moment zu zögern, reist sie nach Europa. Jacob, der nichts von ihren Plänen ahnt, ist unterdessen mit einer Kundin aus den besten Kreisen New Yorks an der US-amerikanisch-mexikanischen Grenze unterwegs, um auf seine Weise wieder an Geld zu kommen. Zur gleichen Zeit, als Jillian in Mailand und Venedig ihren größten Coup landet, wird Jacob in Mexiko entführt.
Jillian und Jacob haben ihre Schicksale dem Glas anvertraut. Jillian spekuliert auf die Ewigkeit, Jacob auf ein intensives Jetzt. Durchsichtig und doch unnahbar, lebendig und doch unbewegt ist die Welt aus Glas. Sie bedeutet viel Geld für den, der erkennt, was er sieht. Doch besitzt der einzelne Mensch in einer Welt aus Glas noch eine Seele? Wilde Verfolgungsjagden durch die Straßen von Tijuana und erotische Eskapaden in San Diego und Venedig treiben die Handlung voran. Im neuen großen Roman von Ernst-Wilhelm Händler ergänzen sich action und reflection auf außerordentliche und spannende Weise.

Kürzere TageAnna-Katharina Hahn: Kürzere Tage (Suhrkamp, März 2009)

Kurzbeschreibung
Marco wohnt im Hochhaus an der Hauptstraße. Von hier ist es nicht weit bis zum Olgaeck, und hinter dem Olgaeck liegt die Constantinstraße, wo die Altbauten unter Denkmalschutz stehen und die Äpfel beim türkischen Feinkosthändler teurer sind als im Hauptbahnhof. Hier wohnen die Aufsteiger, Übermütter und ihre wohlerzogenen Kinder. Hier scheint alles in Ordnung – wenn man nicht vom Supermarkt ins Büro und vom Büro in den Kindergarten hetzt, so wie Leonie, wenn man nicht am Doppelleben als Karrierefrau und Mutter verzweifelt. Judith findet Halt in der Anthroposophie. Hingebungsvoll pflegt sie den Jahreszeitentisch für ihre Kleinen. Doch nachts helfen nur Tabletten gegen die Angst. Im Nebenhaus wohnen die alten Posselts. Sie haben geschafft, wovon die Enkelgeneration nur träumt, nämlich ein Leben lang zusammenzubleiben. Da versetzt Marco die Nachbarschaft in Aufruhr. Kürzere Tage ist eine wortmächtige Bestandsaufnahme und eine melancholische Abrechnung mit einer Gesellschaft, in der alle Werte fragwürdig geworden sind. Wohlstand und Aussichtslosigkeit, Eurythmie und Hysterie, Elternglück und Kinderleid. Virtuos schildert Anna Katharina Hahn das satte Stuttgart von einer anderen Seite.

Die StilleReinhard Jirgl: Die Stille (Hanser, März 2009)

Kurzbeschreibung
Einhundert Jahre aus der Geschichte zweier Familien und aus der Geschichte eines Landes: Reinhard Jirgls „Die Stille“ ist das monumentale Epos vom langen 20. Jahrhundert in Deutschland. Am Anfang steht ein Fotoalbum, die ältesten Bilder sind über achtzig Jahre alt: einhundert Fotografien zweier Familien, die eine aus Ostpreußen stammend, die andere aus der Niederlausitz. Zwei Weltkriege, Inflation, Flucht und Vertreibung haben diese beiden Familien über fünf politische Systeme hinweg, von der Kaiserzeit bis heute, überlebt. Den einhundert Fotografien folgend, erzählt Jirgl Geschichten von Verletzungen, Liebe und Verrat. „Die Stille“ bestätigt seinen außergewöhnlichen Rang.

Zwei schwarze JägerBrigitte Kronauer: Zwei schwarze Jäger (Klett-Cotta, August 2009)

Klappentext
Wie in einem Treppenhaus kreuzen sich in diesem Buch die Geschichten und Erinnerungen. Alles scheint der Vorstellungskraft der Schriftstellerin Rita Palka zu entspringen, die sich gelegentlich selbst unter ihr Personal mischt, das verschiedener nicht sein könnte. Ob es nun die Dame im Rollstuhl ist, die ihren ehemaligen Liebhaber auffordert den Don Juan der Nachbarschaft zu spielen; die Kassiererin, die der Tristesse entfliehen will und Prostituierte wird; der Verlagslektor, der sich in einen Kellner verliebt; oder Wally, die nur zwei Nächte ihres Lebens mit einem Mann verbracht hat. Sie alle verbindet die Sehnsucht nach den verdeckten Träumen des Alltags, in einer Welt, die diese unerfüllbar und lächerlich macht. Und so rücken die Figuren mit ihren Ängsten und Niederlagen immer dichter zusammen, ohne zu ahnen, dass eine von ihnen zur Mörderin wird.

Lichtjahre entferntRainer Merkel: Lichtjahre entfernt (S. Fischer, März 2009)

Kurzbeschreibung
Der Familientherapeut Thomas Kaszinski wird vor eine scheinbar unlösbare Aufgabe gestellt. Er muss sein Leben in Ordnung bringen. Auf einer Reise nach New York trifft er seine langjährige Freundin. Doch die Beziehung scheint am Ende zu sein. In immer neuen Anläufen und in dem ständigen Bemühen um noch intensivere Erlebnisse nähert er sich dem Zentrum der Katastrophe und erinnert sich an die dramatischen Ereignisse der letzten Monate, die, wie seine Liebe, Lichtjahre entfernt sind. Er verliert sich in der Vergangenheit. Eine gemeinsame Reise in die Wüste wird zu einer Grenz-Erfahrung. Kurz vor seinem Rückflug erkennt er plötzlich, dass es noch eine Möglichkeit auf Rettung gibt.

Der einzige Mann auf dem KonitnentTerézia Mora: Der einzige Mann auf dem Kontinent (Luchterhand, August 2009)

Kurzbeschreibung
Das Leben eines Mannes im globalisierten Nirgendwo
Umgeben von globalen Wirtschaftskatastrophen macht sich ein Mann daran, sein Lebensidyll zu verteidigen, auch wenn er schon längst zugeben müsste, dass die Firma, für die er arbeitet, zusammengebrochen ist und seine Ehe vor dem Aus steht …
„Der einzige Mann auf dem Kontinent“ erzählt eine Woche im Leben von Darius Kopp. Er ist Anfang vierzig, verheiratet und einziger Vertreter einer US-amerikanischen Firma für drahtlose Netzwerke.
Darius sieht sich als Gewinner der neuen Zeit. Er stammt aus der DDR, war als Informatiker nach deren Zusammenbruch ein gefragter Mann und legt Wert darauf, ein zufriedener Mensch zu sein. In letzter Zeit laufen die Geschäfte allerdings mehr schlecht als recht. Eines Tages lässt ein säumiger Kunde eine Pappschachtel mit Geld in seinem Büro liegen. In der Folge versucht Darius Kopp vergeblich, einen seiner Chefs in London oder Los Angeles zu erreichen, um zu beraten, was mit dem Geld geschehen soll. Fast scheint es, als gebe es die Firma überhaupt nicht mehr.
Darius Kopp leidet zunehmend unter dem Verlust seiner Sicherheiten, doch er kann dies weder sich gegenüber zugeben, noch will er Flora, seine hypersensible Frau, damit belasten. Denn Flora findet sich in ihrem Leben nur schwer zurecht. Nicht nur in seinem Beruf, muss Darius schließlich erkennen, kämpft er um das nackte Überleben, auch seine Ehe, die Liebe seines Lebens, droht vor dem Aus zu stehen.
Nach „Alle Tage“ hat Terézia Mora erneut einen hochaktuellen und überaus wachen und sensiblen Roman eines Mannes geschrieben, der glaubt, in der besten aller Welten zu leben, auch wenn sein Leben genauso wie die Welt um ihn herum längst in Stücke zerbricht. Krisen von noch so globaler und intim-verworrener Natur sollen ihm nichts anhaben können. In der umspannenden vernetzten Welt mag zerbrechen, was will, sein Lebensidyll nicht. Das neue Buch der Autorin des preisgekrönten Romans „Alle Tage“.

AtemschaukelHerta Müller: Atemschaukel (Hanser, August 2009)

Kurzbeschreibung
Rumänien 1945: Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Die deutsche Bevölkerung lebt in Angst. „Es war 3 Uhr in der Nacht zum 15. Januar 1945, als die Patrouille mich holte. Die Kälte zog an, es waren -15° C.“ So beginnt ein junger Mann den Bericht über seine Deportation in ein Lager nach Russland. Anhand seines Lebens erzählt Herta Müller von dem Schicksal der deutschen Bevölkerung in Siebenbürgen. In Gesprächen mit dem Lyriker Oskar Pastior und anderen Überlebenden hat sie den Stoff gesammelt, den sie nun zu einem großen neuen Roman geformt hat. Ihr gelingt es, die Verfolgung Rumäniendeutscher unter Stalin in einer zutiefst individuellen Geschichte sichtbar zu machen.

FlughafenfischeAngelika Overath: Flughafenfische (Luchterhand, Mai 2009)

Kurzbeschreibung
In der Ortlosigkeit eines Flughafens kreuzen sich die Lebenslinien dreier Menschen. Eine müde Magazinfotografin gerät vor dem Riffaquarium der Transithalle in den Schwindel fragmentierter Reisebilder aus Afrika und Asien. Sie findet eine seltsame Nähe zu dem Mann, der hier die stillen Tiere pflegt wie seine Kinder. Während sich zwischen den beiden eine verschwiegene Liebe entwickelt, geht nebenan im Raucherfoyer eine Ehe zu Ende. Variiert werden im Wendekreis der Fische die Muster von Sehnsucht, Einsamkeit und Paarungen.
Es hatte keinen Anschlussflug gegeben; Elis streift durch den Transit. Sie zweifelt an ihrem Leben als Magazinfotografin. Auf einmal stockt sie vor einem riesigen Aquarium. Fische aus allen tropischen Meeren ziehen über Korallenbänke und Anemonenwiesen, während der Strom der Passanten den Glaskörper umfließt. Als sie Tobias entdeckt, der die Scheiben reinigt, beginnt sie, sich für diesen Mann zu interessieren. Auch er hat sie beobachtet, aus einem Grund, den sie nicht ahnt. Sie spricht ihn an. Er gibt Auskunft über Fischsymbiosen, Seepferdchenväter, die Fortpflanzung von Korallen; sie erzählt von Reisen, einer unglücklichen Liebe. Die beiden sprechen aneinander vorbei und geraten doch in eine vorsichtige Vertrautheit, die alles ändern kann. Im Raucherfoyer trinkt sich unterdessen ein alternder Biochemiker in einen finalen Ehemonolog. „Flughafenfische“ variiert im Transit eines futuristischen Airports die uralten Themen Liebe und Tod.Angelika Overath schreibt Romane als „Reportagen aus der Intimität“. Wo scheinbar nichts geschieht, öffnet sie irritierende und berührende Innenräume.

Überm RauschenNorbert Scheuer: Überm Rauschen (C. H. Beck, Juni 2009)

Kurzbeschreibung
Einst sind der Vater und die Brüder gemeinsam fischen gegangen, das Rauschen des Wehrs hinter der Gaststätte in der Eifel, in der sie gelebt haben, hat die Kindheit der Brüder mit Ahnungen und Phantasien belebt. Aber der Vater, der beim Angeln immer auf der Suche nach einem riesigen, mythischen Urfisch war, ist schon lange tot. Und der ältere Bruder Hermann ist abgeholt worden, musste in die Klinik, er hat den Verstand verloren, sein Schicksal ist ungewiss. Der jüngere Bruder, der Ich-Erzähler, ist zurückgekehrt an den Ort der Kindheit, um der Familie zu helfen, steht im Fluss, angelt und lässt das Leben des Bruders, sein eigenes, das der Familie Revue passieren. Die Kindheit am Fluss, die erste Liebe, die kauzigen Gäste der elterlichen Gastwirtschaft, die Ausbruchsversuche des Bruders, der Niedergang der Kneipe, der Fluss und die Fische, der Tod der holländischen Gelegenheitsgeliebten des Bruders und die ungeklärte Frage nach dem eigenen leiblichen Vater – erschöpft und doch überwach versucht der Erzähler, aus den Erinnerungen und Gesprächen, Ereignissen und Beobachtungen einen Zusammenhang herzustellen, eine Erklärung zu finden. Norbert Scheuers neuer Roman „Überm Rauschen“ entwickelt mit seiner genauen und poetischen Sprache einen enormen Sog. Trauer und Schönheit einer ganzen Welt entstehen durch diese suggestive Geschichte, deren Protagonisten mit ihrer Suche nach dem großen mythischen Fisch zugleich auf der Suche nach dem Glück sind. Und das Glück ist da, im Rauschen, in der wehmütigen Kraft des Erzählens.

Du stirbst nichtKathrin Schmidt: Du stirbst nicht (Kiepenheuer & Witsch, Februar 2009)

Kurzbeschreibung
Vom Hirnschlag erwacht – die Geschichte einer Heilung Helene Wesendahl weiß nicht, wie ihr geschieht: Sie findet sich im Krankenhaus wieder, ohne Kontrolle über ihren Körper, sprachlos, mit Erinnerungslücken. Ihr Weg zurück ins Leben konfrontiert sie mit einer fremden Frau, die doch einmal sie selbst war. Kathrin Schmidt packt ihre Leser diesmal durch die Beschränkung, und zwar im wörtlichen Sinne. Mit den Augen ihrer erwachenden Heldin blicken wir in ein Krankenzimmer, auf andere Patienten, das Pflegepersonal und den eigenen Körper, der plötzlich ein Eigenleben zu führen scheint. Und wir erleben die mühsamen Reha-Maßnahmen mit, die Reaktionen der Familie, den aufopferungsvollen Einsatz ihres Mannes – und die bruchstückhafte Wiederkehr ihrer Erinnerung. Was da zutage tritt, konfrontiert Helene mit einem Leben, in dem sie sich kaum wiedererkennt, und das vieles in Frage stellt, was in der neuen Situation so selbstverständlich scheint. Sie entdeckt frühe Brüche in ihrer Biographie, verdrängte Leidenschaften und aus der Not geborene Verpflichtungen. Als ihr bewusst wird, dass ihr Herz sich bereits auf Abwege begeben hatte und sie den Mann, der sie jetzt so eifrig pflegt, eigentlich verlassen wollte, droht sie den Boden unter den Füßen zu verlieren. Kathrin Schmidt gelingt das Erstaunliche: Sie macht den Orientierungs- und Sprachverlust nach einer Hirnverletzung erfahrbar und zeigt einen Weg der Genesung, der in zwei Richtungen führt, zurück und nach vorn. Dabei entsteht ein Entwicklungsroman ganz eigener Art, der durch seine innere Dynamik fesselt und durch die Rückhaltlosigkeit, mit der seine Heldin sich mit ihrer Vergangenheit und Gegenwart konfrontiert, fasziniert. Er überzeugt vor allem durch die bewegende Schilderung eines sprachlichen Neubeginns.

Die FrequenzenClemens J. Setz: Die Frequenzen (Residenz, Februar 2009)

Kurzbeschreibung
Dies ist die Geschichte von Walter, dem Sohn eines Architekten mit Einfluss. Er will Schauspieler werden oder will es nur sein Vater? Walter bekommt seine Chance, als ihn Valerie, eine Psychotherapeutin, die bessere Tage gesehen hat, engagiert, um in Gruppensitzungen fiktive Patientenrollen zu spielen. Doch er geht zu sehr in seiner Rolle auf. Dies ist die Geschichte von Alexander. Er ist Altenpfleger, ein junger Mann mit ausufernder Phantasie, die sich im Schatten einer einsamen Kindheit entwickelt hat. Alexander kündigt seinen Job, und er will seine Freundin loswerden, um mit Valerie zusammenzuleben. Doch die wird eines Tages brutal zusammengeschlagen Nach Söhne und Planeten, seinem Debüt, das ihm einhelliges Lob der Kritik einbrachte, legt Clemens J. Setz ein Werk vor, das alle Erwartungen sprengt: atemberaubend kraftvoll, bunt, sprachgewaltig und zart.

Sieben JahrenPeter Stamm: Sieben Jahre (S. Fischer, August 2009)

Kurzbeschreibung
Ein Mann zwischen zwei Frauen, die eine ist begehrenswert, bei der anderen ist er frei. In seinem großen Roman Sieben Jahre
Sonja ist schön und intelligent und lebt mit Alex. Eine vorbildliche Ehe, er müsste glücklich sein. Aber wann ist die Liebe schon einfach? Und wie funktioniert das Glück? Iwona wäre neben Sonja fast unsichtbar, sie ist spröde und grau. Aber Alex fühlt sich lebendig bei ihr und weiß nicht, warum. Sie liebt ihn. Er trifft sie immer wieder, und als sie von ihm schwanger wird und das Kind kriegt, das Sonja sich wünscht, setzt er alles aufs Spiel.
Peter Stamm erzählt so lakonisch und leidenschaftlich wie kein anderer von widerstreitenden Gefühlen und der Sehnsucht nach dem Leben. Sieben Jahre ist ein großer Roman über die Zumutung des Glücks, geliebt zu werden.

Was kommtThomas Stangl: Was kommt (Droschl, Januar 2009)

Kurzbeschreibung
Von den zahllosen Lebenden und Toten, die Wien bevölkern, hebt Thomas Stangl in seinem dritten Roman zwei Personen heraus: Emilia, 17, die wir im Sommer 1937 kennenlernen, am Vorabend der historischen Katastrophe, und Andreas, den Pubertierenden, der vierzig Jahre später, Ende der 70er Jahre, wie Emilia allein mit seiner Großmutter lebt und ebenfalls in eine private? politische? Katastrophe gerät. Geschichte ist nicht nur das, was sich schon ereignet hat, „Geschichte heißt, das kommt erst“, schreibt Thomas Stangl. Für seinen Roman bedeutet das, dass sich verborgene Motive, kaum merkliche Anklänge, Wiederholungen, Blicke, ja auch Menschen quer durch das Buch und die Zeiten ziehen, das Wiedergänger-Motiv, Elemente der Gespenstergeschichte spielen schon in Ihre Musik eine gewisse Rolle (wie wir auch Emilia Degen schon aus diesem Roman kennen, als die ältere der beiden Frauen). In überwältigenden, auch schockierenden Bildern hält Stangl das fest, was sich der Beschreibung – zumindest in der gegenwärtigen Literatur – entzieht und wofür wir höchstens den Film als zuständig erachten: er schafft Räume des Übergangs, der Unschärfen, der Ahnungen und Déjà-vus, Räume für die Lebenden und die Toten, die Geschichte und ihre Opfer, Sterben und Verschwinden, Wirklichkeit und Traum. Thomas Stangls Sätze sind ein Rausch der Wahrnehmung, der die Grenzen zwischen Innen und Außen auflöst und eine befreiende Wirkung hat wie wenige Bücher, ein barock-romantisches Meisterwerk.Der immer gegenwärtige Alptraum der Geschichte und der Skandal des Todes: ein literarisches Meisterwerk.

GrenzgangStephan Thome: Grenzgang (Suhrkamp, August 2009)

Kurzbeschreibung
Alle sieben Jahre steht Bergenstadt kopf: Man feiert Grenzgang, das traditionelle dreitägige Volksfest, und dabei werden nicht nur die Gemeindegrenzen abgeschritten. Auch abends im Festzelt wird ausprobiert, wie weit man gehen kann. Alle sind dabei, nur zwei stehen am Rand: Thomas Weidmann und Kerstin Werner. Er ist nach gescheiterter Uni-Karriere als Lehrer ans Gymnasium Bergenstadt zurückgekehrt. Sie versorgt nach gescheiterter Ehe ihre demenzkranke Mutter und hat Ärger mit ihrem pubertierenden Sohn. Vor sieben Jahren beim letzten Grenzgang sind sich die beiden schon einmal begegnet, und damals ist etwas passiert, woran sich die beiden auch noch bei diesem Fest nur mit gemischten Gefühlen erinnern.
Grenzgang ist das furiose Debüt eines jungen Autors, der von Anfang an aufs Ganze geht: Spannungsreich und voller überraschender Wendungen erzählt Stephan Thome von der Jagd nach dem Glück, die seine Figuren aus Berlin und Köln in die hessische Provinz und von dort in einen Swinger-Club an der Frankfurter Peripherie führt. Schnell wird klar, wie leicht vermeintliche Sicherheiten abhanden kommen können und wie dünn das Eis ist, auf dem Lebensentwürfe gründen – und daß es trotzdem keine Alternative zum Kampf um das eigene Glück gibt.

Vier ÄpfelDavid Wagner: Vier Äpfel (Rowohlt, September 2009)

Kurzbeschreibung
Vielleicht ist heute ein besonderer TagMit vier Äpfeln fängt alles an. Ein Mann, der weniger zu tun hat als ihm lieb ist, erlebt an der Obst- und Gemüsewaage seines Supermarkts einen magischen Moment: die grüne Leuchtanzeige zeigt 1-0-0-0.
Vier Äpfel, die zusammen genau tausend Gramm wiegen – er ist, er weiß selbst nicht genau wieso, gerührt, klebt das Etikett mit der Strichcodezeichnung vorsichtig auf die Tüte und schiebt seinen Wagen durch eine ihm plötzlich fremd gewordene Welt.
Seine Gedanken schweifen ab in in eine Zeit, als man noch in kleineren Läden andere Dinge kaufte, zu Frühergerüchen , zum Konsumverhalten überhaupt, und er erinnert sich an L., die Frau, die ihn verlassen hat. Vier Äpfel erzählt von tieftraurigen Produkten und ihren Konsumenten, erzählt die Geschichte einer alten Liebe, einer Gegenwart, die immer schon vergangen ist. David Wagner hat ein Buch geschrieben, das Wahrnehmungsweisen schärft, sie vielleicht sogar verändert. Darin liegt seine große Kunst.

Einer von vielenNorbert Zähringer: Einer von vielen (Rowohlt, Juli 2009)

Kurzbeschreibung
Mit einem Beben, einer Erschütterung fängt alles an, am 1. September 1923, mitten in der Mojawe-Wüste. Die Erde wankt, der Putz fällt von der Decke, Tassen stürzen sich eine nach der anderen vom Küchenbüffet. Hinein in dieses Chaos wird Edison Frimm geboren. Am selben Tag kommt in einem Berliner Mietshaus, rund 10 000 Kilometer weiter westlich, Siegfried zur Welt, und weil auch er in schwierige Zeiten, nämlich in die Rezession der Weimarer Republik, geworfen ist, bettet man ihn auf rund fünf Millionen Reichsmark billiger als auf Heu. Noch am Abend wird sein Vater, ein NS-Mann der ersten Stunde, mit zwei Schüssen ums Leben gebracht. So nimmt eine Jahrzehnte umspannende Kriminalgeschichte ihren Lauf – und es beginnen zwei ungleiche Lebenswege, die sich später, im kriegsverdunkelten Himmel über Berlin, kreuzen werden. Von der Ironie der Geschichte, ihrem Motor, dem Zufall, von Kriegen, großen Katastrophen und kleinen Dramen erzählt Zähringers neuer Roman. Voller Sympathie für die kleinen Leute und ihre Geschichten schlägt er abenteuerliche Volten, baut überraschende Brücken zwischen Historie und Gegenwart, Amerika und Deutschland. „In der deutschen Literatur passiert es selten, dass solche existenziellen Einsichten in einen leichten und auf verzweifelte Art auch noch komischen Roman verpackt werden. Norbert Zähringer ist eine Ausnahmeerscheinung.“ (Kolja Mensing, Deutschland Radio Kultur)

Quelle: Deutscher Buchpreis 2009

Deutscher Buchpreis 2009: Jury bewältigt Lesepensum mit dem Reader von Sony

deutscher-buchpreisHeute hat der Börsenverein des Deutschen Buchhandels Neuigkeiten zum Deutschen Buchpreis 2009 bekanntgegeben.

Demnach wurden in diesem Jahr, bis zum Einsendeschluss Ende März, 132 (im letzten Jahr waren 161) deutschsprachige Romane von den Verlagen (61 aus Deutschland, 11 aus Österreich, 7 aus der Schweiz)  eingereicht.

Hubert Winkels, Literaturredakteur beim Deutschlandfunk, wurde zum  Sprecher der siebenköpfigen Jury bestimmt.

Etwa die Hälfte der eingereichten Romane sind Frühjahrstitel (64), 61 Titel werden im Sommer und Herbst erscheinen und 7 Romane stammen aus dem Herbstprogramm 2008. Jeder Verlag konnte sich mit maximal zwei Romanen direkt um die Auszeichnung bewerben. Darüber hinaus haben Verlage die Möglichkeit, bis zu fünf weitere Titel zu empfehlen, die den Bewerbungskriterien entsprechen. Die Juroren können von dieser Liste, die 75 Romane umfasst, zusätzliche Titel anfordern.

Erstmals in diesem Jahr wird den Juroren das umfangreiche Lesepensum auf einem elektronischen Lesegerät, dem Reader von Sony, zur Verfügung gestellt.

Der Jury für den Deutschen Buchpreis 2009 gehören neben Hubert Winkels an: Richard Kämmerlings (Literaturredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung), Michael Lemling (Geschäftsführer der Buchhandlung Lehmkuhl, München), Martin Lüdke (freier Literaturkritiker), Lothar Müller (Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung), Iris Radisch (Literaturredakteurin der ZEIT) und Daniela Strigl (Literaturkritikerin und -wissenschaftlerin an der Universität Wien).

Die rund 20 Titel umfassende Longlist wird am 19. August 2009 bekannt gegeben. Daraus wählen die Juroren sechs Titel für die Shortlist, die am 16. September 2009 veröffentlicht wird. Am 12. Oktober, dem Abend der Preisverleihung, erfahren die sechs Autoren, an wen von ihnen der Deutsche Buchpreis geht.

Quelle: Deutscher Buchpreis

Deutscher Buchpreis 2008: Der Turm von Uwe Tellkamp soll verfilmt werden

Es gibt bereits Gespräche über eine Verfilmung.“

Die Süddeutsche Zeitung berichtet heute, dass Uwe Tellkamp gegenüber der Super Illu geäußert hat, sein Bestseller „Der Turm“ komme vielleicht bald in die Kinos. Welche Schauspieler mitspielen könnten, sei aber noch unklar. „Was die Besetzungen eventueller Rollen betrifft, möchte ich niemandem ins Handwerk pfuschen“, so Tellkamp

Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land“ wurde 2008 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land

Kurzbeschreibung

Hausmusik, Lektüre, intellektueller Austausch: Das Dresdner Villenviertel, vom real existierenden Sozialismus längst mit Verfallsgrau überzogen, schottet sich ab. Resigniert, aber humorvoll kommentiert man den Niedergang eines Gesellschaftssystems, in dem Bildungsbürger eigentlich nicht vorgesehen sind. Anne und Richard Hoffmann, sie Krankenschwester, er Chirurg, stehen im Konflikt zwischen Anpassung und Aufbegehren: Kann man den Zumutungen des Systems in der Nische, der „süßen Krankheit Gestern“ der Dresdner Nostalgie entfliehen wie Richards Cousin Niklas Tietze – oder ist der Zeitpunkt gekommen, die Ausreise zu wählen? Christian, ihr ältester Sohn, der Medizin studieren will, bekommt die Härte des Systems in der NVA zu spüren. Sein Weg scheint als Strafgefangener am Ofen eines Chemiewerks zu enden. Sein Onkel Meno Rohde steht zwischen den Welten: Als Kind der „roten Aristokratie“ im Moskauer Exil hat er Zugang zum seltsamen Bezirk „Ostrom“, wo die Nomenklatura residiert, die Lebensläufe der Menschen verwaltet werden und deutsches demokratisches Recht gesprochen wird.

In epischer Sprache, in eingehend-liebevollen wie dramatischen Szenen entwirft Uwe Tellkamp ein monumentales Panorama der untergehenden DDR, in der Angehörige dreier Generationen teils gestaltend, teils ohnmächtig auf den Mahlstrom der Revolution von 1989 zutreiben, der den Turm mit sich reißen wird.

Uwe Tellkamp erhält den Deutschen Buchpreis 2008

Der Deutsche Buchpreis 2008 geht an Uwe Tellkamp für Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land.

Über den Autor
Uwe Tellkamp, geboren am 28. Oktober 1968 in Dresden, ist ein deutscher Arzt und Schriftsteller. Er ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in Freiburg im Breisgau.
Einem mit Elmar Krekeler geführten und am 13. August 2004 in der „Welt“ abgedruckten Interview zufolge hat Uwe Tellkamp am 16. Oktober 1985 um 15.30 Uhr seine Berufung zum Schriftsteller entdeckt: An diesem Tag habe er in seinem heimischen Garten die Schönheit roter Rosen entdeckt und den Wunsch verspürt, dieses Bild in Versen auszudrücken. Nach einer Stunde hatte er den Text in Prosa formuliert.

Uwe Tellkamps erster satirischer Text wurde bereits 1987, also zu DDR-Zeiten, im Eulenspiegel veröffentlicht.

Tellkamp verpflichtete sich nach dem Abitur zum dreijährigen Wehrdienst in der NVA. Seine Tätigkeit dort bezeichnet er später als „Panzerkommandant“. Schon vor dem Oktober 1989 wurde Tellkamp wegen „politischer Diversantentätigkeit“ auffällig, da er Texte von West-Autoren und Wolf Biermann bei sich führte. Trotzdem blieb Tellkamp bis zum Oktober 1989 NVA-Unteroffizier. Weil seine Einheit angeblich gegen Oppositionelle, darunter Tellkamps Bruder, ausrücken sollte, habe er den entsprechenden Befehl verweigert. Den Vorgang beschreibt Tellkamp in einem Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ folgendermaßen: „Dann ging alles sehr schnell. Da flogen dann die Schulterklappen ab. Dann hieß es: Der Studienplatz für Medizin wird Ihnen entzogen. Und es ging in den Bau.“ Tellkamp sei für zwei Wochen inhaftiert gewesen und danach beurlaubt worden.

Die Tätigkeit als Gehilfe auf einem Braunkohleförderbagger und Hilfsdreher in einem Lichtmaschinenwerk vor dem Oktober 1989 sowie die Arbeit als Hilfspfleger auf einer Intensivstation in Dresden im Jahr 1990 können also keineswegs, anders als es der ORF suggeriert, als unfreiwillige Unterbrechung eines bereits begonnenen Medizinstudiums bewertet werden.

Sein Studium der Medizin absolvierte er danach in Leipzig, New York und Dresden. Nach seinem akademischen Abschluss arbeitete er als Arzt an einer unfallchirurgischen Klinik in München, gab aber den Beruf 2004 zugunsten seiner Schriftstellerkarriere auf, bevor er zunächst nach Karlsruhe und 2007 nach Freiburg umzog. Aus biologischem Hobbyinteresse stellte er Studien zu Farnen an.

Werke

Uwe Tellkamp veröffentlichte zahlreiche Beiträge in Literaturzeitschriften (u.a. Akzente, comma, du, EDIT, entwürfe, Lose Blätter, ndl, Schreibheft und Sprache im technischen Zeitalter) sowie Anthologien. Gelegentlich verfasst er auch Essays für Zeitungen.

Einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde Tellkamp durch den Vortrag eines Auszugs aus seinem Roman Der Schlaf in den Uhren im Juni 2004 in Klagenfurt, durch den er den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann, sowie durch die Folgen dieses Preisgewinns: Dadurch, dass sich 2008 und 2009 alle Abiturienten in Niedersachsen mit diesem Auszug im Fach Deutsch befassen müssen, rückte Tellkamp in den Rang eines Verfassers von Pflicht-Schullektüre auf. Ebenfalls für Aufsehen sorgte 2005 der Roman Der Eisvogel. Im Herbst 2008 ist der Roman Der Turm erschienen. Verlegerin Ulla Unseld-Berkéwicz vom Suhrkamp-Verlag empfiehlt persönlich den „große[n] Wenderoman der jüngeren Generation“ mit den Worten, Uwe Tellkamp arbeite „im Turm die Zeit vom November 1982 bis zum 9. November 1989 auf“. Elmar Krekeler behandelte am 13. September 2008 den Roman als „Buch der Woche“. Für Der Turm erhielt Tellkamp den Deutschen Buchpreis 2008.

Tellkamps Arbeitsstil ist dadurch gekennzeichnet, dass er in unregelmäßigen Abständen Auszüge aus noch unveröffentlichten umfassenden Werken bei Autorenlesungen vorträgt und teilweise auch als Auszüge veröffentlicht. Das trifft insbesondere auf sein Langgedicht in der Tradition Homers mit dem Titel Nautilus zu, aber auch auf die Romane Der Schlaf in den Uhren und Der Turm.

Tomas Gärtner schreibt über Uwe Tellkamps Nautilus-Projekt: „Wahrscheinlich entwickelt es sich zu einem Lebensprojekt.“ Geplant hat er es auf drei Bände. In Band 1, Das Aschenschiff, soll es vor allem um Politik und Geschichte gehen, orientiert an der Höllenreise in Dantes Göttlicher Komödie; Band 2, Falter, hat im Gegensatz dazu das Paradies als motivischen Mittelpunkt; Band 3, Vineta, soll eine Reise durch Dresden, aber auch andere Städte und Stadtstaaten werden, die bis nach Utopia reicht.

Tellkamp selbst beschreibt in der Zeitschrift Bella triste sein literarisches Schaffen mit den Worten: „Der moderne Dichter, wie ich ihn verstehe, ist wie der Dom-Baumeister; er ist damit, wie diejenigen, die sich aufmachten, Kap Hoorn zu umsegeln oder einen Seeweg nach Indien zu finden, zwangsläufig pathetisch †“ was er in Kauf nehmen kann, wenn es ihm gelingt, die grundlegenden menschlichen Empfindungen wieder zu gestalten.“

In einem Interview mit dem „Oberpfalznetz“ charakterisiert Tellkamp sein Schreiben als einen „Versuch, Heimat wiederzugewinnen†œ, die durch den Ablauf der Zeit verloren gegangen sei. Damit stellt sich Tellkamp in die Tradition von Marcel Proust (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit)

Uwe Tellkamps erster veröffentlichter Roman, Der Hecht, die Träume und das Portugiesische Café (2000) stieß im Publikum nur auf geringes Interesse und wurde nicht neu aufgelegt.

Für einen Auszug aus dem noch unvollendeten Roman Der Schlaf in den Uhren erhielt Tellkamp 2004 den Bachmann-Preis. Die Jury zeigte sich begeistert von diesem Auszug. Die zahlreichen Feuilleton-Artikel vom 28. Juni 2004 über die Preisverleihung zeigen ein uneinheitliches Bild, ebenso die später verfassten Rezensionen. Gelobt wurde vor allem die virtuose Sprachbeherrschung Tellkamps, kritisiert wurde hingegen, dass der Text schwer verständlich sei und dass der Auftritt Tellkamps in Klagenfurt auf die Mentalität der Jury zugeschnitten gewesen sei.

Tellkamps 2005 veröffentlichter Roman Der Eisvogel polarisierte das Feuilleton. Volker Weidermann warf ihm z.B. in einem Neues Deutschland betitelten Feuilletonbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 10. April 2005 vor, er zeige in seinem Roman nicht genügend Distanz zu den Protagonisten, die für eine Konservative Revolution eintreten und die Demokratie ablehnen. Ijoma Mangold von der Süddeutschen Zeitung dagegen hält den Eisvogel für einen gelungen „politischen Zeitroman“, der das Thema Terrorismus aufgreift. Auf die Frage, ob er ein „rechter Schriftsteller“ sei, antwortet Uwe Tellkamp in einem Interview mit Daniela Weiland lapidar mit: „Nein. Mit wenigen Ausnahmen, finde ich, hat die Kritik vor dem Buch versagt“, beschwerte sich Tellkamp anschließend bei Daniela Weiland.

Elmar Krekeler meint zu Tellkamps politischer Haltung: „Er ist immunisiert gegen Ostalgie und frei von überflüssiger Euphorie über das wiedervereinigte Deutschland“. Krekeler bescheinigt dem Autor einen Hang zur „Hermetik†œ, d.h. zu Aussagen, die nicht gänzlich dechiffriert werden können. Diesen Hang erklärt Krekeler durch einen doppelten Ausschluss Tellkamps von der ihn umgebenden Welt: erstens die zwangsweise Trennung des DDR-Bürgers durch Mauer und Stacheldraht vom Westen und zweitens die freiwillige Absonderung des Angehörigen des Bildungsbürgertums, das in Ostdeutschland auf eine im Westen oft als „museal†œ empfundene Weise erhalten geblieben sei, von der Gesellschaft der DDR. Dadurch stehe Tellkamp seinen Kollegen im ehemaligen Ostblock geistig näher als seinen deutschsprachigen Kollegen in den alten Bundesländern, in Österreich und der Schweiz.

Der Turm. Geschichte aus einem versunkenen Land

Kurzbeschreibung

Hausmusik, Lektüre, intellektueller Austausch: Das Dresdner Villenviertel, vom real existierenden Sozialismus längst mit Verfallsgrau überzogen, schottet sich ab. Resigniert, aber humorvoll kommentiert man den Niedergang eines Gesellschaftssystems, in dem Bildungsbürger eigentlich nicht vorgesehen sind. Anne und Richard Hoffmann, sie Krankenschwester, er Chirurg, stehen im Konflikt zwischen Anpassung und Aufbegehren: Kann man den Zumutungen des Systems in der Nische, der „süßen Krankheit Gestern“ der Dresdner Nostalgie entfliehen wie Richards Cousin Niklas Tietze – oder ist der Zeitpunkt gekommen, die Ausreise zu wählen? Christian, ihr ältester Sohn, der Medizin studieren will, bekommt die Härte des Systems in der NVA zu spüren. Sein Weg scheint als Strafgefangener am Ofen eines Chemiewerks zu enden. Sein Onkel Meno Rohde steht zwischen den Welten: Als Kind der „roten Aristokratie“ im Moskauer Exil hat er Zugang zum seltsamen Bezirk „Ostrom“, wo die Nomenklatura residiert, die Lebensläufe der Menschen verwaltet werden und deutsches demokratisches Recht gesprochen wird.

In epischer Sprache, in eingehend-liebevollen wie dramatischen Szenen entwirft Uwe Tellkamp ein monumentales Panorama der untergehenden DDR, in der Angehörige dreier Generationen teils gestaltend, teils ohnmächtig auf den Mahlstrom der Revolution von 1989 zutreiben, der den Turm mit sich reißen wird.

Quelle: Wikipedia

Shortlist zum Deutschen Buchpreis 2008 – die Jury hat gewählt

„Die Jury hat mit Engagement und großer Leidenschaft um die Shortlist gerungen. Es wurde diskutiert, geworben, verworfen und verteidigt †“ in einer höchst anregenden, konstruktiven Art und Weise, ganz wie es sich für eine offene literaturkritische Auseinandersetzung gehört†œ, sagt Jury-Sprecher Rainer Moritz. „Das Ergebnis, die Shortlist, vertritt keine einheitliche thematische oder stilistische Linie; sie zeigt, wie die Jury hofft, vielmehr die reichhaltige Bandbreite dessen, was deutschsprachige Autorinnen und Autoren 2008 an sehr lesenswerten Romanen vorgelegt haben.†œ

Die sieben Jurymitglieder haben in den letzten fünf Monaten insgesamt 161 Titel gesichtet, die zwischen dem 1. Oktober 2007 und dem 17. September 2008 erschienen sind. Die folgenden sechs Titel sind für die Shortlist nominiert, einer davon wird den Deutschen Buchpreis 2008 erhalten. Die Preisverleihung findet am 13. Oktober 2008 zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse im Kaisersaal des Frankfurter Römers statt.

Heute, ab 12 Uhr, werden die Titel der Shortlist im Lesesaal der FAZ für Kritiker und Leser zur Diskussion gestellt.

Dietmar Dath: Die Abschaffung der Arten (Suhrkamp, September 2008)

Kurzbeschreibung
Das Zeitalter, das wir kennen, ist längst eingeschlafen. Wo einmal Europa war, gibt es nur noch drei labyrinthische Städte, die eher gewachsen sind, als daß sie erbaut wurden. Die Welt gehört den Tieren. Fische streiten über Sodomie, Theologinnen mit Habichtsköpfen suchen in Archiven nach Zeugnissen der Menschheit, und Cyrus Golden, der Löwe, lenkt den Staat der drei Städte. Als ein übermächtiger Gegner die neue Gesellschaft bedroht, schickt er den Wolf Dimitri als Diplomaten aus, im einstigen Nordamerika einen Verbündeten zu suchen. Die Nachtfahrt über den Ozean und in die tiefen Stollen der Naturgeschichte lehrt den Wolf Riskantes über Krieg, Kunst und Politik und führt ihn bis an den Rand seiner Welt, wo er erkennt, »warum den Menschen passiert ist, was ihnen passiert ist«. Der Roman Die Abschaffung der Arten steht in der Tradition großer spekulativer Literatur über Niedergang und Wiedergeburt der Zivilisation von Thomas Morus, Voltaire und Mary Shelley über H. G. Wells und Jules Verne bis hin zu Stephen King und William Gibson. Wenn Charles Darwin Krieg der Welten geschrieben hätte, vielleicht wäre ein Buch wie dieses dabei herausgekommen: ein abenteuerliches Liebeslied, eine epische Meditation über die Evolutionstheorie und der waghalsige Versuch, Fossilien von Geschöpfen freizulegen, die noch gar nicht gelebt haben.

Sherko Fatah: Das dunkle Schiff (Jung und Jung, Februar 2008)

Kurzbeschreibung
Ein junger Iraker gerät unter die Gotteskrieger und flieht nach Deutschland. Ein kluger Abenteuerroman, der mit Spannung zeigt, wie ein kleines Leben von großen Umwälzungen erfaßt wird.
Das Buch erzählt die Geschichte des jungen Kerim, von Beruf Koch, der sich aus dem irakischen Grenzland auf die beschwerliche und gefährliche Reise nach Europa macht. Von früh an der Idee verfallen, sich zu verwandeln, hat er noch andere Gründe für seine Flucht, war er doch unter die Gotteskrieger geraten und mit ihnen durch das Land gezogen, bevor er sich von ihrem Weg der Gewalt lossagte. Kerim, bemüht, in Deutschland ein neues Leben zu beginnen, kann, obwohl er in dem fremden Land auch Zuwendung und sogar seine erste Liebe findet, die Vergangenheit nicht abschütteln, vielmehr scheint diese sich fortwährend auf ihn zuzubewegen.
In diesem Roman geht es nicht um den Islam, sondern um den Extremismus, der viele Erscheinungsformen haben kann, um seine Verführungsmacht und die Folgen. Extremismus entsteht nicht in einem Kopf, sondern unter realen Lebensbedingungen. So ist Kerims Geschichte die eines kleinen, konkreten Lebens inmitten großer Umwälzungen, und sein spirituelles wie auch
seine realen Abenteuer sind nicht so außergewöhnlich, wie sie aus europäischer Sicht scheinen mögen. Viele haben sich wie er auf den Weg gemacht, viele sind auch wie er verstrickt worden, wenn schon nicht immer aus nachvollziehbaren Gründen, so zumindest doch auf eine Weise, welche auch die besten Nachrichtenbilder uns nicht zeigen können.

Iris Hanika: Treffen sich zwei (Droschl, Januar 2008)

Kurzbeschreibung
Man weiß nicht, wann sie es tut, und man weiß nicht, wo es sein wird, aber eines ist gewiss – irgendwann schlägt die Liebe zu: „Was da jetzt geschehen ist, das ist eine Fuge im Leben oder ein Riß durch die Zeit oder ein Bruch in der Welt, was auch immer.“ Hier geschieht es zweien, die schon seit geraumer Zeit allein durchs Leben zu gehen gewohnt sind, und es trifft sie wie aus heiterem Himmel: er hat die wunderbarsten Augen der Welt, und sie ist so schön, dass er glaubt, er habe Halluzinationen. Der Zustand hält natürlich nur wenige Tage an. „Was für ein Blödsinn das alles, dieses Gemache und Getue. Daß man nicht einfach normal sein konnte! Daß das alles immer so kompliziert sein muß.“ Es muss, und sei’s nur zum Nutzen der Literatur und zur Erhöhung des Lesevergnügens. „Treffen sich zwei“ ist ein Liebesroman für Erwachsene und ein Heimatroman aus Berlin-Kreuzberg. Er handelt vom Begehren und von den Ängsten, vom Berufsleben eines Systemberaters und den Zuständen einer begnadeten Hysterikerin. Sexratgeber kommen zum Einsatz, Musik, Songtexte und klassische Stellen über die Liebe, dazu Alkohol und Eigenurin-Therapien. Iris Hanika ist eine liebevolle und unbestechlich genaue Beobachterin des Gefühlshaushalts von uns Zeitgenossen; und ihr Witz, ihre Genauigkeit und sprachliche Eleganz demonstrieren mit leichter Hand, warum dieses älteste Thema der Literatur uns allen so am Herzen liegt.

Rolf Lappert: Nach Hause schwimmen (Hanser, Februar 2008)

Kurzbeschreibung
Wilbur, gerade mal 1,50 Meter groß, ist wirklich kein Glückskind: Seine irische Mutter stirbt bei der Geburt, sein schwedischer Vater macht sich aus dem Staub, und sein erstes Zuhause ist der Brutkasten. Erst als seine Großeltern ihn nach Irland holen, erfährt er, was Heimat ist. Doch das Glück währt nicht lang: Sein bester Freund kommt in die Erziehungsanstalt, und seine Großmutter Orla stirbt bei einem Unfall. Auch wenn er gern so stark wäre wie Bruce Willis: Er ist und bleibt ein Verlierer. Erst die charmante Aimee bringt ihm etwas anderes bei: Wilbur muss endlich lernen, zu leben – ob er will oder nicht. Rolf Lappert hat einen großen Roman über das Erwachsenwerden eines kleinen, an der Welt verzweifelnden Jungen geschrieben, der durch seine bezwingende Komik mitreißt.

Ingo Schulze: Adam und Evelyn (Berlin Verlag, August 2008)

Kurzbeschreibung
Die Frauen lieben Adam, weil er ihnen Kleider schneidert, die sie schön und begehrenswert machen. Adam liebt schöne Frauen. Wenn sie erst seine Kleider tragen, begehrt er sie alle, und abgesehen davon liebt er Evelyn. Die ertappt ihn eines heißen Augusttages 1989 in flagranti mit einem seiner Geschöpfe. Statt mit Adam fährt Evelyn gemeinsam mit einer Freundin und deren Westcousin nach Ungarn an den Balaton. Adam setzt sich mit seinem alten Wartburg dem roten Passat auf die Spur. Für Evelyn würde er bis ans Ende der Welt fahren – und vielleicht muss er das auch, denn Ungarn will die Grenze gen Westen öffnen. Plötzlich ist die verbotene Frucht greifbar, und alle müssen sich entscheiden. In der Ausnahmesituation jenes Spätsommers 1989, dem Schwebezustand plötzlicher Wahlfreiheit, entdeckt Ingo Schulze die menschliche Urgeschichte von Verbot und Verlockung, Liebe und Erkenntnis und nicht zuletzt der Sehnsucht nach dem Paradies. Doch wo ist das zu finden? In der Verheißung des Westens, der Ungebundenheit eines endlosen Feriensommers am Plattensee oder doch im vertrauten Amtsstubenduft einer frisch geöffneten Brotkapsel und dem eigenen Garten? Im Spiel mit dem biblischen Mythos von Adam und Eva gelingt Ingo Schulze eine grandiose Tragikomödie. Mit seinem ironisch gebrochenen Begriff vom Sündenfall findet er eine Chiffre für den Eintritt in unsere heutige Welt.

Uwe Tellkamp: Der Turm (Suhrkamp, September 2008)

Kurzbeschreibung
Hausmusik, Lektüre, intellektueller Austausch: Das Dresdner Villenviertel, vom real existierenden Sozialismus längst mit Verfallsgrau überzogen, schottet sich ab. Resigniert, aber humorvoll kommentiert man den Niedergang eines Gesellschaftssystems, in dem Bildungsbürger eigentlich nicht vorgesehen sind. Anne und Richard Hoffmann, sie Krankenschwester, er Chirurg, stehen im Konflikt zwischen Anpassung und Aufbegehren: Kann man den Zumutungen des Systems in der Nische, der »süßen Krankheit Gestern« der Dresdner Nostalgie entfliehen wie Richards Cousin Niklas Tietze – oder ist der Zeitpunkt gekommen, die Ausreise zu wählen? Christian, ihr ältester Sohn, der Medizin studieren will, bekommt die Härte des Systems in der NVA zu spüren. Sein Weg scheint als Strafgefangener am Ofen eines Chemiewerks zu enden. Sein Onkel Meno Rohde steht zwischen den Welten: Als Kind der »roten Aristokratie« im Moskauer Exil hat er Zugang zum seltsamen Bezirk »Ostrom«, wo die Nomenklatura residiert, die Lebensläufe der Menschen verwaltet werden und deutsches demokratisches Recht gesprochen wird.
In epischer Sprache, in eingehend-liebevollen wie dramatischen Szenen entwirft Uwe Tellkamp ein monumentales Panorama der untergehenden DDR, in der Angehörige dreier Generationen teils gestaltend, teils ohnmächtig auf den Mahlstrom der Revolution von 1989 zutreiben, der den Turm mit sich reißen wird.

Quelle: Deutscher Buchpreis