Grass beschimpft Westerwelle als „großmäuligen Schaumschläger“

WesterwelleBei der bereits angekündigten „politischen Lesereise“ für die SPD hat Literaturnobelpreisträger Günter Grass zum Auftakt in Berlin am Dienstag zum Rundumschlag gegen FDP und Linkspartei ausgeholt.

So bezeichnete Grass den FDP-Chef Guido Westerwelle als „großmäuligen Schaumschläger“! Er sei zornig, dass ausgerechnet die FDP einen Auftrieb in einer Zeit habe, in der diese Partei abgestraft gehöre. Denn das seien die Propheten und Apostel des Neoliberalismus gewesen.

Es sei ein Rückschritt ohnegleichen, wenn mit Union und FDP ausgerechnet die Verursacher der Krise die nächste Regierung stellen, so Grass. Dies heiße „den Bock zum Gärtner zu machen.“ Angesichts der schwachen SPD-Umfragewerte sei ihm die Fortsetzung einer Großen Koalition „lieber als Schwarz-Gelb“.

Oskar Lafontaine nannte er einen „Meister der Demagogie“. Der Mann sei für ihn erledigt. Er habe den Parteivorsitz hingeschmissen wie ein dreckiges Handtuch.

Zwar habe Lafontaine ein unbestrittenes politisches Talent, jedoch sei mit ihm ein „demagogisches Element in die Linke hineingekommen“. Ein rot-rotes Regierungsbündnis auf Bundesebene lehnte Grass daher strikt ab. Allerdings dürfe man die erheblichen Wahlerfolge der Linken gerade im Osten nicht ignorieren, sonst rutsche sie „in eine Märtyrerrolle“

Die Sozialdemokraten seien leider in einer „beängstigend schwachen Situation“, so der Literaturnobelpreisträger.

An die Adresse der Sozialdemokraten appellierte Grass, das Erbe Brandts zu bewahren und „ein bisschen mehr Feuer reinzugeben“ im Wahlkampf. „Das politische Engagement für die Sozialdemokratie ist kein Auslaufmodell“, sagte er.

Quelle: Spiegel Online, Foto: Flickr by lableaddict

Türkei: Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk erneut verklagt

pamukDas oberste Berufungsgericht in Ankara machte am Mittwoch den Weg für eine Schadensersatzklage gegen Orhan Pamuk frei.

Nachdem 2006 die Klage gegen den Literaturnobelpreisträger wegen „Beleidigung des Türkentums“ eingestellt wurde, muss er nun erneut mit einem Prozess rechnen. Dieses Mal geht es um Geld. Kläger ist unter anderem der Anwalt Kemal Kerincziz (Kerincziz sitzt derzeit wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der ultranationalistischen  Ergenekon-Terrorbande im Gefängnis), der Pamuk schon 2005 vor Gericht gebracht hatte.

Die Kläger fühlen sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt, weil Pamuk gesagt haben soll, in der Türkei seien eine Million Armenier und 30 000 Kurden umgebracht worden und kaum einer rede darüber.

Zunächst hatten ungeordnete Gerichte die Klage als unbegründet verworfen.

Das Istanbuler Forschungsinstitut Tesev hatte in dieser Woche erst einen Bericht über die türkische Justiz vorgestellt, demnach zufolge die Justiz noch immer eine Bestätigung von nationalistisch und autoritär geprägten Kreisen ist. Von Tesev befragte Richter sagten, das Recht sei ihnen egal, wenn ihr Land in Gefahr sei.

Quellen: Süddeutsche Zeitung, Foto: Flickr

Bölls Nobelpreisurkunde aus Kölner Stadtarchiv gerettet

Vor sechs Wochen ist das Kölner Stadtarchiv eingestürzt. Die Archivdirektorin Bettina Schmidt-Czaia hat der Kölnischen Rundschau mitgeteilt, dass die Literatur-Nobelpreisurkunde, mit der Heinrich Böll 1972 ausgezeichnet wurde, aus dem Schutt gerettet wurde.

„Sie befand sich in einem Archivkarton und ist in gutem Zustand. Auch weitere Bestände aus dem Archiv des 1985 verstorbenen Schriftstellers sind ebenfalls relativ gut erhalten,“ sagte Schmidt-Czaia.

Der Nachlass von Heinrich Böll wurde im Februar 2009 im Kölner Stadtarchiv zusammengeführt. Das Gebäude stürzte am 3. März 2009 gegen 14.00 Uhr in sich zusammen.

Gabriel Garcia Márquez hat mit seiner literarischen Karriere abgeschlossen

Wie die Süddeutsche Zeitung heute berichtet, hat die Agentin des kolumbianischen Autors Gabriel Garcia Márquez der chilenischen Zeitung La Tercera mitgeteilt, dass der Literturnobelpreisträger des Jahres 1982 kein weiteres Buch mehr schreiben werde.

Am 06. März feierte Marquéz seinen 82. Geburtstag. 1967, im Alter von 40 Jahren, gelang ihm der Durchbruch als Schriftsteller mit dem unvergesslichen Roman Hundert Jahre Einsamkeit (Cien años de soledad), der sich mehr als 30 Millionen mal verkaufte.

Erinnerungen an meine traurigen Huren erschien 2005 und ist sein bisher  letzter Roman und wird es wohl auch bleiben, denn nach der Veröffentlichung sagte Márquez, er könne mit seiner Erfahrung  jederzeit einen neuen Roman verfassen, aber die Leser würden bemerken, dass sein Herz nicht darin enthalten sein.

Gerald Martin, der Biograph des Schriftstellers, bekräftigte die Prognose und fügte hinzu, das Schicksal habe Garcia Márquez die ungeheure Befriedigung zugemessen, viele  Jahre vor dem Ende seines physischen Lebens eine in sich schlüssige, vollkommene literarische Karriere abgeschlossen zu haben.

Quelle: Süddeutsche Zeitung, Wikipedia Foto: Flickr

Und hier der wahrscheinlich längste Satz eines Literaturnobelpreisträgers – gefunden bei Don Farrago

aus Hundert Jahre Einsamkeit:

[…]Es war Fernanda, die durchs ganze Haus zog und klagte, man habe sie nur zu einer Königin erzogen, damit sie als Dienerin in einem Irrenhaus ende mit einem Haderlump, Götzendiener und Wüstling als Mann, der sich mit offenem Mund hinlege und erwarte, daß Himmelsbrot ihm in den Mund regne, während sie sich die Nieren ausrenke in dem Bemühen, ein mit Stecknadeln zusammengebasteltes Heim aufrechtzuerhalten, in dem es so vieles zu tun, so vieles zu ertragen und verbessern gab, von der Gottesfrüh an bis zur Stunde des Schlafengehens, daß sie ins Bett fiel, die Augen voller Glasstaub, und trotzdem sagte kein Mensch zu ihr guten Morgen, Fernanda, wie hast du geschlafen, Fernanda, kein Mensch fragte sie, wenn auch nur aus Höflichkeit, warum sie so blaß sei, warum sie mit violetten Augenrändern aufwache, obgleich sie natürlich solches nicht vom Rest einer Familie erwarten könne, die sie schließlich und endlich immer nur als Störung empfunden habe, als Herdlappen, als an die Wand gepinselten Zieraffen, und die tagaus, tagein in den Ecken über sie tuschle und sie eine Frömmlerin nenne, sie eine Pharisäerin schimpfe, ein Luder schimpfe, wobei sogar Amaranta, Gott gebe ihr ewige Ruhe, laut verkündet habe, sie gehöre zu denen, die den Mastdarm mit der Karwoche verwechseln, gelobt sei Gott, was für Worte, und sie, sie habe dem Willen des Heiligen Vaters zuliebe alles mit Entsagung ertragen, doch dann habe sie es nicht länger ausgehalten, als der Schurke von José Arcadio Segundo behauptete, das Verderben der Familie komme nur daher, daß sie ihre Türen einer Zierpuppe geöffnet habe, man stelle sich vor, einer angeberischen Zierpuppe, Gott behüte, einer Zierpuppe, die ein Kind des bösen Speichels sei und vom gleichen Kaliber der Lackaffen, welche die Regierung herschicke, um Arbeiter umzubringen, man höre sich das an, und er meinte damit keine andere als sie, das Patenkind des Herzogs von Alba, eine Dame von so edler Herkunft, daß den Frauen der Präsidenten die Leber schwoll, eine Uradlige wie sie, die das Recht hatte, mit elf altspanischen Zunamen zu unterschreiben, und die die einzige Sterbliche in diesem Dorf von Bankerten war, die sich durch ein Gedeck mit sechzehn verschiedenen Bestecken nicht aus dem Konzept bringen ließ, damit der Ehebrecher von ihrem Ehemann halbtot vor Lachen sagen konnte, so viele Löffel und Gabeln, so viele Messer und Löffelchen seien nichts für Christen, sondern für Tausendfüßler, und die die einzige war, die mit verbundenen Augen sagen konnte, wann man den Weißwein serviert und von welcher Seite und in welches Glas, und wann man den Rotwein serviert und von welcher Seite und in welches Glas, und nicht wie das Bauerntrampel von Amaranta, sie ruhe sanft, die glaubte, Weißwein werde tags serviert und Rotwein abends, und sie, die einzige an der ganzen Küste, die sich rühmen durfte, sich nur in goldene Nachttöpfe erleichtert zu haben, damit der Oberst Aureliano Buendia, er ruhe sanft, mit seiner bösen Freimaurergalle die Unverschämtheit besitze zu fragen, wo sie sich dieses Vorrecht verdient habe, ob sie vielleicht nicht etwa Scheiße kacke, sondern Lilien, man stelle sich das vor, und damit Renata, ihre ureigene Tochter, die indiskreterweise ihre Entleerung im Schlafzimmer gesehen hatte, erwidert habe, ja, der Nachttopf bestehe aus reinem Gold und Wappenschmuck, doch darin sei Scheiße, körperliche Scheiße, die aber schlimmer sei als die der anderen, weil es Scheiße einer Zierpuppe sei, man stelle sich vor, das von der eigenen Tochter, darum habe sie sich nie Illusionen über den Rest der Familie gemacht, jedenfalls dürfe sie mit Recht etwas mehr Rücksicht von seiten ihres Gatten erwarten, schließlich sei er ihr Ehegatte vor dem Sakrament, ihr Urheber, ihr gesetzlicher Schänder, der aus freiem, erhabenem Willen die schwere Verantwortung auf sich genommen habe, sie aus ihrem Elternhaus wegzuholen, wo ihr nie etwas gefehlt oder wehgetan hatte, wo sie zu ihrem eigenen Zeitvertreib Trauerwedel geflochten habe, zumal ihr Taufpate einen Brief mit seiner Unterschrift und dem Petschaft seines Siegelrings gesandt habe, nur um zu sagen, die Hände seines Patenkindes seien nicht für die Aufgaben dieser Welt gemacht, es sei denn fürs Klavichordspielen, trotzdem habe der Wahnsinnsmensch von einem Ehegatten sie aus ihrem Elternhaus gezerrt mit allen Ermahnungen und Warnungen und sie dabei in diesen Höllenbrutkessel geschleift, wo man vor Hitze nicht atmen könnte, und noch bevor sie ihr Pfingstfasten beendet hatte, sei er mit seinen Wandertruhen und seinem Bummlerakkordeon abgezogen und habe sich in krassem Ehebruch mit einer Schlampe verlustiert, bei der man sich bloß den Hintern anzusehen brauche, na schön, was gesagt ist, ist gesagt, nun ist es raus, die man bloß mit ihrem Stutenhintern wackeln zu sehen brauchte, um zu erraten, daß sie eine, daß sie eine war, ganz im Gegensatz zu ihr, die sie eine Dame war, sei es im Palast oder auch im Schweinestall, am Tisch oder im Bett, eine Dame von Geburt, gottesfürchtig, gehorsam Seinen Gesetzen und Seinem Ratschluß untertan, mit der man folglich nicht die Geilereien und die Bocksprünge machen konnte, die er mit der anderen aufstellte, die sich natürlich zu allem hergab wie die französischen Matronen, ja noch schlimmer, wenn man’s recht bedachte, weil diese wenigstens so ehrbar waren, eine rote Lampe vor ihre Tür zu hängen, dergleichen Sauereien, man stelle sich vor, das fehlte noch gerade, mit der einzigen, vielgeliebten Tochter der Doña Renata Argote und des Don Fernando del Carpio, vor allem natürlich dieses heiligen Menschen und Mannes, dieses ganz großen Christen, eines Ritters vom Orden des Heiligen Grabes, jener, die unmittelbar von Gott das Vorrecht empfangen, sich unversehrt in ihrer Gruft zu bewahren mit einer Haut seidenweich wie ein Brautkleid und mit Augen, durchsichtig wie Smaragd. […]

Februar 2009: Wüste von Jean-Marie Gustave Le Clézio

Am 07. Februar 2009 besprechen wir den Roman Wüste von dem Literaturnobelpreisträger 2008 Jean-Marie Gustave Le Clézio.

Jean-Marie Gustave Le Clézio, seltener LeClézio, geboren am 13. April 1940 in Nizza, ist ein französischer Schriftsteller.

Sein Vater stammt von der Insel Mauritius, die einst französische und britische Kolonie war. Im Alter von acht Jahren zog Le Clézio zusammen mit der Familie nach Nigeria, wo der Vater während des Zweiten Weltkriegs als Arzt arbeitete. Le Clézio wuchs zweisprachig, englisch und französisch auf. Im Jahr 1950 kehrte die Familie nach Nizza zurück.

Le Clézio studierte am Collège littéraire universitaire in Nizza und promovierte in Literaturwissenschaften. Er hat unter anderem an den Universitäten Bangkok, Mexiko City, Boston, Austin und Albuquerque gelehrt.

Bekannt wurde Le Clézio mit dem Erscheinen von Das Protokoll (Procès-verbal), für das er im Jahr 1963 den Prix Renaudot bekam, nachdem das Buch bereits für den Prix Goncourt nominiert gewesen war.

Seitdem sind über dreißig Bücher von Le Clézio erschienen, darunter Erzählungen, Romane, Essays, Novellen und zwei Übersetzungen indischer Mythologie. 1980 erhielt er für Wüste (Désert) den von der Académie Française ausgeschriebenen Prix Paul-Morand.

In seinen Buch †œDer Afrikaner†œ, das im vergangenen Jahr auf deutsch übersetzt wurde, schildert Le Clézio seinen Vater, den afrikanischen Kontinent sowie seine eigene Kindheit. Demnächst erscheint in Frankreich Le Clézios neustes Werk †œRitournelle de la faim†œ.
Wüste von Jean-Marie Gustave Le Clézio

Kurzbeschreibung
Nach dem Tode ihrer Mutter lebt die junge Marokkanerin Lalla in der Obhut einer Tante in den Slums einer Stadt am Meer. Ihre Zeit verbringt Lalla am Strand oder am Rande der Wüste, beobachtet dort Tiere und Pflanzen. Der stumme Hirte Hartani ist ihr Gefährte und Vertrauter. Immer wieder träumt Lalla von den blauen Männern, dem Nomadenvolk der Tuareg, mit deren Geschichten und Legenden sie groß geworden ist. Als die 17jährige mit einem ungeliebten Mann verheiratet werden soll, flieht sie nach Marseille und arbeitet in einem billigen Hotel. Das Elend der nordafrikanischen Einwanderer, die Armut, in der sie leben, die Brutalität der Großstadt machen Lalla immer bewusster, dass sie ein Kind der Wüste ist, nur dort leben kann. Auch als sie von einem Fotografen entdeckt wird, der, fasziniert von der dunklen Schönheit des Mädchens, ihre Bilder auf den Titelseiten der großen Illustrierten veröffentlicht, will sie nicht in Marseille bleiben. Sie kehrt in ihr Land zurück, wo sie sich den blauen Männern, ihren Vorfahren, näher fühlt. Dort bringt sie das Kind zur Welt, das sie von Hartani erwartet.
J.M.G. Le Clézio hat in seinem Roman die Schönheit der Wüste Sahara mit der »Wüste« Marseille kontrastiert, auf kunstvolle Weise die Geschichte der Tuareg mit der Lallas verknüpft. Das Buch nimmt gefangen durch die Ursprünglichkeit Lallas, die wilde Fremdartigkeit der Tuareg, verzaubernde Naturbeschreibungen und eine ungewöhnlich poetische Sprache.

Warum ich schreibe – Le Clézios Dankesrede zum Literturnobelpreis – FAZ vom 08.12.2008