Blutrünstig und spannend: Das schwarze Kollektiv von Michael Zandt [Rezension]

Militärisch erzogen und gedrillt von dem schwarzen Kollektiv, zieht der erst knapp 16-jährige Soldat Ariko in den Krieg gegen die Hameshi, ein Volk, das im Einklang mit der Natur tief in den Wäldern lebt.

Nach einiger Zeit kristallisieren sich die wahren Motive des Kollektivs heraus. Zweifel an den Entscheidungen seiner Vorgesetzten und ein seltsamer Ruf, der Ariko in seinen Träumen heimsucht, lassen ihn die Seiten wechseln und sich zu den Hameshi durchschlagen, um an deren Seite zu kämpfen. Hier trifft er Lamis´jala, die schon vor langer Zeit sein Herz berührt hat, endlich wieder.

Doch auch bei den Hameshi ist sein Leben von Regeln bestimmt, die er nicht immer akzeptieren kann und auch hier greift der Krieg mit seinen grausamen Klauen nach ihm. Selbst als der Krieg nach Jahren endlich vorbei ist, steht der Frieden auf sehr wackeligen Füßen und seine Liebe zu Lamis´jala wird auf eine harte Probe gestellt.

Der Krieg entmenschlichte alle. Die einen mehr, die anderen weniger, doch jeder, der von ihm berührt wurde, musste ihm einen Teil seiner Seele überlassen.†œ

Diese Erkenntnis macht Ariko schmerzlich bewusst, dass ihm jahrelang ein falsches Weltbild vermittelt worden ist. Seine Zweifel an der Okkupation des Lebensraumes der Hameshi und einige einschneidende Vorfälle machen ihm immer mehr bewusst, dass er trotz seiner harten Ausbildung nicht zum Soldaten geboren ist.

Der Autor Michael Zandt lässt Ariko freie Hand, seine Geschichte zu erzählen. Und wie schon in Hapu (sh.: Hapu: Teufel im Leib von Michael Zandt), dem ersten Roman des Autors, versteht er es wieder sehr gut, den Leser am Ende eines Kapitels vor Betroffenheit nach Luft schnappen zu lassen. Er vermittelt einen interessanten Einblick in das Leben und Wirken der verschiedenen Clans der Hameshi, führt an magische Orte und schildert in sehr plastischen Worten die Schrecken des Krieges, in den nicht nur Menschen, sondern auch Götter und Dämonen verwickelt sind.

Blutrünstig und spannend mit verblüffenden Wendungen in einem ansprechend fantasievollen Erzählstil hinterlässt die Geschichte eine düstere Erinnerung an die Kreuzzüge und Zwangsmissionierungen aus längst vergangenen Zeiten. Tiefer Glaube, Fanatismus und Magie gehen in diesem Roman Hand in Hand.

Mir hat der Roman sehr gut gefallen, auch wenn man sich zu Beginn durch viele Informationen, ungewöhnliche Begriffe und Namen kämpfen muss. Aber es hat sich gelohnt. Leider ist Hapu ein bisschen zu kurz gekommen. Vielleicht hat sie ja demnächst wieder einen etwas größeren Auftritt, denn wie es aussieht, wird es einen 3. Teil geben. Ariko hat noch etwas sehr Wichtiges zu erledigen…
Allein das Cover ist leider nichts für meine Augen – es ist mir einfach zu dunkel geraten.

Der Lesekreis bedankt sich bei Angie ganz herzlich für diese anschauliche Buchbesprechung und bei Grit Richter, Leiterin des in diesem Jahr gegründeten Art Skript Phantastik Verlags, für die freundliche Überlassung eines Rezensionsexemplares.

Die Taschenbuchausgabe Das schwarze Kollektiv umfasst 264 Seiten und ist für 11,80 Euro im Juli 2012 erschienen.

Kurzbeschreibung
Ariko ist ein Sohn der Straße. Von den Eltern verlassen, von den Behörden ins Waisenhaus gesteckt, gerät er früh in die Fänge des Militärs. Er wird zum Soldaten erzogen und in den Krieg gegen das geheimnisvolle Volk der Hameshi geschickt. In deren riesigen Wäldern lernt er verlorene Seelen und grausame Götter, aber auch die magische Schönheit der Schöpfung kennen. Ariko begegnet einem Mädchen. Sie ist jung, sie ist schön und sie ist eine feindliche Kriegerin. Der Waise wechselt die Fronten, doch findet er auch bei den Hameshi keinen Frieden. Er muss gegen Widersacher kämpfen und heimtückischen Dämonen widerstehen. Ariko lernt viel im Reich der ewigen Wälder, aber wird er am Ende auch begreifen, dass der Keim alles Bösen in der Liebe liegt?

Über den Autor
Michael Zandt, geboren 1967, lebt im Herzen des Stauferlandes. Im Jahr 2011 war eine seiner Kurzgeschichten für den Deutschen Phantastik Preis nominiert, im selben Jahr erschien auch sein Debüt-Roman Hapu: Teufel im Leib.

Britischer Krimi-Autor R. J. Ellory rezensiert eigene Bücher und verreißt Kollegen

Wie die Süddeutsche Zeitung heute berichtet, hat der erfolgreiche und mehrfach ausgezeichnete britische Krimi-Autor R. J. Ellory zugegeben, Rezensionen für seine eigenen Romane geschrieben zu haben. So bezeichnete er seine Bücher unter verschiedenen Pseudonymen bei Amazon als „moderne Meisterwerke“, sich selbst als „großartiges Genie“ und vergab fünf Sterne. Krimis von konkurrierenden Autoren wurden dagegen mit Verrissen bedacht.

Gefälschte Buchbesprechungen sind im Internet weit verbreitet und die Leser sollten sich der „betrügerischen“ Praktiken einiger Schriftsteller bewusst sein„, warnt eine Gruppe von führenden britischen Autoren in einem offenen Brief in der britischen Zeitung The Telegraph. 49 Autorinnen und Autoren, darunter Ian Rankin, Lee Child und Val McDermid, verurteilen darin die „hinterhältige Taktik“ von Kollegen wie R. J. Ellory. Ein weiterer Krimi-Autor, Stephen Leather, hat ebenfalls zugegeben, mit verschiedenen Online-Identitäten seine eigenen Romane herausragend zu bewerten.

Diese „Fake-Identitäten“ verursachen einen unermesslichen Schaden in der Verlagswelt„, heißt es weiter in dem offenen Brief, „nur eine ehrliche und herzliche Bewertung, gut oder schlecht, enthusiastisch oder missbilligenden kann diese verlogenen Stimmen übertönen und diese hinterhältigen Taktiken in den Hintergrund drängen.

Der 47-jährige, in Birmingham lebende R. J. Ellory, soll sich mittlerweile entschuldigt haben, stand aber für eine Stellungnahme beim Telegraph nicht zur Verfügung.

Unheiliger Engel von Andrea Mertz

Sergej Nikolaj Kasamarov ist ein charismatischer und erfolgreicher Geschäftsmann in Hamburg. Er ist unermesslich reich und sieht sehr gut aus. Kein Wunder, dass ihm die Frauen willig zu Füßen liegen und er sie nur aufzuheben braucht. Doch sie bedeuten ihm nichts, bis die hübsche Elaine Jäger seinen Weg kreuzt. Als er des Mordes verdächtigt wird und alles auf ihn als Täter hinweist, tritt die Kommissarin in sein Leben und in sein Herz. Elaine ist gezwungen gegen ihn zu ermitteln, obwohl sie befangen ist, denn auch sie hat sich in ihn verliebt. Magisch voneinander angezogen versuchen sie den dunklen Mächten zu trotzen, die ihre Hände im Spiel haben. Sergej umgeben viele Geheimnisse, seine Unsterblichkeit ist nur eines davon.

Den wahren Täter kennt nur nur Sergej. Die bösartige Hexe Anna Petrova, die ihm schon in der Vergangenheit das Leben schwer gemacht hat, scheint in die Sache verwickelt zu sein. Sie lässt ihre dämonischen Schergen auf seine wenigen Freunde los, um Sergej endgültig an ihre Seite zu zwingen.

Ohne zu wissen, wer er in Wirklichkeit ist, ist Sergej dazu verdammt unter den Menschen zu leben, die ihm eigentlich verhasst sind. Er weiß nur eines, er ist unsterblich, altert nicht und hat besondere Kräfte, die er gut verbergen muss, um nicht aufzufallen. So wandert er durch die Jahrhunderte. Dabei ist er immer auf der Suche nach dem Warum und immer wieder gezwungen, sich nach einigen Jahren eine neue Existenz zuzulegen.

Die Geschichte um Sergej, sein Leben und Wirken auf Erden, seine Vergangenheit, seine widersprüchlichen Gefühle und seine Wandlung ist so faszinierend beschrieben, dass Elaine dagegen etwas verblasst und ein bisschen in den Hintergrund gedrängt wird. Aber das mindert das Lesevergnügen letztlich nicht. Denn wer kann es schon mit einem unsterblichen Mann aufnehmen, der viele Jahrhunderte auf der Erde mitten unter den Menschen lebt. Sein wahres Ich ist so tief in ihm verborgen, dass er selbst nichts von seiner wahren Identität ahnt. Die Erinnerung an sein früheres Leben wurde ihm genommen – und zwar von niemand Geringerem als dem Erzengel Michael. Dieser gewährte ihm einst eine letzte Chance, als er ihn auf die Erde verbannte um der endgültigen Vernichtung zu entgehen.

Anna, eine von Machtgier besessene Hexe, möchte sich Sergejs Dämon, der in ihm lauert, zu Nutze machen und zwingt ihn bei einem Ritual diesen zu entfesseln. Elaine ist die einzige, die es schafft diesen Dämon in Schach zu halten. Sie ist es auch, die ihm Halt und Zuversicht gibt, um Anna endgültig zu vernichten. Doch bis dahin sind noch einige Hürden zu überwinden.

Alles dreht sich um Sergej, er steht in diesem Roman eindeutig im Vordergrund. Elaine ist eigentlich nur schmückendes Beiwerk, gewinnt aber im weiteren Handlungsverlauf mehr Beachtung, besonders am Ende, als es zum großen Showdown in Rumänien kommt.

Die Geschichte um Engel und Dämonen, Gut und Böse, Freundschaft und Liebe ist von der Autorin sehr anschaulich und spannend geschrieben – flüssig und gut zu lesen. Besonders hat mir der Prolog gefallen. Er weckte gleich meine Neugierde und mein Verlangen nach mehr.

Der Lesekreis bedankt sich ganz herzlich bei Angie für diese anschauliche Buchbesprechung und beim Sieben Verlag für die freundliche Überlassung eines Rezensionsexemplares.

Die Taschenbuchausgabe „Unheiliger Engel“ von Andrea Mertz umfasst 224 Seiten und ist im Juli 2012 für 14,90 Euro im Sieben Verlag erschienen.

Kurzbeschreibung
Arrogant, geheimnisvoll, skrupellos und gefährlich.
Sergej Nikolaj Kasamarov kultiviert seinen sagenhaften Ruf als schwerreicher Geschäftsmann und notorischer Playboy. Auf seine besonderen Fähigkeiten und Kräfte hat er lange verzichtet und im Laufe der Jahrhunderte gelernt, mit seiner Unsterblichkeit umzugehen, zu tarnen, und keine unnützen Gefühle zu investieren.
Als seine alte Feindin und rassige Hexe Anna, sowie die attraktive Polizeikommissarin Elaine Jäger in sein geordnetes Leben treten, überschlagen sich die Ereignisse. Er wird des bestialischen Mordes beschuldigt und verhaftet. Sergej muss nicht nur seine tiefen Gefühle und Sehnsüchte für Elaine in den Griff bekommen und seine Unschuld beweisen, sondern auch den Kampf gegen Anna und ihre dämonischen Gesellen aufnehmen. Doch die größte Gefahr für die Menschheit ist er selbst.

Über die Autorin
Das Licht der Welt erblickte Andrea Mertz 1969 im malerischen Menden/Sauerland. Sie schlug nach dem Abitur eine langjährige kaufmännische Laufbahn ein und arbeitete zuletzt als Assistent Manager und Innendienstleitung Export im Vertrieb von Medizinprodukten.

Neben ihrer beruflichen Tätigkeit blieb Andrea Mertz jedoch ihrer eigentlichen Passion, dem kreativen Schreiben, immer treu, verfasste einige Gedichte und Kurzgeschichten. 2011 erschien ihre erste Romanreihe mit dem Titel „Der schwarze Lord“ in einem Berliner Verlag.

Aktuell lebt Andrea Mertz mit ihrer Familie sowie einer „tierischen“ Rasselbande am Rande des Sauerlandes. Das Schreiben nimmt einen wichtigen Platz in ihrem Leben ein.

Weitere Informationen über die Autorin finden sich auf ihrer Autorenhomepage bei Facebook.

Der Kuss des Tigers 01 – Eine unsterbliche Liebe von Colleen Houck (Jugend-Rezension)

Als Kelsey sich auf einen Ferienjob im Zirkus einlässt, hat sie nicht gedacht, dass dieser Job ihr ganzes Leben auf den Kopf stellt. Denn ihre oft schlaflosen Nächte verbringt sie bei dem weißen Tiger Ren, der, wie sich herausstellt, keineswegs ein einfacher Tiger ist.

Ren oder Dhiren, wie er eigentlich heißt, ist ein indischer Prinz. Er und sein Bruder Kishan wurden vor mehreren hundert Jahren mit einem Fluch belegt, der ihnen nur 10 Minuten am Tag erlaubt, eine menschliche Gestalt anzunehmen. Das heißt, vorausgesetzt sie sind in Freiheit.

Da Ren anfangs in dem Zirkus eingesperrt lebt, kauft Mr Kadam, ein alter Freund der Familie, ihn dem Zirkusdirektor ab und fliegt mit ihm nach Indien. Als Mr Kadam Kelsey fragt, ob sie Ren gerne begleiten möchte, beschließt sie, ihre Pflegeeltern zu verlassen und mit Ren in das unbekannte Land zu reisen. Hier trifft sie auch Rens Bruder Kishan, der als schwarzer Tiger immer in Freiheit im Dschungel gelebt hat.

Mit dem Ziel die beiden Brüder von dem Fluch zu erlösen, wandert sie mit Dhiren durch den Dschungel. Sie folgen den rätselhaften Hinweisen der Göttin Durga, die sie an gefährliche und verwunschene Orte führen.  Obwohl Kelsey sich fest vornimmt, nichts für Ren zu empfinden, gelingt ihr das überhaupt nicht. Für die beiden beginnt eine abenteuerliche Reise durch fantastische Welten mit viel Gefühlschaos und eine atemberaubende Liebesgeschichte.

Fazit: Mich hat das Buch so fasziniert, weil es in einer ungewöhnlichen fremdartigen Welt spielt. Es geht in erster Linie nicht nur um die Liebe zwischen Kelsey und Ren, sondern auch um Freundschaft und Vertrauen. Kelsey ist sehr selbstbewusst und trifft ihre eigenen Entscheidungen. Der Mythos um den Fluch wird auch am Ende nicht gelöst, sodass die Spannung anhält und ich die Fortsetzung kaum erwarten kann.

Der Lesekreis bedankt sich ganz herzlich bei Lilian (14 Jahre) für diese schöne Buchbesprechung und beim Heyne Verlag für die freundliche Überlassung eines Rezensionsexemplares.

Die gebundene Ausgabe von „Der Kuss des Tigers“ umfasst 544 Seiten, sie ist im Januar 2012 für 16,99 Euro im Heyne Verlag erschienen. Die Fortsetzung der als Trilogie angelegten Jugendbuchreihe ist am Juni 2012 unter dem Titel „Pfad des Tigers – Eine unsterbliche Liebe“ erschienen.

Kurzbeschreibung
Eine Liebe für die Ewigkeit
Nie im Leben hätte die achtzehnjährige Kelsey Hayes gedacht, dass sie einmal nach Indien reisen würde. Und schon gar nicht mit einem Tiger als Reisegefährten! Doch ihr Ferienjob im Zirkus Maurizio verändert ihr Leben ein für alle Mal, denn dort begegnet sie Ren, dem majestätischen weißen Tiger. Sofort spürt Kelsey, dass zwischen ihr und dem Tiger eine ganz besondere Verbindung besteht.
Als sie gebeten wird, Ren nach Indien zu bringen, um ihn dort auszuwildern, zögert sie keine Sekunde, ihren Schützling zu begleiten. In dem fremden Land angekommen, erfährt sie, dass Ren ein tragisches Geheimnis verbirgt: Er ist ein verwunschener indischer Prinz, der einst von einem mächtigen Magier dazu verdammt wurde, sein Leben als Tiger zu verbringen. Im Laufe der Zeit hat er die Hoffnung aufgegeben, jemals Erlösung zu finden †“ bis er in Kelsey das Mädchen kennenlernt, das hinter die Fassade der wilden Bestie zu blicken vermag. Doch finstere Mächte wollen Rens Befreiung verhindern. Wird die Liebe Kelseys zu ihrem Tigerprinzen ausreichen, um Ren zu helfen?

Über die Autorin
Colleen Houck studierte an der University of Arizona und arbeitete siebzehn Jahre lang als Dolmetscherin für Gebärdensprache, bevor sie beschloss, sich dem Schreiben zu widmen. Ihr erster Roman Kuss des Tigers erschien zunächst als E-Book im Eigenverlag, eroberte die Herzen der Leserinnen und Leser im Sturm und belegte wochenlang Platz 1 der Kindle-Bestsellerliste. Die Autorin lebt gemeinsam mit ihrem Mann in Salem, Oregon.

Menschen wie wir: Aliide Truu, die Ungeliebte in Fegefeuer von Sofi Oksanen

Aliide Truu, geboren 1925, wächst zusammen mit ihrer 5 Jahre älteren Schwester Ingel in West-Estland, in der Nähe von Haapsalu/ Lihula, auf. Die Eltern bewirtschaften einen Bauernhof. Beim sonntäglichen Kirchgang schlägt die Liebe in Aliide ein wie ein Blitzschlag. Hans, ein junger blonder Este, verliebt sich an dem Tag ebenfalls unsterblich. Aber leider nicht in Aliide, sondern in ihre Schwester Ingel. Nach diesem Zusammentreffen ist nichts mehr wie es war. Ingel und Hans werden heiraten und 1940 Tochter Linda bekommen. Aliide bleibt vorerst alleine und muss dem kleinen Glück zusehen. Dabei ist sie neidisch auf Ingel. Ihre einzige Sehnsucht ist es, Hans für sich zu gewinnen. Folgerichtig muss das Glück gestört werden. Das Zauberwässerchen, das die Schwangerschaft verhindern soll, kommt leider zu spät. Und auch das eigene Blut, das in Hans´ Essen gemischt wird, führt nicht dazu, dass Hans sich in sie verliebt. Auch Linda hat unter Aliide zu leiden. Wenn sie das Kind beaufsichtigen muss, kneift sie es heimlich und piekt es mit einer Nadel und das Geschrei beschert ihr heimliche Genugtuung (S. 127).

Als Russland 1944 Estland besetzt und Hans´ Leben aufgrund seiner politischen Einstellung in Gefahr gerät, entwirft sie einen Plan. Hans soll als gestorben gelten, aber ein Versteck im Haus haben. Selbst als Aliide mehrfach von den Russen verhört und gefoltert wird, verrät sie nichts. Innerlich zerbricht sie darüber. Sie erkennt, dass sie nur überleben wird, wenn sie kollaboriert. Um ihrer Sicherheit wegen heiratet sie 1948 Martin, den Parteifunktionär. Er verschafft ihr eine Stelle als Kontrolleurin. Sie treibt die Kinderlosigkeitsgebühr ein.

Von Martin erfährt sie 1949, dass Ingel und Linda deportiert werden sollen. Aliide denkt dabei nur an Hans, den sie weiter beschützen will. Er ist ihr Lebenselixier. „Denn nur Hans bewirkte, dass die Dinge eine Bedeutung bekamen. Nur durch Hans existierte Aliide†œ, (S. 211). Währenddessen ist das Objekt der Begierde ahnungslos und verharrt in seinem Versteck unter dem Bauernhaus. Hans ist in Gedanken immer bei seiner Frau und seiner Tochter. Von der Welt isoliert flüchtet er sich in Tagträume, während Aliide vergeblich darauf wartet, dass er erkennt, dass sie „zu allem bereit war und die Kraft hatte, endlos weiterzumachen, durch einen einzigen Blick. Obwohl Aliide jetzt der einzige Mensch in Hans` Leben war, sah er sie trotzdem nicht an. Eines Tages würde sich das ändern müssen.†œ(S. 211).

Schmerzlich muss Aliide erfahren, dass Liebe nicht zu erzwingen ist. Es reicht nicht die Rivalin auszuschalten, den Angebeteten zu isolieren, sich ihm dienbar zu machen. Nichts was sie für das Keimen dieser Beziehung getan hat, ist von Erfolg gekrönt. Dabei hätte sie es eigentlich wissen müssen, denn wie sagte ihr bereits Maria Kreel: „Aus der Erde der Verzweiflung wachsen schlechte Blumen.†œ (S. 129).

1951 wähnt sich Aliide ihrem Ziel, der von ihr geplanten gemeinsamen Zukunft mit Hans, ganz nahe. Hans soll mit gestohlenem Pass nach Tallinn flüchten. Aliide will die Scheidung von Martin beantragen und ihm folgen. Das neue Kleid und die Schuhe stehen schon bereit. Die Situation eskaliert, als Aliide erkennen muss, dass Hans ganz andere Pläne hat. Er möchte in den Wald und sich dem bewaffneten Widerstand anschließen. In seinem Tagebuch hat er seine Wut und seinen Hass auf Aliide dokumentiert. Er wünscht ihr den Tod. Der tritt ein, aber nicht für Aliide, sondern für Hans. Bis ins Mark verletzt, da alle Opfer sinnlos waren (…alles lag in Scherben. All die Mühe! All die Energie!, S. 348) wird Aliide zu seiner Mörderin. Sie vernichtet ihre Zukunft und muss erkennen, dass auch ihr Leben in der Vergangenheit nur dem einen Ziel, dem Leben mit Hans, untergeordnet, zum Scheitern verurteilt war. Und sie erkennt, dass es ohne Hans kein Verhör, in dem sie zu seinem Schutz höchste Qualen erlitt, gegeben hätte (Sie wären kein einziges Mal verhört worden, sie hätten ihre Ruhe gehabt…S. 349). So wird ihr ihre emotionale Abhängigkeit zum Verhängnis.

Ihr Fegefeuer kann sie erst überwinden, als sie auf die Enkelin von Ingel und Hans trifft. In Zara erkennt sie einen Menschen, der ebensolche Qualen der Folter und Erniedrigung erdulden musste. Sie stellt sich auf ihre Seite und erschießt die Peiniger. Danach beschließt sie, das Haus anzuzünden und sich neben Hans in sein Grab unter die Dielenbretter zu legen.

Kurzbeschreibung
Das international gefeierte Meisterwerk über Liebe, Verrat und Angst – vor allem vor der Gewalt der Männer.
Wer Äußerstes erlebt hat, ist auch Äußerstes zu tun im Stande – das zeigt dieser vielfach ausgezeichnete und hoch spannende Roman über zwei Frauen, die sich wie zufällig begegnen und die doch eine gemeinsame Geschichte verbindet.
Als Aliide Tru, eine alte Frau, die allein in einem Bauernhaus auf dem estnischen Land lebt, ein Bündel in ihrem Garten findet, das sich als junge Frau entpuppt, schluckt sie ihre Skepsis und Menschenverachtung herunter und nimmt Zara in ihr Haus auf. Zara ist auf der Flucht vor ihren Zuhältern, die sie mit brutalster Gewalt zu Willfährigkeit gezwungen haben und ihr schon dicht auf den Fersen sind. Doch Zara sucht keineswegs so zufällig Unterschlupf bei Aliide, wie diese glaubt: Aliide könnte die Schwester ihrer Großmutter sein.
Während Zara noch Beweise für die Verwandtschaft sucht und nach einer Möglichkeit, Estland zu verlassen, fühlt sich Aliide von der jungen Frau bedroht: Zu oft musste sie Leib und Seele, Hab und Gut vor Eindringlingen schützen. In Rückblenden entsteht das immer schärfer werdende Bild einer Familientragödie, die fast fünfzig Jahre zuvor, als Estland von den Russen besetzt wurde, ihren Höhepunkt fand. Rivalität und Eifersucht, Scham, Schutzbedürftigkeit und vor allem Angst vor der Brutalität der Männer gegenüber den Frauen – das sind die Motive, die Aliide zu unvorstellbaren Entscheidungen zwangen.
Sofi Oksanen gelang mit diesem Roman, der in mehr als 25 Ländern erscheint und gerade in den USA gefeiert wird, der große Wurf. Atemlos vor Spannung liest man über das Schicksal zweier Frauen, die ganz unterschiedliche und im Kern doch vergleichbare Erfahrungen machen: Egal welches politische System auch herrscht, Opfer sind immer die Frauen.

Die gebundene Ausgabe von Fegefeuer von Sofi Oksanen umfasst 395 Seiten und ist im August 201o bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Der Lesekreis bedankt sich ganz herzlich bei Gerlinde für diese detaillierte Analyse der Hauptfigur Aliide Truu in diesem außergewöhnlichen Roman.