Der schönste erste Satz von Judith Hermann aus Sommerhaus, später

Mein erster und einziger Besuch bei einem Therapeuten kostete mich das rote Korallenarmband und meinen Geliebten.

„Sommerhaus, später“ von Judith Hermann

Sommerhaus, späterKurzbeschreibung
Zwei Frauen, die auf einer Insel ein Spiel spielen, das »sich so ein Leben vorstellen« heißt. Ein Premierenfest, das ein unerwartetes, frühmorgendliches Ende in der Wohnung des Regisseurs findet. Ein Mann, der in seinem Sommerhaus an der Oder Besuch erhält und an seine Vergangenheit erinnert wird, die er nicht mehr kennen will.
Judith Hermanns Figuren inszenieren sich ihr Leben, sie lassen sich nur passiv oder als Zuschauer, nur spielerisch in »Lebensläufe« ziehen. Es ist ihr Gespür für die Zwischentöne und die subtilen Unaufrichtigkeiten der Gegenwart, das ihre Geschichten so eindrucksvoll macht. Die Gedanken der Helden und Heldinnen kreisen immer wieder um dieselben Themen: um Liebe und Vergänglichkeit und die Angst vor dem ungelebten, dem verhinderten Leben. Die Enkelin, die von ihrer ans Bett gefesselten Großmutter erzählt, der alte Mann, der in einer New Yorker Absteige einer jungen Reisenden begegnet – sie spüren, wie die Zeit an ihnen vorübergezogen ist. Alle aber ahnen, daß sich ihr Leben nicht in der Gegenwart, sondern in der Erinnerung und in der Vorstellung zuträgt, daß Liebe und Vergänglichkeit letztlich zwei Worte für dasselbe sind.

Aus der Amazon.de-Redaktion
Eine Menge Vorurteile werden mit Judith Hermanns Debütwerk beseitigt: Erstens, es gibt doch gute deutsche Nachwuchsautoren, zweitens, die Gattung der Erzählung ist nicht tot, und drittens, deutsches Schreiben ist per se nicht schwerfällig und grüblerisch, sondern kann, so zeigt Sommerhaus, später, sehr leichtfüßig und virtuos daherkommen.

Die Erzählperson schlüpft in neun Geschichten in verschiedene Rollen und Geschlechter: Mal ist sie Enkelin, mal Geliebte, mal Künstler, mal Zuhörer. Und manchmal auch bloß Erzählerin. So schnell sie eine Intimität zum Leser aufbaut, so schnell endet die Geschichte auch wieder und es beginnt eine neue. Personen treten in das Leben der Protagonisten und gehen wieder, reißen kleine Wunden, die lange schmerzen. Da ist der alte, einsame Mann, der seine Klassikkassetten einem jungen Mädchen schenkt, obwohl sie ihn versetzt; oder Sonja, die wie ein naives Kind in einen Maler verliebt ist und dann wie ein Geist wieder aus seinem Leben verschwindet. Gute und Böse gibt es nicht, nur Unvermögen oder Großzügigkeit.

Hermanns Kunst ist unmittelbar: direkte Rede, reale Vergleiche, detaillierte Wahrnehmung. Und doch bleiben die Erzählungen angenehm unvollständig. Als hätte jemand eine Kamera auf ein paar Personen in Berlin oder New York oder sonstwo gehalten und wieder ausgeblendet. „Du musst lernen zu warten“, sagt einer ihrer Protagonisten, „auch auf die kleinen Ereignisse“.

Judith Hermann hat für Sommerhaus, später den Förderpreis des Bremer Literaturpreises 1999 erhalten. In der Begründung der Jury heißt es: „Judith Hermann formuliert in atmosphärisch dichter Prosa und mit großer sprachlicher Sicherheit das Lebensgefühl von Menschen, die in Liebe und Angst befangen, das wirkliche Leben verfehlen und das Scheitern der eigenen Lebenspläne mehr melancholisch beobachten als trauernd erleben.“ –Bettina Albert

Judith HermannÜber die Autorin
Judith Hermann wurde am 15. Mai 1970 im St. Joseph-Krankenhaus in Berlin-Tempelhof geboren. Sie begann ein Germanistik- und Philosophie-Studium mit der Absicht, im Anschluss als Journalistin zu arbeiten. Sie brach dieses ab und entschied sich für ein Praktikum in New York. Dort besuchte sie die Journalistenschule. 1997 erhielt sie das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste in Berlin. In Amerika schrieb sie ihre ersten literarischen Texte und entdeckte bald die Kurzgeschichte als „ihr†œ Genre. 1998 veröffentlichte sie schließlich ihren ersten Prosaband Sommerhaus, später.

Nach ihrem ersten Erfolg verstrichen mehrere Jahre, in denen sie †“ nach eigener Aussage †“ lernen musste, mit dem Druck, der nun durch Verlage, die Medien und die Öffentlichkeit in Form eines erwartungsvollen Publikums auf sie ausgeübt wurde, umzugehen.

Sie ist Mutter eines Sohnes und lebt und schreibt in Berlin/Prenzlauer Berg.

2003 folgte der zweite Erzählungsband Nichts als Gespenster.

Sommerhaus, später
Hermann gelang der literarische Durchbruch mit ihrer Erstpublikation, dem Erzählungsband Sommerhaus, später. Gelobt wurden dabei ihre in kurzen Sätzen gehaltenen, doch trotzdem unschlüssig bleibenden Schilderungen alltäglicher und scheinbar alltäglicher Begebenheiten. Hermann skizziert in ihren melancholisch gefärbten kurzen Erzählungen die Stimmungen der Personen und die feinen Nuancen in wenigen Worten. Durch dieses Verfahren wirken ihre Erzählungen sehr atmosphärisch und aufgeladen, zugleich vermeidet Hermann es, große Gefühle direkt auszusprechen oder klar zu benennen. Diese Technik hat ihre direktesten Vorfahren in den Storys des amerikanischen Schriftstellers Raymond Carver, auf den Hermann sich in Interviews und Preisreden immer wieder bezogen hat.

Der schönste erste Satz von Gabriel García Márquez aus Liebe in Zeiten der Cholera

Es war unvermeidbar: Der Geruch von bitteren Mandeln ließ ihn stets an das Schicksal verhinderter Liebe denken.

Liebe in Zeiten der Cholera von Gabriel García Márquez

Liebe in Zeiten der CholeraKurzbeschreibung
Schon aus praktischen Gründen hat die schöne Fermina den jungen Florentino nichtheiraten können. Einundfünfzig Jahre, neun Monate und vier Tage später ist er wieder zur Stelle und erklärt ihr seine Liebe… Garcia Marquez hat einen großen Roman geschrieben, eine Geschichte voller Lebenskraft und Poesie, einen Hymnus auf die absolute Liebe.Gabriel Garcia Marquez, 1927 in Aracataca, Kolumbien, geboren, arbeitete nach dem Jurastudium zunächst als Journalist. Er hat ein umfangreiches erzählerisches und journalistisches Werk vorgelegt. 1982 erhielt Garcia Marquez den Nobelpreis für Literatur.
Gabriel Garcia Marquez wurde am 6. März 1928 in Aracataca (Kolumbien) geboren, schrieb zunächst Filmdrehbücher, dann Erzählungen, Romane und Reportagen.
1982 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Autorenportrait
Gabriel Garcia Marquez, 1927 in Aracataca, Kolumbien, geboren, arbeitete nach dem Jurastudium zunächst als Journalist. Er hat ein umfangreiches erzählerisches und journalistisches Werk vorgelegt. 1982 erhielt Garcia Marquez den Nobelpreis für Literatur.

Aus der Amazon.de-Redaktion
Liebe ist…
… 51 Jahre, 9 Monate und 4 Tage auf eine Frau zu warten!
Als blutjunger Mann verliebt sich Florentino Ariza unsterblich in Fermina Daza, sendet ihr tagtäglich Liebesbriefe, die sie entgegen nimmt und nach langem Zögern schließlich auch beantwortet. Er macht ihr einen Heiratsantrag und im Liebestaumel glaubt Florentino daran, daß sie ihn annehmen wird. Fermina entscheidet anders und heiratet einen wohlhabenden, einflußreichen Arzt. Florentino kann Fermina nicht vergessen und verfolgt ihr Leben über viele Jahre, ohne aufhören sie zu lieben.

Im hohen Alter stirbt ihr Ehemann durch einen Unfall, auf diesen Moment wartete Florentino über 50 Jahre lang. Wieder beteuert er Fermina gegenüber seine Liebe, Monate vergehen, bis sie sich ihm endlich zuwendet.Als Greise finden sie sich und leben das Abenteuer ihrer Liebe.

Dieser Roman von Gabriel Garcia Márquez ließ mich alles um mich herum vergessen. Ich schlüpfte in eine andere Welt und Zeit. Vor meinem inneren Auge tauchten die Tropen auf, mit ihren Farben, Gerüchen und der zu dieser Zeit wütenden Cholera. Die Romanfiguren erschienen mir so lebendig, daß ich mit ihnen durch die Jahre lebte. Ich nahm Teil an dem Alterungsprozess der beiden Hauptfiguren, Florentino und Fermina, und fragte mich wann und wie werden sie sich finden, und wie begegnen sich zwei altgewordene Körper, in denen sich soviel Lust für einander aufgespart hat? Sie begegnen sich auf einem Schiff, welk, zart und schüchtern, sich ihres Alters bewußt und doch voller Verlangen.

Das Schiff fährt in keinen Hafen ein, denn die Liebenden entscheiden bis an ihr Lebensende zusammen zu treiben. Schillernd und bewegend, wie die Facetten der Liebe. –Claudia Berg — Dieser Text bezieht sich auf eine vergriffene oder nicht verfügbare Ausgabe dieses Titels.

„Der schönste erste Satz“

ist ein Wettbewerb der Initiative Deutsche Sprache und der Stiftung Lesen.

Wer möchte kann seinen Vorschlag für den „Schönsten ersten Satz“ an die E-Mail-Adresse:

borsenblatt@mvb-online.de schicken.

Mein Vorschlag für einen schönen ersten Satz lautet:

Er war nicht mein Vater und nicht meine Mutter, weshalb öffnete er mir dann ihre Haustür, erfüllte mit seinem Körper den schmalen Eingang, die Hand auf der Türklinke, ich begann zurückzuweichen, schaute nach, ob ich mich vielleicht im Stockwerk geirrt hatte, aber das Namensschild beharrte hartnäckig darauf, dass dies ihre Wohnung war, wenigstens war es ihre Wohnung gewesen, und mit leiser Stimme fragte ich, was ist mit meinen Eltern passiert, und er öffnete seinen großen Mund, nichts ist ihnen passiert, Ja`ara, mein Name rutschte aus seinem Mund wie ein Fisch aus dem Netz, und ich stürzte in die Wohnung, mein Arm streifte seinen kühlen glatten Arm, ich ging an dem leeren Wohnzimmer vorbei, öffnete die verschlossene Tür ihres Schlafzimmers.

Zugegeben, es kann über Sinn oder Unsinn solcher Umfragen gestritten werden, aber spannend ist es allemal. Dieser erste Satz ist voller Verheißung und mag so manchen Leser in der Buchhandlung verleitet haben das Buch zu kaufen.

Wer kennt ihn, bzw. wer kennt den Buchtitel und den Autor? Wer es weiß, darf den nächsten schönsten ersten Satz hier vorschlagen. 🙂

Liebe Dolcevita, ist das Z. Shalev, Liebesleben?
Wenn ja, lautet mein Vorschlag:

Es war unvermeidbar: Der Geruch von bitteren Mandeln ließ ihn stets an das Schicksal verhinderter Liebe denken.

Mai 2005: Die Wand – Marlen Haushofer

Der erste Satz:
Heute, am fünften November, beginne ich mit meinem Bericht.

Die WandKurzbeschreibung
Die namentlich nicht benannte Erzählerin in Die Wand reist mit ihrer Kusine und deren Ehemann zum Wochenende auf eine Jagdhütte. Während das Ehepaar dann des Abends noch in die Gaststätte eines nahegelegenen Dorfes zieht, bleibt die Erzählerin und Protagonistin allein in der Hütte, um am nächsten Morgen festzustellen, dass sie immer noch alleine ist. Auf ihrer Suche nach den beiden bemerkt sie, dass sie durch eine unsichtbare Wand von der Außenwelt abgeschnitten wurde.

Während ihrer Exkursionen stellt die Heldin des Romanes nun fest, dass ein nicht weiter bezeichnetes Unglück wahrscheinlich alle, zumindest aber alle ihr durch die Wand sichtbaren Lebewesen getötet hat, sie mithin durch die Wand geschützt und gleichzeitig eingesperrt ist. Da das Areal, das von der Wand umschlossen wird, sich aber über ein ganzes Tal hinaus erstreckt, lernt die so Isolierte nun allmählich, sich von den verbliebenen Vorräten und den Erzeugnissen des Waldes und der Felder zu ernähren. Zu der Sorge um ihre eigene Existenz kommt dabei bald die Sorge um verschiedene Tiere, die ihr zulaufen: Ein Hund, eine Katze und eine Kuh gesellen sich zu der Erzählerin, die aus der Retrospektive dann auf verbliebenen Kalenderblättern ihre Geschichte für eine vielleicht nicht mehr vorhandene Nachwelt zu überliefern versucht.

Gegen Ende erscheint auf der Alm, die die Frau als Sommerquartier bezogen hatte, ein Mann. Dieser erschlägt jedoch, vollkommen willkürlich, den Stier und den Hund. Die Frau sieht sich daraufhin gezwungen den Mann zu erschießen. Trotz dieser Katastrophe klingt der Bericht vorsichtig optimistisch aus, so heißt es unter anderem: Seit heute früh weiß ich sicher, daß Bella ein Kalb haben wird. Und, wer weiß, vielleicht wird es doch wieder junge Katzen geben. Die Hauptperson verschiebt also einen möglichen Ausbruch aus dem Tal. Die Munition geht jedoch absehbar zu Ende, ebenso wie die Möglichkeit Feuer zu machen (Zündhölzer). Über das weitere Schicksal der Icherzählerin ist nichts bekannt.

Würdigung
Haushofers Roman, der in höchstem Maße interpretationsoffen ist, wurde schon immer in vielfältiger Weise gelesen. Er kann als eine radikale Zivilisationskritik verstanden werden, die den Menschen wieder in die Natur zurück versetzt, ihm die Kulturgüter, wie den am Haus langsam zuwachsenden Mercedes, als ebenso überflüssig wie unsinnig entzieht, und ist hierin hinsichtlich der Entwicklungsmöglichkeiten des Menschen ebenso positiv wie negativ gestimmt. Überlebt die Erzählerin doch zumindest eine gewisse Zeit – über ihr mögliches Ende ist nichts überliefert – und belegt darin Anpassungsfähigkeit wie auch die Möglichkeit einer gerade im Minimalismus sich findenden moralischen Position, so negiert dieses Konzept aber, dass die Menschheit sich zumindest dem Anschein nach bereits vernichtet zu haben scheint.

Hierhin gehört auch, dass der einzige weitere Überlebende der Spezies Mensch ein überaus rücksichtloses Exemplar ist, das, kaum eingeführt, auch schon von der Protagonistin erschossen werden muss. Spätestens hierin gerät die dann doch eher negative Utopie dann aber auch zu einem emanzipatorischen Frauenroman, der die implizite Kritik am gewaltbereiten Patriarchat nicht nur in der Entwicklung der Heldin durchführt, sondern darin auf die Spitze treibt, die zumindest innerhalb des von der Wand umschlossenen Mikrokosmos letzte Möglichkeit zur Paarung, Fortpflanzung und Rettung des Fortbestandes der Menschheit in toto auszuschließen.

Über diese Perspektiven der Interpretation hinaus lässt sich Haushofers Roman aber auch als eine bis auf das Ende versöhnliche Geschichte vom friedlichen Zusammenleben von Mensch und Tier, vom Menschen in der Natur lesen und bekommt in manchen Passagen sogar Züge einer Katzengeschichte, deren Schicksal immer wieder detailliert verfolgt wird (und in gewisser Weise dann in dem Kinderbuch Bartls Abenteuer seine Fortsetzung fand). Insgesamt bleibt Haushofers Roman so eine in einfacher, kaum je zu Pathos neigender Sprache dargebotene Utopie, die zwischen Kritik und Versöhnung zu oszillieren scheint und vielleicht gerade darum das beliebteste Werk der Autorin ist.

Über die Autorin
Marlen Haushofer, geborene Marie Helene Frauendorfer, geboren am 11. April 1920 in Molln, gestorben am 21. März 1970 in Wien, war eine österreichische Schriftstellerin.

Marlen Haushofer wurde als Tochter eines Revierförsters und einer Kammerzofe im oberösterreichischen Molln-Frauenstein geboren. Von 1934 an besuchte Haushofer das Internat der Ursulinen in Linz, auf dem sie 1940 die Reifeprüfung ablegte. Haushofer studierte nach einer kurzen Phase des Arbeitsdienstes ab 1940 Germanistik in Wien und später (ab 1943) in Graz. 1941 heiratete sie den Zahnarzt Manfred Haushofer, mit dem sie später nach Steyr zog. Der Ehe, die 1953 geschieden und 1957 erneuert wurde, entstammt der Sohn Manfred, einen zweiten, älteren unehelichen Sohn namens Christian brachte sie in die Ehe mit.

Ab 1946 publizierte Haushofer kleinere Erzählungen in Zeitschriften. Ein erster Erfolg gelang ihr jedoch erst 1952 mit der Novelle Das fünfte Jahr, das dem Titel entsprechend ein Jahr im Heranwachsen eines Kindes namens Marili in nüchterner Nähe beschreibt. Der Roman Die Wand, der 1962 veröffentlicht wurde, ist wahrscheinlich Haushofers wichtigstes Werk. Die hierin beschriebene Welt eines isolierten Lebens im Wald, einer in der Katastrophe entstandenen Idylle wurde aber trotz der früh gelobten Qualitäten ebenso wie alle anderen Werke der Autorin vergessen. Lediglich die Kinderbücher bildeten hiervon eine, für die Rezeption jedoch unbedeutende, Ausnahme. Erst Frauenbewegung und Frauenliteraturforschung erkannten dann allmählich die Bedeutung des sich immer wieder mit der Rolle der Frau in der Männergesellschaft auseinandersetzenden Werkes und erlaubten so eine erneute Rezeption.

Am 21. März 1970 verstarb die an Knochenkrebs erkrankte Dichterin nach einer Operation in Wien im Alter von 49 Jahren.

Juli 2000: Mein Herz so weiß – Javier Marías

Der erste Satz aus Mein Herz so weiß:

Ich wollte es nicht wissen, aber ich habe es erfahren, daß eines der Mädchen, als es kein Mädchen mehr war, kurz nach der Rückkehr von der Hochzeitsreise das Badezimmer betrat, sich vor den Spiegel stellte, die Bluse aufknöpfte, den Büstenhalter auszog und mit der Mündung der Pistole ihres eigenen Vaters, der sich mit einem Teil der Familie und drei Gästen im Eßzimmer befand, ihr Herz suchte.

Javier MaríasJavier Marías Franco, geboren am 20. September 1951 in Madrid, ist ein spanischer Schriftsteller.

Er wurde als viertes von fünf Kindern in Madrid geboren. Seine Mutter Dolores Franco Manera war Lehrerin, der Vater Julián Marías Aguilera Philosoph.

Da der Vater sich zu republikanischer Politik bekannte, wurde er vom Franco-Regime verfolgt, zeitweilig ins Gefängnis gesperrt und mit einem Berufsverbot belegt. Er reiste mehrfach in die USA und lehrte dort an Universitäten, so beispielsweise an der Universität Yale oder am Wellesley College. Die Familie begleitete ihn oft, so dass Javier Marías teilweise in den USA aufwuchs. Die Familie lebte zweitweilig im Haus des berühmten spanischen Schriftstellers Jorge Guillén, wo sie auch Bekanntschaft mit dem ebenfalls dort lebenden Vladimir Nabokov machte.

1959 kehrten die Eltern nach Madrid zurück, wo Javier Marías in der Folgezeit eine gute Erziehung erhielt, teils an der liberalen Schule Colegio Estudio, teils zu Hause von den Eltern, von deren intellektuellem Umgang er profitierte.

Schließlich ging er 1968 an die Universität Complutense Madrid, wo er sich für Literaturwissenschaft und Philosophie einschrieb. 1973 schloss er sein Studium mit der Licencia ab.

Während seiner Universitätszeit gehörte der Autor einer kommunistischen Gruppierung an, distanzierte sich aber später davon und betonte seine politische Unabhängigkeit. Andererseits setzte er sich im Parlamento International de Escritores für Schriftstellerkollegen ein, beispielsweise während der Balkankriege und bzgl. des Tschetschenienkriegs.

Sein erstes Geld verdiente er mit Übersetzungen und Kurzauftritten in Filmen seines Onkels Jesús Franco, der Regisseur war.

Von 1974 bis 1978 lebte er in Barcelona und arbeitete für das Verlagshaus Alfaguara. Später zog er wieder nach Madrid. Er schrieb an eigenen Werken (Romane und Erzählungen), übersetzte, vor allem aus dem Englischen und veröffentlichte Artikel in Zeitungen und Zeitschriften. Für die Übersetzung des Tristram Shandy von Laurence Sterne erhielt er 1979 den Preis Premio Nacional de Traducción.

1983 ging Marías nach Oxford, wo er Unterricht in spanischer Literatur und Übersetzung erteilte. Im Jahr darauf unterrichtete er wie sein Vater am Wellesley College in Boston. Ab 1986 lebte und arbeitete er in Venedig. Seit 1987 befindet er sich meist in Madrid und unterrichtet an der Universität Complutense Madrid.

Marías ist bekennender Anhänger des Fußballvereins Real Madrid.

Werke

Mit elf Jahren begann Marías Geschichten zu schreiben und mit fünfzehn hatte er seinen ersten Roman La vispera fertiggestellt, der nie veröffentlicht wurde.

1968 brachte die Zeitung El Noticiero Universal und seine erste Kurzgeschichte La vida y la muerte de Marcelino Iturriago heraus.

Im Sommer 1969 schrieb er in Paris seinen zweiten Roman Los dominios del Lobo, der 1971 veröffentlicht wurde. Im nächsten Jahr lernte er den Schriftsteller Juan Benet kennen und schloss sich dessen Autorenkreis an.

Mit dem Roman El hombre sentimental (1986) gewann er im Erscheinungsjahr des Werks den Preis Premio Herralde de Novela.

Der 1992 erschienene Roman Corazón tan blanco (Mein Herz so weiß) wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt (deutsch 1996) und zu einem Welterfolg. In Deutschland lobte Marcel Reich-Ranicki das Buch in der Fernsehsendung Das Literarische Quartett. Auch sein nächster Roman Mañana en la batalla piensa en mí (1994, Morgen in der Schlacht denk an mich) heimste Lorbeeren ein, z.B. in Le Monde. Für beide Bücher wurden ihm zahlreiche Preise zugesprochen. Außerdem erhielt er beispielsweise 1997 den Nelly-Sachs-Preis für sein Gesamtwerk verliehen.

Cover Mein Herz so weißKurzbeschreibung
Eine junge Frau erhebt sich vom Tisch, geht ins Bad, knöpft ihre Bluse auf und erschießt sich. Diese dunkle Szene, von der der Ich-Erzähler nur gehört hat, läßt ihm keine Ruhe mehr. Die junge Frau war seine Tante, die Schwester seiner Mutter, die Frau, die sein Vater vor seiner Mutter geheiratet hatte. Vierzig Jahre später ist der Erzähler selbst verheiratet. Dunkle Vorahnungen und nebensächliche Ereignisse beunruhigen ihn. Der Ich-Erzähler ist Dolmetscher und leidet an einer »déformation professionelle«, die ihn dazu zwingt, jedes Detail zu registrieren und zu interpretieren: die kleinen, scheinbar unbedeutenden Dinge im Leben zu zweit und auch jene Details, die ihm nach und nach mehr über die Ereignisse vor seiner Geburt verraten, als ihm lieb ist. Javier Marías, 1951 in Madrid geboren, gilt als einer der bedeutendsten Schrift-steller Spaniens. Sein umfangreiches Werk ist in acht Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.