Druckfrisch: Denis Scheck bewertet die Top Ten der Spiegel-Bestenliste KW 44/08

Am Sonntag, den 2. November 2008, um 23.35 Uhr, lief in der ARD die Literatursendung Druckfrisch mit Denis Scheck.
Unerbittlich waren wieder seine Kommentare und Bewertungen zur Spiegel-Bestenliste der Hardcover der Woche 44/2008. Für wirklich lesens- und empfehlenswert hält er im Moment nur „Die Schweigeminute“ von Siegfried Lenz und die „Die souveräne Leserin“ von Allan Bennett.

Platz 1 : Der Turm von Uwe Tellkamp

„Der Turm“ will ganz ungemein deutsch, ganz ungemein bürgerlich und ganz ungemein Kunst sein. Bei all dem deutschen bürgerlichen Kunstwollen entsteht ein Geruch nach Schweiß wie in der Umkleidekabine eines Fußballoberligisten nach der Halbzeitpause.

Platz 2 : Feuchtgebiete von Charlotte Roche

FeuchtgebieteDieser Amoklauf gegen alle, deren, Zitat, „oberstes Gebot im Leben lautet: keine Flecken hinterlassen“, amüsiert etwa die ersten 20 Seiten lang. Danach hat man dann nur noch ein banales Jugendbuch in Händen und wünscht sich nicht sehnlicher als einen Tintenkiller.

Platz 3 : Schwerelos von Ildikó von Kürthy

Wenig verändert hat sich auch Kürthys literarischem Kosmos: das Personal dieses Romans einschließlich schwulen Türken und hirnlosen Lovern kommt einem aus früheren Büchern allzu bekannt vor. Das ist kein Fall von Recycling, das ist ein Resteessen.

Platz 4 : Brida von Paulo Coelho

Paulo Coelho lässt nichts aus, was der Markt an neoreligiösem Stuss hergibt, um die spirituelle und sexuelle Erweckung einer junger Irin namens Brida aufzuzeigen. An einer Stelle fragt Brida ihre Lehrerin: „Woran erkennst du, dass ich eine besondere Gabe habe?“ und erhält zur Antwort: „Das ist ganz einfach. An den Ohren.“ Ach so.

Platz 5 : Die souveräne Leserin von Alan Bennett

Was gute Bücher in einem gekrönten Haupt anrichten, davon erzählt Alan Bennett in seiner schlauen Einführung in die Welt der Bücher und des British Way of Life. Stellen Sie sich vor, die britische Queen entdeckt im Alter plötzlich die Freuden der Literatur, beginnt tatsächlich zu lesen und entdeckt, dass Literatur vor keinem buckelt. Ein königliches Vergnügen!

Platz 6 : Die Tore der Welt von Ken Follett

Die Tore der WeltDie ausgewalzte, zweihundert Jahre später spielende Fortsetzung von „Die Säulen der Erde“ ist ein Roman wie ein Freilichtmuseum: Menschen mit dem Bewusstsein von heute agieren in Kostümen von gestern.

Platz 7 : Schweigeminute von Siegfried Lenz

Scheigeminute„Um über den Regen zu schreiben, muss man nicht gerade nass geworden sein“, hat Siegfried Lenz einmal in einem Essay erklärt. Ich aber glaube, so einsichtsreich, tief und berührend wie in dieser Novelle über die Liebe zwischen einem Schüler und seiner Englischlehrerin kann nur jemand schreiben, der den Verlust einer geliebten Person persönlich erlebt hat.

Platz 8 : Der kleine Bruder von Sven Regener

Westberlin als Ort der Befreiung von Bundeswehr, Eltern und Ökonomie schildert Sven Regener im Mittelteil seiner schönen Trilogie um Frank Lehmann, der aus Bremen nach Kreuzberg kommt. Ob man dort irgendwas beachten müsse, fragt Lehmann einmal seinen Freund Wolli. Dieser erteilt ihm den weisen Rat: „In Berlin wohnen ist wie Tubaspielen: Hauptsache, du pupst ordentlich rum!“

Platz 9 : Die Tochter der Wanderhure von Iny Lorentz

Unerwiderte Liebe ist schlimm. So schlimm wie hier aber war sie noch nie, kleidet sie dieser Mittelalterschmöker doch in die blechernsten Dialoge aller Zeiten.

Platz 10 : Bis(s) zur Mittagsstunde von Stephenie Meyer

„Nackenbeißer“ heißen im Buchhandel Schmonzetten, in denen junge Frauen von etwas älteren Männern in die Geheimnisse der Liebe eingeführt werden. Der Altersunterschied zwischen Meyers begriffsstutziger Heldin Bella und ihrem zum Verrücktwerden höflichen Vampir-Geliebten Edward beträgt gleich mehrere hundert Jahre. Und dann weigert sich Edward auch noch zu beissen. Resultat: ein Nackenbeisser ohne Biss.

Die kompletten Kommentare sind hier nachzulesen, desweiteren hat DasErste ein Video der Sendung online gestellt.

Quelle: Druckfisch

3 Gedanken zu „Druckfrisch: Denis Scheck bewertet die Top Ten der Spiegel-Bestenliste KW 44/08

  1. Und ich habs natürlich wieder verpasst! 🙁

    So ein Mist, denn Herrn Scheck fühle ich mich herzlich verbunden, weil der immer so schonungslos mit Büchern umgeht, die er nicht mochte. Bestsellerlisten bieten da aber auch immer eine gute Angrifssfläche zum Lästern.

    Umso mehr freut es mich, dass „Die souveräne Leserin“ ihm offenbar gefallen hat, denn da hab ich mir neulich erst gedacht, dass mir das vllt auch gefallen könnte.

  2. hi Maren,
    habe es auch nicht gesehen (sonntags sind bei mir immer die Krimis angesagt), aber unter dem Link „Druckfrisch“ kannst du im Prinzip alles nachlesen, außerdem gibt es ein Video von der Besprechung der Top Ten – auch auf der Seite der ARD.
    Ich finde auch, dass er wunderbar lästert! 😆
    „Die souveräne Leserin“ ist bestimmt gut, werde mir das Buch besorgen, aber wann soll ich das nur alles lesen???
    LG

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