Darkyn – Versuchung des Zwielichts von Lynn Viehl [Rezension]

Darkyn – Versuchung des Zwielichts von Lynn Viehl

Die plastische Chirurgin Dr. Alexandra Keller gehört zu den besten auf ihrem Gebiet. Sie behandelt in erster Linie mittellose Patienten und Opfer gewalttätiger Verbrechen. Die mehrmaligen Anfragen des aus New Orleans stammenden Millionärs Michael Cyprien an ihm eine plastische Operation durchzuführen, weist sie zurück. Daraufhin lässt dieser die Ärztin entführen, und zwingt sie so sein grässlich entstelltes Gesicht zu operieren.

Cyprien ist ein Darkyn, ein Vampir. Bislang war es nie gelungen ihn von seinen durch Folter zugefügten Leiden zu erlösen, da sein Körper einen extrem schnellen Heilungsprozess entwickelt hat. Dr. Keller gelingt diese schwierige Aufgabe, und als sie hofft, danach wieder unbeschadet in ihr altes Leben zurückkehren zu können, kommt es zu einem folgenschweren Zwischenfall. Cyprien verliert die Kontrolle über sich und fällt über Alexandra her. Sie verlässt ihn daraufhin, doch unvermeidbar kreuzen sich ihre Wege immer wieder. Es entsteht eine Romanze, die einen sehr schwierigen Start hingelegt hat und alles andere als einfach verläuft.

Zu Beginn des Buches betrachtet man Alexandra und erfährt Einiges über ihre Arbeit als Chirurgin und ihre Lebensumstände. Sie ist eine intelligente, mutige und selbstbewusste Frau um die 30, die sich nicht unterkriegen lässt. Ihr trockener, sarkastischer Humor macht sie sehr sympathisch.

Im Laufe der Handlung erfährt man immer mehr über die Gesellschaft der Darkyn und bekommt einen tiefen Einblick in ihre Strukturen und Gebräuche. Die verwendeten Begriffe wirken anfänglich etwas verwirrend, da die Autorin versucht eine neue Welt rund um den Vampirmythos zu erschaffen. Sie trinken Blut, ihre Wunden heilen außergewöhnlich schnell. Weiterhin hat jeder Darkyn ganz eigene Fähigkeiten, die ihn von seinen Artgenossen unterscheiden. Die Vampire glauben, der Ursprung ihrer Art liegt einem Fluch zu Grunde. Sie werden gnadenlos von einem geheimen Kirchenorden abergläubischer, abtrünniger Priester gejagt, dem sich zu guter Letzt Alexandras einziger lebender Verwandter, ihr Bruder John, anschließt. Der Roman ist mit grausamen Szenen gespickt, die einem ein ums andere Mal eine Gänsehaut bescheren.

Die Geschichte ist aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, die auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten aufweisen. Dadurch hat man anfangs etwas Probleme einen Einstieg zu finden. Man stößt auf einige Bezeichnungen, die zuerst überhaupt keinen Sinn ergeben. Doch sobald sich die parallelen Erzählstränge miteinander verbinden und man ein wenig Hintergrundwissen über die geheimnisvollen Darkyn hat, nimmt die Handlung deutlich an Spannung zu. Die Liebesgeschichte um Alex und Michael, steht absolut nicht im Vordergrund. Durch die Verschwörungen und Intrigen, die sich sowohl innerhalb der Darkyn, wie auch im feindlichen Lager abspielen, zeichnet die Autorin einen enormen Spannungsbogen.

Trotz der Flut an Urban-Fantasy-Romanen ist es Lynn Viehl mit „Darkyn – Versuchung des Zwielichts“ gelungen, den Auftakt zu einer viel versprechenden neuen Serie zu schreiben. Die Welt der Darkyn ist schlüssig konstruiert und für Lara Adrian- oder J.R. Ward-Fans ein absolutes Muss im Bücherregal.

Der Lesekreis bedankt dich bei Doc Jane für diese schöne, aussagekräftige Rezension und beim Verlag LYX für die freundliche Überlassung eines Rezensionsexemplars.

Die 390 Seiten umfassende broschierte Ausgabe ist am 15. April 2010 erschienen und für 9,95 Euro im Buchhandel erhältlich. „Darkyn 01 – Versuchung der Zwielichts“ von Lynn Viehl ist der erste Teil einer geplanten Serie. Der zweite Teil „Darkyn – Im Bann der Träume“ erscheint in der deutschen Übersetzung im Juli 2010 ebenfalls im LYX Verlag

Kurzbeschreibung
Dr. Alexandra Keller ist eine erfolgreiche Schönheitschirurgin, die ihre Praxis auch des Öfteren für Bedürftige kostenlos zur Verfügung stellt. Eines Tages erhält sie einen Anruf von dem Millionär Michael Cyprien, der dringend ihre Hilfe braucht. Als sich Alexandra weigert, seinen Fall zu übernehmen, lässt dieser sie kurzerhand entführen. Was Alexandra nicht weiß: Michael ist ein vierhundert Jahre alter Vampir. Er wurde von seinen Feinden furchtbar entstellt, doch seine raschen Heilungskräfte machen eine Operation nahezu unmöglich. Alexandra muss all ihre Fähigkeiten als Chirurgin aufwenden, um ihm zu helfen.

Klappentext
Sie ist seine einzige Hoffnung, der Dunkelheit zu entfliehen.
Alexandra Keller ist Ärztin und glaubt nur an das, was sich rational erklären lässt. Als sie jedoch dem geheimnisvollen Millionär Michael Cyprien begegnet, gerät ihr Weltbild ins wanken. Cyprien ist einer der unsterblichen Darkyn und verfügt über außergewöhnliche Kräfte.Schon bald kann sich Alexandra Cypriens magischer Anziehungskraft nicht mehr entziehen.

Über die Autorin
Die amerikanische Autorin Lynn Viehl wurde 1961 geboren. Unter Pseudonym hat sie bereits zahlreiche erfolgreiche Liebesromane geschrieben und erste Ausflüge in die Romantic Fantasy unternommen. Gegenwärtig lebt sie mit ihrer Familie in Florida.

Der Garten der letzten Tage von Andre Dubus III [Rezension]

Der Garten der letzten Tage von Andre Dubus III

Die Striptease-Tänzerin April muss ihre 3-jährige Tochter Franny mit in den Club nehmen, weil ihre Babysitterin sich krank fühlt und ins Krankenhaus kommt. Das Mädchen wacht nachts im Club auf und macht sich orientierungslos auf die Suche nach ihrer Mutter. Schließlich steht sie weinend an der Hintertür. AJ, ein Kunde des Clubs, findet sie dort und nimmt sie in bester Absicht mit in sein Auto. Er will sich um das Kind kümmern und es in Sicherheit zu bringen. Währenddessen bemüht sich April um einen jungen Araber, der hasserfüllt und zornig, aber mit sehr viel Geld eine Privatvorstellung bei ihr gebucht hat.

6 Tage lang, von Donnerstag bis Dienstag, werden diese und noch einige andere Personen in dem Buch detailliert beschrieben. In Rückblenden erfährt der Leser viel über die jeweiligen Vorgeschichten. Die Erzählperspektive ist dabei immer die jeweilige Figur, um die sich die Handlung dreht.

Das Highlight ist die Geschichte um den jungen Araber Bassam, der sich dann am Dienstag, den 11. September 2001, an den Anschlägen in den USA beteiligen wird. Was für ein Aufhänger! Die arabischen Begriffe, die der Autor benutzt und am Ende des Buches übersetzt, sollen wohl als Beweis für die Authentizität seiner Recherchen dienen oder zumindest seine Erzählgenauigkeit unterstreichen.

Und doch fragt man sich, warum tut er das? Gemeint sind nicht die kleinen Schritte in der Handlung, sondern die fehlenden Erklärungen für die wichtigen Entscheidungen. Warum der Araber in den Club geht, wird im Detail erklärt, aber warum er sich an diesem unmenschlichen Attentat beteiligt nicht. Warum April ihre Tochter mit in den Club nimmt ist klar, aber warum sie nach ihrem Albtraum um die verlorenene Tochter weiter als Stripperin arbeiten will, wird nicht klar. Vielleicht ist der gelungene Wechsel der Erzählperspektiven der interessanteste Aspekt in diesem Buch. Die Klärung der gescheiterten Ehe von AJ, einmal aus seiner persönlichen Sicht und einmal aus der Sicht seiner Frau, wäre ein eigenes Buch wert.

Doch leider bleibt der Autor im Anfang stecken, und auch die anderen Figuren beleuchtet der Autor nur an der Oberfläche. Oder überliest man auch die entscheidenden Passagen einfach, weil man in den endlosen Beschreibungen kleinster Details auf den fast 600 Seiten einfach ermüdet? Leider konnten diese Details nicht helfen, die Charaktere in dem Buch besser zu verstehen.

Kurzbeschreibung
Florida, Anfang September 2001: Die junge Stripperin April nimmt ihre dreijährige Tochter Franny mit zur Arbeit im Puma Club. Jean, ihre einsame alte Vermieterin mit dem wunderschönen Garten voller Blumen, liebt die Kleine von ganzem Herzen und passt sonst immer auf sie auf, doch heute ist sie wegen einer Panikattacke im Krankenhaus. In dieser Nacht hat April einen ungewöhnlichen Kunden: Bassam, einen jungen Araber, der gleichzeitig hasserfüllt und viel zu persönlich scheint und sein vieles Geld mit vollen Händen ausgibt. Ein anderer Mann, AJ, wird aus dem Club geworfen, er ist betrunken, zornig und einsam. Und dann sieht er auf einmal ein weinendes kleines Mädchen allein an der Hintertür des Clubs stehen…
Aus dieser explosiven Mischung entspinnt sich eine atemlose, unerbittliche, leidenschaftliche Geschichte um Sex und Elternliebe, um Ehre und Gewalt. Eine Geschichte von der düsteren Kehrseite der amerikanischen Erfolgsgesellschaft, und ihre realistisch gezeichneten Figuren kommen uns zum Greifen nah. April, Bassam, Jean, AJ und die kleine Franny sind in dieser Nacht durch ein gemeinsames Schicksal verbunden und jede Figur erzählt aus ihrer eigenen Sicht dieselbe Geschichte: die Geschichte des Moments, der Amerika und die Welt für immer verändert hat.

Der Garten der letzten Tage ist am 25.08.2009 im Verlag C.H. Beck erschienen. Die 598 Seiten umfassende gebundene Ausgabe ist für 24,95 Euro im Buchhandel erhältlich.

Der Lesekreis bedankt sich bei C.H. Beck für die freundliche Überlassung eines Rezensionsexemplars.

Über den Autor
Bevor Andre Dubus III Schriftsteller wurde, hat er als Privatdetektiv, Bewährungshelfer, Barkeeper, Raumpfleger und Schauspieler gearbeitet. Seine Romane wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Pushcart-Prize und der National Magazine Award for Fiction. Andre Dubus lebt in Massachussets.

Über die Übersetzer
Ulrike Wasel, geboren 1955, arbeitet als Übersetzerin angloamerikanischer Literatur. Klaus Timmermann, geboren 1955, arbeitet als Übersetzer angloamerikanischer Literatur in Düsseldorf.

Trond Sander, die Hauptperson in Per Pettersons „Pferde stehlen“

Menschen wie wir

Trond Sander, die Hauptperson in Per Pettersons „Pferde stehlen“.

Trond Sander, 67 Jahre, zieht sich zurück. Er, der Junge mit den Goldhosen, der durch den Verkauf seiner Firma nun genug Geld hat, möchte ein Leben in der Stille beginnen. Ihn begleiten seine Hündin Lyra aus einem Tierheim in Oslo und seine Erinnerungen.
Diese drohen so übermächtig zu werden, dass er ihnen nicht mehr ausweichen kann.

„Ich habe verkauft, was von der Firma übrig war, und bin hierher gezogen, das musste ich tun, sonst wäre es mir übel ergangen. Ich konnte nicht weitermachen wie bisher.†œ S.283

Trond hat sich aller Bindungen entledigt. Seine Frau starb bei einem Autounfall vor drei Jahren, seine Töchter wissen nicht, wo sich ihr Vater aufhält, und dass er sich ein Haus fernab von der lärmenden Großstadt Oslo in der Stille der ostnorwegischen Wälder gekauft hat. Hier stellt er sich seinen Erinnerungen, die schneller kommen als ihm lieb ist.

Auslöser ist sein Nachbar Lars Haug, in dem er den Bruder seines Jugendfreundes Jon erkennt.
In seiner Jugend hat er 15-jährig einen Sommer mit seinem Vater an einem ähnlichen Ort verbracht. Das war der letzte Sommer mit seinem Vater, ein Sommer in dem er unfreiwillig erwachsen geworden ist. Seine Mutter und seine Schwester blieben in Oslo. Er wähnte sich als „Auserwählter†œ mit seinem Vater in enger Zweiergemeinschaft verbunden.

Rückblickend erkennt er, dass diese Sicherheit eine trügerische war. Der Vater wird die Familie und ihn am Ende des Sommers verlassen, und er wird nie wieder Kontakt zu ihm aufnehmen. Die Zeit mit dem Vater ist geprägt von Eindrücken, die ihn jetzt einholen. Der Vater hat in der norwegischen Widerstandsbewegung gearbeitet und Informationen und Menschen außer Landes geschleust. Unterstützt wird er dabei von einer Frau, die in diesem Sommer ihre „zufällige†œ Nachbarin ist. Mit ihr wird er ein neues Leben beginnen, zusammen mit ihrem Sohn Lars – ein Leben, in dem Trond keinen Platz mehr hat.

Später wird Tronds Lieblingslektüre „David Copperfield†œ sein. Dem Titelheld ergeht es übel, aber die Geschichte nimmt einen guten Ausgang. Trond liest das Buch „Seite um Seite, fast starr vor Schreck, weil ich sehen musste, wie alles zuletzt auf seinen Platz fiel, und dem war ja auch so, aber es dauerte immer so lange, bis ich mich sicher fühlte. In der Wirklichkeit war es anders.†œ

Für Trond waren die Erlebnisse in diesem Sommer traumatisch und richtungweisend für sein weiteres Leben.
Sein Vater lebte nun in einer anderen Familie weiter mit einem Stiefsohn.

Als er Jahre später auf Lars trifft, wäre seine brennendste Frage, die er sich jedoch nicht traut ihm zu stellen: „Hast du den Platz eingenommen, der eigentlich meiner war? Hast du Jahre meines Lebens bekommen, die eigentlich mir gehören sollten?“ S.280
Dieses Gefühl, nicht für das geliebt zu werden was man ist und auswechselbar zu sein, hat sein weiteres Leben bestimmt. Es ergeht ihm wie David Copperfield. „Ob ich als Hauptperson meines eigenen Lebens hervortreten werde, oder ob sonst jemand diesen Rang einnehmen wird, müssen diese Seiten erst erweisen.†œ S.279

Per Petterson beschreibt hier einen Menschen, der schockartig erwachsen werden muss, denn „der kindliche Glauben an die immer gute Wendung im Leben†œ hat sich erledigt. Das Vertrauen war „im Laufe eines einzigen Julitages wie weggeblasen†œ. Sein Vater ist für ihn so gut wie tot, die Trauer über den Verlust unterdrückt er sein Leben lang. Das kindliche Gefühl, zusammen mit seinem Vater „Bäume ausreißen†œ zu können, verpufft. Er trifft auf eine Grenze, die er akzeptieren muss.

Nicht umsonst beginnt das Buch mit einer Grenzerfahrung. Die Kohlmeisen, die Trond aus seiner Hütte heraus beobachtet, fliegen gegen die Fensterscheibe und landen betäubt im Schnee. Was für ein wunderbares Bild für die innere Isolation, das an Marlen Haushofers Roman „Die Wand†œ erinnert. Trond fragt sich „Ich weiß nicht, was ich habe, dass sie haben wollen†œ. Wir hoffen für ihn, dass er seine Einsamkeit überwinden wird.

Die Kommunikation mit seiner unverhofft auftauchenden Tochter lässt darauf schließen, dass er beginnt sich zu öffnen. Oder wie ein Rezensent es schrieb: „Er hat sich endlich entschlossen in seinem Leben selbst die Hauptrolle zu spielen, auch wenn der Abgang von der Lebensbühne nicht mehr fern ist.

„Pferde stehlen“ von Per Petterson ist am 10. Januar 2008 im Fischer Verlag erschienen. Der Lesekreis hat das Buch im April 2010 besprochen.

Rezensionen:

FAZ vom 04.03.2006, Nr. 54 / Seite 50: Wir entscheiden selbst, wann es weh tut – Hasenjagd auf die verlorene Zeit: Per Pettersons großes Vatersuchspiel

23.04.2006 Lesemond

Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels von Stefan Moster [Rezension]

Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels von Stefan Moster

„Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels„, der Debütroman von Stefan Moster, ist im August 2009 im mare Verlag erschienen. Mit seiner ersten belletristischen Veröffentlichung gelingen Moster mehrere wunderbare Synthesen. Der Roman spielt im geschlossenen Biotop einer Kreuzfahrtgesellschaft und versucht dennoch nicht †“ und dafür ist man dem Autor dankbar †“ ein Laborversuch zur Darstellung von „Gesellschaft an sich†œ zu sein. Er spannt einen weiten, höchst kenntnisreichen Bogen über so unterschiedliche Themen wie DDR-Lebensläufe, moderne Luxusreisen oder ‚Das wohltemperierte Klavier‘ ohne schulmeisterlich zu erscheinen. Er spinnt ein Beziehungsgeflecht auf dem Schiff, welches trotz magischer Begegnungen und Zufälle niemals märchenhaft oder gar kitschig wirkt.

Das Zentrum dieses Geflechts bilden eine Mutter, Ende 40, und ihr 20-jähriger Sohn. In Form von zwei abwechselnden Erzählerstimmen, kapitelweise überschrieben mit Almut und Sebastian, wird der Schiffsalltag und seine breite Palette an Personen entwickelt. Almut ist Bordpsychologin (im Schiffsprospekt direkt „neben dem Pfarrer†œ positioniert) und Sebastian arbeitet als Barpianist. Moster nutzt die Berufe seiner Hauptfiguren, um den feinnervig beobachtenden Blick zu motivieren. Almut empfängt regelmäßig nicht nur ratsuchende Passagiere, sondern auch den ehemaligen Stasi-Führungsoffizier Gaus (jetzt Personalmanager des Kreuzschiffes) mit dem sie eine zwiespältige Nähe und Vergangenheit verbindet. Sebastian, als Angestellter zweiter Klasse, erhält Einsicht in die unteren Decks, wo das vielfältige Personal untergebracht ist. Dabei wissen die beiden, die vor Monaten im Streit auseinandergegangen sind, nicht, dass sie den gleichen Arbeitgeber haben. Nur als Lesender verfolgt man gespannt ihre sich kreuzenden Wege bis hin zur Begegnung.

Mosters Schreibstil ist geprägt von der Liebe zu genauer Beobachtung und genauer Formulierung. So erkennt man als Lesender †“ oft geradezu amüsiert – viele spezifische Details wieder, von denen man nicht einmal gewusst hätte, dass man sie kennt. So etwa, wenn beschrieben wird, wie unangenehm die Unterarme auf den erhöhten Tischrändern aufliegen, die das Wegrutschen des Geschirrs bei Seegang verhindern. Almuts Blick †“ geschärft durch berufliche Erfahrung, aber dennoch höchst subjektiv †“ entlarvt nicht ohne eine gewisse Boshaftigkeit das Gebaren der Mitreisenden und selbst das ihrer „Patienten†œ. Als Bordpsychologin muss sie etwa beim Empfang der, fast ausschließlich deutschen, Touristen mit im Spalier der Angestellten stehen und konstatiert trocken:

[…]Die meisten tragen tatsächlich eine Art Stolz zur Schau. Sie sehen aus, als inspizierten sie ihr Eigentum, wenn sie sich zum ersten Mal im Foyer umblicken. Und wenn sie die Augen nach oben richten und registrieren, daß erst nach sechs Stockwerken eine Decke kommt, und auch dies nur in Form einer leicht gewölbten Glaskuppel, die den Blick freigibt auf den Himmel über dem Meer, dann nicken sie entweder anerkennend, oder sie heischen Lob von ihren Ehefrauen für das gewaltige Ambiente. […]
Ich weiß mittlerweile, wie es nach der adelnden Aufzugsreise in mancher Kabine weitergeht. Dann will der frisch zum Meister seines Lebens gekürte Herr von seiner Frau ein Zeichen der Anerkennung und schlägt Gunstbeweise rustikal-erotischer Natur vor. Weigert sich die Gattin, kann es passieren, dass der Mann ein paar Tage später an die Tür des Musikzimmers klopft und sagt, er müsse mal mit mir reden. Willigt sie ein, steigt wiederum die Wahrscheinlichkeit, dass die Frau sich bei mir meldet, etwa per Anfrage über die Rezeption, im verschlossenen Umschlag, selbstverständlich.[…]

Almuts Beratungszimmer ist gleichzeitig das Musikzimmer, in welchem ein Blüthner-Flügel den Mittelpunkt für ihre Begegnungen mit Gaus darstellt. Eine überraschend intensive und faktenreiche Auseinandersetzung über Klaviermusik (hauptsächlich Bach und Schubert) bildet die Sprache für diese Beziehung, die Züge einer Hassliebe hat. Es ist eine ungewöhnliche Qualität dieses Romans, dass Gaus und Almut sich unerhört nahekommen in ihrem Verständnis über das Spielen, Moster dies aber nicht in einer Liebesbegegnung auflöst. Im Gegenteil, die Verletzungen des außermusikalischen Lebens †“ Gaus war maßgeblich an der Erstellung von Almuts „Akte†œ beteiligt – sind und bleiben so real, dass das titelgebende Motiv auch in dieser Beziehung einen Wendepunkt bedeutet. Almut spielt nicht mit Gaus zusammen.

Sebastians Stimme ergänzt und kontrastiert die seiner Mutter. Er ist bereits im Deutschland der Nach-Wende-Zeit eingeschult worden und erinnert sich an seine Kindheit vor allem in privaten Aspekten: alleinerziehende Mutter, wenig Geld, stark musikalisch geprägte Zweisamkeit. Sein Blick auf die Schiffsgesellschaft ist deutlich zwanzigjährig; er verliebt sich, er ist unsicher und er ist zum ersten Mal allein unterwegs. Sein Talent als Pianist beschreibt Moster aber mit ebenso eindringlicher Nachvollziehbarkeit wie das andersgeartete von Almut und Gaus.

[…]In mir kochte tatsächlich so etwas wie Eifersucht hoch, obwohl die Frau mehr als doppelt so alt war wie ich. Sie hätte meine Mutter sein können. Trotzdem machte es mich ganz nervös, Tintins Hand so auf ihrer Hüfte liegen zu sehen, dass die Spitze des Mittelfingers fast die Stelle erreichte, wo die Pofalte ansetzt.
Prompt rutschten mir ein paar Akkorde ab, und Tintin warf mir einen warnenden Blick zu. Ich bat um Entschuldigung, indem ich mit allen Fingern ziemlich laut eine primitive Kadenz in die Tasten stanzte, die Harmonien anschließend auf die simple Art zerlegte und in der gleichen Reihenfolge wiederholte, sodass es wie ein Intro wirkte. Tintin verstand sofort. Ich konnte es nicht genau erkennen, aber ich wette, er zwinkerte mir kurz zu, dann führte er die Frau zu der kleinen Tanzfläche , die seit Längerem wieder leer war, so wie meistens. Sie wird normalerweise nur ab und zu von Paaren, die sich gerade erst gefunden haben, für Anschmiegemaßnahmen genutzt. Genau das hatte Tintin jetzt im Sinn, und darum rollte ich ihm und seiner Beute wie ein gehorsamer Depp quasi den roten Teppich aus und spielte „Wonderful World“.[…]

Die abwechselnden Kapitel von Mutter und Sohn, in denen sowohl die Schiffsgegenwart mit ihren mannigfaltigen Begegnungen als auch die gemeinsame Vergangenheit erzählt werden, sind durch ein zartes Netz von Berührungspunkten verbunden: hier ein Buchtitel, dort ein gleichlautender Gedanke oder die Erinnerung an ein Wort. Manchmal treffen sie auch auf die gleichen Personen. Eine alte Frau, die eben noch mit Almut Kaffee getrunken hat, sagt zu Sebastian: Sie haben Ähnlichkeit mit jemandem. Diese Anklänge und Kreuzungen sind dabei so dezent und geschickt gestreut, dass sie weder zu bedeutungsschwanger noch sinnlos wirken – es entsteht einfach ein aufregendes Echo. Wie Almut Gaus gegenüber von Bachs Fugen sagt: zwei Stimmen laufen unabhängig voneinander parallel.

So vergehen auf 448 Seiten 157 Tage Schiffsreise ohne Längen. Der Reichtum an präzise formulierten Details ist ein Genuss †“ ob man nun thematisch an Klaviermusik oder dem Ablöseprozess erwachsener Kinder interessiert ist oder ob man sich über sorgfältige Sprachwahl freuen kann.

Kurzbeschreibung
Sie sind vor Monaten im Streit auseinandergegangen; nun ahnen sie nicht, dass sie sich auf demselben Kreuzfahrtschiff befinden: Almut, Ende vierzig, als Bordpsychologin, und ihr Sohn Sebastian, Anfang zwanzig, als Barpianist.
Während sich Sebastian in eine Kollegin aus der Crew verliebt und in das Schicksal von vier blinden Passagieren verstrickt wird, bekommt Almut Einblicke in die Ehe-Abgründe der Mitreisenden und muss sich ihrer Vergangenheit stellen, die plötzlich allgegenwärtig ist: in Gestalt von Bernd Gaus, dem Personalmanager des Luxusliners, der sich täglich zur Musikstunde am Flügel in Almuts Beratungszimmer einfindet…

Über den Autor
Stefan Moster, geboren 1964 in Mainz, lebt als Autor, Übersetzer, Lektor und Herausgeber mit seiner Familie in Espoo, Finnland. Er unterrichtete an den Universitäten München und Helsinki; 1997 erhielt er das Münchner Literaturstipendium für Übersetzung, 2001 den Staatlichen finnischen Übersetzerpreis. Unter anderem übertrug er Werke von Hannu Raittila, Ilkka Remes, Kari Hotakainen, Markku Ropponen, Petri Tamminen und Daniel Katz ins Deutsche. Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels ist Stefan Mosters erster Roman.

Weitere Pressestimmen sowie eine Leseprobe zu Stefan Mosters „Die Unmöglichkeit des vierhändigen Spiels“ finden sich hinter den Links.

Stefan Moster geht auf Lesereise und stellt sein Romandebüt am

19.04., um 20 Uhr, im Literaturhaus Rostock, Ernst-Barlach-Str. 5,
21.04., um 20 Uhr, im Literaturhaus München, Salvatorplatz 1,
23.04., um 19.30 Uhr, in der Stadtbücherei Uelzen, An der St. Marien-Kirche 1, vor.

Quelle Cover und Autorenfoto: mare Verlag

Nichts für schwache Nerven: Der Kinderdieb von BROM

Vergiss das Märchen – erlebe das Abenteuer! Der Kinderdieb von BROM

So bewirbt der PAN Verlag den Jugendroman „Der Kinderdieb“, der seit dem 15. Februar 2010 aus den Buchregalen heraus glänzt.
Der Kinderdieb basiert auf dem Märchen von Peter Pan, jedoch hat sich der US-amerikanische Autor BROM (eigentlich Gerald Brom) sehr stark an die Originalgeschichte von James Matthew Barrie gehalten, die düster und voller Gewalt ist.

Geschickt kombiniert der in Deutschland wenig bekannte Autor das Märchen um den Jungen, der nie erwachsen werden will, mit den Legenden und Sagengestalten rund um die Insel Avalon. So schafft  er ein modernes Urban-Fantasy-Märchen für junge Erwachsene.

Peter ist einer der wenigen, der es schafft durch den verzauberten Nebel, der um die Insel Avalon liegt, hindurchzugehen, um in die Welt der Menschen zu gelangen. Dort angekommen, sucht er nach den wirklich verlorenen Kindern, nach den vergessenen, den verstoßenen, den missbrauchten und den gepeinigten Kindern. Er erschleicht sich ihr Vertrauen, um sie dann nach Avalon zu führen, denn die Insel liegt im Sterben. Seit vor Jahrhunderten ein Schiff voller Menschen an den Ufern Avalons gestrandet ist, herrscht zwischen den Völkern ein erbitterter Krieg, der beiden Seiten viele Opfer abverlangt. Avalon ist kaum noch bewohnbar. Das einst blühende Land ist verdorrt und wird langsam zu einer geisterhaften Umgebung ohne Fabelwesen. Fast alle starben in dem Krieg oder erlitten den Hungertod. Peter sieht seine Aufgabe darin, die Menschenkinder auf die Insel zu bringen, um sie zu Kriegern auszubilden, die gegen die Eindringlinge kämpfen sollen. In kurzen Rückblenden erfährt der Leser von Peters Vergangenheit, und warum er zu dem hinterhältigen Kinderdieb wurde, der er nun ist.

Das Buch entführt den Leser in eine bizarre, skurrile, blutige und gleichzeitig bezaubernde, faszinierende Welt, voller Krieg, Hass, Wahn und Missverständnisse. Bis auf die letzten paar Seiten bleibt ungewiss, ob es ein Happy-End geben wird oder nicht. Der Kinderdieb ist kein Buch für schwache Nerven und absolut nichts für Kinder! Wer ein Hollywood-Märchen erwartet, sollte die Finger von diesem harten Stoff lassen.

Der Kinderdieb (orig. The Child Thief, 2009)  ist bereits das siebte Buch des gelernten Illustrators BROM, der sich auf vielen Reisen schon in der Kindheit angewöhnt hat nur seinen Nachnamen zu benutzen. Verfeinert ist die 655 Seiten umfassende gebundene Ausgabe mit auf hochglanz gedruckten Farbillustrationen des Künstlers, ebenso startet jedes Kapitel mit einem schwarz-weißem Szenenbild. Der Kinderdieb ist für 16,95 Euro im Buchhandel erhältlich.

Der Lesekreis bedankt sich bei Grit für diese aussagekräftige Rezension!

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